Wer in Bern eine Demo organisiert, soll künftig ein Risiko von 30’000 Franken tragen. Damit wollen die bürgerlichen Parteien politischen Protest und Widerstand erschweren. Doch wie das Beispiel Luzern zeigt, erweist sich ein solches Gesetz für den Staat als zweischneidiges Schwert.
Am Sonntag, 10. Februar 2019 dürfen die Stimmberechtigten des Kantons Bern über ein neues Polizeigesetz abstimmen. Heroisch bewirbt der Regierungsrat die Neuerungen mit dem Kampf gegen Stalking, Cyberkriminelle und Pädophilie. Eigentliches Kernstück des Gesetzespakets sind aber die neuen Regelungen zu Demonstrationen. In Bern nämlich, so sind sich die Rechten einig, stehe es besonders schlimm um das Chaotentum, das regelmässig für Krawall, Sachbeschädigung und hohe Allgemeinkosten sorge. Doch mit der «Narrenfreiheit der Vandalen» (BDP) soll nun endlich Schluss sein. Versammlungsfreiheit sei schliesslich «kein Freipass für Rechtsbruch» (SVP)
Konkret sollen die Berner*innen wie folgt beglückt werden: Neu sollen die Einsatzkosten der Polizei bei Veranstaltungen teilweise an Gemeinden und Veranstaltende überwälzt werden können. Kommt es etwa im Rahmen von Kundgebungen oder Demonstrationen zu Ausschreitungen, können den Veranstalter*innen Kosten von bis zu 30’000 Franken auferlegt werden. Dies wäre möglich, wenn die Veranstalter*innen Bewilligungsauflagen «vorsätzlich oder grobfahrlässig missachtet» haben oder wenn es sich um eine Kundgebung ohne Bewilligung handelte.
Auch einzelne Teilnehmende sollen neu bis zu 30’000 Franken an die Einsatzkosten bezahlen müssen, wenn sie als «an der Gewaltausübung beteiligte Personen» betrachtet werden. Erfahrungsgemäss verstehen es die Behörden bestens, einen im Handumdrehen zu einer «beteiligten Person» zu machen. So gilt als beteiligt, wer einer als «gewalttätig» betrachteten Ansammlung zugerechnet wird und diese nach polizeilicher Aufforderung nicht oder zu spät verlassen hat (oder nicht verlassen konnte). Zudem soll die Polizei Einzelpersonen aus dem öffentlichen Raum bis zu 48 Stunden mündlich wegweisen dürfen, wenn sie die «öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden».
Bereits heute kann jemand bis zu drei Jahren weggesperrt oder mit hohen Geldstrafen belegt werden, wenn das Urteil «Landfriedensbruch» lautet. Nun aber sollen Demonstrant*innen auch noch für die Polizeieinsätze zahlen, die sie angeblich nötig machten. Das bedeutet, direkt jene polizeilichen Methoden zu finanzieren, die seit Jahren auf Schikane, Drangsalierung und brutale Gewalt bauen und damit Konfrontationen oft erst verursachen. Die Hemmschwelle, Protest auf die Strasse zu tragen, wird damit merklich erhöht werden, wie das Beispiel Luzern zeigt.
Vorbild Luzern: Kostenüberwälzung auf Demonstrant*innen seit 2016
Bern hat sich das Gesetz vom Kanton Luzern abgeschaut, wo die Kostenüberwälzung nach dem sogenannten Verursacherprinzip schon seit 2016 in Kraft ist. Ursprünglich sah das neue Luzerner Polizeigesetz sogar vor, Teilnehmer*innen von gewalttätigen Demonstrationen völlig unterschiedslos zur Kasse zu beten. Doch gewerkschaftliche und politische Gruppen sowie die Demokratischen Jurist*innen Luzern (DJL) fochten das Gesetz an. Darauf entschied das Bundesgericht, dass diese Regelung zu schematisch sei und hob sie auf. Blosse Mitläufer*innen dürften nicht gleichbehandelt werden wie Personen, von denen tatsächlich Gewalt ausging.
Ebenso hielt das Gericht fest, eine Kostenüberwälzung auf Teilnehmer*innen könne angesichts der Umstände «grundsätzlich geeignet sein, einen Abschreckungseffekt zu bewirken». Anders als im Berner Abstimmungskampf immer wieder kolportiert wird, ist damit die Frage, ob die Überwälzung enorm hoher Polizeikosten auf Teilnehmer*innen mit der Demonstrationsfreiheit zu vereinbaren ist, höchstrichterlich gerade nicht geklärt. Während die Frage bezüglich Demo-Teilnehmer*innen unbeantwortet blieb, legte sich das Bundesgericht hinsichtlich der Demo-Veranstalter*innen fest: «Weil Veranstalter das Risiko auf Kostenersatz durch eigenes Verhalten ausschliessen können, geht von der fraglichen Regelung mit Blick auf die Grundrechtsausübung kein unverhältnismässiger Abschreckungseffekt aus.»
Der Luzerner Polizeiangriff vom Mai 2015
Das Luzerner Gesetz zeigte durchaus Wirkung – wenn auch eine ziemlich ambivalente. Die antikapitalistische Mai-Demo, die in Luzern über Jahre hinweg bewilligt stattgefunden hatte, gibt es heute nicht mehr. Seit dem Inkrafttreten des neuen Polizeigesetzes fanden sich keine Gesuchsteller*innen mehr. Schliesslich zeigte die Luzerner Polizei an der letzten Demo dieser Art, im Jahr 2015, mit aller Deutlichkeit, wie willkürlich sie eine Demonstration als «gewalttätig» taxieren kann:
Nachdem im bewilligten und durchwegs friedlichen Umzug ein paar Pyros gezündet wurden, wartete die Polizei, bis sich die Menschen auf der Seebrücke befanden. Dann blockierten Polizist*innen den einzigen Fluchtweg nach hinten, während ein Grenadiertrupp von vorne in die 800 Personen zählende Demo stürmte, mit Schlagstöcken um sich prügelte und massenhaft Tränengas und Pfefferspray versprühte. «Die Brutalität, die die Polizist*innen bei ihrem Übergriff an den Tag legten, machte die Teilnehmer*innen sprachlos. Immer wieder schlugen sie mit Schlagstöcken auf schon am Boden liegende Personen ein», schrieb das Kollektiv «Würde statt Hürde» später.
Linker Widerstand ist in Luzern seit Jahren verankert. Die antinationale 1. August-Demo läuft 2005 bewilligt mit 1000 Teilnehmer*innen gegen die PNOS. Bild: ch.indymedia.org.
Auch im Jahr 2016, als Pegida in der Schweiz Fuss zu fassen versuchte, fand sich in Luzern niemand, um eine Anti-Pegida-Kundgebung anzumelden. Die autonome Luzerner Gruppe «Lagota» verwies damals auf die neuerdings mögliche Abwälzung der Polizeikosten auf Veranstaltende und liess verlauten: «Zurzeit steht uns niemand zur Verfügung, der die entsprechenden finanziellen Mittel hat. Deshalb wurde auch kein Bewilligungsgesuch an die Luzerner Polizei gestellt». Doch die Genoss*innen am Vierwaldstättersee wussten sich zu helfen. Darüber im Klaren, dass weder Jammern noch Bitten weiterführt, schlugen sie eine andere, nicht weniger effiziente Strategie ein. Statt einer Demo sorgten verschiedene Kleingruppen für antifaschistische Strassenpräsenz. Und so verschwand Pegida auch in der Innerschweiz als mediale Eintagesfliege in der Versenkung.
Demonstrieren während der Ladenöffnungszeiten verboten
Der Polizeiangriff auf die Luzerner 1. Mai-Demo 2015 führte zu vier Verhafteten und ebensovielen Strafverfahren. Doch die Verfahren endeten für zwei Personen mit Freisprüchen, ein Verfahren wurde eingestellt – eine regelrechte Blamage für die Strafverfolgungsbehörde.
«In einer Gesamtbetrachtung erweckt dies den Anschein, dass der Polizeieinsatz auf eine unverhältnismässige Kriminalisierung einer ganzen Demonstration abzielte», sagt Rechtsanwalt Markus Husmann von den Demokratischen Jurist*innen Luzern (DJL) gegenüber ajour.
Ohnehin kenne Luzern eine ausserordentlich restriktive Praxis im Umgang mit Demonstrationen, so Husmann. So werden an Wochenenden Demonstrationen während der Ladenöffnungszeiten grundsätzlich nicht bewilligt. Und wenn unbewilligte spontane Kundgebungen stattfinden, erhebe die Staatsanwaltschaft regelmässig Anklage wegen Teilnahme an unbewilligter Demonstration – ungeachtet der Tatsache, dass solche Spontandemonstrationen gemäss Bundesgericht keiner Bewilligung bedürfen. «Die Betroffenen müssen sich dann vor Gericht verantworten – wobei sich dieses stets an das Bundesgericht gehalten hat und die Angeklagten freigesprochen hat», so der Anwalt. Häufig würden unbewilligte Demonstrationen zudem intensiv und verdeckt observiert. Anschliessend versuche die Polizei die Demonstrant*innen mittels Fotobeweises zu identifizieren, was oft zu falschen Teilnehmeridentifizierungen führe. «Nicht selten werden Personen mit Strafbefehlen beliefert, die nicht an der Demonstration anwesend waren.» Insgesamt stellt Husmann einen «überschiessenden Verfolgungswillen der Strafverolgungsbehörden» fest, was gerade im grundrechtlich sensiblen Bereich der Meinungsäusserungsfreiheit nicht hingenommen werden könne.
Nur die dümmsten Kälber bezahlen ihre eigenen Schlächter – Bewilligungsgesuche bleiben aus
Der Abschreckungseffekt des Polizeigesetzes ist den Luzerner Behörden selbstverständlich bewusst. Seitens der Stadtverwaltung heisst es ganz offen, dass Gesuche für gewisse Kundgebungen im letzten Jahr ausgeblieben seien. Interessanterweise sagt die Polizei, dass durch das Gesetz «keine Veränderungen im Demonstrationsverhalten» und eine Abnahme der «Gewalt» nicht zu konstatieren sei. Rechtsanwalt Husmann präzisiert:
«Berichten zu Folge wurden seit der neuen Kostenregelung polizeilich heikle Demonstrationen offenbar klandestin und unkontrolliert durchgeführt – damit wurde das Risiko von Ausschreitungen nicht minimiert, sondern im Gegenteil eher noch erhöht.» Zwar käme es bei Demonstrationen in Luzern seit Langem kaum je zu Ausschreitungen, doch seit Inkrafttreten des neuen Polizeigesetzes sei eine Verschiebung hin zu unbewilligten Mobilisierungen auszumachen, so Husmann. Und: «Wer bereit ist, Gewalt anzuwenden und damit erhebliche Strafen in Kauf nimmt, wird sich kaum durch zusätzliche Gebühren abschrecken lassen. Das Polizeigesetz schreckte offenbar primär jene Personen und Organisationen ab, die eigentlich bereit wären, mit den Behörden zu kooperieren und ihren Kopf hinhalten.»
Überwachen und Sparen
Normalerweise fordern Politiker*innen immer dann Gesetzesverschärfungen, wenn zuvor mit irgendeinem «Saubannerzug» genügend Stimmung gemacht werden konnte. So geschehen etwa im Kanton Genf, als im Jahr 2009 Grossdemonstrationen und Strassenschlachten den WTO-Gipfel begleiteten. Trotz einer fast mehrheitsfähigen Opposition und einem Rekurs des lokalen Gewerkschaftskartells muss seit 2012 mit bis zu 100’000 Franken Strafe rechnen, wer in Genf eine Demo organisiert ohne sie anzumelden, wer gegen Bewilligungsauflagen verstösst, polizeiliche Anordnungen nicht befolgt, wer sich vermummt oder gefährliche Gegenstände, Waffen oder Werkzeug für Sachbeschädigungen mit sich führt.
Warum aber war es ausgerechnet der Kanton Luzern, der in der Schweiz als erster die Kostenüberwälzung einführte? Seine Wurzeln hat das Polizeigesetz in einem CVP-Postulat im Kantonsrat. Damals, vor rund zehn Jahren, forderte die Motion von Demoveranstalter*innen sogar eine finanzielle Sicherheitsgarantie als Pfand. «Unreflektierter Populismus» sei das Motiv hinter solchen Vorstössen, sagt Husmann. Und dennoch: In einem immer repressiveren Klima finden solche gegen Randgruppen zielende Anliegen offenbar Gehör. Die Massnahme, die Einsparungen bei Polizeikosten verspricht, könnte auch deshalb Auftrieb erhalten haben, weil die drastischen Sparmassnahmen im Kanton Luzern für viele spürbar sind. Für Husmann wird dabei aber ein gewichtiger Aspekt übersehen: «Die Sanktionsdrohung erzeugt die versprochene Wirkung nicht, treibt aber letztlich den Abbau der staatlichen Grundversorgung voran.»Gleiches steht nun also in Bern bevor, wo das Referendumskomitee gegen das Polizeigesetz betont: «Wenn die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, kann der Staat entweder die Sozialwerke stärken oder die Repression verstärken. Der Kanton Bern hat die Sozialwerke geschwächt und mit dem neuen Polizeigesetz die Möglichkeiten eingeschränkt, gegen solche Entwicklungen protestieren zu können.» Weder enthält das neue Gesetz Regelungen gegen Racial Profiling noch eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen. Ebenso fehlt die in Bern seit Jahren geforderte unabhängige Ombudsstelle, an die sich Betroffene von Polizeiwillkür wenden könnten. Die Narrenfreiheit der polizeilichen Vandalen bleibt also gewährleistet.
Dass gegen derlei Tendenzen auf allen Ebenen vorgegangen werden muss, unterstreicht abermals die verschiedentlich bekundete Absicht, es Luzern gleichzutun. Bereits plant der Kanton Schaffhausen fehlbaren oder bewilligungslosen Veranstaltern «die wegen des Verstosses entstandenen Kosten» in Rechnung zu stellen.
Quelle: https://ajour-mag.ch/zur_lage_der_narrenfreiheit_der_vandalen/