Der antifaschistische Herbst ist ein Teil der überregionalen OAT Vernetzung.
Veranstaltungen zu rechten Jugendszenen
Aktionswoche 26.10 – 2.11.2025
Gemeinsame Demo am 15. November
Der Rechtsruck in der Schweiz und Europa wird immer spürbarer auch rechte Jugendszenen versuchen, Angst zu schüren, Menschen gegeneinander auszuspielen und Freiheiten einzuschränken. Wir lassen das nicht unkommentiert stehen. Wir sind viele, wir sind organisiert und solidarisch. Gemeinsam stellen wir uns Hetze, Kontrolle und Spaltung entgegen und zeigen: Antifaschismus lebt von aktivem Handeln und Zusammenhalt.
Veranstaltungen: Besucht eure lokalen Offenen Antifaschistischen Treffen! Dort werfen wir einen Blick auf die in den letzten Jahren entstandenen rechten Jugendstrukturen in der Schweiz, beleuchten deren Hintergründe und besprechen, wie wir uns dagegen organisieren können.
🏘 Alle heraus zur WOHNDEMO! 🏘 👉 Morgen SA 25.10.25, 👉 14:00 Uhr, Röntgenplatz, Zürich
Die Mieten werden immer teurer und viele Häuser abgerissen, wodurch unsere Nachbar:innen und wir bald aus der Stadt verdrängt werden, wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen. Daher gehen wir diesen Samstag auf die Strassen Zürichs! Die Demo soll bunt, laut und kreativ werden. Bringt Transpis, Fahnen, Schilder und Trompeten! Kommen wir zusammen im Protest gegen die anhaltende Wohnkrise!
Die jüngsten Brennpunkte einer Welle von Aufständen im September und Oktober 2025, die die Welt erfasst haben, finden sich in Marokko, Madagaskar und Peru.
Marokko
In Marokko löste der Tod mehrerer schwangerer Frauen* nach routinemäßigen Kaiserschnitten in der Stadt Agadir Unruhen aus, was auf ein zusammenbrechendes Gesundheitssystem hinweist. Unter dem Dach von GenZ 212 (Generation Z und die internationale Vorwahl für Marokko), einem anonymen Discord-Server [Anm: ein kommerzielles Kommunikationstool mit Chat, Messanger usw.] mit 3.000 Mitgliedern, der in nur wenigen Tagen auf 130.000 anwuchs, haben sich in ganz Marokko junge Menschen mobilisiert. In Marokko liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 36 % und das dortige Bildungssystem hat eine große Zahl von Hochschulabsolvent*innen hervorgebracht, die keine Arbeit finden konnten; fast jede*r Fünfte ist arbeitslos. Diese ehemaligen Absolvent*innen und aktuelle Student*innen stehen an vorderster Front der Unruhen. Ein weiterer Faktor für diese Unruhen waren die Milliardenausgaben der marokkanischen Regierung für die Infrastruktur der Fußballweltmeister*schaft 2030.
Mehrere Nächte lang kämpften junge Menschen in Städten in ganz Marokko mit der Polizei. Drei Menschen wurden von der Bereitschaftspolizei getötet und Hunderte weitere verletzt.
Der Aufstand erschreckte Premierminister* Aziz Akhannouch so sehr, dass er sagte, er sei bereit, sich auf die Demonstrant*innen “einzulassen” (“engage”). Am folgenden Tag lehnte GenZ 212 dies ab und forderte die Regierung zum Rücktritt auf. Die Unruhen gehen weiter. Auffällig ist, dass die Beteiligten den Totenkopf und die gekreuzten Knochen mit einem Strohhut verwenden, der erstmals von Demonstrant*innen in Indonesien verwendet wurde. Dieses Symbol der Rebellion wird heute weltweit verwendet, am deutlichsten bei den jüngsten Massenbewegungen in Frankreich, und bezieht sich auf die Playstation-Figur von Ruffy.
Madagaskar
Nach 64 Jahren Kolonialismus wurde Madagaskar am 26. Juni 1960 von der französischen Herrschaft unabhängig. Von 1947 bis 1948 hatte das französische Militär einem Aufstand gegen die Kolonialmacht niedergeschlagen und dabei zahlreiche Gräueltaten unter der madagassischen Bevölkerung verübt, bei denen bis zu 100.000 Menschen ums Leben kamen. Es gab Kollektivstrafen, Folter, Vergewaltigungen, Massenhinrichtungen, das Niederbrennen von Dörfern und lebende Gefangenen wurden aus Flugzeugen geworfen.
80% der Bevölkerung von Madagaskar sind gegenwärtig mehr oder weniger von Armut betroffen. Seit 2022 kam es zu einer Reihe von Aufständen, die die madagassische Regierung, eine der korruptesten in der gesamten afrikanischen Region, vor Herausforderungen stellten.
Viele jener junger Menschen die via Netzwerk Gen Z Madagascar über Facebook und TikTok vernetzt sind, beteiligten sich aktiv an den Unruhen. Empört von Wasserknappheit und häufigen Stromausfällen protestierten im September junge Menschen in vielen Städten, schnell verstärkt durch Arbeiter*innen und Community-Gruppen. Ihre Forderungen verwandelten sich zum Ruf nach Rücktritt des nach einem Putsch im Jahr 2009 eingesetzten Präsidenten* Andry Rajoelina – und seiner* gesamten Regierung.
Rajoelina war gezwungen, die Regierung zu entlassen. So wie Akhannouch sagte er, er habe Verständnis für die Unzufriedenheit, während er* weiterhin staatliche Streitkräfte Demonstrant*innen angreifen ließ. Im Verlauf des Aufstands wurden mindestens 22 Menschen getötet und viele verletzt.
Peru
Ab dem 20. September kam es in peruanischen Städten zu Demonstrationen. Angeführt wurden sie von jungen Menschen, die Transparente und Plakate mit dem Bild “Z” hochhielten, das die Generation Z symbolisierte. Wieder einmal wurden der Totenkopf und die gekreuzten Knochen mit Strohhut zu einem Symbol der Bewegung. Dies war eine Folge der Ankündigung der rechtsextremen Regierung der zutiefst unpopulären Präsidentin* Dina Boluarte, das Rentensystem zu privatisieren.
Bald schlossen sich ihnen die arme Landbevölkerung und die Arbeitslosen an. Die Rentenreform war nur ein Katalysator für die weit verbreitete Unzufriedenheit mit einer Regierung, die als zutiefst korrupt galt. Boluarte war in den “Rolexgate”-Skandal verwickelt, bei dem sie Rolex-Uhren als Bestechungsgelder akzeptierte. Im Juli verdoppelte sie ihr eigenes Gehalt auf das 35-fache des monatlichen Mindestlohns.
Wie anderswo eskalierten die Proteste, um Korruption und Unterdrückung sowie eine zunehmende Kriminalitätswelle zu mobilisieren. Boluartes Zustimmungswerte sanken auf 2,5 Prozent. Die Proteste gingen bis Oktober weiter. Am 2. Oktober begann in der Hauptstadt Lima und der Hafenstadt Callao ein Verkehrsstreik. Banden, die mit dem Boluarte-Regime in Verbindung stehen, griffen Transportarbeiter*innen an, raubten sie aus und ermordeten sie. Trotz polizeilicher Repressionen ging der Streik weiter und es kam zu Blockaden auf der Autobahn Panamericana Norte und in Lima. Arbeiter*innen und Student*innen demonstrierten gemeinsam, wobei die Arbeiter*innen bessere Bedingungen forderten.
Die Regierung reagierte mit der Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Bekämpfung des “städtischen Terrorismus.” Trotzdem gingen die Proteste weiter und am 10. Oktober wurde Boluarte geopfert und von den Abgeordneten zum Rücktritt gezwungen. Verschiedene konservative Fraktionen, die Boluarte bisher treu ergeben waren, wurden von den sozialen Unruhen aufgeschreckt und wandten sich nun gegen sie.
Résumé
Überall auf der Welt hat der Kapitalismus die Globalisierung durchgesetzt. Als Reaktion darauf entsteht globaler Widerstand. Es ist bezeichnend, dass für viele in diesen Ländern, in denen es in jüngster Zeit zu sozialen Explosionen gekommen ist, das alte Allheilmittel der Auswanderung nach Europa, Nordamerika und in andere Teile Asiens zur Arbeitssuche durch immer strengere Einwanderungskontrollen gestoppt wurde. Hinzu kommt das zugrunde liegende Problem zunehmend extremer Wetterbedingungen in diesen Ländern, da die dortigen Regierungen als nicht bereit angesehen werden, die globale Erwärmung zu bekämpfen.
Die Mainstream-Medien haben versucht, diese Bewegungen als einzigartig mit den Anliegen der Generation Z verbunden darzustellen, also Menschen die zwischen 1997 und 2012 geboren wurde und über technische Kenntnisse verfügen. So wird versucht zu suggerieren, dass die erhobenen Forderungen nichts mit dem Rest der Arbeiter*innenklasse zu tun hätten. Dies hat sich als falsch erwiesen, da die Forderungen der Generation Z andere Teile der Arbeiter*innenklasse mobilisieren und zeigen, dass das Phänomen der Generation Z überwunden ist und zu einer viel größeren Bewegung wird.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Nutzung von Instagram, Facebook, TikTok und Discord, um Nachrichten und Forderungen zu verbreiten und Aktionen zu koordinieren. Dies ermöglicht eine dezentrale Koordination und die Verwendung viraler Symbole wie Schädel und gekreuzte Knochen mit Strohhut, was verschiedene Gruppen auf der ganzen Welt vereint.
Dieser Artikel erschien am 11. Oktober 2025 auf englisch bei anarchistcommunism.org. Er wurde maschinell übersetzt und danach bearbeitet. Es wird darauf hingewiesen, dass die Verwendung kommerzieller sozialer Medien nicht unproblematisch ist, es in vielen Teilen der Welt aber wenige Alternativen und wenig Wissen darüber gibt.
Wir haben gestern den Kampf des palästinensischen Volkes ins imperialistische Zentrum getragen. Unsere lodernde Wut über den fortlaufenden Genozid und die anhaltende Kolonialisierung Palästinas – an der auch der scheinheilige Waffenstillstand nichts ändert – flutete die Strassen Berns.
Tausende erkämpften sich gestern den Bundesplatz im Wissen, wo die Kompliz:innen des seit zwei Jahren andauernden Genozids sitzen: In Schweizer Banken, Parlamenten und dem Bundesrat.
Wir schrieben im Aufruf, den Kampf auf eine neue Stufe heben zu wollen und haben diesen Worten Taten folgen lassen: Tausende Menschen des Gewissens sind gestern nicht nur marschiert, nein, sie haben der Staatsmacht furchtlos die Stirn geboten. Sie zeigten: Entschlossen und vereint, können wir die Staatsmacht verletzen und die abscheuliche herrschende Ruhe zum bröckeln bringen.
Die Hetzer und Profiteure jagen ihre Wachhunde ohne Rücksicht auf uns los. Doch solange Palästina besetzt ist, lebt der Widerstand. Eure Propagandapapiere, Wasserwerfer und Schlagstöcke werden uns nicht bändigen. Wir ruhen nicht, bis das palästinensische Volk frei und der Imperialismus zerschlagen ist!
Die ungebrochene Solidarität mit unseren palästinensischen Geschwistern in ihrem hundertjährigen Widerstand treibt uns an. Schulter an Schulter gegen den Zionismus! Heute und morgen, bis ganz Palästina befreit ist!
Französische Rechtsextreme haben die große rechtsextreme Londoner Demonstration vom 13. September besucht; einige versuchen, ein Referendum gegen Einwanderung durchzusetzen.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tags fand im »Atlantikpalast 2« von Bordeaux eine politische Großveranstaltung von Marine Le Pen und Jordan Bardella statt – der Fraktions- und des Parteivorsitzenden des rechtsextremen Rassemblement national (RN). Der Anlass war die rentrée, der Neubeginn des Arbeits-, Schul- und Studienjahrs nach der Sommerpause. Dort äußerten sich eine Reihe der daran Beteiligten im Sinne des Londoner Aufmarsches.
Der RN war nicht offiziell bei der von der außerparlamentarischen extremen Rechten um Stephen Yaxley-Lennon (der unter dem Pseudonym »Tommy Robinson« auftritt) organisierten Demonstration vertreten, ebenso wenig wie die britische Partei Reform UK von Nigel Farage; RN wie Reform UK sind bemüht, sich als respektabel darzustellen, um an die politische Macht zu gelangen. Éric Zemmour dagegen, der Gründer der rechtsextremen Kleinpartei Reconquête, der bei der Präsidentschaftswahl 2022 unter anderem gegen Marine Le Pen kandidierte, hatte mit seinem Parteisprecher Jean Messiha die Reise nach London angetreten und war dort als prominenter Redner aufgetreten.
Angeblich unterzeichneten bis Montag fast 1,7 Millionen Menschen die Petition für ein Referendum gegen Einwanderung, allerdings waren Mehrfachunterschriften möglich.
Diese Dichotomie, die eher eine Arbeitsteilung denn eine inhaltliche Differenz darstellt, spiegelt sich auch im Umgang mit der derzeit erfolgreichsten Initiative der extremen Rechten in Frankreich wieder: der von viel Publicity begleiteten, am 7. September publik gemachten Initiative für ein »Referendum zur Einwanderung«. Es geht um deren Beschränkung oder Ablehnung, allerdings ist unklar, welche Frage im Falle eines Erfolgs der Initiative eigentlich zur Abstimmung vorgelegt werden soll.
Angeblich erhielt die Petition zum Thema bis Montag fast 1,7 Millionen Unterschriften. Rechtsextreme vergleichen ihren Erfolg mit dem der Petition gegen Pestizide und das antiökologische Gesetz Loi Duplomb im Sommer, die innerhalb kurzer Zeit über zwei Millionen Unterschriften erhielt; Mitte voriger Woche beschloss die Nationalversammlung, dass deren Inhalt nun im Parlament debattiert werden muss.
Doch während die Unterzeichner der Petition gegen die Loi Duplomb sich auf der Website der Nationalversammlung mit ihrer Steuernummer identifizieren mussten und daher Mehrfachunterschriften ausgeschlossen waren, gibt es bei jener gegen Einwanderung keinen Kontrollmechanismus, der verhindert, dass eine Person gleich mehrfach zustimmt. Auch muss eine Person, deren E-Mail-Adresse angegeben ist, ihre Unterstützung nicht mit einer Unterschrift oder per Kontroll-SMS bestätigen. Wer also die persönliche E-Mail-Adresse beispielsweise von Emmanuel Macron kennt, könnte mit dieser und in dessen Namen der Petition zustimmen.
Philippe de Villiers und der »Populicide«
Als Erster, der die Initiative propagierte, war der rechtskatholische und -nationale ehemalige Europaparlamentarier Philippe de Villiers. Nachdem er zweimal erfolglos für die Präsidentschaft kandidiert hatte – 1995 erhielt er 4,7 Prozent und 2007 2,2 Prozent der Stimmen –, unterstützte er 2022 die Bewerbung Zemmours.
Im Oktober kommt sein apokalyptisch aufgemachtes Buch »Populicide« (etwa: Volksmord) in den Handel. Ein Interview zu dem Werk erschien Anfang September auf der Titelseite der Sonntagszeitung JDD, die vor drei Jahren vom Medienkonzern des zwischen Konservativen und Rechtsextremen stehenden Multimilliardärs Vincent Bolloré übernommenen worden war und seither zum Flaggschiff des rechten Kulturkampfs im Printmedienbereich ausgebaut wurde.
Dabei wurde auch die Petition bekannt gemacht und Werbung für sie lanciert. Seitdem ist diese Dauerthema beim JDD wie auch bei den Bolloré gehörenden Privatfernseh- und Radiosendern CNews und Europe 1. Zu den prominentesten Unterzeichnern zählen bislang, neben de Villiers selbst, Zemmour sowie seine Parteikollegin, die Europaparlamentarierin Sarah Knafo.
Ablehnung bei Les Républicains bröckelt
Hingegen gesellten sich ihnen bislang weder Angehörige der Parteiprominenz des RN noch solche der konservativen Partei Les Républicains (LR) hinzu, obwohl die Wählerschaft beider Parteien von der Initiative angesprochen sein dürfte. Beide befürchten, die Kontrolle über ein Thema zu verlieren, das ihnen in Wahlkämpfen teuer ist. Allerdings beginnt die Ablehnung insbesondere bei LR zu bröckeln. So verkündete der konservative Regionalpräsident in Lyon, Laurent Wauquiez, am 14. September über den Microblogging-Dienst X: »Ich habe die Petition für ein Referendum zur Immigration unterzeichnet. Und Sie?«
Wauquiez unterlag Mitte Mai bei einer innerparteilichen Urabstimmung über den LR-Parteivorsitz dem Innenminister Bruno Retailleau und scheint derzeit versucht, diesen noch rechts zu überholen. So spricht sich Wauquiez derzeit für eine Vorwahl für die Präsidentschaftskandidatur 2027 aus, wobei nicht nur die Mitgliedschaft von LR teilnehmen soll, sondern eine Wählerschaft »von Gérald Darmanin bis Sarah Knafo«; möglicherweise schwebt ihm so etwas wie die US-amerikanischen primaries vor. Darmanin ist Macrons früherer Innen- und jetziger Justizminister, Knafo gehört, wie erwähnt, Reconquête an.
Nach Milliardenmehrkosten für Kampfjets nun hohe Handelszölle im wichtigsten Exportmarkt: Im bilateralen Verhältnis bestimmt Washington DC, nicht Bern. Die Quittung kriegen Arbeiter_innen in den betroffenen Industrien, das Kapital plant derweil die Verlegung zusätzlicher Produktion in die USA.
(gpw) In den letzten Wochen ist die Stellung der Schweiz im imperialistischen Weltgefüge gegenüber den Vereinigten Staaten unverblümt klargestellt worden. Erst die F-35-Kampfjets, deren Preis sich infolge der Teuerung um bis zu 1.3 Milliarden Franken erhöhen sollen, dann die Handelszölle, die für viele Güter aus der Schweiz auf fast 40% hochschiessen. Auf frühe Phasen helvetischen Hochmuts, in denen man sich der eigenen Englisch-Kenntnisse brüstet und auf Einschätzungen funkelnder Anwaltskanzleien verlässt, folgt zum Schluss der Fall vom hohen Ross. Ein Auge lacht über das Auflaufen der Schweizer Bourgeoisie, ein Auge weint angesichts der möglichen Folgen für die Arbeiter_innenklasse in der Schweiz, welche die Zölle nach sich ziehen könnten.
Über Nacht wird der «Sonderfall» Schweiz weit weniger besonders. Essays und Kommentare verarbeiten in den bürgerlichen Blättern die rüde Korrektur des Eigenbilds. Der Exzeptionalismus, den man für sich reklamierte, wird als jene ideologische Mythenbildung enthüllt, die er schon immer war. Die Schweiz, aufgrund protestantischer Tugenden eines der reichsten Länder dieser Welt, infolge humanitärer Traditionen mit sich selber und allen anderen im Reinen? Von wegen. Gewiss ist es aussergewöhnlich, wie die Schweiz als Land mit beschränkten natürlichen Ressourcen, ohne Meeresanstoss, eigenen Kolonien oder grosser Militärmacht zur internationalen Wirtschaftsmacht wurde. Aber dieser Werdegang hat weltliche Ursprünge, keine metaphysischen.
Lachende Dritte
Richard Behrendt, ein bürgerlicher Ökonom, beschrieb 1923 in einer Arbeit über die Schweiz und den Imperialismus die Position der Schweiz kurzerhand als jene des «lachenden Dritten» – wo zwei sich streiten, da freut sich der Dritte. Die der Eidgenossenschaft auferlegte Neutralität, von den europäischen Grossmächten beim Wiener Kongress 1815 verordnet, damit die Schweiz künftig weder Frankreich noch Österreich zugeschlagen werde, erwies sich für das Kapital im Ersten Weltkrieg als Glücksfall. Während viele Länder Europas nach Ende des imperialistischen Kriegs mit dessen gewaltigen Folgen konfrontiert waren (getötete Arbeiter_innenmassen, zerstörte Industrien), stand das Schweizer Kapital bereit, um während und nach dem Krieg zu profitieren. Beispielhaft zeigt sich das an der Chemieindustrie in Basel, die grossgeworden war mit den Farben für die Textilindustrie, welche in der Industralisierung der Schweiz im 19. Jahrhundert so bedeutsam war. Während des Kriegs vertrieb sie Farbstoffe, um die Uniforme der kämpfenden Heere einheitlich zu färben, nach dem Krieg sah sie sich um die Konkurrenz der deutschen Chemieindustrie beraubt, was ihr den Aufschwung im 20. Jahrhundert sehr erleichterte.
Knapp 60 Jahre nach Behrendt stiess Jean Ziegler in ein ähnliches Horn, als er von der Schweiz als Sekundärimperialismus schrieb. Die Schweiz sei keine imperialistische Macht erster Klasse (wie die USA), bei welchen die ökonomische Interessen in der (Neu-) Aufteilung der Welt militärisch durchgesetzt werden, sehr wohl aber ein Land mit imperialistischen Kapitalfraktionen (wie der Finanzwirtschaft und multinationalen Konzernen), welche international ausgerichtet sind und entsprechend weltweit manövrieren. Im Blick hatte er insbesondere die hiesigen Banken, denen die Neutralität im Zweiten Weltkrieg beim Geschäften mit den Nazis sowie später mit dem südafrikanischen Apartheidstaat nützlich war. Ob nun beim bürgerlichen Behrendt oder dem linken Ziegler: Der «Sonderfall» Schweiz wurzelt viel stärker in solchen dem Kapital günstigen historischen Konstellationen, die sich vielfach als Folge der Interessenskonflikte grösserer Staaten ergaben, als es hier oftmals vermittelt wird.
Finanzielles Schwergewicht
Heute gehört die Schweiz zu den Top Ten der Länder mit den pro Kopf weltweit höchsten Direktinvestitionen einheimischer Unternehmen im Ausland. 2023 betrugen die Investitionen aus der Schweiz im Ausland mindestens 1’287 Milliarden Franken (dabei sind Beteiligungen unter 10 Prozent an ausländischen Unternehmen nicht miteinberechnet). Davon entfallen jeweils ein wenig mehr als ein Drittel auf Investitionen von Finanzgesellschaften und aus der Industrie, rund 10 Prozent der 1.2 Billionen Franken steuern Banken und Versicherungen bei. Etwa ein Viertel des Betrags sind in Nordamerika investiert. Das dürfte einen Teil der Nonchalance erklären, mit denen das international aufgestellte Schweizer Kapital (wie die ABB, Roche oder Novartis) auf die Zölle reagiert: Dann verlagern sie eben weitere Teile der Produktion dorthin. Schon heute arbeiten für Firmen mit Sitz in der Schweiz mehr als 2.5 Millionen Menschen im Ausland, 340’000 davon in den USA. Diese Verlagerungsmöglichkeit steht nicht allen offen. Weder den Arbeiter_innen der Grosskonzerne, deren Arbeitsplätze ins Ausland verlegt werden sollen, noch den kleineren und mittleren Unternehmen aus dem gesamten Komplex der exportorientierten Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie. Um die 320’000 Menschen arbeiten in diesen Industrien, das entspricht etwa 8 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz. Gemeinsam rufen Gewerkschaftsbund und Swissmem nach einer Kollektivierung der zu erwartenden Folgen indem die Kurzarbeit ausgeweitet werden soll, für die die Arbeitslosenversicherung aufkommt, damit Entlassungen aufgeschoben werden können. Gewerkschaftsspitzen und Industriebosse reichen sich die Hand, die Sozialpartnerschaft hält – noch. Diese unsägliche historische Tradition braucht wohl noch einige Hiebe, um genügend ins Wanken zu kommen, damit imperialistische Verhältnisse und die damit verbundene Ausbeutung der Klasse fundamentaler in Frage gestellt werden.
Film: Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte
Di, 09.09.2025 | Tür 19:30 | Beginn 20:00 @Zündhölzli, Alpenstrasse 13, 6300 Zug
Ein Dokumentarfilm über die Entstehung und Entwicklung der Antifa-Bewegung in Deutschland während der 1990er und 2000er Jahre. Der Fokus liegt dabei nicht auf Einzelereignissen, sondern auf den verschiedenen Praktiken und Methoden, die von Aktivisten:innen verwendet wurden. Von Straßenkämpfen, über investigative Recherchen und Aufklärungskampagnen, dokumentiert der Film durch Archivmaterial, Fotos und szenische Alltagsbilder die Geschichte einer Bewegung in bisher nie gezeigtem Umfang.
Diskussion: Goodbye America
Di, 23.09.2025 | Tür 19:30 | Beginn 20:00 @Zündhölzli, Alpenstrasse 13, 6300 Zug
Text aus der Wildcat 114.
Film: Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg
Di, 07.10.2025 | Tür 19:30 | Beginn 20:00 @Zündhölzli, Alpenstrasse 13, 6300 Zug
Der Film aus dem Jahr 1973 zeigt Porträts von Schweizer*innen, die zwischen 1936 und 1938 in den internationalen Brigaden kämpften, um die spanische Republik gegen den faschistischen Aufstand von General Franco zu verteidigen. Es waren damals rund 800 vor allem junge Männer, etwa 200 von ihnen sind gefallen. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wurden die Spanienkämpfer:innen von Militärgerichten, in denen vor allem in Zürich nazifreundliche Offiziere sassen, zu mehreren Monaten Knast verurteilt – und sie verloren ihre bürgerlichen Ehrenrechte. Die Rehabilitation fand erst 2009 statt, als alle bereits gestorben waren.
Diskussion: Ökologische Krise
Di, 21.10.2025 | Tür 19:30 | Beginn 20:00 @Zündhölzli, Alpenstrasse 13, 6300 Zug
Die IKS (Internationale Kommunistische Organisation) hat kürzlich ein Manifest zur ökologischen Krise veröffentlicht, das die Frage: „Ist es möglich, die Zerstörung des Planeten aufzuhalten?“ aus der Sicht der Arbeiterklasse und der Zukunft der Menschheit beantwortet.
Demo am 30. August 2025, dem vierten Todestag von Roger Nzoy Wilhelm, Treffpunkt 16 Uhr Landesmuseum Zürich
Am 25. Mai 2025 ist Michael Kenechukwu Ekemezie durch die Waadtländer Polizei zu Tode gekommen. Er ist bereits der fünfte Schwarze Mann innerhalb von neun Jahren, der im Kanton Waadt durch Polizeibrutalität ums Leben kam. Die Polizisten, die Nzoy im Jahr 2021 erschossen haben, sind weiterhin bewaffnet im Dienst. Gleichzeitig wird das rassistische und menschenverachtende Migrationsregime weiter verschärft. Gezielt wird die Bewegungsfreiheit von Migrant:innen bekämpft, indem Geflüchtete an Europas Aussengrenzen durch gewaltsame Pushbacks zurückgedrängt oder in Haftlagern festgehalten werden.
Doch nicht nur an den Aussengrenzen Europas sind Geflüchtete und Migrant:innen mit Gewalt, Elend und Tod konfrontiert – der Rechtsruck zeigt in ganz Europa und darüber hinaus seine Wirkung. Menschen, die es schaffen, nach Europa zu gelangen, sehen sich einer entwürdigenden Bürokratie gegenüber und leben in permanenter Unsicherheit: Unter prekären Bedingungen werden sie untergebracht, um teilweise jahrelang auf einen sicheren Aufenthaltsstatus zu warten. Erhalten sie diesen nicht, werden sie in Ausschaffungsknästen festgehalten und anschliessend gewaltsam abgeschoben. Dass das Schweizer Kapital am globalen Elend mitverdient und sich gleichzeitig für die Ursachen von Flucht und Vertreibung mitverantwortlich macht, ist kein Geheimnis.
Der Rassismus, den Migrant:innen und Personen of Color erfahren, ist tief in gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen verankert, hat viele Gesichter und verheerende Auswirkungen: Alltagsrassismus, Racial Profiling und die steigende Zahl getöteter Personen of Color durch die Polizei, die Militarisierung der Grenzen sowie die jüngsten Suizidversuche in Ausschaffungsknästen zeigen die Systematik staatlicher Gewalt.
Doch diese Repression bleibt nicht unwidersprochen: Auf der Strasse, an den Grenzen und in den Knästen widersetzen sich Menschen dem Rassismus. Angehörige von Opfern rassistischer Polizeigewalt kämpfen seit Jahren gemeinsam mit solidarischen Menschen für eine lückenlose juristische und politische Aufarbeitung der Fälle – und machen deutlich: Rassismus hat System. Im Fall von Nzoy hat die Organisierung von Angehörigen und Unterstützer:innen Wirkung gezeigt: Der Fall wurde schweizweit bekannt, und zuletzt musste die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt das Verfahren gegen die Polizisten, die Nzoy getötet haben, wieder aufnehmen. Weltweit finden Migrationskämpfe statt: von direkten Aktionen der No-Borders-Bewegung an den EU-Aussengrenzen über landesweite Proteste in den USA gegen die ICE bis hin zu transnationalen Netzwerken von Menschen, die sich gemeinsam gegen das Grenzregime organisieren. Nicht zuletzt regt sich auch im Zürcher Ausschaffungsknast (ZAA) Widerstand gegen die unmenschlichen Bedingungen, die zu mehreren Suizidversuchen geführt haben. Inhaftierte protestierten kollektiv, einige traten sogar in den Hungerstreik. Mit ihrem Protest und den koordinierten Aktionen mit Menschen ausserhalb des Knasts wird deutlich: Widerstand ist möglich – und Solidarität unsere stärkste Waffe.
Dieser Mut und Widerstand dürfen nicht verhallen. Gehen wir am 30. August 2025, dem vierten Todestag von Nzoy, in Zürich auf die Strasse und zeigen wir, dass trotz der aktuellen Entwicklungen Momente der Solidarität und des Widerstands möglich sind. Tragen wir unsere Wut über die repressive und menschenverachtende Migrationspolitik sowie die Abschiebungsmaschinerie auf die Strasse – und kämpfen wir weiter dafür, dass Nzoy nicht vergessen wird!
Auf der Strasse, an den Grenzen, in den Knästen – gemeinsam gegen Rassismus und staatliche Gewalt!
Klein an Zahl, groß an Wirkung: Das »Aryan Freedom Network« nutzt das gegenwärtige politische Klima in den USA zur Normalisierung von Neonazismus
Texas, Spätsommer, 35 Grad Celsius im Schatten. Der Staub klebt wie Mehlteig an der Haut, aus der Ferne hämmert es aus einem Schießstand dumpf gegen den Himmel. Auf einer Waldlichtung pflanzen Männer mit kahlrasierten Schädeln Fahnen in den Boden: Runen, Hakenkreuze, ein Schädel-Emblem. Dazwischen das Banner einer Gruppe, die sich »Aryan Freedom Network« (AFN) nennt. Ein Lautsprecher kratzt. »White power!«, brüllt einer ins Handmikrofon; die Antwort schwappt über die Wiese wie ein kurzer, zorniger Chor. Keine Massen. Vielleicht fünfzig Leute, eher weniger. Aber in den Telegram-Kanälen wirkt die Szene wie ein Triumphzug: im Takt geschnittene Bilder, prägnante Parolen, das Video wandert in die nächste Chatgruppe, die nächste Timeline, das nächste Land.
Dass solche Aufmärsche 2025 nicht mehr wie exotische Randnotizen wirken, liegt auch an einem Mann, der 3.000 Kilometer entfernt regiert: Donald Trump. Seit seiner Rückkehr ins Weiße Haus spricht der Präsident wieder von »Invasionen« über die Südgrenze, von »verbrecherischen Migranten« und »westlichen Werten«, die es »zu verteidigen« gelte – Worte wie Steine, geworfen in einen Diskurs, der ohnehin unter Spannung steht. »Trump hat den weißen Suprematismus nicht erfunden, aber er hat ihn normalisiert«, sagt Heidi Beirich, Mitgründerin des Global Project Against Hate and Extremism, auf Anfrage dieser Zeitung. Gruppen wie das AFN, so Beirich, profitieren davon, weil sich ihre Ideologie »legitimer« anfühlt.
Kaderprojekt mit Fackeln
Das »Aryan Freedom Network« ist kein Massenphänomen, sondern ein Kaderprojekt. Es rekrutiert aus einschlägigen Milieus – darunter ehemalige Klan-Aktivisten – und organisiert sich nach dem »Familien«-Prinzip: enger Kern, loyale Kreise, lose Sympathisanten. Die Führung inszeniert sich als rassistisches »Königspaar«, das alte Symbolik – Fackeln, Swastikas, Runen – mit der Ästhetik der Plattformen verbindet: knapp geschnittene Videos, martialische Musik, Memes mit Reichweite.
Bei öffentlichen Aktionen wirkt das Kollektiv wie eine Mischung aus Männerbund und Laienspieltruppe: weiße Masken, Tarnklamotten, choreographierte Bilder. Die Aufmärsche umfassen selten mehr als einige Dutzend Teilnehmer, aber digital vervielfachen sich die Bilder. In den Kanälen wird aus dem Dorfaufzug eine »Bewegung«. Aus dem Selfie vor dem brennenden Hakenkreuz wird ein Symbol. Aus wenigen Figuren wird ein Netzwerk.
Wer behauptet, das AFN sei nur eine schrille Fußnote, sollte die Datenspur lesen. Das Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) hat die Jahre 2020 bis 2024 ausgewertet. »Ja, diese Zahlen sind korrekt und Teil unseres offiziellen Datensatzes«, bestätigt Kieran Doyle, North America Research Manager bei ACLED. Er verweist auf jene Subsektion, die extremismusbezogene Demonstrationen und politische Gewalt erfasst – von Protesten über Riots bis zu Angriffen auf Zivilisten – und zwar anhand der Selbstbezeichnungen der Akteure (White Supremacists, White Nationalists, National Socialists).
Die Proportionen zeigen eine tektonische Verschiebung: 2020 entfielen 57 von 438 extremismusbezogenen Ereignissen auf die genannte Szene (rund 13 Prozent). 2021: 110 von 502 (21,9 Prozent). 2022: 181 von 434 (41,7 Prozent). 2023: 180 von 266 (67,7 Prozent). 2024: 154 von 195 (79 Prozent). Weiße Nationalisten rückten im Beobachtungsfenster der extremistischen Vorfälle vom Rand in die Mitte – nicht absolut, aber relativ zur Gesamterhebung.
Trumps Vermächtnis
Die Statistik erklärt die Wucht, die Politik das Klima. Seit 2016 steht in den USA das Overton-Fenster – der Rahmen des Sagbaren – weiter offen als zuvor. Wo einst verschworene Foren »white replacement« raunten, sprechen heute Abgeordnete vom »Ersetztwerden«. Prominente Moderatoren und Podcaster zogen den »Great Replacement« in die Primetime. Die Chiffre läuft als Dauerschleife in Talkradio, Kurzclips, Kommentarspalten.
Trump selbst sprach im Wahlkampf 2024 von Migranten, »deren Gewalt in den Genen liegt«. Es blieb nicht bei der Rhetorik. Exekutivmaßnahmen gossen den Ton in Regelwerke: Die »Remain in Mexico«-Politik (Migrant Protection Protocols) zwang Asylsuchende, monatelang in prekären Grenzlagern auszuharren; unter »Zero Tolerance« wurden Familien systematisch getrennt; Asylprüfungen wurden teils in Drittstaaten externalisiert; Immigration-Razzien setzten sichtbare Drohkulissen – auch in »Sanctuary«-Städten. Für Gruppen wie AFN ist das doppelt wirksam: Nach innen klingt die Härte wie Bestätigung, nach außen verschiebt sie die Normalitätsgrenze.
Ein Beispiel für die Wirkungskette von Worten zu Taten: In Buffalo, New York, erschoss 2022 ein 18jähriger zehn Schwarze in einem Supermarkt. In seinem Manifest berief er sich ausdrücklich auf den »Great Replacement«. Wenn ähnliche Codes wenig später auf Parteitagen durchs Mikrofon gehen, verschmelzen Randmythos und Parteirhetorik.
Radikalisierung verläuft selten im Sprung, meist im Tritt. Die »Proud Boys« funktionieren als Brückengruppe: nach außen patriotisch, im Kern straßenkampferprobt. »Eine Art Einstiegsdroge«, sagt Beirich. »Viele landen später in den Active Clubs, die offener neonazistisch auftreten.« Zellenartig organisiert, verbinden diese Clubs Kampfsport mit Ideologieschulung. Wer dort trainiert, taucht nicht selten bei AFN- oder »Patriot Front«-Treffen auf. Das Muster ist bekannt: Bürgerwehr spielen, Gewalt normalisieren, Rassenkrieg phantasieren – in kleiner Dosis, aber regelmäßig.
Dass die »Proud Boys« mitunter als »halbwegs bürgerlich« durchgehen, ist Teil des Problems. Ein »Proud Boy« wirkt harmloser, wenn man ihn neben einen Neonazi im Hakenkreuz-Shirt stellt. Genau das ist der Effekt: Normalisierung nach rechts. Die rote Linie wird zum grauen Streifen, über den man mit einem Achselzucken schreitet.
Das AFN marschiert nicht im politischen Vakuum. Der Resonanzboden ist amerikanisch: das Second Amendment der Verfassung über das Recht auf Waffenbesitz als Identitätskern; Schießstände als Treffpunkte; Sheriffs, die sagen: »Solange keine Gesetze gebrochen werden, haben wir keine Handhabe.« In Teilen der white-evangelical Szene verschmelzen Bibelverse mit Nationalismus, gelegentlich mit rassischer Auserwählung. Historikerinnen wie Kathleen Belew sprechen von »kultureller Rückendeckung«. Dazu kommt ein Veteranenmilieu, in dem Kameradschaft, Disziplin und Sinnsuche nach Irak oder Afghanistan andocken – nicht zwangsläufig, aber oft genug, um Aktivisten verlässlich rekrutieren zu können.
Das AFN ist klein an Zahlen, aber groß an Wirkung. Die Mischung aus Trump-Rhetorik, digitaler Inszenierung und realer Gewaltbereitschaft schafft einen Resonanzraum, in dem Neonazismus nicht mehr als Fremdkörper wirkt. Nicht die Größe der Szene ist neu – ihre Normalisierung ist es.
Digitale Rekrutierung
Der Weg nach innen beginnt oft harmlos: ein Clip mit brachialer Musik, ein Meme über »westliche Werte«, eine Einladung in einen Chat. Dort warten PDF-Broschüren, Leselisten, Trainingspläne – und der Ton kippt schnell von kulturkritisch zu biologistisch. In den AFN-Kanälen kursieren Handreichungen, wie man nachts plakatiert, welche Parolen auf Flugblättern ziehen, wie man an Schießstandtermine kommt. Das sind keine genialen Strategen, sondern Fleißarbeiter der Agitation. Aber sie sind verlässlich: jede Woche ein Bild, jeden Monat ein Treffen, jedes Quartal ein »Aryan Fest« irgendwo im Wald.
Viele Kommunen unterschätzen die Szene, weil die Aufzüge klein sind und der Rest digital stattfindet. Der Schaden entsteht nicht im Scheinwerferlicht, sondern in der Routine: Wer jede Woche dieselben Feindbilder serviert bekommt, hält sie irgendwann für Alltag. Genau darauf zielt die Normalisierung – nicht auf den Schock, sondern auf die Gewöhnung. Der transatlantische Transfer läuft dabei beidseitig: Während Identitäre in Europa Memetik und Lifestyle-Ästhetik einführten, übernimmt das AFN deren Medienhandwerk – nur mit US-amerikanischem Pathos und Zugriff auf eine ausgebaute Waffenkultur. Ergebnis: ein Hybrid, der nach außen schrill wirkt, nach innen aber Disziplin einfordert – erscheinen, trainieren, posten, rekrutieren.
Es ist nicht so, dass die Behörden blind wären. FBI und Department of Homeland Security vermerken seit Jahren, dass rechtsextreme »domestic violent extremists« die persistenteste Bedrohung der inneren Sicherheit darstellen. Auf Anfrage erklärte die FBI-Pressestelle, man kommentiere »laufende Ermittlungen« nicht. Formal korrekt – und doch symptomatisch.
Eine Teilschuld hat das föderale System: Viele einschlägige Delikte – Bedrohung, Körperverletzung, Waffenrecht – liegen zunächst bei den Bundesstaaten. County Prosecutors entscheiden, ob sie Anklage erheben, Sheriffs, ob sie Präsenz zeigen. In konservativ regierten Staaten ist die Schwelle für ein hartes Vorgehen oft höher. Zwar existieren in einigen Staaten »Anti-militia«-Bestimmungen, die private bewaffnete Verbände untersagen; genutzt werden sie selten – aus Rechtsunsicherheit, aus Ressourcenmangel, aus politischer Scheu.
Der Konflikt berührt Kernmilieus der Republikanischen Partei. In ländlichen Regionen gelten Milizen und selbsternannte »Patrioten« mancherorts als übermotivierte Nachbarn, nicht als Staatsfeinde. Wer Trump frontal kritisiert, verliert womöglich die Vorwahl; wer schweigt, bleibt im Spiel. So entsteht ein doppelter Standard: Linke Proteste werden streng unterbunden, rechte Milieus erhalten semantische Schonräume. Der 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington steht als Mahnmal dafür, wie gefährlich diese Schieflage ist.
Trumps zweite Amtszeit revidierte den Kurs der ersten nicht, sie straffte ihn: Abschreckung an der Grenze, schnellere Negativentscheidungen in Grenzverfahren, erneut Druck auf »Sanctuary«-Städte, Absprachen mit Drittstaaten, die Asylprüfungen auslagern. Für Szenen wie das AFN ist das ein politischer Rückenwind: Der Staat spricht die Sprache der Härte, und Härte, einmal zur Normalität geronnen, macht die Eskalation zur vermeintlichen Logik.
Konservative Talkradios, Podcasts, TV-Kanäle wie OANN oder Newsmax übersetzen Angst in Dauerton: »Invasion«, »Kriminalität«, »Grenze«. In manchen White-Evangelical Gemeinden verschmelzen Frömmigkeit und Nationalismus zu einer Theologie der Auserwähltheit. Auf Schießständen wird Bürgersinn geübt; in Telegram-Chats die Feindbildkunde. So entsteht eine robuste Infrastruktur der Gewöhnung.
Beispiele: Kentucky: Über Monate tauchen »White Unity«-Flyer in Vorgärten auf – nachts verteilt. Polizei ermittelt, findet aber keinen Straftatbestand: Rede, Papier, legal.
Dallas-Vorort: Zwei Dutzend Männer marschieren in Tarnkleidung und tragen Masken. Die Stadtverwaltung schweigt; erst nach großem Druck von Southern Poverty Law Center und Anti-Defamation League folgt ein blasses Statement.
Idaho: Wiederkehrende Active-Club-Trainings. Als eine Sporthalle ihre Vermietungsregeln ändert, reißt die Serie ab. Kleine Intervention, große Wirkung: Das Netz zieht weiter – und verliert Reichweite.
Demokratien sterben selten im Donner eines Putsches. Meist sterben sie leise: im Knirschen verschobener Begriffe, im Räuspern von Behörden, die das Wort »Nazi« scheuen, im Applaus für »harte Politik«, die Leid zur Methode macht. Das »Aryan Freedom Network« ist keine Massenbewegung; es ist ein Seismograph. Seine Fackeln leuchten nicht, sie verrußen die Luft. Wer sie für Folklore hält, wird am Ende fragen, warum die Fenster so schwarz sind.
Die Pride Zentralschweiz findet vom 18. bis 24. August in Luzern statt. Höhepunkt ist der Samstag mit der farbenfrohen Night Pride. Während der ganzen Woche stehen Veranstaltungen mit queerem Fokus auf dem Programm. Geplant sind am 21. August ein Preacher Slam mit dem prominenten Luzerner Seelsorger Meinrad Furrer im Madeline Bar und Club und am 22. August Konfetti Klatsch Zürich mit Host Cat le Chat.
Programm am Samstag, den 23. August
Start ist um 16 Uhr im Vögeligärtli in Luzern. Es wird Bands und Reden sowie einen Marktplatz mit Infoständen geben. Für das leibliche Wohl sorgen Gastrobetriebe rund ums Vögeligärtli. Um 20 Uhr startet die Night Pride bunt und laut durch Luzern, über die Bahnhofstrasse, Seebrücke und die Altstadt. Beim Löwenplatz endet der Umzug, und die Türen zur Afterparty auf zwei Floors sind geöffnet.
Eröffnungsrede um 16 Uhr von Beat Züsli (Stadtpräsident Luzern)
Festival Acts im Vögeligärtli
Kumbia Queers aus Buenos Aires Alex Sammie aus Luzern Sivilian aus dem Berner Oberland Bei der Night Pride heizt DJane Chichadelica aus Zürich auf dem Pride-Wagen ein.
LAGOTA kommt vom Spanischen und heisst „der Tropfen“.
LAGOTA ist eine politische Gruppierung, die sich als Teil der ausserparlamentarischen Linken versteht. Sie bietet eine Plattform, auf der sich interessierte Personen mit politischen Themen auseinandersetzen können.
LAGOTA setzt sich zum Ziel, das politische Bewusstsein der Gesellschaft zu fördern. Ihr Antrieb ist die Überzeugung, dass das kapitalistische System überwunden werden muss, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen.