Sie leben von Coop-Gutscheinen, wohnen in Notunterkünften und trauen sich kaum mehr auf die Strassen – aus Angst vor der Polizei. Der Nothilfestatus und die Repression gegen abgewiesene Asylbewerber und Sans-Papiers macht das Leben für die Betroffenen zum Dauerstress. 47 abgewiesene Asylsuchende leben in der Stadt Luzern derzeit von Nothilfe, weitere 22 befinden sich im Gefängnis.
Wie geht es den Frauen und Männern, den Kindern, die in Luzern um Asyl nachsuchen? Und wie geht es den Abgewiesenen, die eine Wiedererwägung beantragen, die von der Nothilfe leben oder untergetaucht sind?
Vorerst: Es ist schwierig, verlässliche Zahlen zu präsentieren, weil sie von den informierten Amtsstellen und von der Caritas nicht bekannt gegeben werden. Eine Zahl immerhin gibt es. Am 30. September 2013 lebten in der Stadt 173 Asylsuchende mit der Aufenthaltsbewilligung N. Sie sind betreut von der Caritas, die den Auftrag des Kantons erfüllt. Erwerbsarbeit ist ihnen erlaubt, doch die Mehrheit lebt von der wirtschaftlichen Sozialhilfe. Sie leben in individuellen Unterkünften oder sind kollektiv untergebracht.
Wir fragten nach der Herkunft der Menschen, nach der Anzahl Frauen, Männer, Kinder, nach der Höhe der Sozialhilfe, die ausbezahlt werden muss. Das kantonale Gesundheits- und Sozialdepartement, das diese Zahlen besitzen würde, respektive Silvia Bolliger, die persönliche Mitarbeiterin von Regierungsrat Guido Graf, verweigert jedoch die Auskunft. Man veröffentliche keine detaillierten «Wohnstatistiken», schrieb sie in der Mail. Danach hatten wir gar nicht gefragt. Und wenn schon: Es sollte kein Geheimnis sein, in welchen Gemeinden wie viele Asylsuchende leben.
47 Personen in der Nothilfe
In der Stadt Luzern leben 47 Personen, darunter sieben Kinder, in der Nothilfe. Das heisst, sie bekommen pro Tag einen Coop-Gutschein im Wert von zehn Franken, erhalten Unterkunft sowie bezahlte Krankenversicherung. Ihr Asylgesuch ist abgelehnt worden. Sie haben keinen legalen Aufenthaltsstatus und zählen zu den Sans-Papiers. Frei bewegen in Stadt und Agglomeration können sie sich nicht mehr, weil sie jederzeit damit rechnen müssen, von der Polizei aufgegriffen und in Haft gesetzt oder gleich ausgeschafft zu werden. Ihr Vergehen ist ihr rechtloser Aufenthalt in unserem Land.
Die Nothilfe für die Asylsuchenden mit Negativentscheid wird von den Sozialen Diensten der Stadt Luzern ausbezahlt. Reto Camenzind betreut die Dossiers, hält zweimal wöchentlich eine Sprechstunde für die Abgewiesenen, wo sie ihre Anliegen vorbringen können. Die Leute im Nothilferegime leben zum grossen Teil in Notunterkünften, zum Beispiel in der Notschlafstelle der Stadt, im Ibach sowie in Notwohnungen.
27 von den 47 Sans-Papiers sind Administrativ-Fälle, – so die Bezeichnung – die nicht mehr zu den Sozialen Diensten kommen. Sie sind entweder im Strafvollzug, in der Ausschaffungs- oder Durchsetzungshaft (22 Personen) oder in einer andern Institution, zum Beispiel in der Psychiatrie oder im Spital (fünf Personen).
Kritik an Ein- und Ausgrenzungen
Das Luzerner Asylnetz, das mit sehr beschränkten finanziellen und personellen Mitteln versucht, vor allem den Abgewiesenen etwas Rückhalt zu geben, kritisierte in einem Mitgliederbrief im vergangenen September die Ein- und Ausgrenzung von Menschen in der Nothilfe durch die Fremdenpolizei, die in eigener Kompetenz Rayonverbote aussprechen könne. Grundlage dieser Verbote ist das verschärfte Ausländergesetz, das die Massnahme jenen androht, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung störten oder gefährdeten (Art.74). Wer diese oftmals willkürlichen Auflagen nicht einhalte, schreibt das Asylnetz, riskiere eine Anzeige und hohe Busse oder einige Tage Haft.
Vier Personen sind im Strafvollzug, 18 in Ausschaffungshaft – eine beachtliche Zahl. Befragt nach den Haftgründen sagt Alexander Lieb, Leiter Amt für Migration, 80 bis 90 Prozent seien Dublin-Rückführungen. Das sind Asylbewerber, die früher in einem andern Land ein Asylgesuch gestellt haben. Dazu kämen meist mangelnde Kooperation bei der Beschaffung von Papieren und die Gefahr des Untertauchens.
Bei den Aus- und Eingrenzungsentscheiden für Asylsuchende und Abgewiesene durch Mitarbeiter des Amtes für Migration sieht Alexander Lieb keine Probleme: «Solche Verfügungen werden immer von Einzelpersonen vorgenommen. Bei unklaren Fällen wird mit dem Abteilungsleiter Rücksprache genommen. Die Entscheide können auf dem Rechtsweg angefochten werden, was allerdings sehr selten geschieht.»
Was leicht nachvollziehbar ist: Wie soll ein abgewiesener Asylbewerber, der Coop-Gutscheine als Nothilfe bekommt und wegen der Polizei Angst hat, sich in der Stadt frei zu bewegen, einen Anwalt organisieren? Die Ein- und Ausgrenzungen würden mehrheitlich aufgrund einer Handlung gegen das Betäubungsmittelgesetz oder wegen Diebstahls verfügt, sagt Alexander Lieb.
«Das Leben ist sehr, sehr schwierig»
Was empfinden und denken die Menschen, die im Nothilfestatus stecken? Gyatso* ist Tibeter und lebt zusammen mit einem Landsmann seit ein paar Monaten in einem Dorf in der Luzerner Landschaft in einer Zweizimmerwohnung. Ausser seinem Mitbewohner kennt er niemanden dort. Sein Wohnort ist Zufall. Die Caritas hatte gerade eine Wohnung frei. Mindestens einmal pro Woche kommt er nach Luzern, holt die Coop-Gutscheine, geht in den Deutschkurs. Eher selten besucht er den Mondoj-Treffpunkt im Neubad. Auf die Frage, was er sonst so mache, sagt er zwei-, dreimal das Wort «schwierig». Mehr erzählen möchte er nicht.
Vor drei Wochen hatte Rosa* wieder etwas Hoffnung gefasst, zum ersten Mal seit sie vor sechs Jahren in die Schweiz flüchtete. Ihr klagloser Aufenthalt und ihre Anstrengungen zur Integration in Luzern wurden als aussergewöhnlich anerkannt. Darum wurde ein Härtefallgesuch nach Bern eingereicht. Und zum zweiten Mal wurde es abgelehnt. Rosa muss also weiter von der Nothilfe leben.
«Es ist sehr, sehr schwierig. Ich wohne zusammen mit anderen Frauen im Ibach, fühle mich aber allein. Ich möchte selbständig sein. Ich bin ausgebildete Buchhalterin mit Universitätsdiplom. Im Brändi habe ich mehrere Monate freiwillig gearbeitet, Behinderte begleitet. Im Asylzentrum Sonnenhof der Caritas habe ich viel gearbeitet.» Rosa hat einen Deutschkurs abgeschlossen, mit Erfolg. Sie möchte weiter lernen. Im Moment sei das aber nicht möglich. «Jetzt bin ich den ganzen Tag zu Hause. Ich fühle mich ohne Zukunft. So ist das Leben schwierig, so schwierig.» Sie sagt es dreimal.