Nicht ducken, nicht treten
Von Kaspar Surber
Schafe werden rausgekickt, Kühe guillotiniert, Gänse geschlachtet. Kantonsflaggen gehen in Flammen auf. Ivan S., der Vergewaltiger, und Detlef S., der Kinderschänder, lauern hinter jedem Haus. Fährt man durchs Mittelland, droht auf den Plakaten die Apokalypse.
Die Propaganda und die Paranoia von Wirtschaftslobby und Rechtspopulisten haben diesen Herbst in der Schweiz einen neuen Höhepunkt erreicht. Als die WOZ vor einigen Wochen die Economiesuisse-Zentrale besuchte, sprach man dort von einer «mittleren Kampagne» gegen die Steuergerechtigkeitsinitiative, die über vier Millionen Franken koste. Nachdem das Föderalismusargument nicht zog, behauptete der Wirtschaftsverband später, die Vorlage treffe auch den Mittelstand. Regierungsräte und sogenannte Patrons liessen sich für Drohungen einspannen. Die Kampagne dürfte längst das Doppelte oder Dreifache gekostet haben.
Über die Finanzierung der SVP-Werbung ist wie immer nichts bekannt. Stattdessen soll kurz daran erinnert werden, worüber bei der Ausschaffungsinitiative auch abgestimmt wird: über SVP-Werbung, nämlich über den Wahlkampf der Partei 2007. Für die hingepfuschte Initiative mit ihrem belämmerten Marketing wurden damals die Unterschriften gesammelt. Es nützte nichts: Christoph Blocher wurde zu Recht aus dem Bundesrat abgewählt. Der Milliardär ist weg, aber sein Spuk ist immer noch da.
Was bleibt: nicht vergessen, abstimmen zu gehen. Und das weiterzusagen. Den NachbarInnen, den KollegInnen in der Schule und im Beruf, den FreundInnen an der Bar und im Facebook. Last Call: Die Schweiz ist ein neofeudaler Staat. Hundert Personen besitzen so viel wie drei Viertel der übrigen Steuerpflichtigen. Der Steuerwettbewerb treibt die Mieten hoch und zerstört die Landschaft. Last Call: Der Gegenvorschlag ist so verheerend wie die Ausschaffungsinitiative selbst. In vorauseilendem Gehorsam macht er fremdenfeindliches Denken verfassungskonform.
Die Steuergerechtigkeits- und die Ausschaffungsdiskussion haben durchaus miteinander zu tun. Es geht darum, ob man sich gegen oben duckt und nach unten tritt. Oder ob man sich eine gerechtere und demokratischere Gesellschaft vorstellen kann.
Deshalb zweimal Nein und einmal Ja am kommenden Sonntag. Auch weil es ein Zeichen ist gegen die geschürte Angst. Weil man dann neue Fragen stellen könnte: beispielsweise nach einer Einschränkung der Kampagnenfinanzierung. Bis dahin: Macht eure Stimmen zu Lautsprechern! Bewahrt allseits den Kopf klar und die Zuversicht.
Quelle: WOZ vom 25.11.2010