Mikrokredite in Indien vor dem Kollaps

In einem indischen Bundesstaat haben gut 90 Prozent der Mikro-Schuldner die Zahlungen eingestellt

Ursprünglich dürften die sogenannten Mikrokredite eine gute Idee gewesen sein: Mit den bescheidenen Geldsummen sollten Produktionsmittel gekauft werden, um es den Kreditnehmern damit zu ermöglichen, fleißig einer privaten Geschäftstätigkeit nachzugehen und Kleinstunternehmer zu werden und so ein Einkommen zu erzielen, dass nicht nur den Lebensunterhalt sicherstellen, sondern auch die Tilgung der Kredite ermöglichen sollte. So lange die Kredite von NGOs arrangiert wurden, die vor allem soziale Ziele verfolgten, schien das auch recht gut zu funktionieren. Die Kredite wurden tatsächlich mehrheitlich für produktive Zwecke genutzt, das Kleingewerbe blühte auf und die Ausfallsraten bewegten sich im niedrigen einstelligen Bereich.

Dann kam der Nobelpreis für einen der geistigen Väter, die Mikrokredite setzten sich weltweit durch und das Geschäft wanderte von den Non-Profit-Organisationen hin zu den professionellen Finanzmarktteilnehmern. Diese wollten von den niedrigen Ausfallsraten und den vergleichsweise hohen Zinsen profitieren und konnten sich gleichzeitig ein soziales Mäntelchen umhängen. Allerdings waren die Kreditgeber nun den üblichen Zwängen der Finanzmärkte ausgesetzt, Umsätze und Gewinne stetig auszuweiten. Das brachte die privaten Kreditgeber offenbar dazu, die Vergabestandards zu senken und die Zinsen zu steigern. Durch die massenhafte Finanzierung von Kleinstunternehmern sanken indes die Gewinnchancen für alle, und gleichzeitig wurden zusehends auch Mikrokredite für Konsumzwecke vergeben, bzw. in den Markt gedrückt.

Mittlerweile haben – zu 80 Prozent finanziert von indischen Banken – die Mikrokreditvergeber umgerechnet rund fünf Milliarden Dollar an Mikrokrediten ausständig, bei denen zuletzt kaum mehr Rücksicht auf die Fähigkeit der Kreditnehmer genommen wurde, die Kredite zu bedienen. Wie eine Studie zuletzt dokumentierte, wurden dafür zunehmend Wucherzinsen von 30 Prozent und mehr verrechnet. Während aber die Verkäufer der Mikrokredite zuletzt über die Börse Kasse machten, häuften sich die Selbstmorde verzweifelter Schuldner.

Das hat inzwischen auch die Regierung aufgeschreckt, die in diesem Geschäftsmodell mittlerweile eine indische Version der US-Subprimkredite heraufdämmern sieht. Tatsächlich unterscheide sich das Vorgehen vieler Mikrofinanzierer praktisch nicht mehr von den traditionellen Kreditwucherern, was den Zorn der Betroffenen inzwischen mehrfach zu gewalttätigen Ausbrüchen verdichtet hat.

In der Folge wurden die Gesetzgeber im größten Bundesstaat Andhra Pradesh bereits aktiv, die nun ein strenges Gesetz verabschiedet haben, zu welchen Bedingungen derartige Kredite vergeben und betrieben werden dürfen. Trotz der Neuregelung drängen lokale Politiker die Schuldner aber weiter dazu, die Zahlungen zu verweigern. Laut New York Times hätten auf die in diesem Bundesstaat ausstehenden rund zwei Milliarden Dollar an Mikrokrediten in den vergangenen Wochen allenfalls zehn Prozent der Schuldner irgendwelche Zahlungen geleistet. Die indischen Großbanken, die die Mikrokreditvergeber bisher gerne finanziert haben, stehen nun voll auf der Bremse, womit das ehemalige Erfolgsmodell nun offenbar vor dem Zusammenbruch steht.

Quelle: Telepolis

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