Ausgerechnet in den USA

Quelle: https://jungle.world/artikel/2024/35/trump-rechtspopulismus-ausgerechnet-in-den-usa

Der Rechtspopulismus von Donald Trump ist Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen, die auch Europa prägen. Spezifisch für die USA ist allerdings, dass so viele etwas durch einen Wahlsieg Trumps zu verlieren haben, dass sogar die Sozialdemokratie wieder erwacht.

Als Donald Trump 2016 – mit mehr Glück als Verstand – die Präsidentschaftswahl knapp gewann, setzte das große Rätselraten ein. Dass ein zweitklassiger Schmierenkomödiant und Westentaschendemagoge das gleiche Amt ausüben würde wie vor ihm George Washington und Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Franklin D. Roosevelt, trübte doch ein wenig das Bild von den USA als the land of the free and the home of the brave.

Die erste Reaktion auf den Schock war darum Exterritorialisierung: Nicht das Wahlvolk sei schuld an Trump und auch nicht die archaische Institu­tion des Wahlkollegiums, sondern Wladimir Putin. Außerdem wurde gehofft: Spätestens in vier Jahren, so die verbreitete Überzeugung, werde der Spuk sich legen und die Rechte wieder zur Besinnung kommen.

Demokratie in den USA war lange eine Herrenvolkdemokratie

Weit gefehlt. Statt zum Triumphzug für Vernunft und Sittlichkeit geriet die Wahl 2020 samt Nachgang zur ernüchternden Zitterpartie. Dass weder die schier unüberschaubare Masse an Skandalen und Enthüllungen noch die sich häufenden Niederlagen bei Zwischenwahlen, ja nicht einmal die Staatsstreich-Performance vom 6. Januar 2021 dem Personenkult um Trump etwas anhaben konnten, machte alle Hoffnungen zunichte, das Phänomen als bloßen Betriebsunfall abtun zu können. Seither steht die Frage auf der Tagesordnung, wie so etwas ausgerechnet in den USA möglich ist.

Antworten darauf gibt es zur Genüge. Demokratie in den USA war die längste Zeit ihres Bestehens eine Herrenvolkdemokratie; die in den Südstaaten herrschende Rassentrennung wurde gesetzlich erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts beendet.

Dementsprechend reich ist die US-amerikanische Ideengeschichte an reaktionären Legitimationsideologien.

Wie weit muss man zurückgehen, um die »Make America Great Again«-Bewegung zu verstehen?

Die vergangenen Jahre sahen geradezu eine Flut an Veröffentlichungen, die sich mit den historischen Traditionen und Kontinuitäten befassen, aus denen sich ein spezifisch US-amerikanischer Autoritarismus speist: aus dem Elitarismus der Gründerväter und ihrer steten Sorge, zu viel Demokratie könne dem »Pöbel« zur Macht verhelfen; aus der ausgebliebenen politischen und ökonomischen Entmachtung der ehemaligen Sklavenhalter nach dem Bürgerkrieg und der bis heute andauernden nostalgischen Verklärung der Konföderierten; aus der Umdeutung von Freiheit in Entgesellschaftung, wie sie aus der frontiers-Rhetorik und dem populistischen Kult um die »kleinen Leute« spricht; aus dem fanatischen Widerstand gegen Roosevelts »New Deal« von Teilen der Kapitalistenklasse, die lieber mit Nazi-Deutschland gemeinsame Sache machen wollten, als auch nur das kleinste bisschen Sozialstaat zu erdulden; aus der Erbschaft von 400 Jahren Puritanismus und religiösem Erweckungseifer; aus dem sich periodisch Bahn brechenden Hass auf die jeweils neueste Gruppe unerwünschter Einwanderer, von Iren und Deutschen über Juden und Polen bis zu Ostasiaten und Südamerikanern; aus dem zähem Widerstand der Insti­tutionen samt Polizeigewalt gegen jeden neu erkämpften Fortschritt afroamerikanischer Emanzipation.

Keine dieser Vorhaltungen ist falsch. Aber gerade weil in der Gestalt Trumps so ungeheuer viele reaktionäre Stränge zusammenlaufen, erklärt der Rekurs darauf zugleich alles und nichts. Wie weit muss man zurückgehen, um die »Make America Great Again«-Bewegung zu verstehen? Zum Paläokonservatismus der neunziger Jahre? Zu Joe McCarthy und den antikommunistischen Geheimgesellschaften der Fünfziger? Zu den antikatholischen Know Nothings, den Nativisten des mittleren 19. Jahrhunderts? Oder gleich bis 1619, dem Jahr der Landung des ersten Sklavenschiffs in Nordamerika? Und was wäre damit gewonnen?

Verschmelzung von Fernsehstar und Führerkult

Vielleicht wäre es darum sinnvoller, die Frage einmal umzudrehen: nicht warum »ausgerechnet in Amerika« der Autoritarismus eine Massenbasis gewinnen konnte – sondern warum ausgerechnet die USA vom weltweiten Trend zur Autoritarismus hätten verschont bleiben sollen. Nichts an Trump ist schließlich originell. All das Gegeifer gegen Flüchtlinge und Migranten, gegen »die da oben« als korrupte und abgehobene »Eliten«, die uns unsere Sitten und Gebräuche madig machen wollen, das alles hat man ja schon hunderttausendfach gehört. Selbst das scheinbar Innovativste, die Verschmelzung von Fernsehstar und Führerkult, hat vor ihm schon Silvio Berlusconi vorgeführt, nur mit dem Unterschied, dass Italien weniger bedeutend ist als die nukleare Supermacht USA.

Was in den USA vor sich geht, lässt sich beschreiben wie in anderen Ländern auch: Es ist das Resultat einer Rechten, die sich gründlich totgesiegt hat – und deren Widersprüche ihr nun um die Ohren fliegen. Man hatte versprochen, die Logik des Marktes zu entfesseln, und nun sieht man, wozu Märkte fähig sind.

»Alles Ständische und Stehende«, wie Marx einmal schrieb, »verdampft«, darunter in den vergangenen Jahrzehnten auch genau das, was den US-Konservativen die Grundbausteine menschlichen Zusammenlebens sind: Kirchen und Vereine, Nachbarschaft und Dorfgemeinschaft, Ehe und Familie. Wenn es, wie Margaret Thatcher triumphierend verkündete, keine Gesellschaft gibt, dann vergeht auch deren repressive Kraft. Die Auflösung des Nachkriegsfordismus entmachtete nicht bloß die Gewerkschaften, sondern auch die geschlechtlichen Tabus, und die Niederlagen der Arbeiterbewegung ­gehen einher mit den Siegen der Frauen- und LGBT-Emanzipation. Ohne Gesellschaft, wie die Reaktion mit Schrecken fest­stellen muss, auch keine Feinde der Gesellschaft. Das lässt die Ressentiments leerdrehen.

Monetarismus, Militarismus, geistig-moralische Erneuerung

Wenn es an dieser Entwicklung etwas spezifisch US-Amerikanisches gibt, dann nur, dass sie, wie alles, was das Kapital betrifft, dort besonders offen zutage liegt. Nirgends trat das Dreigestirn der Reaktion – Monetarismus, Militarismus, geistig-moralische Erneuerung – messianischer auf als in den USA unter Ronald Reagan. Umso tiefer daher der Fall: Nirgends hat sich die Deregulierung gründlicher blamiert als in der Bankenkrise 2007/2008; nirgends hat sich der Neokonservatismus mehr desavouiert als in der Irak-Intervention; nirgends tritt der christliche Fundamentalismus ­lächerlicher auf als dort, wo er einen Windbeutel vergöttert, der für Sex mit Pornostars Schweigegelder zahlt. Nirgends müssen daher diese offenkundigen Realitäten gründlicher verleugnet werden. Daraus bezieht die US-amerikanische Rechte ihre bösartige Energie.

Es bezeichnet zugleich auch ihre Schwäche. Wenn es einen signifikanten Unterschied zwischen Maga-Republikanern und rechtspopulistischen Bewegungen anderswo gibt, dann den, dass Trump seinen Anhängern nie auch nur ansatzweise sozialstaatliche Versprechungen macht. Das Ressentiment bleibt reiner Luxus. Über andere politische Ziele der Republikaner, die heiß ersehnte Privatisierung der Rentenkassen etwa, redet man weniger gerne. Was umgekehrt wiederum heißt, dass genügend Menschen etwas zu verlieren haben – und das durchaus wissen.

Dass die USA eine der ersten großen multiethnischen Demokratien der Welt waren, die nach der Durchsetzung der Bürgerrechtsgesetze in den Sechzigern auch rassistisch diskriminierte schwarze Bürger einschloss, erklärt historisch die Schwäche des US-Sozialstaats: lieber keine staatliche Krankenversicherung als eine, von der auch die verachteten anderen profitieren.

Revita­lisierung einer zuvor moribunden Sozialdemokratie

Aber es erklärt auch deren Beharrungskraft. Die nach dem US-Zensus um die 40 Millionen Afroamerikaner, 60 Millionen Latinos, selbst die zehn bis 15 Millionen undokumentierten Einwanderer stellen keine winzigen Minderheiten dar, an denen man sich ungestraft das Mütchen kühlen kann; erst recht, wenn dann auch noch die weißen Bewohner der West- und Ostküste zum Feindbild dazukommen.

Dass die durchprivatisierte Volksgemeinschaft, die die Maga-Bewegung sich ersehnt, nicht nur in sich einen Widerspruch bildet, sondern dar­über hinaus auch noch weniger als die Hälfte der Nation umfasst, treibt die amerikanische Rechte permanent zur Weißglut. Aber es zwingt auch deren Gegner, mit der Opposition dagegen, so wenig gerne man es täte, doch irgendwann ernst zu machen.

Was die Ära Trump kennzeichnet, ist nicht bloß die stetige Eskalation der Rechten, sondern auch die Revita­lisierung einer zuvor moribunden Sozialdemokratie; mehr also, als man un­ter ähnlichen Bedingungen für Deutschland erhoffen dürfte, wo die vorauseilende Kapitulation bekanntlich als ­erste Bürgerpflicht gilt.

Posted in Antifa, Antiimperialismus, Antira, Arbeitskampf, Aus aller Welt, Emanzipation, Feminismus, Imperialismus, Migration, Pazifismus, Wirtschaftskrise | Tagged , , , | Leave a comment

our bodies our choices

Der “Marsch fürs Läbe” findet im September in Zürich statt. Er ist ein Treffen fundamentalistische-christlicher Gruppierungen. Sie wollen Abtreibungen verbieten.

Als Antwort machen wir zwei Veranstaltungen. Wir wollen Perspektiven zu reproduktiver Gerechtigkeit vertiefen und sichtbar machen.

our bodies our choices!


5.9. 19:00 Uhr: Film & Diskussion “No Más Bebés”
im anarchistischen Infoladen Borke in der Reitschule an der Neubrückstrasse 8 in Bern

No Más Bebés erzählt die Geschichte eines wenig bekanntes Ereignisses im Kampf für reproduktive Gerechtigkeit: Eine Gruppe von Mexikaner*innen, wohnhaft in den USA, nahm Gerichtsprozesse gegen Ärzt*innen sowie die US-Regierung auf. Dies, nachdem sie während ihrer Geburt im Los Angeles County-USC Medical Center in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren sterilisiert worden waren.

Wir wollen den Film als Anlass nehmen, um gemeinsam aus queerfeminstischer Perspektive verschiedene Facetten von reproduktiver (Un)Gerechtigkeit zu diskutieren und uns in unseren selbstbestimmten Positionen zu stärken


Protest-Picknick

Protest-Picknick mit untamed.families am 14.09.2024 von 14.00 bis 17.00 auf der Josefswiese in Zürich, auf der Viaduktseite zwischen Spielplatz und Brunnen. Alle bringen ihr Picknick mit und wenn möglich teilen wir miteinander. Wichtig: NUR BEI TROCKENEM WETTER.

Posted in Emanzipation, Schweiz, Veranstaltungen | Tagged , , , , | Leave a comment

No Borders No Nations 2024

Am 23.+24. August 2024 findet auf der Schützenmatte in Bern zum 6. Mal das NO BORDERS NO NATIONS Festival der Reitschule statt. Das Festival verzichtet sowohl auf die Abhängigkeit von grossen Unternehmen als Sponsor:innen, als auch auf die Einzäunung des öffentlichen Raumes. Das Festival basiert auf solidarischer und ehrenamtlicher Arbeit. Damit fehlen aber Einnahmequellen, die anderen grösseren Festivals zur Verfügung stehen. Deshalb brauchen wir dich als Sponsor:in. Hole dir deine Goodies im Crowdfunding und unterstütze uns und den Event!
Und weitere Infos auf der NBNN Webseite und auf ihrem Instagram!

FREITAG:

NEMO (CH)
→ https://www.instagram.com/nemothings/?hl=de

Soukey & Z the freshman (Bern)
→ https://www.instagram.com/s0ukey/
→ https://www.instagram.com/zthefreshman/

KT GORIQUE (CH)
→ https://soundcloud.com/kt-gorique
→ https://www.facebook.com/ktgoriquecouteausuisse/

Nathalie Froehlich (Renens)
→ https://www.instagram.com/nathalie_froehlich/
→ https://soundcloud.com/nathalie_froehlich

CRIMER (CH)
→ https://www.instagram.com/crimermusic/
→ https://soundcloud.com/crimermusic

Prix Garanti (Bern | Null Kultur)
→ https://prixgaranti.bandcamp.com/
→ https://www.youtube.com/channel/UCGefmull4XNvYDBQ_PcFO4g

Sirenas b2b dibbasey b2b saharaa b2b deineschwester (CH)

SAMSTAG:

Chocolate Remix (Buenos Aires)
→ https://www.youtube.com/c/ChocolateremixAr/
→ https://www.instagram.com/chocolateremix/

Hatepop (Bern)
→ https://hatepopculture.bandcamp.com/
→ https://www.youtube.com/@hatepop.kollektiv

Mistress (Bern)
→ https://soundcloud.com/mistress-offical
→ https://www.instagram.com/mistress.mistress.mistress/

Etoclit (Bern | Forcefield Records)
→ https://www.instagram.com/etoclit_/
→ https://soundcloud.com/user-271050719

AKNE KID JOE ([object Object] | Kidnap Records, Audiolith Booking)
→ https:www.facebook.com/aknekidjoe/
→ https://www.youtube.com/channel/UCOkpfgg-TgZ2fP-Fvg7Gjmg

6euroneunzig (Berlin)
→ https://www.instagram.com/6euroneunzig/
→ https://www.tiktok.com/@6euroneunzig

Ansu
→ https://www.instagram.com/ansu.097/

Zirka
→ https://www.instagram.com/zirka_punk/

Posted in Antifa, Antira, Schweiz, Veranstaltungen | Tagged , , , , , , | Leave a comment

Zeit zu handeln! – Ein Aufruf in die antifaschistische Bewegung

Das Jahr 2024 wird in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik eingehen. Zum ersten Mal seit der Befreiung am 08. Mai 1945 werden Faschist:innen als stärkste Kraft in ein deutsches Parlament einziehen. Und das in gleich drei Bundesländern. Am 01. September stehen in Thüringen und Sachsen, drei Wochen später in Brandenburg Landtagswahlen an. In allen drei Bundesländern wird die AfD zweifelsohne als Siegerin hervorgehen. Diese Wahlabende im Spätsommer werden zur Zäsur. Zum historischen Moment für die neue faschistische Bewegung. Ihnen wird damit etwas gelingen, das für Republikanern, DVU und NPD auch zu ihren stärksten Zeiten in weiter Ferne lag.

Deren Erfolg fällt nicht vom Himmel.

Der Aufstieg von Höcke und Co. ist nur als Facette einer konsequenten Rechtsentwicklung der gesamten politischen Landschaft der BRD zu verstehen. Diese Entwicklung ist eine direkte Reaktion auf die tiefgreifende Krise des Kapitalismus. Um den Status Quo für die Herrschenden zu erhalten werden großflächig soziale Errungenschaften abgebaut, die Reallöhne gedrückt, Klimaschutzvereinbarungen missachtet, der Polizei immer mehr Möglichkeiten zur Gängelung und Überwachung an die Hand gegeben, die Militarisierung der Gesellschaft vorangetrieben und eine nie dagewesene Abschottung gegen Geflüchtete praktiziert. Flankiert und verschleiert wird der Klassenkampf von oben durch immer neue rassistische, antifeministische und chauvinistische Debatten. Kein Tag ohne Hetze gegen Geflüchtete, gegen Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, gegen Errungenschaften der feministischen Bewegung, gegen gesellschaftliche Minderheiten, …

Die AfD fungiert in all dem als Eisbrecher in der Diskursverschiebung nach rechts. Macht das bisher Unsagbare nicht nur diskutierbar, sondern schafft einen Raum, in dem die alten „Volksparteien“ oben genanntes umsetzten können, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Dass ihre Forderungen aber Stück für Stück umgesetzt werden, nimmt ihr nicht etwa den Wind aus den Segeln, sondern verschafft ihren menschenverachtenden Positionen umgekehrt erst breite Legitimität.

Der Aufschwung faschistischer Kräfte in Zeiten der kapitalistischen Krise ist nicht neu. Neu ist aber, dass er heute mit der absoluten Defensive der reformistischen und revolutionären Linken zusammenfällt. Dem Klassenkampf von oben weht nicht einmal ein laues Lüftchen des Widerstandes entgegen. Wir müssen uns gleich eine doppelte Niederlage eingestehen: Weder konnte die linke Bewegung das Spürbarwerden der Krisenfolgen für sich nutzen, noch ist es im letzten Jahrzehnt gelungen, dem absehbaren Aufstieg des rechten Lagers eine adäquate Antwort entgegenzusetzen. Während einige in ritualisierten Protestformen verharrten, wenden sich andere gänzlich vom Kampffeld Antifaschismus ab, das die radikale Linke über mehrere Jahrzehnte geprägt hat. Das Ergebnis ist heute unübersehbar: Die Wahl des ersten AfD-Landrats im Herbst 2023 hat die antifaschistische Bewegung praktisch ohne Reaktion zur Kenntnis genommen.

Schwere Zeiten.

Die Erfolge in Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden mehr als ein losgelöstes Ereignis sein. Mit ihnen machen die Rechten einen bedeutenden Schritt vorwärts hin zur völligen Normalisierung. Einen Schritt, dem früher oder später erste AfD-Koalitionen auf Landesebene folgen werden. Und er ist eine Momentaufnahme für die Entwicklung der gesellschaftlichen Realität. In dieser Realität haben die Rechte an vielen Stellen, gerade im Osten der Republik, bereits den vorpolitischen Raum erobert und teilweise auch die Gewalt über die Straße übernommen. Im Fahrwasser der AfD erstarken auch wieder militante und terroristische Faschist:innen, vor allem im Osten etabliert sich wieder eine faschistische Jugendkultur und die staatlichen Repressionsapparate sind von Rechten durchsetzt. Die AfD ist der Kern eines rechten Mosaiks.

Eine Übernahme der Regierungsverantwortung durch die AfD wäre die nächste qualitative Zuspitzung dieser Entwicklung. Andere Länder wie Österreich, Italien oder die USA geben einen Ausblick auf das, was dann auch uns bevor stehen könnte. Auch wenn es in diesen Ländern bisher zu keiner Wiederholung des historischen Faschismus kam, ist es dort in Monaten gelungen, antirassistische und feministische Errungenschaften rückgängig zu machen, für die Jahrzehnte gekämpft werden mussten. Der Kampf zur Eindämmung des Klimawandels würde um Längen zurückgeworfen werden. Und je weiter Sie mit dem autoritären Staatsumbau kommen, desto schwieriger wird es für uns als linke Bewegung wieder aus der Defensive herauszukommen.

Aber auch wenn die AfD es nicht bis in eine Regierung hineinschafft, sind die Folgen für alle, die nicht in das rassistische und sexistische Weltbild der Faschist:innen passen, immens. Faschistische Gewalt wird wieder Normalität, die Bedingungen linke Alternativen aufzubauen oder wenigstens zu erhalten immer schwerer und bei Anschlägen wie München, Halle oder Hanau wird es nicht bleiben.

Wir werden nicht warten, bis es so weit ist.

So sehr der Erfolg der AfD im September 2024 zur Zäsur wird, so sehr muss er Ausgangsbedingung für eine neue antifaschistische Offensive werden. Wann, wenn nicht jetzt, ist der Moment, eine neue antifaschistische Bewegung aufzubauen? Was soll noch passieren? Nutzen wird den Moment, in dem wieder breite Teile der Bevölkerung Bereitschaft zeigen, gegen den Rechtsruck ankämpfen zu wollen. Drehen wir den Spieß um, wagen wir die richtigen Schritte, bevor es zu spät ist.

Dazu ein paar konkrete Überlegungen.

1. In Anbetracht der Stärke und des Zuspruchs, den die AfD mittlerweile erfährt, erfordert unser Kampf mehr als jemals zuvor die ehrliche Zusammenarbeit aller, die es ernst meinen und die bereit sind, mit den politischen und praktischen Konsequenzen, die der Kampf erfordert, zu leben. Auch und gerade über Lager- und Strömungsgrenzen hinweg.

2. Wenn es unsere Analyse ist, dass der Aufstieg von AfD und Co. nicht zufällig mit der mehr und mehr spürbar werdenden Krise zusammenfällt, ist die naheliegende Folgerung, dass ein Aufhalten, bzw. Umkehren des Rechtsrucks nur durch eine bereite antikapitalistische Bewegung geschafft werden kann. Gerade sind es nur die, die dazu aufrufen nach unten zu treten, die die Ängste vor der zunehmenden Krise, Abstieg und Krieg wahrnehmbar aufgreifen. Und solange es dazu keine Alternative schafft, der Krise einen Klassenkampf von unten entgegenzusetzen, nicht nur rhetorisch, sondern praktisch den Menschen eine Perspektive bietet, wird sich der weitere Aufstieg der Rechten nicht verhindern lassen. Der antifaschistische Abwehrkampf muss das mitdenken und einen Teil dazu beitragen, dass solche Bewegungen entstehen können. Er darf nicht bei einer moralischen Kritik am Rassismus und Sexismus der Faschist:innen stehen bleiben, sondern muss auch klar die Zusammenhänge zwischen kapitalistischer Krise, neoliberaler Elendsverwaltung und dem Aufstieg der Rechten benennen. Ein Antifaschismus ohne soziale Frage, ohne Kritik an den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen, ohne die Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft, wird in diesen Zeiten zahnlos bleiben.

3. Das sehen aber nicht alle so. Die liberalen und sozialdemokratischen Parteien wollen von den Ursachen des Rechtsruck nichts wissen, müssten sie sich doch damit eingestehen, selbst Teil des Problems und nicht der Lösung zu sein. Ganz zu Schweigen davon, dass sie gerade einige der menschenverachtenden Forderungen der Rechten selbst umsetzen. Entsprechend ist es in ihrem Interesse, die aufkommenden Massenproteste gegen Rechts zu vereinnahmen, in staatstragende Bahnen einzuhegen und weg von tatsächlichem Antifaschismus zu bringen. Es war Anfang des Jahres also ein kalkulierter Kampf um die politische Hegemonie der Massenproteste. Es ist ihnen erschreckend einfach gelungen, diesen zu gewinnen und der Bewegung die Zähne zu ziehen, bevor sie überhaupt in der Lage war, sie zu zeigen. Wir müssen uns bei solchen Proteste zukünftig einmischen und den Kampf um deren Hegemonie aufnehmen. Denn auch wenn wir ihn nicht in Gänze gewinnen können, werden wir darin hoffentlich die Basis für eine neue antifaschistische Bewegung erkämpfen.

4. Wir müssen es schaffen, uns selbst grundsätzliche antifaschistische Prinzipien zu erhalten und sie gleichzeitig in solche großen Proteste hineintragen: Mit Faschist:innen wird nicht diskutiert, Faschist:innen werden bekämpft. Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, die dafür notwendig sind. Hierin mussten wir in den letzten Jahren die wohl direktesten Niederlagen hinnehmen. Aber uns diese Handlungsoptionen zu bewahren, wird in den nächsten Jahren überlebensnotwendig. Mit der Normalisierung der AfD wird auch das Entstehen einer neuen faschistischen Jugendbewegung einhergehen, nicht unwahrscheinlich inklusive einer Wiederholung der Baseballschlägerjahre.

5. So wie die Dinge gerade liegen, werden wir den Kampf gegen die Rechtsentwicklung weder heute noch morgen gewinnen. Dafür werden wir einen langen Atem und viel Durchhaltevermögen brauchen. In allem was wir tun, müssen wir deshalb vor allem für Kontinuität, Organisierung und Ansprechbarkeit sorgen. Nur so bleiben Großevents keine einmaligen Ereignisse, sondern tragen dazu bei, unsere Seite aufzubauen. Und nur so werden wir den Widrigkeiten, die das sich anbahnende „reaktionäre Jahrzehnt“ mit sich bringt, standhalten können. Nichts davon wird einfach. Aber an Gelegenheiten diese Punkte umzusetzen, wird es in naher Zukunft nicht mangeln.

Wir werden …

… nicht tatenlos dabei zusehen, wie das erste Mal im Nachkriegsdeutschland ein Parlament gewählt wird, in dem eine faschistische Partei die größte Fraktion stellt. Dabei machen wir uns keine Illusionen: Bürgerliche Parlamente sind keine antifaschistische Bastion. Sie sind und bleiben Orte, an denen die falschen gesellschaftlichen Verhältnisse zementiert und legitimiert werden. Und auch an der gesellschaftlichen Stimmung, die hinter den Wahlergebnissen steht, können wir kurzfristig nichts ändern. Aber die Landtagswahlen im Herbst können nicht nur zur Zäsur für die Rechten werden, sondern auch noch einmal eine Gelegenheit sein, viele Menschen in konkrete Aktionen gegen Rechts zu bringen.

Wir werden deshalb die Wahlsiege der Faschist:innen im September nicht unwidersprochen hinnehmen. Wir werden den Wahlkampf der AfD und ihre Wahlpartys stören, Proteste gegen das Erstarken der Rechten organisieren und den Faschist:innen im Osten nicht die Straße überlassen. Wir rufen bundesweit alle Antifaschist:innen auf, sich lokal wie überregional an den Protesten gegen die Wahlerfolge der AfD zu beteiligen und diese zu organisieren. Lasst uns damit den Startpunkt für eine neue Bewegung setzen, die mit langem Atem gegen die faschistische Gefahr kämpft. Die Zeit zu handeln ist jetzt.


Geschichte wiederholt sich nicht.
Sorgen wir dafür, dass es so bleibt.

Eine gemeinsame Erklärung von:

Antifaschistische Aktion Süd ★ Antifaschistische Basisgruppe [abg] Frankfurt am Main/Offenbach ★ Antifaschistische Vernetzung Leipzig ★ Antifaschistischer Aufbau Köln ★ Autonome Antifa-Koordination Kiel ★ Antifa Westberlin ★ CAT Marburg ★ Gemeinsam Kämpfen – Kommunistische Gruppe Freiburg ★ Kämpfende Jugend ★ North-East Antifascists [NEA] Berlin ★ Perspektive Kommunismus ★ task – antifaschistische Gruppe Kassel ★ Waterkant Antifa Hamburg

Im Juni 2024

Posted in Antifa, Aus aller Welt | Tagged , , , | Leave a comment

Veranstaltung der Jungen Tat in Langenthal gestört

Quelle: https://barrikade.info/article/6493

Heute am 22.6.24 wollte die Junge Tat im Rahmen ihrer rassistischen „Remigrations“-Kampagne eine Veranstaltung im beschaulichen Langenthal durchführen. Nebst den nur wenigen Gästen der Veranstaltung waren jedoch auch wir Antifaschist:innen pünktlich auf dem Platz.

Die erschrocken davonrennenden Neonazis informierten daraufhin ihre Kameraden in der Mühle. Somit wurden wir von einem lächerlich am Fenster im 1. Stock tanzenden Corchia empfangen, während im Veranstaltungsraum die grosse Hektik ausbrach. Da sich die Internethelden nicht aus ihrer Mühle trauten, haben wir uns den Skoda von Corchia vorgenommen. Diese Aktion liess den Kragen vom emotionalen Lingg endgültig platzen und er kam, gefolgt von Roman Wüthrich und Colin Schaffner, wild fuchtelnd und schäumend aus der Mühle gestürmt. Wüthrich versuchte uns Steine schmeissend fernzuhalten, während Lingg, ausser sich vor lauter Gefühlen aufgrund des zerstörten Skodas, zurückgehalten werden musste. Wir liessen uns nicht unnötig von den Faschos provozieren und zogen unseren Plan durch. Denn die Clowns der JT riefen natürlich – wie immer, wenn sie sich mit Antifaschist:innen konfrontiert sehen – sofort die Polizei. Wir liessen die erschrockenen Neonazis im Schutz der Bullen zurück und gingen geschlossen unseres Weges.

Somit fiel die rassistische Veranstaltung nicht nur wegen dem schlechten Wetter ins Wasser, sondern es wurden auch viele Tränen seitens der Neonazis wegen dem brennenden Pfefferspray und Corchias zerstörtem Auto vergossen.

Wir halten fest: Es gibt kein ruhiges Hinterland und Neonazi sein heisst: Probleme kriegen! Und wir wünschen Corchia und Lingg nun viel Spass beim ÖV fahren.

Posted in Antifa, Antira, Schweiz | Tagged , , , | Leave a comment

2. Juli | 18h30 | Neubad Luzern

Gelbe Lady rettet im zentralen Mittelmeer. Marie kommt vorbei und erzählt. Gerne über die Einsätze und das Einsatzkonzept, aber auch über Instandhaltung von einem alten Schiff und Betrieb, Kosten, Einnahmen und Herausforderungen.

Es gibt Raum für Fragen und Austausch, zum Beispiel zu: Wie weiter nach der Europawahl? Wie bekommt man Spendengelder, ohne Rassismus zu reproduzieren? Und warum klagt die Mare*Go gegen die AfD?

Dienstag 02. Juli 24, 18:30 Uhr im Neubad Luzern, Bistro

Posted in Festung Europa, Luzern, Migration, Veranstaltungen | Tagged , , , , | Leave a comment

14. Juni 2024

Bald ist es so weit: Der feministische Streik 2024 steht vor der Türe! Verschiedene Arbeitsgruppen (AG Demo, AG Technik, AG Programm, etc.) sind seit Februar 2024 fleissig am Planen und Organisieren.
Das Programm und die Details werden laufend erweitert.
Die hier aufgeschalteten Programmpunkte sind aber schon fix.

Programm

09.00-10.30 Uhr
Brunch beim Inseli

14.00 Uhr                
Start Vögeligärtli

14.00-15.24 Uhr      
Offenes Programm mit Beisammensein, Postkarten schreiben, Transpi malen, Kinderprogramm, Infoständen von verschiedenen Organisationen und Parteien, Tombola, u.v.m.

15.24 Uhr                   Feministischer Feierabend – wir machen gemeinsam Lärm! Bring deine Stimme, Trillerpeife, Kochtöpfe, etc. mit.

15.30-17.30 Uhr        Feministische Reden und Konzert von ENL Es gibt eine Offene Bühne! Bring deinen Text mit.

17.30 Uhr                   
Drag Performance von Coochie Waters und Infos zur Demo

18.00 Uhr                   
Start Demo: Beim ersten Glockenschlag der Lukaskirche laufen wir los

Ca. 20.00 Uhr             
Ende Demo beim Inseli

Bis 22.00 Uhr             
DJ’s und Ausfeiern beim Inseli

Unsere Forderungen

Das feministische Streikkollektiv orientiert sich an den Forderungen vom letztjährigen Streik, welche an einer Assise im März 2024 von mehreren Streikkollektiven der Schweiz definiert wurden.

Du findest die Forderungen HIER. 

Posted in Emanzipation, Feminismus, Luzern, Schweiz, Veranstaltungen | Tagged , , , , | Leave a comment

Vertreibung, Verteuerung und Widerstand: Zürich wehrt sich gegen die Wohnkrise

In vielen Quartieren Zürichs organisieren sich Mieter:innen gegen Abriss und Verdrängung. Auf die Sozialdemokratie und Genossenschaften können wir uns dabei aber nicht verlassen.

Dieser Artikel erschien im 1. Mai-Extrablatt der Organisierten Autonomie Zürich.

Die Temperaturen lagen nur knapp über dem Gefrierpunkt und es regnete in Strömen. Trotzdem demonstrierten am 4. November 2023 über fünftausend Menschen gegen die Wohnungskrise. Es war der vorläufige Höhepunkt eines stadtpolitisch bewegten Jahres: Bereits im Februar 2023 trugen rund dreitausend Menschen ihre Wut über die Räumung des besetzten Koch-Areals auf die Strasse. Im Zuge der Kampagne «alles wird besetzt» wurden mehrere Häuser besetzt. In vielen Quartieren Zürichs organisieren sich Mieter:innen gegen den Verkauf ihrer Häuser sowie gegen Mieterhöhungen und Kündigungen.

Unsere Krise – ihre Profite

In der Stadt Zürich betrug die Leerwohnungsziffer im Jahr 2023 nur 0.06 Prozent – das sind 144 Wohnungen. Die Mieten stiegen allein im letzten Jahr um sechs Prozent an. Seit 2005 sind sie geradezu explodiert: Bei bestehenden Mietverträgen stiegen sie um 15 Prozent, bei Neumieten sogar um 39 Prozent. Die immens höheren Preise bei den Neumieten betreffen vor allem diejenigen, die sich aufgrund von Sanierungen ihre ehemalige Wohnung nicht mehr leisten können und keine neue Bleibe in der Stadt finden.

Grossdemo gegen die Wohnungskrise am 04.11.2023. Am 25.05.2024 findet erneut eine Wohndemo statt.

Beim Immobilienkapital herrscht derweil Goldgräberstimmung. In der ganzen Stadt wird günstiger Wohnraum teuer saniert oder gleich ganz abgerissen, um aus luxuriösen Appartements und Ersatzneubauten noch mehr Kohle als zuvor rauszuholen. Immobilien gelten als «sichere Wertanlagen» mit Potential zur Wertsteigerung, weshalb Banken, Versicherungen und Pensionskassen gerade in Krisenzeiten ihr Kapital in diesen Sektor pumpen. Institutionelle Anleger kaufen Immobilien und sanieren, was das Zeug hält. So werden die Preise und Mieten nach oben getrieben. Die grösste Immobilien-Besitzerin der Stadt ist die UBS, gefolgt von der Swiss Life. Mit unseren Mieten bezahlen wir deren Dividenden.

Gentrifizierung als Erfolgsmodell der Sozialdemokratie

Auch die linken Parteien – allen voran die SP – haben die Wohnungskrise als Wahlkampfthema entdeckt. Sie prangern die Verhältnisse lautstark an und haben mehrere städtische und kantonale Initiativen lanciert. Dabei wird die Stadt Zürich seit dreissig Jahren von einer links-grünen Mehrheit regiert. Diese geht nicht gegen die Gentrifizierung vor – ganz im Gegenteil, sie ist ihr Erfolgsmodell.

In den 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre befand sich die Stadt Zürich in der Krise. Zwischen 1998 und 2002 gingen 40’000 Arbeitsplätze verloren. Wer es sich leisten konnte, zog in die Agglomeration. Zurück blieb eine sogenannte «A-Stadt», bewohnt von Armen, Alten, Arbeitslosen und Ausländer:innen. Für die Bewohner:innen bedeutete das aber auch günstige Mieten und viel Platz: In dieser Zeit begann auch die Hochphase der Hausbesetzer:innen-Bewegung.

Die rot-grüne Stadtregierung tat einiges um Zürich wieder hip zu machen. Sie zog Dienstleistungsunternehmen – insbesondere im Finanz- und IT-Bereich – an, welche die abgewanderte Industrie ersetzten. Bekanntes Beispiel hierfür ist der Technopark in Zürich-West. Auch als Standort für Bildung und Gesundheitsdienstleistungen gewann die Stadt an Bedeutung. Dank der entstandenen Arbeitsplätze zogen wieder mehr gutverdienende Menschen nach Zürich.

Die Armen wurden dagegen aus dem Stadtbild vertrieben: Öffentliche Plätze wurden umgestaltet, Kameraüberwachung ausgebaut und immer mehr Sozialarbeiter:innen und Polizei auf Drogenabhängige, Prostituierte, Obdachlose und Bettler:innen losgelassen. Die offene Drogenszene rund um den Letten wurde geschlossen. Dort, im Kreis 5, stiegen die Immobilienpreise in den letzten 15 Jahren am Stärksten.

Demo gegen die Räumung des besetzten Kochareals, 18.02.2023

Die SP und die Grünen betreiben ihre erfolgreiche Standortpolitik bis heute. Standortpolitik heisst, finanzkräftige Unternehmen und Bewohner:innen anzuziehen. Das zeigt sich sehr gut am Beispiel Google. Die Wirtschaftsförderung von Stadt und Kanton Zürich haben einen sehr hohen Aufwand betrieben, damit sich der US-Konzern hier ansiedelt. Sie lockten mit Steuervergünstigungen und besonders einfachem Zugang in administrativen Fragen – etwa bezüglich Arbeitsvisa. In der Stadtverwaltung wurde dazu eigens ein «Google-Desk» eingerichtet. Während auf Geflüchtete nur Bunker, Behördenwillkür und Bullenkontrollen warten, wird für die Förderung des Wirtschaftsstandorts gerne ein bisschen an der Visa-Vergabepraxis geschraubt.

Mit Google kamen auch tausende von gutverdienenden Expats nach Zürich, welche die Nachfrage nach teuren Wohnungen und Business-Appartements in die Höhe trieben. Für die Stadtregierung ist das eine gute Sache, es winken Einkommenssteuern und Immobilienboom. Den Preis bezahlen aber all die Mieter:innen, deren Wohnungen nun luxussaniert werden.

Sind Genossenschaften unsere Genossinnen?

Die Verdrängung betrifft je länger desto mehr nicht mehr nur ärmere Menschen, zunehmend auch das mittelständische sozialdemokratische und grüne Milieu. Der Widerstand gegen die Gentrifizierung wird immer breiter, darum müssen sich die SP und die Grünen etwas einfallen lassen. Sie setzen in ihrer Politik insbesondere auf den genossenschaftlichen Wohnungsbau. Dessen Anteil ist in Zürich relativ hoch und soll noch weiter steigen. Die städtische Sozialdemokratie und die Genossenschaften sind eng miteinander verbunden – ein Erbe aus einer Zeit, in der die SP noch in der Arbeiter:innen-Bewegung verankert war.

Doch die Genossenschaften mischen in der Wohnungskrise ordentlich mit. Das zeigt sich etwa in Schwamendingen. In diesem Quartier am Zürcher Stadtrand wurde in der Nachkriegszeit viel Wohnraum für die Arbeiter:innen gebaut, die in den Fabriken in Oerlikon schufteten. Diese Häuser sind heute in die Jahre gekommen, aber die Mieten sind günstig. Viele arme Leute, Migrant:innen, ältere Menschen und Familien leben hier. Die Stadt behauptet gerne, dass Gentrifizierung in Schwamendingen kein Problem sei, da viele Siedlungen Genossenschaften gehören. Doch die Realität vor Ort ist eine andere: Ganze Häuserzeilen werden leergekündigt und abgerissen. An ihrer Stelle entstehen Ersatzneubauten, die sich die jetzigen Bewohner:innen niemals leisten können. Viele wissen nicht wohin. Die Genossenschaften schreiben sich auf die Fahnen, «nachhaltig», «sozial» und «ökologisch» zu sein. Aber sie schmeissen ihre Mieter:innen raus und bieten ihnen keine anderen Wohnungen.

Wie in verschiedenen anderen Stadtteilen wehren sich die Menschen auch in Schwamendingen gegen diese Entwicklungen und organisieren sich – etwa im Mietenplenum. Im April nahmen über hundert Personen an einer Kundgebung auf dem Schwamendingerplatz teil. Es kursierten verschiedene Ideen, was gegen steigende Mieten und Wohnungsnot unternommen werden kann: Gegenseitige Unterstützung bei der Wohnungssuche, symbolische Massenbewerbungen oder Petitionen an die Politik. Da und dort war auch zu hören, dass man die Immobilienkonzerne doch einfach enteignen und leerstehende Häuser besetzen sollte.

Kundgebung gegen die Wohnungskrise in Zürich Schwamendingen, 06.04.2024

Widerständige Quartiere schaffen

Die selbstständige Aneignung von Wohnraum – also das Besetzen von Häusern – ist ohnehin eines der besten Mittel gegen Wohnungsnot. Doch gerade in letzter Zeit verschärft die Stadt ihre Räumungspraxis und betreibt einen grossen Aufwand, um Hausbesetzungen zu verhindern. Auch hier sieht man, auf welcher Seite die SP und die Grünen stehen.

Andere Formen des Widerstands, die in Zürich noch nicht erprobt wurden, sind Mietstreiks. Dabei entschliessen sich die Mieter:innen, die Mieten ganz oder teilweise nicht zu bezahlen. In den 1970erJahren wurde in Italien die Praxis der «autoriduzione» angewandt, bei der die Nebenkosten quasi selbstständig gesenkt wurden. In einigen europäischen Städten gibt es zudem Bündnisse, die versuchen, Zwangsräumungen zu verhindern. Meist finden solche Zwangsräumungen lautlos statt. Sie öffentlich zu machen und die Nachbarschaft dagegen zu mobilisieren, macht sie sichtbar und erzeugt Solidarität im Quartier.

Aus den Erfahrungen der vielen Initiativen und Kämpfe, die momentan in Zürich stattfinden, kann die Bewegung wichtige Erkenntnisse ziehen. Der Widerstand gegen die Wohnungskrise wird sich weiter zuspitzen und die Kämpfe werden intensiver werden. Wir wollen dabei immer die Selbstorganisierung der Proletarisierten ins Zentrum stellen. Denn damit sich irgendwas grundlegend ändert, muss sich die Bewegung zu einer Klassenbewegung ausweiten.

Die Gentrifizierung ist ein Angriff des Kapitals auf die proletarische Bevölkerung. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Wohnkrise steht nicht für sich alleine. Sie ist ein Ausdruck des krisenhaften Kapitalismus. Die Wohnungskrise ist Teil der Krise der sozialen Reproduktion. Die steigenden Mieten gehen mit steigenden Preisen für Lebensmittel, höheren Energiekosten und teureren Krankenkassenprämien einher. Dazu kommen die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Immer mehr von uns haben Schwierigkeiten, ihr Leben zu bestreiten.

Die Kämpfe gegen steigende Mieten gehören also zusammen mit den Kämpfen um höhere Löhne, für bezahlbare Lebenshaltungskosten, für den Zugang zu sozialer und medizinischer Versorgung, für körperliche Selbstbestimmung, Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für alle. Es liegt auf der Hand, dass wir uns nicht auf die Versprechen der Politik verlassen, mag sie noch so sozial und grün daherkommen. Vielmehr müssen wir in allen Bereichen des Lebens auf unsere eigenen Kräfte setzen. Auf ihre Wohnungskrise antworten wir mit unserer Klassensolidarität und kollektivem Widerstand!

Demo: Eine andere Stadt ist möglich!, 25.05.2024, 14 Uhr, Landesmuseum Zürich

Aufruf in verschiedenen Sprachen: www.wohndemo.ch

Posted in Gentrifizierung, Schweiz, Squat the world, Wirtschaftskrise | Tagged , , | Leave a comment

Erfolgreich mobilisiert

Quelle: https://jungle.world/artikel/2024/20/erfolgreich-mobilisiert

Am 1. Mai demonstrierte die schwedische syndikalistische Gewerkschaft SAC unabhängig von den sozialdemokratischen und linken Parteien im Zentrum Stockholms.



Stockholm. Der Auftaktort der syndikalistischen Demonstration zum 1. Mai in Stockholm bot einen für linksradikale Veranstaltungen ungewöhnlichen Anblick: Die Rednerinnen standen in einer mit schwarz-roten Fahnen geschmückten Betonkanzel. Diese war von der sozialdemokratischen Stadtregierung gebaut worden, damit der tiefer gelegene Vorplatz des Hauptbahnhofs zwischen Einkaufsstraße und der verkehrsberuhigten sechsspurigen Hauptstraße, die fast nur noch von Straßenbahnen, Radfahrern und Lieferfahrzeugen befahren wird, besser für Demonstrationen genutzt werden kann.

Aufgerufen zur Demo hatte die Sveriges Arbetares Centralorganisation (SAC), die 1910 von Arbeitern gegründet worden war, die mit der Politik des Gewerkschaftsbunds unzufriedenen waren. Die SAC »ist eine der ganz wenigen Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten syndikalistischen Gewerkschaften, die kontinuierlich bis heute arbeiten«, ohne Verbote oder Spaltungen, sagte SAC-Generalsekretär Gabriel Kuhn 2023 der deutschen Zeitung Analyse & Kritik.

Die Forderung einer Verkürzung der täglichen Lohnarbeitszeit mit der Begründung, dass die Produktivität seit Jahrzehnten immer weiter steige, stößt in Nordeuropa bei vielen auf Interesse.

Die 1.-Mai-Demonstration hat eine 100jährige Tradition. »Wir haben Demo-Fahnen von 1920«, erzählt SAC-Aktivist Elvin der Jungle World. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Sicherheitsmitarbeiter in der Stockholmer U-Bahn. Dem Demonstrationszug schlossen sich ungefähr 2.000 Menschen an, die gesittet nur auf einer Fahrbahn liefen und den entgegenkommenden Verkehr nicht behinderten. Einer kleinen Gruppe am Rand stehender rechter Gegendemonstranten, die Unterschriften sammelten für einen Austritt Schwedens aus der EU und Schilder mit Aufschriften wie »Sozialismus = böse« in Richtung der Syndikalisten schwenkten, schenkten die Demoteilnehmer wenig Beachtung. Thematisch war der Gaza-Krieg insgesamt weniger präsent als erwartet und bis auf wenige Ausnahmen hielten sich die Demonstranten an das von der SAC aufgelegte Nationalfahnenverbot.

Der Zug wurde von SAC-Aktivisten mit Bauarbeiterhelmen angeführt. Elvin berichtet, dass seine Organisation derzeit stark durch die Solidariska Byggare (Solidarische Bauarbeiter) und die neu gegründete Reinigungsgewerkschaft innerhalb der Stockholmer SAC wächst. Die Organisation stecke Ressourcen in Dolmetscher und die Organisation von migrantischen Arbeitern, für die sich die sozialdemokratischen Gewerkschaften nicht sonderlich interessierten. Deshalb sei 2023 das Bausyndikat in Stockholm von 389 auf 722 Mitglieder angewachsen. Das liege vor allem an Blockaden und Besuchen von »kriminellen Baufirmen«, die ihre Arbeiter nicht bezahlten.

Schwarz-rot durch Stockholm

Deren juristischen Kampf um vorenthaltene Löhne unterstützt die SAC – so wie bei der Putzkraft Chilo. Sie arbeitete für ein Subunternehmen einer Putzfirma als Reinigungskraft im Haushalt der ehemaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson. Chilo wurde von der Polizei festgenommen, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis hatte, nachdem sie in Anderssons Haus versehentlich einen Alarm ausgelöst hatte. Vor kurzem erstritt Chilo vor Gericht, vertreten durch die Stockholmer SAC, den Anspruch auf ihren Lohn.

In der Debatte darüber in den schwedischen Medien sei es eher um ein »Sicherheitsrisiko« für Andersson gegangen, das mit einem unkontrollierten Subunternehmertum und einer »illegalen« Migrantin im Haus einhergehe, als um den Skandal, dass das Subunternehmen illegalisierte Arbeitskräfte ausbeutete und als Reinigungshilfen anbot, so Elvin. Nur die Stockholmer Syndikalisten zeigten Interesse daran, Chilo gegen ihren Arbeitgeber zu vertreten.

Der traditionelle 1.-Mai-Marsch der sozialistischen Vänsterpartiet mobilisierte über 20.000 Demonstrant:innen

Kaum ein Steinwurf entfernt vom Endpunkt der syndikalistischen Demonstration am Stortorget in der Altstadt lief der traditionelle 1.-Mai-Marsch der sozialistischen Vänsterpartiet (Linkspartei). Sie konnte in Stockholm über 20.000 Demonstrant:innen mobilisieren, die sozialdemokratische Sveriges socialdemokratiska arbetareparti (SAP) 6.000 Menschen. Beide Parteien gewinnen derzeit in Umfragen an Zustimmung und profitieren davon, dass die Politik der schwedischen Mitte-rechts-Regierung unter Ministerpräsident Ulf Kristersson (Moderata samlingspartiet; Moderate Sammlungspartei) teils unbeliebt ist. Kristersson führt eine Minderheitsregierung, die von den rechtspopulistischen Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten) toleriert wird.

Die Vänsterpartiet hatte einen Nato-Beitritt kategorisch abgelehnt. 2021 hatte sie zudem ein Misstrauensvotum gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Löfven unterstützt, das von den Schwedendemokraten initiiert worden war, nachdem Löfvens sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung eine Liberalisierung ihrer Mietmarktpolitik angekündigt hatte. Sowohl bei der Demonstration der Vänsterpartiet als auch bei den Syndikalisten der SAC konnte man die Parole hören: »Vi vill ha sex timmars arbetsdag!« (Wir wollen den Sechs-Arbeitsstunden-Tag!)

Die Forderung einer Verkürzung der täglichen Lohnarbeitszeit mit der Begründung, dass die Produktivität seit Jahrzehnten immer weiter steige, stößt in Nordeuropa bei vielen auf Interesse. In Schweden werden bereits seit 2015 stellenweise Sechsstundentage ohne Lohnkürzung erprobt, in Dänemark und Norwegen in einzelnen Gemeinden eine Viertagewoche mit 35 Stunden. Den umfangreichen Protesttag beendete eine kleine Demo der Stockholmer Anarchisten von rund 200 Personen. Dort galt offenbar kein Nationalfahnenverbot, denn den Demozug führte eine Palästina-Fahne als Fronttransparent.

Posted in Anarchismus, Antiimperialismus, Arbeitskampf, Aus aller Welt | Tagged , , , , | Leave a comment

Staatsterror an Unis

USA: Studentenproteste mit riesigem Polizeiaufgebot niedergeschlagen. Protestcamps in Los Angeles und New York geräumt

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/474561.friedensbewegung-staatsterror-an-unis.html

Die Proteste an mehr als 30 US-amerikanischen Universitäten dauern an, und die gewalttätige Repression von seiten der Polizei nimmt zu. Hunderte von propalästinensischen Demonstrierenden wurden auch diese Woche verhaftet. Landesweit sollen Schätzungen von US-Medien zufolge mehr als 1.700 Personen festgenommen worden sein.

Die Forderungen der Studierenden richten sich in erster Linie an ihre Universitätsleitungen: Akademische Einrichtungen sollen ihre Geschäftsbeziehungen mit Israel und Unternehmen aufgeben, die mit dem Krieg des israelischen Militärs im Gazastreifen in Verbindung stehen. Ein Protest an der Brown Universität im US-Bundesstaat Rhode Island zeigte bereits Erfolge. Dort räumten Studenten ihr Protestcamp bereits am Dienstag nachdem die Unileitung erklärt hatte im Oktober über den Abzug der Investitionen abstimmen zu lassen. »Als Fakultätsmitglied, dem die Meinungsfreiheit am Herzen liegt«, erklärte Sarah Phillips, Professorin für Anthropologie an der Indiana State University am Mittwoch gegenüber National Public Radio, bevor sie am Wochenende auf dem Campus verhaftet wurde, »sehe ich es als meine Pflicht an, meine Stimme zu erheben«.

ucla2.JPG
David Swanson/REUTERS Polizeieinsatz mit Tränengas und Gummigeschossen an der University of California, Los Angeles

Am Mittwoch abend versammelten sich Hunderte von Polizeibeamten in Einsatzkleidung auf dem Campus der University of California in Los Angeles (UCLA), um das Protestcamp zu räumen, das in der Nacht zuvor von Unterstützern der israelischen Regierung angegriffen worden war. Die chaotischen Szenen ereigneten sich nur Stunden nachdem die New Yorker Polizei am Dienstag abend in ein von Kriegsgegnern besetztes Gebäude an der Columbia University eingedrungen war und über 300 Demonstranten verhaftet hatte. Um drei Uhr morgens begann die Polizei mit einem gewaltigen Aufgebot unter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen zunächst die mit Holz verstärkten Barrikaden und schließlich das gesamte Camp zu räumen. Bis zum Morgengrauen sollen laut Polizeiangaben mehr als 130 Demonstranten festgenommen worden sein.

Zwei »weltweit führende Holocaustforscher« mit israelischer Staatsbürgerschaft, Raz Segal und Omer Bartov, hatten sich am vergangenen Freitag am Protestcamp der University of Pennsylvania getroffen. Bartov erklärte danach gegenüber dem US-Medium Democracy Now, »es gab keinerlei Anzeichen von Gewalt oder Antisemitismus« und warnte davor, dass der Vorwurf des Antisemitismus dazu benutzt werde, um israelkritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

ucla3.JPG
Mike Blake/REUTERS Einsatzkräfte mit einem am Boden liegenden Demonstranten an der University of California, Los Angeles

In Washington hat das US-Repräsentantenhaus am Mittwoch ein Gesetz zur »Sensibilisierung für Antisemitismus« verabschiedet. Sollte der Senat in den kommenden Tagen zustimmen, wird die Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA) zum »Orientierungspunkt« für das Bildungsministerium. Antisemitismus ist demnach »eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen«. Dass es den Protestierenden vornehmlich um ein Ende des Krieges in Nahost geht, der von der US-Regierung massiv mitgetragen wird, scheinen die hohen politischen Kreise bislang zu ignorieren.

Posted in Antiimperialismus, Pazifismus | Tagged , , , | Leave a comment