Quelle: http://de.indymedia.org
Der als Journalist, Blogger und Autor arbeitende italienische Menschenrechtsaktivist Daniele del Grande hält sich seit 14. Tagen in Bengasi auf, um von Dort über die libysche Revolution und den Krieg zu berichten.
Er ist durch sein blog Fortresseurope und einigen Publikationen zum Thema Migration und Grenzen, die sie unterdücken, auch international bekannt. Die ihrerseits unter anderem für das Infoportal Rebelion aus Tunesien berichtende spanisch-tunesische Linksaktivistin Alma Allende führte ein Interview mit ihm zu verschiedenen unbequemen Fragen bezüglich der Lage am südlichen Rand des Mittelmeers, auf der Insel Lampedusa und auch bezüglich manchen Problems in westlichen Köpfen.
Der folgenden Übersetzung liegt die von Del Grande selbst auf Fortresseurope veröffentlichte Fassung zugrunde: http://fortresseurope.blogspot.com/2011/03/generazione-revolution-da-Bengasi.html#more
Generation Revolution: von Bengasi bis Lampedusa
Um eine klarere Sicht zu bekommen, hilft manchmal eine Unterhaltung. Besonders wenn die Gesprächspartnerin jemand wie Alma Allende ist, die für die Website Rebelion die gesamte Revolution in Tunesien verfolgt hat. Die Fragen sind von ihr, die Antworten von mir, der ich seit zwei Wochen zusammen mit den Kids der Revolte hier in Bengasi bin. Wohin steuert Libyen? Warum poltern alle, es gebe einen amerikanischen oder imperialistischen Komplott? Welche ist die Rolle der Information gewesen? Kann man an einem Ort vie diesen unparteilich sein? Schließlich, noch Lampedusa. Hat Libyen wirklich etwas mit den Landungen der letzen Wochen zu tun? Lies’ das Interview…
Gabriele, es gibt jetzt, wo die UNO-Intervention beschlossen wurde und über Libyen die Bomben der Alliierten herabregnen antiimperialistische Stimmen, die versuchen, den Nachweis zu erbringen, dass die Revolte von Anfang an von den westlichen Mächten vorbereitet worden war. Was hältst Du davon? Gab es einen externen Plan oder hat es sich um spontane Revolten von Unten gehandelt, wie in Tunesien und Ägypten?
Ich bin mit denen, die rufen, es habe eine Verschwörung gegeben überhaupt nicht einverstanden. Wie in Tunesien, Ägypten, Jemen und jetzt auch in Syrien sind die Revolten in Libyen nicht die Frucht amerikanischer Verschwörungen, sondern vielmehr die natürlichste Antwort gewesen, die wir nach jahrzehntelangen, im Namen der Stabilität und guter Geschäfte von den Großmächten unterstützten Diktaturen hätten erwarten können. Sie sind spontan gewesen und von unten ausgegangen. Es wundert, dass gewisse Verschwörungstheorien aus linken Kreisen kommen. Das ist ein im Sinne einer Analyse interessantes Paradoxon. Es sind vor Allem die Armen, die in Kairo wie in Tunis und Bengasi auf der Straße sind. Die Armen aber fordern keine Löhne, sie wettern nicht gegen die Bonzen, sie identifizieren sich nicht mit der Arbeiterklasse – zumindest noch nicht. Vor allen Dingen fordern sie Freiheit, und sie identifizieren sich vordergründig als Bürger. Eins der wichtigsten Instrumente, der es ihnen erlaubt, sich zu organisieren, ist ein Konsumgegenstand, der vielleicht symbolhaft für die belanglosesten unter den Gütern des Konsumismus steht: der Computer, mit dem man ins Netzt gehen kann, und die Videohandys, mit denen sich das, was auf der Straße passiert festhalten lässt. Schließlich gibt es noch ein generationsspezifisches Element. Es handelt sich im Gegensatz zu Italien, wo der Bürger im Durchschnitt im kalten Krieg heranwuchs, um junge Länder. der Großteil der Bevölkerung ist hier weniger als 25 Jahre alt, und er drängt auf Wandel. Ein Wandel, den wir es am nördlichen Ufer nicht vermögen, zu begreifen – auch wegen einer rassistischen und kolonialen Herangehensweise, von der wir es nicht schaffen, uns zu befreien. Europa hält sich für die einzige Wahrerin der Demokratie, als es sich dabei um einen Begriff handle, der einigen, aber nicht anderen eigen sei. Und sie hält es für nicht möglich, dass ein muslimisches Land nach Freiheit statt nach religiösem Obskurantismus streben könne. Das ist der Grund, weshalb die Verschwörungstheorien greifen. Wir vermögen es nicht zu akzeptieren, dass “unserer” Dekadenz “ihr” Wiederaufleben entspricht.
Warum glaubst Du, dass die USA, die EU und auch Italien sich für eine “humanitäre” Intervention gegen einen Freund und Verbündeten entschieden haben?
Aufgrund eines kapitalen Berechnungsfehlers, glaube ich. Ich erläutere das: Anfänglich schien es so, als würde das Gaddafi-Regime innerhalb weniger Tage in sich selbst zusammenfallen würde. In Tunesien und Ägypten war es so gegangen. Und es gab in jenen Tagen einen Wettlauf der Weltmächte, um die libysche Diktatur zu verurteilen und um Signale der Öffnung an die Aufständischen zu senden, um sich die Kontinuität der Ölverträge und der milliardenschweren Aufträge, die Libyen bietet und in den nächsten Jahren bieten wird zu sichern. Dann hat sich zugetragen, dass Gaddafi sich als einen härteren Brocken erwiesen hat, als vermutet und dass er dank dem auf Zeit spielen der UNO und dem Antreten in Libyen von Söldnern aus anderen afrikanischen Staaten, die Professionelle des Krieges sind und in einer Kriegskampagne in den Städten der Aufständischen eingesetzt werden, an Boden zurückgewinnen konnte. An der Stelle haben die internationalen Großmächte eine Entscheidung treffen müssen, um ihre Interessen in Libyen zu verteidigen: entweder auf die Aufständischen setzen, oder umkehren – was die sehr hohe Gefahr beinhaltete, dass eine Gestalt wie Gaddafi vor dem Hintergrund seines eigenwilligen und wankelmütigen handlings des Systems Libyen aus Ressentiment für den Affront die Verträge mit den Gesellschaften jener Staaten aufheben könne.
Wer gehört dem libyschen Nationalrat an? Sind es Agenten des Imperialismus, gute Revolutionäre oder eine Mischung aus Allem?
Es sind Gestalten unterschiedlichsten Hintergrunds – vor Allem Anwälte, Richter, Geschäftsleute und das eine oder andere saubere Gesicht des Regime, das Gaddafi rechtzeitig zurück gelassen und kein Blut an den Händen kleben hat. Einige sind nach Jahren des Exils im Ausland nach Libyen zurück gekehrt, besonders aus den USA. Aus ihren Erklärungen geht deutlich hervor, dass sie ein geeintes, auf ein verfassungsrechtliches, parlamentarisches und von Parteien getragenes System gestütztes Libyen anstreben, das, mit Hauptstadt Tripolis, die alten Ölverträge einhält und dass die Freiheit der Meinungsäußerung, der Bildung von Vereinigungen und Unternehmen sowie der Gesinnung anerkannt wird. Die Arbeit, die vor ihnen liegt, ist unendlich lang, weil die Zivilgesellschaft in Libyen seit 42 Jahren auf Null gesetzt wurde. Es gibt keine Vereinigungen. Es gibt keine Gewerkschaften. Es gibt keine politischen Parteien. Es gibt keine Institutionen. Es gibt nur das Netzwerk der Volkskomitees Gaddafis, seine Spezialkräfte, eine Armee, die nichts zählt und die lange Hand des großen Häuptlings, der je nach Laune über alles entscheidet.
Gibt es in Bengasi eine mehr oder weniger organisierte Linke? Welche Rolle haben die jugendlichen gespielt?
Die Linke gibt es nicht und wenn sie es gibt, sieht man sie nicht. Noch mal: es gibt und es hat in den letzten 40 Jahren keine politischen Parteien gegeben. Jede Form des Dissenses ist repressiv unterdrückt worden. Die einzige Form der internen Opposition der letzten Jahrzehnte ist die des politischen Islam gewesen. Der härtester Repression ausgesetzt wurde. Es genügt, an die 1200 Islamisten zu denken, die 1996 im Abu Salim Gefängnis in Tripolis in einer Nacht Füsiliert wurden. Und auch die Revolution vom 17. Februar ist durch den Funken eines ihrer Proteste explodiert, als die Angehörigen der Opfer am 15. Februar auf die Straße gingen, um Gerechtigkeit zu fordern. Sonst ist es eine spontane Bewegung, die vor Allem aus jungen Menschen besteht, die, wenn ihr so wollt, auch naiv sein mögen, aber im positiven Sinne. Das heißt, es gibt eine Generation, die ohne Sophismen beschlossen hat, dass es sich lohnt, um die Freiheit zu kämpfen, und dem Gaddafi-Regime ein Ende zu setzen – auch um den Preis es Lebens.
Wie war die soziale und wirtschaftliche Lage in der Zyrenaika vor den Revolten? Ist Libyen nicht ein reiches Land? Warum also der Protest?
Das ist wieder etwas sehr interessantes. Im Unterschied zu Tunesien und Ägypten ist Libyen ein reiches Land. Auch in diesen Tagen sieht man brandneue Geländewagen durch die Gegend fahren und die Häuser, in denen ich war, sind Häuser der Mittelklasse. Die Armen in der Stadt sind vor Allem die Ausländer. Ägypter, Sudanesen, Chader, Tunesier, Marokkaner, Nigerianer, die auf der Suche nach Glück nach Libyen eingewandert sind und bei der Verrichtung der niedersten und am geringsten entlohnten Arbeiten geendet sind. Anders verhält es sich auf dem Land und in der bäuerlichen Welt, die entschieden unterhalb des Lebensstandards in den Städten lebt. Hier wird aber nicht wegen der Löhne protestiert – ich betone es noch mal. Ich habe nie gehört, wie das Wort “Lohn” ausgesprochen wurde. Natürlich wird der Skandal der Korruption angeprangert, der springende Punkt ist aber die Freiheit und das Ende der Diktatur und des Staatsterrorismus. Darüber hinaus ist es klar, dass alle glauben, dass eine des Allgemeinwohls bedachte Verwaltung des Öls dem ganzen Land großen Reichtum, mehr Bildung und Lebensqualität einbringen wird. Der Springende Punkt ist aber ein weiteres Mal die Freiheit.
Haben die Bewohner Bengasis tatsächlich um die Intervention gebeten? Haben sie keine Angst, dass sie die Kontrolle über ihre Revolution verlieren könnten? Angst, auf internationaler Ebene an Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Die Bewohner Bengasis haben zu zwei Dingen klare Vorstellungen. Sie wollen die Flugverbotszone und die Bombardements der Alliierten gegen die Luftwaffe Gaddafis und gegen sein schweres Gerät, das die Zivilbevölkerung bedrohen. Gleichzeitig wollen sie weder einen Einmarsch ausländischer Truppen noch eine militärische Besatzung. Das sagt die Straße und der nationale Übergangsrat bekräftigt es.
Die Antiimperialisten, die von Verschwörung sprechen, fragen sich, wieso die Demonstranten sich nach den ersten Tagen sofort bewaffnet haben. Woher haben sie diese Waffen genommen? Wer hat die Rebellen versorgt?
Es ist seltsam, dass sie sich stattdessen nicht fragen, wer Gaddafi bewaffnet hat und woher er all die Panzer und Raketenwerfer genommen hat, mit denen er die Zivilbevölkerung terrorisiert. Um aber zur Frage zu kommen: es handelt sich um eine sehr simple Dynamik. Am 15. Februar beginnt der Protest in Bengasi. Wie in Tunis und in Kairo, weigert sich die Armee, auf das Volk zu schießen. An seiner statt tun es aber die Spezialsicherheitskräfte Gaddafis. Binnen weniger Tage ist es ein Massaker, es gibt mindestens 300 Tote. Unter dem druck des Volkes öffnet die Armee daraufhin die Kasernen. Es lässt zu, dass sich die jungen Leute die alten Kalaschnikovs und die wenigen Raketenwerfer holen, die in den Depots liegen. Dank diesen Waffen gelingt es ihnen, Gaddafis Spezialkräfte aus der Stadt zu verjagen und weiterhin mit diesen Waffen verteidigen sie die Stadt Bengasi, befreien sie die Nachbarstädte Ljadabiya, Brega und Ras Lanuf. Bis Gaddafi Sondereinheiten und mit Panzern und Raketen bewaffnete und von der Militärluftwaffe unterstütze Söldner gegen sie losschickt, die mit Bombardements an der Front in den Reihen der Aufständischen Panik auslösen. Es ist dann wahr, dass in den Tagen, die auf den ersten militärischen Niederlagen gegen die Armada Gaddafis folgten, neue Waffen und Munition in der Stadt ankamen. Es waren erneut alte Kalashnikovs und ein bisschen Flugabwehrartillerie. Jemand hat drei Hubschrauber und zwei Mirage Flugzeuge wieder in Gang gesetzt, die später beide abgeschossen wurden, eins durch friendly-fire und eins wegen einer Explosion des Motors. Wenn es wie auch immer ein Rätsel ist, woher die neuen Waffen gekommen sind, so ist dagegen sicher, dass es sich um leichte Waffen von extrem schlechter Qualität handelt. Bezüglich der mutmaßlichen militärischen Aussbilder, über die so viel spekuliert wurde ist zu sagen, dass sie nie ankamen, wenn man dem Chaos an der Front nach urteilt.
Wie glaubst Du könnte die westliche Intervention den Verlauf der libyschen und arabischen Revolution beeinflussen?
Das hängt ganz davon ab, welche Entscheidungen fallen werden. Vorerst hat das Bombardement der schweren Artillerie Gaddafis einfach einen Massaker abgewendet. Mit Sicherheit wurden hunderte libysche Soldaten und Söldner getötet. Mit Sicherheit konnte man das durch eine vorherige Intervention auf Diplomatieebene verhindern, vielleicht zehn Jahre früher, statt den Diktator seit dem Ende des Embargos 2004 zu hofieren. So wie die Dinge stehen hat jenes Bombardement aber die Enterung Bengasis durch dreißig Panzer und zwanzig Raketenwerfern verhindert, als diese bereits vor den Toren standen und nach dem ein einziger Gefechtstag in Stadt 94 Tote gekostet hatte! Ob der Krieg gefällt oder nicht – und mir gefällt er nicht – das ist es, wovon wir reden. Jetzt aber ist es notwendig, dass die Intervention aufhört, und dass der Rest von der Arbeit von den Libyern erledigt wird. Weil das Problem nicht Krieg ja oder nein ist. Der Krieg ist schon da. Und es ist ein Befreiungskrieg. Der Krieg eines Volkes gegen ein Regime, seinen Marionetten und seinen Söldnern. Und es darf kein Kolonialkrieg gegen eine den eigenen besonderen Interessen feindliche Regierung werden. Anhand dessen, was ich in diesen Tagen gesehen habe, fühle ich mich motiviert, das lybische Volk umfassend zu unterstützen. Im besten Falle wird eine auf ein neoliberales Wirtschaftssystem gestützte verfassungsrechtliche Republik dabei heraus kommen. Das mag uns nicht zusagen, es ist aber das, was den Libyern zusagt und die werden doch wohl das Recht haben, über ihre Zukunft zu entscheiden! Gaddafi im Namen seiner sozialistischen und thirdworldistischen Maske zu unterstützen ist nicht nur dumm, sondern etwas für Komplizen eines Kriegsverbrechers.
“Gaddafi darf kein Haar gekrümmt werden, die Bilder seines bombardierten Hauses tun mir weh”, sagt Berlusconi. Er sagt auch, dass er die Absicht hat, höchstpersönlich einen Besuch in Tripolis abzustatten, um mit dem Rais “einen ehrbaren Gang von der Bühne” zu verhandeln. Aus welchem Grund?
Berlusconi spricht ein Stück weit wegen seinem Allmachtswahn so und zum Teil wegen seinem ständigen Suchen nach einem Platz unter den großen Staatsmännern der italienischen Geschichte. Und ein bisschen auch um die italienische und internationale Öffentlichkeit von seinem Hurenbock-Image abzulenken, das seit den letzten, von der italienischen Richterschaft und Presse so morbide untersuchten Sexskandalen an ihm haftet.
Reden wir über Lampedusa. Elftausend gelandete Migranten, von denen sich heute noch dreitausend auf der Insel befinden, nachdem zweitausend verlegt wurden. Es fehlen fünf- bis achttausend, die das Innenministerium behauptet, im ganzen Land “verteilt” zu haben, als sei die Zahl der in den Abschiebezentren und in den Aufnahmezentren für Asylbewerber nicht öffentlich bekannt. Gibt es einen Zusammenhang mit Libyen, auch wenn es nicht so scheint, als unter den Migranten Libyer wären?
Nein, vorerst gibt es keinen Zusammenhang. Es wird ihn bald geben, sobald sie wieder aus Zuwara ablegen werden, vermutlich nach dem Ende der Revolution. Momentan sehe ich aber keinen. Auf der Insel kommt momentan keiner an, der auf der Flucht aus Libyen wäre. Gewiss, von hier sind 250000 Ausländer weggegangen, besonders Ägypter und Tunesien, und dann Chinesen und Bangladeshis und andere. Sie sind inzwischen aber zum großen Teil heimgekehrt, um später wieder in Libyen zu arbeiten, während sich die libyschen Flüchtlinge für den Moment von einer Stadt des Landes in die nächste bewegen und in den befreiten Zonen im Osten Zuflucht suchen. In Lampedusa sind hingegen ausschließlich Tunesier angekommen, die zudem aus Zarzis, Djerba und Tatouine stammen. Auch hier liegt nicht das im Lande durch die Revolution entstandene Chaos an der Wurzel des rasanten Anstiegs der Abfahrten, wie viele behauptet haben, die nach politischem Asyl rufen und von Flüchtlingen reden. Es liegen stattdessen zwei Faktoren vor. Ein eher zufälliger, der mit der tunesischen Wirtschaftskrise zusammenhängt, die auf den Zusammenbruch des Tourismus nach den Nachrichten über die Revolution gefolgt ist. Der zweite hängt mit dem kollektiven Abenteuer. Noch mal: allein nach einem Krisenschema zu räsonieren ist oberflächlich und rassistisch, weil wir so dazu gebracht werden zu vergessen, dass von jungen Leuten die Rede ist, die uns mit ihren Träumen und ihrem Sinn für Herausforderungen gleich sind. Tausende junge Leute haben gelernt, dass es richtig ist, zu rebellieren. Ohne es vielleicht rational erfasst zu haben, haben sie begonnen, gegen die Ungerechtigkeit der Grenze aufzubegehren. Sie wollen zu ihren Verwandten nach Paris, sie wollen ein paar Monate arbeiten, sie wollen das nördliche Ufer sehen, sie wollen sich mit einer Italienerin verloben. Sie wollen reisen. Der Grund, das ist ihre Sache, das Reisen ist schließlich nichts, das ausschließlich Verzweifelte betreiben, es ist, ganz im Gegenteil, ein nicht weg zu denkender Teil des Lebens aller jungen Leute von Heute. Deswegen sage ich, dass es im Endeffekt nicht schlecht ist, dass Lampedusa überfüllt ist. Weil das auf explosive Weise ernste Fragen aufwirft. Das Regime der Kriminalisierung der Bewegungsfreiheit muss fallen, genau so, wie die Diktaturen am Mittelmeer gefallen sind. Die Zeiten sind inzwischen reif.
Hast Du nicht das Gefühl gehabt, parteiisch zu sein, in dem Du aus Bengasi schreibst? Wie beurteilst Du die Qualität der Information zu Libyen im Allgemeinen und zu Bengasi im Besonderen? Haben sie uns manipuliert? Wer? Die linke – eine bestimmte Linke – sagt zum Beispiel, dass Gaddafi die Demonstranten nie bombardiert hat und dass dies der Beweis dafür ist, dass alles gelogen ist. Aber auch einige linke Journalisten – wie Mateuzzi von Il Manifesto oder Telesur – haben eine partielle oder geradezu falsche Information betrieben.
Klar bin ich parteiisch. Ich bin mir dessen bewusst und stolz darüber. Jede Erzählung hat einen Standpunkt, und es wichtig, den eigenen zu wählen. So, wie ich von Grenze schreibe und dabei den Standpunkt der Zurückgewiesenen und der Familien derer, die in der See gestorben sind übernehme, statt den der europäischen Bourgeoisie oder der Grenzpolizei, so habe ich aus der Mitte der Aufständischen und nicht aus der Mitte der Schergen der Diktatoren von den Revolutionen in Tunesien und Ägypten erzählt. In Libyen ist es genau so. Ich will nicht der Sprecher eines Kriegsverbrechers wie Gaddafi sein. Ich wäre hingegen gerne in Tripolis, das schon, um vom Dissens in der Hauptstadt zu erzählen, der aus den Nachrichten verschwand, nach dem die ersten, schüchternen Demonstrationen im Blut ertränkt alle eingebetteten Journalisten in die Hotels gesperrt und gezwungen wurden, lediglich die vom Regime selektierten Nachrichten zu covern. Folglich bin ich parteiisch, und ich ziehe es vor, auf der Seite derer zu sein, die für die Freiheit kämpfen, statt auf der Seite desjenigen, der Söldnertruppen oder Raketenwerfer einsetzen, um das eigene Volk anzugreifen, weil er nach 42 Jahren Diktatur die Macht nicht loslassen will. Dann kriegt die Linke eine Krise, weil Gaddafi ein Symbol für Sozialismus und thirdworldismus gewesen ist. Noch heute hat er viele Freunde. Unter denen Chavez ist, und damit Telesur, und Valentino Parlato und damit Il Manifesto. Für das, was die Libyenfrage betrifft, würde ich diese beiden Medien also nicht als gute Journalismusbeispiele benennen. So wie ich auch nicht den TV-Sender Al Arabiya benennen würde, der die falsche Zahl von 10000 Toten in Umlauf brachte, und alle anderen Medien, die ohne Beweise die Nachricht der Bombardements auf die Demonstrantenmengen und auf die Massengräber verbreitet haben und dabei sogar so weit gegangen sind, auf unangebrachte Weise das Wort Genozid zu verwenden. Hierbei kommt zum x-ten Mal die mangelnde Qualität des heutigen Journalismus zu Tage, besonders des Italienischen. Vor Allem, wenn es darum geht, Phänomen darzustellen, die von den gewohnten Denkmustern abweichen. Sozialismus und Diktatur, Krieg und Frieden, Islam und Demokratie. Gerade deswegen scheint es mir wichtig, hier zu sein, und von den Geschichten der wahren Protagonisten dieser Revolution ausgehend zu schreiben – den Kids der neuen libyschen Generation.
Link zur spanischen Version des Interviews: http://www.rebelion.org/noticia.php?id=125004
http://fortresseurope.blogspot.com/2011/03/generazione-revolution-da-Bengasi.html#more