23. August – 03. September, Frigorex, Bürgenstr. 34, Luzern
Vortrags- und Diskussionsreihe
»Den Gesellschaftsvertrag aufkünden!«
Zum Ende des politischen Primats der Rationalität und zur Emotionalisierung der Politik
Die Empörten
In Spanien rufen die Indignad@s, die Empörten, lautstark zum Wahlboykott auf. In Griechenland legt die Bewegung empörter Bürger, den politischen Alltag lahm. Auch in Frankreich, Portugal, London und anderswo strömen Tausende in gemeinsamer Unzufriedenheit zusammen. Dabei fällt auf: Die Empörten sind keiner politischen Partei oder Strömung zuzuordnen. Es sind auch nicht in erster Linie die gemeinsamen politischen Forderungen, die sie auf die Strasse treibt, sondern Wut, Empörung, Frust und vielleicht auch Orientierungslosigkeit. Und dort finden sie Gleichfühlende, Gleichgesinnte und gerade darin eine grosse Zufriedenheit. Eine Zufriedenheit die ihnen genommen wurde von einem politischen und ökonomischen System, in welchem sie sich nicht repräsentiert fühlen.
Das politische Geschäft ist global, sekundenschnell, undurchsichtig, unberechenbar und kolossal geworden. Gigantisch wie too-big-to-fail Unternehmen, wahnhaft wie die staatsvernichtende Schuldenberge und mächtig wie Ratingagenturen. In dieser Welt führen sie eine perspektivenlose Existenz, weil sie noch Jahrzehnte die Folgen der Finanzmarktkrise ausbaden sollen, weil sie auf die eh schon geringe Rente oder Sozialhilfe verzichten sollen, weil nicht mehr nur der Lohn nicht reicht, sondern es auch an Arbeit fehlt. Das alles, während und weil unvorstellbare Milliardenbeträge in eine abstrakte Finanzwirtschaft gepumpt werden. Vor diesem Ruin stehen sie, obwohl über Generationen hinweg an die politische Vernunft geglaubt, und der soziale Kompromiss gepflegt wurde. Oder gerade deshalb? Der Glaube an Lösungen der politischer Vernunft hat sie in den Alptraum und an den Rand ihrer Existenz geführt. Sie erwachen, und ihre Gefühle werden politisch.
Die Sommeruni will ausgehend von diesen konkreten Ereignissen den Ursachen für die veränderte politische Ausdrucksweise auf die Spur gehen und stellt dazu die These eines aufkommenden Paradigmas der politischen Emotionalität auf. Wir fragen: Ist es nicht auch diese Emotionalität, die „Wut im Bauch“ der Menschen, welche die SVP geschickt aufnimmt, um damit Stimmung zu machen? Ist deshalb Emotionalität schlecht? Und: wohin hat uns denn die Vernunft geführt?
Das Ende des modernen Gesellschaftsvertrages
Wir setzen uns auseinander mit dem Verlust des Vertrauens in die Parlamente, ins politische System, mit dem absehbaren Ende des gesellschaftlichen Kompromisses – ja dem Ende des Gesellschaftsvertrages? Wir beleuchten die wirtschaftlichen, sozialen, medialen Veränderungen, die den Glauben an eine politische Repräsentanz – auf der unser System die letzten Jahrzehnte basierte – in allen Gesellschaftsschichten erblassen lässt. Die politische Rationalität, sie wird nicht müde zu betonen, dass sie auf der Aufklärung basiert, hat uns zweifellos in dieses Elend geführt. Zu Beginn und am Ende der Entwicklung steht die Vernunft der Aufklärung, zahnlose Konzepte einer volonté générale, oder ein kategorischer Imperativ Kants; sie hat uns – begleitet von der Diskurstheorie eines Habermas’ – in die Hegemonie des neoliberalen Kapitalismus geführt. In ein politisches und ökonomisches System, welches die Grundsätze der Aufklärung mit Füssen tritt, indem es die politische Freiheit mit staatlicher Repression und sozialer Exklusion vernichtet, die soziale Ungleichheit zur unumgehbaren Tatsache macht und der individualisierte Wettbewerb die Geschwisterlichkeit zwischen den Menschen abgelöst hat. Ohne dabei zurück zu einem aufklärerischen Idealismus zu fallen, wollen wir anerkennen, dass der moderne Gesellschaftsvertrag bereits vor Jahren aufgekündigt worden ist.
Dieses Ende des Gesellschaftsvertrages ist dabei nicht nur eine Chance für emanzipatorische Bewegungen. Dass rechtspopulistische Strömungen die entstehende Machtlücke schliessen, droht zuweilen über Europa. Es steht also auch die Frage im Raum, wie wir gegen die SVP und Konsorten ankämpfen können, ohne dabei zu den Verteidiger_innen des bürgerlichen Gesellschaftsvertrags zu werden. Deshalb möchten wir zum Ende der Sommeruni fragen: Wie geht das hier weiter? Welche Chancen und Gefahren bietet uns die wiederentdeckte Emotionalität und der der Bruch mit dem Primat der Vernunft? Der Pfad auf der Suche nach Antworten führt nicht nur vorbei am neuen Insurrektionalismus und Philosophen wie Antonio Negri, sondern auch zurück auf den Syntagma-Platz in Griechenland…
Diskussionsrunden und Textlektüren jeweils Dienstags und Donnerstags von 19.30 – 21.30 Uhr; plus Samstag, 03.9. 14.00-17.00 Uhr: Abschlussdiskussion.
Eintritt frei
Quelle: www.denknischen.ch