Der Aufmarsch der zapatistischen Bewegung im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas am vergangenen Freitag war vor allem ein symbolischer Akt. Klassische zapatistische Politik also.
Genau genommen waren es fünf Aufmärsche. Es war die erneute symbolische Einnahmen fünf lokaler Bezirkshauptstädte: Palenque, Ocosingo, Altamirano, Las Margaritas und San Cristóbal de las Casas.
Einige Jahre zuvor, am 1. Januar 1994, wurden sie schon einmal eingenommen. Damals trat die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) erstmals ans Licht der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit. Doch dieser Freitag verlief anders. Mit schwarzen Pasamontañas – einer Art Skimasken – und roten Halstüchern marschierten Tausende diszipliniert und schweigend in die Zentren dieser ehemaligen Gefechtsschauplätze zwischen Guerilla und Armee. Dort wurden zuvor in den frühen Morgenstunden flugs fünf wenige Quadratmeter große Holzbühnen aufgebaut. Außenstehende warteten derweil und spekulierten. Doch weder Subcomandante Marcos, der Sprecher der EZLN und Koordinator der rebellischen Streitkräfte, noch ein Mitglied des “Geheimen Revolutionären Indigenen Komitees – Generalkommandatur der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung” (CCRI-CG EZLN) war erschienen, um auf der provisorischen Plattform ein Kommuniqué zu verlesen. Stattdessen betraten die zu tausenden vermummten Männer und Frauen selbst die Holzbühnen. Es waren auffallend viele Jugendliche dabei. Sie stellen heute die zweite und dritte Generation der Bewegung dar. Damals, sowohl während der jahrelangen geheimen Vorbereitung als auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der immer noch bestehenden “Kriegserklärung” an die mexikanische Regierung am ersten Januartag 1994, waren sie entweder Kinder oder noch gar nicht geboren, als ihre Eltern in den Reihen der Guerilla und in den Unterstützergemeinden für die 13 Forderungen – Haus, Land, Arbeit, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Information, Kultur, Unabhängigkeit, Demokratie, Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden – eintraten und kämpften.
Schnellen Schrittes – viele hoben die geballte Faust in die Höhe – nahmen die jungen Demonstranten die drei, vier Stufen, passierten die Bühne und stiegen wieder hinab. Keine Parolen. Keine Rufe. Keine Gesänge. Keine politische Selbstdarstellung. Lediglich die Flaggen der mexikanischen Nation und die der Guerilla wurden vorneweg hergetragen. So abrupt das Spektakel anfing, so rasch war es vorbei und die schweigende Masse verließ die fünf Bezirkshauptstädte in Richtung ihrer fünf autonomen Regierungszentren, den Caracoles.
Das von vielen erwartete und bereits einen Monat zuvor angekündigte Komnuniqué erfolgte schließlich doch noch im Laufe des Tages. Es fasst nur wenige Zeilen und hält sich im Abstrakten: “Könnt ihr das hören? Es ist der Klang ihrer Welt, die zusammenbricht. Es ist die unsere, die wiederkehrt. Der Tag, der Tag war, wurde Nacht, und die Nacht wird der Tag sein, der Tag sein wird.”
Vier Jahre sind es fast her, seit Subcomandante Marcos und die EZLN-Kommandantu das letzte Mal selbst öffentlich in Erscheinung trat. Dies war in den ersten Januartagen 2009, zusammen mit tausenden Gästen und Repräsentanten verschiedenster nationaler und internationaler sozialer Organisationen zum “Festival der Würdigen Wut” in San Cristóbal de las Casas. Am 7. Mai 2011 kam es dann zwar zur zweitgrößten Mobilisierung in der Geschichte der EZLN, als sich in der gleichen Stadt mehr als 20.000 Zapatisten dem Aufruf der Bewegung für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde anschlossen. Doch eine Stellungnahme zu den aktuellen landesweiten Ereignissen oder zur eigenen Situation erfolgte nicht.
Wenige Worte waren am Freitag zu hören. Die Stille dominierte und hat den gewünschten Effekt erzielt: das Schweigen der Zapatisten provozierte das Interesse der Außenstehenden. Es wird wieder gemutmaßt über die Zapatisten, nachdem sie von vielen in den letzten Jahren bereits totgesagt wurden. Von ihrer Wiederkehr ist jetzt die Rede.
Dabei war weder die staatliche Repression abwesend, noch das Bestreben der Zapatisten, ihren 13 Forderungen selbst Gestalt zu verleihen, indem sie ihre autonomen Strukturen weiterhin ausbauten.
Allen Unklarheiten zum trotz schrieb das mexikanische Online-Nachrichtenportal Animal Político: “Bereits gewohnt an den symbolischen Diskurs der EZLN wissen alle, dass soeben etwas geschehen ist. Aber sie wissen nicht was.”
Während aus der westlichen Welt unzählige Missdeutungen der Maya-Zeitrechnung vernommen wurden, fand am 21. Dezember kein Weltuntergang statt, sondern ein neuer Zyklus der Maya begann, der 14. Baktun. Zeitgleich jährte sich der 1992 gefallene Beschluss zum bewaffneten Aufstand der EZLN zum 1. Januar 1994 zum 20. Mal. Damit schließt sich in der Maya-Zeitrechnung der Zyklus eines Katun. Mit den Mobilisierungen, die vor allem durch ihre Anzahl und Breite überraschten, wurde ebenso eine neue Phase des zapatistischen Kampfes offiziell angekündigt.
Mexikanischen Medienberichten zufolge kamen in Altamirano 5.000, in Ocosingo 6.000, in Las Margaritas 7.000, in Palenque 8.000 und in San Cristóbal de las Casas bis zu 20.000 Zapatisten friedlich zusammen. Hinzu kommen vermutlich noch 8.000 weitere, die aufgrund fehlender Transportkapazitäten im Caracol von La Garrucha bleiben mussten. Insgesamt könnte also deren Anzahl auf bis zu 50.000 geschätzt werden – das größte öffentliche Auftreten seit den ersten Januartagen 1994.
50.000 vermummte Zapatistas, die aus den fünf zapatistischen Regionen fünf Bezirkshauptstädte symbolisch einnahmen. Es ist ein Zeichen der Stärke, Einheit und Geschlossenheit, das verbreitet wurde. Die Botschaft für die Regierenden in Mexiko heißt: All die Jahre der Aufstandsbekämpfung, des Krieges niederer Intensität, der Paramilitärs, von Megaprojekten, Vertreibungen, Inhaftierungen, Korrumpierungen und Morden haben nicht dazu geführt, die zapatistischen Strukturen zu zersetzen oder gar auszulöschen. Die Bewegung überlebte bisher vier mexikanische Präsidenten und sieben chiapanekische Gouverneure. Den Juntas der Guten Regierung zufolge ist das aktuelle Jahr eines der repressivsten, wenn nicht sogar das repressivste. Stets wenn sich auf Landes- und Bundesebene die Spitze austauscht, nehmen die Aggressionen und Attacken gegenüber den zapatistischen Gemeinden zu, bemerkt Gloria Muños Ramírez, eine mexikanische Journalistin, die mehrere Jahre mit der Guerilla in den Bergen lebte.
Das metaphernreiche Bild der jüngsten Erklärung weist Parallelen zu älteren Texten auf. So heißt es bereits 1996 in der Vierten Erklärung aus dem lakandonischen Urwald: “Wir sind aus der Nacht heraus geboren. In ihr leben wir. In ihr werden wir sterben. Aber das Licht wird morgen für die anderen sein, für all jene, die in der Nacht weinen, für die, denen der Tag verneint wird.”
Wenngleich die zapatistische Bewegung über die Jahre hinweg stets ihre Taktiken und Strategien änderte und mit einem undogmatischen Politikansatz inspirierte, hat sie stets Kohärenz und Einheit in ihrer grundlegenden Handlungs- und Denkweise bewiesen. Daher auch das dem Kommuniqué beigefügte Lied “Como la cigarra”, das von Mercedes Sosa, Leon Gieco oder Victor Heredia interpretiert wurde. Darin heißt es: “So viele Male haben sie mich getötet, so viele Male bin ich gestorben, und dennoch stehe ich hier wieder auf.”