Der Attentäter und die Hassblogger

Er schrieb in rechten Blogs und war Mitglied bei den Rechtspopulisten: Der Mörder von Norwegen kam nicht aus dem “Nichts”, sondern aus der Szene der europäischen Multikulti-Hasser und Islamfeinde. Die beeilen sich nun zu versichern, dass Anders Breivik etwas falsch verstanden haben muss.

Als sich über die Medien die Nachricht über das grauenhafte Massaker auf der norwegischen Insel Utøya verbreitete, wurde schnell klar, dass der Täter wohl aus dem anti-islamistischen, stramm nationalistischen Lager kam. Seit Jahren hatte er seine publizistischen Spuren in etlichen einschlägigen Blogs und auf Web-Angeboten hinterlassen. Die Betreiber entsprechender Angebote gingen prompt zur Verteidigungshaltung über. Man distanzierte sich – nicht in der nationalistischen, anti-islamistischen Sache, wohlgemerkt, aber in Bezug auf die Wahl der Methoden.

Anders Behring Breivik, so die Botschaft, war wohl Anhänger der rechten Sache, hatte da aber etwas falsch verstanden. Bomben und Massenmord, so die Argumentation, gehörten nicht zum Instrumentarium, das man nutzen wolle, um die westliche Welt von Muslimen und überhaupt allem Andersartigen, von den “Multikulturisten” und “Kultur-Marxisten” zu befreien. Nationalisten und Christen, argumentierte da ein rechter Blogger, mordeten per definitionem keine Kinder, “schon gar nicht Kinder der eigenen Rasse”.

Das deutsche Polit-Blog Politically Incorrect, vom Verfassungsschutz als nicht rechtsradikal eingestuft, weil es pro-amerikanisch und pro-israelisch sei, berichtete über die Anschläge unter der Schlagzeile “Fall Anders B. eine konservative Katastrophe”. Das Massaker sei eine verheerende Katastrophe, die über Norwegen hereingebrochen sei. Den Angehörigen der Opfer gelte “unser Mitgefühl”. Klingt nach Unglück, Naturkatastrophe, Unfall – für so etwas kann gemeinhin keiner was, und im konkreten Fall sowieso nur der Täter selbst.

Eine “konservative Katastrophe” ist das Massaker für die rechten Blogger aber, weil die Verwechslungsgefahr so groß ist: Wo immer sich Breivik in der Szene schriftlich äußerte in den letzten Jahren, fiel er nicht als Fremdkörper auf. “Was er schreibt”, ist auch bei Politically Incorrect zu lesen, “sind großenteils Dinge, die auch in diesem Forum stehen könnten. (…) Ob Breivik an einer psychischen Krankheit leidet, die seither schlimmer geworden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.”

Breiviks Ideologie hat Wurzeln

Auch bei Document.no, wo Breivik über Monate den direkten Kontakt und Austausch mit Verleger Hans Rustad suchte und rund 75 Beiträge postete, bemühen sich die Autoren, eine Grenze zwischen sich und Breivik zu ziehen. In Anbetracht der großen ideologischen Schnittmengen ist das offenbar nicht immer ganz einfach. Dass Breivik dort bereits am 8. September 2009 erstmals, und dann noch zweimal explizit sein nun in Umlauf gebrachtes Pamphlet angekündigt hatte, macht die Sache auch nicht leichter.

Zumal Anders Behring Breivik durchaus nicht der alleinige Autor dieses Konvolutes ist, das unter dem Titel ” 2083 – A European Declaration of Indepence ” nun im Sinne des Wortes zum Kreuzzug gegen den Islam in Europa aufruft. Hunderte von Seiten wurden von anderen rechten Bloggern verfasst, Breivik hat sie aus ihren Blogs kopiert. Dutzende Kapitel seiner Kampfschrift erschienen in den letzten Jahren in Blogs wie Gates of Vienna (GoV – “Tore von Wien”) oder The Brussels Journal, die zu seinen meistzitierten Quellen zählen. Breivik selbst bezeichnete die Ideologie, der er folge, als die “Vienna-Denkschule” – eine direkte Referenz an das GoV-Blog.

Eine andere Form rechter Radikalität

Es ist eine seltsame Szene, die ihren Ausdruck in solchen Blogs findet und in der sich Breivik bewegte: tatsächlich pro-westlich und ausgesprochen pro-amerikanisch, Israel freundlich zugetan, dagegen aber deutlich anti-muslimisch, aggressiv christlich und “wehrhaft”, “mono-kultistisch” und offen feindlich gegen alles, das liberal, links, “Multi-Kulti” und “internationalistisch” ist. Nazis verabscheut diese “patriotisch-nationalistische” Szene dabei, Sympathien und informelle Kontakte pflegt man hingegen mit der US-amerikanischen Tea-Party-Bewegung, zur FPÖ, aber auch in die rechte Fußball-Fan-Kultur der “Casuals” – und zur britischen “English Defence League” (EDL).

Die gilt zwar als militant und ultrarechts, kooperiert aber auch schon mal mit der unter Terrorverdacht stehenden Jewish Defence League (JDL) – undenkbar bei der “Konkurrenz” aus dem Neonazi-Lager. Das geht bis zu gemeinsamen Veranstaltungen und Demonstrationen. Die Allianzen in dieser Szene sind so überraschend wie eindeutig: Hauptsache, es geht gegen Muslime.

Die, so eine der zentralen Thesen, die die Autoren und Wortführer der Szene vertreten, seien gerade dabei, Europa durch eine Form des “demografischen Dschihad” zu übernehmen. Mit Statistiken, historischen Referenzen und gewagten Hochrechnungen liefern die Wortführer der Szene dem rechten Bodensatz und den rechtspopulistischen Multiplikatoren intellektuell klingende Begründungen für den radikalen Fremdenhass. Die Szene ist bestens vernetzt und breitet sich rapide aus: Breivik selbst will in den letzten Jahren am Aufbau eines norwegischen EDL-Ablegers mitgearbeitet haben, der Norwegian Defence League NDL.

Die distanzierte sich am Sonntag genauso von Breivik, wie dies die EDL tat, für die Breivik als “Berater” gearbeitet haben will: “Nur um das klar zu machen, niemand aus der Leitungsebene der EDL hat sich je mit diesem Idioten getroffen, mit ihm gesprochen oder von ihm gehört.”

Auf der Suche nach dem Weg in den Mainstream

Denn nichts ist der Szene so wichtig, wie sich als seriöse Strömung in ganz Europa zu etablieren. Sie versteht sich als “Anti-Dschihad”, als Gegengewicht. Sie strebt in die Medien, auf die Straßen, in die Parlamente. Auch Breivik engagierte sich in Norwegens rechtspopulistischer Partei Fremskrittspartiet. Die dürfte nun über seinen frühzeitigen Ausstieg erleichtert sein.

Denn Breivik verlagerte nach eigener Aussage seine politischen Aktivitäten bereits vor rund neun Jahren ins Publizistische – und Subversive. Bereits seit mehreren Jahren verbreitete er seine Ansichten über diverse rechte Blogs. Am Samstag führte das, vor allem aber seine ideologische Nähe zum vielleicht größten Star dieser Szene, zu einem bizarren Streit: Das ebenfalls rechte Blog LittleGreenFootball (im Szenenjargon nur LGF) brachte das Gerücht in Umlauf, Anders Breivik sei niemand anderes als der szeneweit bekannte Blogger Fjordman.

Der Streit tobt noch immer. Inzwischen hat sich Fjordman, bekannt für radikale, elegant formulierte lange Essays gegen Muslime, Liberale und “Multi-Kultis”, mehrfach zu Wort gemeldet. Seitdem steht nicht mehr der Vorwurf im Raum, er selbst sei der Massenmörder von Norwegen, sondern “nur”, dass er ein Brandstifter sei – Breiviks Inspiration.

Fjordman: der intellektuelle Stichwortgeber

Gegen diesen Vorwurf gibt es fast kein Argument, dafür hat Breivik gesorgt. Bereits 2009 versuchte Breivik, dessen E-Mail-Adresse schon damals year2083@gmail.com lautete, Fjordman direkt anzusprechen, und ihn für sein damals angeblich schon 1100 Seiten starkes Hasspamphlet zu interessieren. Der war an Breivik angeblich nicht interessiert; auch, weil der “sich in nichts von all den anderen unterschied” und nichts von sich gab, das er, Fjordman, in größerer Radikalität nicht auch schon “in der Kneipe” gehört habe.

Da hat der rechte Oberblogger etwas verpasst. Fjordman, Breiviks meistzitierte Quelle überhaupt, hätte sich mit Sicherheit in dem Machwerk wiedergefunden – und zwar im Sinne des Wortes: Er ist – möglicherweise ohne sein Einverständnis – der wichtigste Co-Autor der Kampfschrift.

Denn die ist keine Monografie Breiviks, nicht der politisch-literarische Erguss eines Irren, der offenbar über Jahre einen verheerenden Mordanschlag plante, sondern eine Art Collage: “2083” besteht zu großen Teilen aus Artikeln und Essays, die Breivik aus diversen “patriotischen”, “nationalen”, “konservativen” Blogs heruntergeladen hat. Fjordman ist tatsächlich der Verfasser von mehreren hundert Seiten dieses Konvoluts – insgesamt 38 Kapitel oder Unterkapitel sind von ihm. Sie passen sich nahtlos ein in dieses “Werk”, das die Europäer zum blutigen Anti-Dschihad aufruft, bis hin zum Märtyrertum.

Und zwar im Kampf gegen die, die in der verqueren Denke des Anders Behring Breivik verantwortlich zu machen sind für die angebliche Islamisierung Europas – alle, die nicht “national” sind.
In Breiviks Worten klingt das so: “Deshalb ist es in eurem Interesse, den Brüdern (…) dabei zu helfen, die Kultur-Marxisten und Multikulturisten hier in Europa zu besiegen. Reist hierher, überweist Gelder, gebt eure moralische Unterstützung, werdet selbst zu Märtyrern in diesem Kampf.”

So wie Breivik. Allein auf Utøya erschoss er 85 junge Menschen, die in seinem kranken Denken bekämpfenswerte “Kultur-Marxisten” darstellten. Er hat Jahre der Planung in diesen Mord investiert, und mehr als das. Breivik in seinem “2083”-Geschreibsel: “Dieses Kompendium zu schaffen hat mich insgesamt 317.000 Euro gekostet (…). All das ist aber kaum spürbar im Vergleich zu den Opfern, die ich gebracht habe, um dieses Buch in Umlauf zu bringen, für die eigentliche Marketing-Aktion.”

Zwei katastrophale, kaltblütige Anschläge, insgesamt 92 Tote, Hunderte für ihr Leben traumatisierte, teils verletzte Menschen: In den Worten des Täters eine “Marketing-Aktion”.

Von Frank Patalong

Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,776275,00.html

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