Ausgangslage
Am Samstag, dem 10.9, eskalierte die Situation ein erstes Mal, als sich weit über tausende Jugendliche und Erwachsene am Bellevue zu einer Party unter freiem Himmel versammelten und die Polizei darauf mit Gummischrot und Tränengas einschritt. Unvorbereitet, wie die Polizei war, war sie lange Zeit nicht fähig die Krawallen einzudämmen und schon gar nicht Leute festzunehmen.
Als Antwort auf diese Party fand am Freitag dem 16.9 eine Party gegen die Polizeigewalt und einseitige Medienberichte und für mehr Freiräume statt. Nachdem sich die Party im Verlaufe der Nacht zu einem tanzenden Demonstrationszug wandelte, schritt die Polizei ein erstes Mal beim Stauffacher ein und setze Gummischrot ein. Die Strategie schien klar, ein bisschen um den Helvetiaplatz zu marschieren ist ok, sobald aber die Richtung in die Innenstadt eingeschlagen wird, musste eingeschritten werden. So setze sich die Polizei, dieses Mal mit zwei Wasserwerfern ausgerüstet, an der Militär- und an der Langstrasse erneut in Szene und löste die Demo mehr oder weniger erfolgreich auf.
Am Samstag, dem 17.9, eskalierte die Situation ein erstes Mal auf dem Helvetiaplatz, als die Polizei versuchte die Proteste gegen einen Marsch fundamentalistischer Abtreibungsgegner unterschiedlicher christlicher Konfessionen zu unterbinden. Die Polizei agierte sichtlich nervös, genervt und wohl in ihrer eigener politischer Weltsicht angegriffen und schritt dementsprechend auch ohne grössere Vorwarnung und mit mitgebrachtem Wasserwerfer ein. Die Situation beruhigte sich danach so lange, bis die Abtreibungsgegner von ihrem mit Störaktionen begleiteter Marsch durch die Innenstadt, auf den Platz zurück kamen. Wiederum kam es zu einem Wasserwerfer- und Schroteinsatz. Im Gegensatz zum ersten Mal agierte aber die angegriffene Menge geschlossener, einzelne kleinere Barrikaden wurden errichtet und die Scheiben der nahegelegenen ZKB-Filiale gingen als Antwort auf die Angriffe zu Brüche.
Am Abend versammelten sich erneut hunderte Menschen auf und in der Nähe des Centrals, wo seit Anfang der Woche zu einer erneuten Party aufgerufen wurde. Nachdem sich einige Menschen mit einer kleinen mobilen Soundanlage in Richtung Bellevue bewegten, schritt das nun zahlreiche Polizeiaufgebot ein und versuchte einen Kessel aufzubauen. Dilettantisch, wie das Vorgehen trotz einer Woche Planung war, liessen sich nur an die 80 Leute kesseln. Als Antwort auf diese Angriffe kam es an drei Fronten zu Auseinandersetzungen. Verschiedene Fenster von Autos und Schaufenster gingen in Brüche (Mindestens ein Polizeiauto, ein Auto von Telezüri) und die Polizei wurde etliche Male mit unterschiedlichsten Gegenständen eingedeckt. Als Reaktion auf die an die mediale und politische Kritik von rechter Seite an den vorherigen Polizeieinsätzen wurden an diesem Abend aber unzählige Menschen verhaftet, 48 Menschen bis Montag in U-Haft gesetzt und 10 davon auch am Dienstag noch in den Knästen behalten. An vorderster Front, die zu härteren Massnahmen aufgerufen haben waren die SP-Rechtsexperten Daniel Jositsch und Martin Killias. Insbesondere Killias, der schon nach dem Bellevue-Krawall zu hartem Einsatz aufgerufen hatte („Das Ziel dürfe nicht in erster Linie sein, Schäden zu minimieren. Die Polizisten müssten sich darauf konzentrieren, rasch viele Leute zu verhaften“) fordert nach der erneuten Riots am Cental eine Verschärfung des Strafrechtes, Freiheitsstrafen („Bei solchen Ausschreitungen halte ich eine unbedingte Freiheitsstrafe von ein bis zwei Monaten für angemessen.“) und würde trotz kleiner Bedenken auch dem Einführen von Schnellgerichten zustimmen.
Die Eskalationsstrategie von Leupi und dessen Unfähigkeit die aktuelle Situation zu verstehen.
Die Repression seit dem Amtsantritt Leupis übertrifft sogar noch seine Vorgängerin SP-Mitglied Esther Maurer. Über 500 Wegweisungen nach Verhaftungen am 1. Mai, das harte Durchgreifen der Polizei bei illegalen Partys, die Einsätze an den letzten beiden Wochenenden sprechen für sich. Wieso Leupi auf dieser Strategie fährt bleibt dahingestellt. Muss er sich auf der bürgerlichen Seite anbiedern und zeigen, dass er die Polizei auch mit harter Hand führen kann? Glaubt er sich tatsächlich so einen Frieden erkaufen zu können? Oder liest er gar zu viele Tagi-Online Kommentare und meint darum, die gesamte Welt fordert von ihm, dass er bald die Armee einsetze?
Die Aussagen Leupis nach den erneuten Riots am Samstag scheinen aber vor allem deutbar, dass er keinen blassen Schimmer von der Situation hat. Wenn absurde Terminologien von „Krawall-Touristen“, die zwar zu einem Drittel in der Stadt selbst wohnen und sonst aus der Agglo stammen, doch tatsächlich die abschliessende Analyse der Polizei ist, dann muss man sich über die Repression auch nicht wundern. Denn wo keine sozialen Phänomene gesehen werden, müssen die auch nicht behoben werden und man kann den bösen Chaoten auch einfach mit verstärkter Repression entgegensetzen. Vollkommen absurd wird das ganze aber spätestens dann, wenn die „Chaoten“ vom Bellevue plötzlich zu einem möglichen Ansprechpartner werden, während in den „Event-Chaoten“ vom Central das ultimative Böse entdeckt wird.
Die Frage nach dem Grund für Leupis Strategie der Repression kann nicht abschliessend geklärt werden, was aber bleibt ist, dass die Lösung nicht einfach in einem anderen Polizeipräsidenten gesucht werden kann. So hart Leupi momentan auch vorgehen mag, keiner seiner Vorgänger war von einem anderen Kaliber und alle waren sie schlussendlich Teil des Repressionsapparates.
Die mediale Berichterstattung.
Die Medien hatten die Antworten auf die Krawalle schnell parat. Wohlstandsverwahrlosung, unpolitische Chaoten und sie schützende passive Party-Gänger waren schuld. Die Frage wieso denn so viele Menschen einen Hass auf die Polizei haben, wurde nicht gestellt. Der Tages-Anzeiger schaffte sogar den Kunstgriff die Krawalle gleichzeitig als apolitisch und doch als soziales Phänomen aufzufassen: „Gürber sieht zwei Gruppen von Jugendlichen, die sich an den Krawallen betätigen: die Unauffälligen, die sich in der Masse zu Gewalt hinreissen lassen, und die Benachteiligten, die so ihren Frust auf den Staat abbauen.“ Zwar lassen sie eigentlich ihren Frust am Staat aus aber waren eigentlich unpolitisch, im Gegensatz zu den Bellevue-Chaoten, die zwar auch sehr dumm seien aber immerhin Freiräume fordern. So muss man sich wohl die Welt eines Tagi-Analysten vorstellen.
Das zweite Erklärungsmuster geht von einer Art „Wohlstandsverwahrlosung“ aus. Weil es uns zu gut gehe, machen wir aus Spass Krawall für mehr Partys. Erstens liegt dem die absurde Vorstellung zu Grunde, dass die ganze Schweiz reich sei und sich alle das tolle Party-Angebot leisten könnten. Dass dem nicht so ist, haben eigentlich schon genügend Studien über die Armut in der Schweiz bewiesen. Zweitens findet sich in dieser Auffassung die Vorstellung wieder, dass es den Jugendlichen schlussendlich tatsächlich um diese eine Party gehe. Der Hass auf die Polizei als Staatsapparat kommt aber von unzähligen Erfahrungen, seien dies Repression an Fussballspielen, Gentrifizierung mit all ihren Auswirkungen usw. Dass dieser Hass sich irgendwann entlädt, wenn es keine anderen Artikulationsmöglichkeiten gibt, ist selbstverständlich. Drittens wird Unrecht nicht mit Relationen gegeben. Wenn jemand sein ganzes Leben lang von der Polizei in Zürich schikaniert wird, ist das Unrecht, egal ob er in einem anderen Land noch mehr schikaniert werden würde. Wenn Sozialabbau stattfindet ist es richtig wenn Menschen sich wehren auch wenn es bestimmt einige Länder gibt, in denen es noch weniger Sozialstaat gibt. Diese eigentlichen Faktoren für die Auseinandersetzungen machen die Menschen auch nicht linker, doch so lange diese Faktoren bestehen, wird es auch immer wieder solche Krawallen geben.
Blickt man nun als Antwort auf Indymedia meint man die Linke überhole die Bürgerliche gar auf der rechten Seite. Mag es auf den ersten Blick noch klar sein, dass wenn Tele-Züri drei Menschen auf der Strasse befragt, diese nicht das tatsächlich Bild der Bevölkerung wiedergeben, so wird es bei der grösseren Analyse schon unklarer. Schau nur auf Tagi: Alle diese Kommentare und sowieso weiss man doch, dass das alle Menschen doof finden (ja woher weiss man das eigentlich?). Als Antwort kann ja nur eine radikale Distanzierung unsererseits erfolgen. Denn dann, dann können wir endlich gross und stark werden. Dieser Ansicht unterliegen drei Grundlegende Fehler.
Erstens ist es nicht so, dass Medien einfach der Nullpunkt auf einer Achse der Objektivität wären und nur versuchen die Fakten wiederzugeben, wenn man sie dann auch nett behandelt. Medien haben eine politische Ausrichtung und geben die in ihren Artikeln auch so weiter. Diese Ausrichtung ist mal mehr links mal mehr rechts, sie hat aber bei allen grossen Verlagshäusern gemein, dass sie auf der Basis der momentanen Rechts- und Gesellschaftsordnung steht. Sie wird also Dinge so oder so ablehnen, die wir als Legitim erachten. Und ihr idealistische Auffassung, dass sie Gewalt als politisches Mittel ablehnt, geht gar soweit, dass sie es auch anderen, die es anwenden als politisches Mittel abspricht und ihnen Dummheit, Naivität oder sonst was vorwirft. Das kann sie aus ihrem Blickpunkt auch nicht verstehen, wieso sie denn immer wieder auf der Strasse angegriffen wird. Wenn sich im Tagi dann plötzlich ein Journalist in einer rührenden Reportage bemitleidet, dass ihn niemand möge und er doch nur die beide Seiten wiederbringen möchte, dann ist das blanke Ironie der bisherigen Berichterstattung. Einzig, dass es den Tele-Züri Journis noch arger erging, lässt einem ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern. Die Frage, wieso er denn so gehasst wird und wieso die von Tele-Züri noch mehr gehasst werden, stellt er sich nicht. Eventuell könnte es daran liegen, dass die Journalisten eben bisher nicht fähig waren eine objektive Berichterstattung zu liefern und, dass die Leute darum eventuell auch kein Interesse mehr haben ihnen Red und Antwort zu stehen, wenn danach die Sachen doch in vollkommener Verzerrtheit wieder erscheinen.
Zweitens politisieren sich Menschen durch Kämpfe und nicht durch das Lesen von Zeitungsartikeln. Das langjährig SVP-Aktivmitglied hasst die radikale Linke, egal ob diese jetzt objektiv in ihrer Meinung wiedergegeben wird oder nicht. Für diejenigen, die es zu agitieren gilt, gibt es andere Medien von unserer Seite, die aber wohl tatsächlich noch ausgebaut werden müssen.
Drittens geben die Medien nicht einfach die Meinung einer Gesamtbevölkerung wieder auch wenn sie 20 Artikel zum selben Thema publizieren. Und wenn nun die PR-Offensive der Polizei mit Jammern und Klagen beginnt, dann müssen diese Artikel als solche erkannt werden und nicht einfach als Tatsache hingenommen werden.
Die Frage, wieso die Medien so berichten, wie sie berichten geht aber weiter. Denn alle Journis als reine Interessensvertreter der Herrschenden abzustempeln läuft als Analyse auch zu kurz. Der Abbau in der Medienwelt, die Abwanderung von ihr Werkzeug beherrschenden Journalisten zu besser bezahlenden PR-Firmen, also das offensichtlich eben Nicht-Funktionieren des Marktes spielt sicherlich auch eine Rolle. Wenn in den zusammengelegten Newsrooms die Jorunalistin, die eigentlich für den Sport zuständig ist, plötzlich über die Krawalle berichten muss und die Wetterfee Party-Vorhersagen fürs Wochenende machen muss, dann kann die Berichterstattung nicht gut kommen.
Fazit
Man mag zu den Krawallen stehen wie man will, die Leugnung und Verfluchung derer hilft aber auch nicht weiter, sie zeugen höchstens von einem absurden Restglaube an einen konfliktfreie soziale Marktwirtschaft. Die inhaltlichen Widersprüche des Kapitalismus gibt es in der Schweiz genau so, wie sonst wo. Und im Ergebnis ihrer artikulierten Form werden sie hier auch in ihren unterschiedlichsten Formen auftauchen, vollkommen egal ob man das jetzt toll oder scheisse findet. Will man als Gegner der Krawallen also etwas tun, dann sollte man schleunigst beginnen das System zu ändern. Will man als Befürworter der Krawallen etwas tun, dann sollte man Beginnen die Interessen zu kanalisieren und die Konflikte an ihren ursprünglichen Orten (Beispiel Gentrifizierung, Repression usw.) aufzugreifen. Denn dort liegt wenn schon der Fehler der Linken, dass sie das nicht anbieten kann und nicht etwa darin, dass sie nicht auch in das bürgerlichen Geschrei von Verurteilung und Verteufelung mit einsteigen würde.
Für eine linke Aufarbeitung der vergangenen und kommenden Geschehnisse und gegen die bürgerliche medial verbreitete Pseudowissenschaft. Lassen wir nicht die Medien die Definitionsmacht über die Ereignisse ergreifen und machen wir uns eigene Gedanken mit unserer Methodik und unserer Wissenschaft.