Griechenlands Schande

Brutale Übergriffe auf Ausländer gehören in Griechenland zur Tagesordnung. Auf die Polizei können die Opfer selten hoffen. Die Regierung übt sich in Vogel-Strauss-Politik.

Die Szenen, die sich kürzlich vor dem Hytirion-Theater in Athen abspielten, waren furchteinflössend. Bieder gekleidete Frauen sowie Mitglieder der rechtsextremen Partei Chryssi Avgi (Goldene Morgenröte), unter ihnen mehrere Parlamentsabgeordnete, beschimpften die Zuschauer und Darsteller des Stückes Corpus Christi von Terrence McNally auf das Übelste. Rasender Höhepunkt des Spuks war ein orthodoxer Priester, der ein Kreuz schwang und wütend zusammen mit den andern randalierte. Dem Mob gelang es, die Aufführung zu verhindern – die Polizei schien nicht willens, dem Treiben Einhalt zu gebieten. Im Gegenteil, der Chryssi-Avgi-Abgeordnete Christos Pappas konnte, wie die Aufnahmen der Nachrichtensender zeigen, ungehindert einen Polizeibus betreten und einen der Festgenommenen aus dem Bus holen.

«Weimarer Verhältnisse»

Künstler und auch Journalisten zeigten sich entsetzt. Die Moderatorin der Abendnachrichten des staatlichen Senders ERT war sichtlich erschüttert, als sie über den Vorfall berichtete. Im privaten TV-Sender Skai brachte ein erregter Journalist das Zitat des von den Nationalsozialisten internierten Theologen Martin Niemöller: «Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. (. . .) Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»

Protest gegen die täglichen Übergriffe vor allem gegen Migranten durch Anhänger der rechtsradikalen Chryssi Avgi hält sich in Griechenland tatsächlich in Grenzen. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) meldete Ende August «beunruhigende Ausmasse» rassistisch motivierter Gewalt im Land. Im August wurde ein junger Iraker in Athen erstochen. Vor kurzem verletzten Rechtsradikale einen 21-jährigen griechischen Studenten ägyptischer Herkunft an der belebten Plateia Attikis so schwer, dass dieser wohl sein Augenlicht verlieren wird. Doch Chryssi Avgi, die bei den Wahlen vom Juni auf fast sieben Prozent kam und mit 18 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, kann sich in ihrem Treiben bestätigt sehen: Nach jüngsten Umfragen würde sie gar drittstärkste Kraft im Parlament.

Die wenigsten Politiker scheinen den Ernst der Lage begriffen zu haben. Zwar sprechen die Politiker der demokratischen Parteien von einer «Schande», wenn sie sich zu Chryssi Avgi äussern. Der ehemalige Vizeministerpräsident Pangalos forderte kürzlich im Radiosender Vima FM, die Partei für illegal zu erklären. Beim Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel in Athen warnte Ministerpräsident Samaras vor «Weimarer Verhältnissen». Die griechische Gesellschaft sei bedroht «durch etwas, was es in unserem Land noch nie zuvor gegeben hat: den Aufstieg einer rechtsextremistischen, man könnte auch sagen faschistischen Neonazi-Partei».

Der Vergleich mit der Weimarer Republik trifft jedoch noch in anderer Hinsicht zu, nämlich in der Unfähigkeit der Regierung und der Staatsorgane, adäquat auf die rechtsextreme Bedrohung zu reagieren. Evangelos Venizelos, der Vorsitzende der sozialistischen Pasok, die Juniorpartnerin der Koalitionsregierung ist, konzentrierte sich bei der Antwort auf die Frage dieser Zeitung, was man gegen Chryssi Avgi unternehmen könne, vornehmlich darauf, dass Griechenland die Aussengrenze mit Hilfe der Europäischen Kommission besser sichern müsse. Zudem müsse das Dublin-II-System neu verhandelt werden, welches vorsieht, dass derjenige EU-Staat für ein Asylgesuch zuständig ist, in dem der Flüchtling zuerst in die EU eingereist ist. An innenpolitischen Strategien mangelt es dagegen.

Ohnehin ist es illusorisch zu glauben, wenn nur die Migranten verschwinden, verschwände auch Chryssi Avgi. Diese ist längst nicht mehr ein Phänomen des Athener Stadtzentrums, wo viele Migranten leben und sich viele alteingesessene Einwohner vom Staat vernachlässigt fühlen, sondern ist im ganzen Land präsent.

Berichte über Polizeigewalt

Von der Polizei können sich die Opfer rassistisch motivierter Gewalt in den seltensten Fällen Hilfe erhoffen. Dass diese oft erst gar nicht anrückt oder tatenlos dabeisteht, wenn die Rechtsextremen ihre Opfer malträtieren, darüber ist inzwischen mehrmals berichtet worden. Solche Fälle sind von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch dokumentiert. Zuletzt sorgte ein Bericht des englischen «Guardian» für Aufmerksamkeit. So soll die Polizei Ende September antifaschistische Demonstranten verhaftet und über mehrere Stunden entwürdigenden Prozeduren ausgesetzt haben, die von den Anwälten der jungen Leute als Folter bezeichnet wurden. Zudem soll die Polizei gedroht haben, die Linksaktivisten Chryssi Avgi zu übergeben.

Auch Muhammad Yunous, der Vorsitzende der afghanischen Gemeinde in Athen, sieht die Gleichgültigkeit des Staates und der Polizei gegenüber den Angriffen der Rechtsextremen als Problem. Der Arzt, der seit 2001 in Griechenland lebt, sitzt in einem winzigen Büro beim Omonia-Platz. Die physische Gewalt von Chryssi Avgi sei nicht das primäre Problem, erklärt Yunous. Auch früher habe es schon Polizeigewalt gegen Migranten gegeben. «Es ist der Staat, der die Gesetze nicht umsetzt. Wenn du Anzeige erstatten willst, bedrohen sie dich.» Für die Menschen, die aus Kriegsgebieten wie Afghanistan und Somalia vor der Gewalt geflohen seien, sei dies ein dramatischer psychologischer Effekt, nun wieder hilflos der Gewalt ausgeliefert zu sein.

Die Anhänger der Chryssi Avgi führen sich mittlerweile wie ein Staat im Staate auf. So durchsuchen sie zum Beispiel Ausländer nach Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen. Im September kontrollierten sie Kleinhändler in der Hafenstadt Rafina bei Athen und in Messolongi im Westen des Landes. Auch demolierten sie Stände von Migranten. Ihre Schandtaten hielten sie auf Video fest.

Die griechische Regierung versucht Stärke zu demonstrieren, jedoch nicht indem sie gegen die rechtsextremen Kräfte vorgeht oder in den Reihen der Polizei aufräumt, sondern indem sie gegen Ausländer vorgeht. So warnte zwar der Bürgerschutzminister Dendias im August vor der «Gefahr eines sozialen Umsturzes». Doch setzte er daraufhin die unkontrollierte Migration und rassistische Gewalt gleich, die beide nicht geduldet werden könnten. Seit August sind unter dem zynischen Namen «Xenios Zeus» (Gastfreundschaft des Zeus) Aktionen im Gange, bei denen die Polizei medienwirksam Razzien im ganzen Land veranstaltet und Migranten ohne gültige Papiere verhaftet. Ohne Papiere kann in Griechenland auch heissen, dass es jemand nicht geschafft hat, einen Asylantrag zu stellen, weil die Behörden heillos überfordert sind und es oft eine Frage des Glücks oder Schmiergelds ist, in die Behörde vorzudringen. Laut dem Ministerium für öffentliche Ordnung sind bereits mehr als 2600 Migranten ohne Papiere festgenommen worden.

Warten auf die Abschiebung

Die Festgenommenen werden in die eilig dazu geschaffenen «Zentren der geschlossenen Gastfreundschaft» gebracht. Das erste und bisher grösste dieser Art wurde im Frühjahr in Amygdaleza im Norden Athens eröffnet. Eine kürzlich ausgestrahlte Reportage des griechischen Privatsenders Alpha zeigte die Zustände in Amygdaleza. Das «Zentrum der geschlossenen Gastfreundschaft» ist von einem doppelten Stacheldrahtzaun und Wachtürmen umgeben. Der Bürgerschutzminister Dendias sagte, dass das ganze Zentrum nach europäischem Standard gebaut sei und sich im Rahmen des 2010 von Griechenland und der EU-Kommission unterzeichneten nationalen Aktionsplans befinde.

Der Journalist Andonis Sroider befragte die Internierten. Bei vielen handelte es sich um Migranten, die sich sehr gut in Griechisch ausdrücken konnten, da sie seit mehreren Jahren – illegal – in Griechenland gearbeitet hatten, wie sie sagten. Auch dies ist eine weitere Facette der Problematik: Arbeiter, von denen griechische Arbeitgeber jahrelang profitieren konnten, indem sie unter anderem keine Sozialabgaben entrichteten, werden nun wie Schwerverbrecher interniert und warten auf ihre Abschiebung. Die Männer berichteten davon, wie die Polizei nachts in die Container eindringe und die Männer schikaniere. Die sanitären Anlagen funktionierten nicht, das Essen sei ungenügend.

Muhammad Yunous von der afghanischen Gemeinde weist auf ein weiteres Problem hin: Die Zahl minderjähriger Flüchtlinge, die auf sich allein gestellt seien, steige, da Väter oder andere männliche Bezugspersonen einfach auf der Strasse aufgegriffen und interniert würden. Auch Frauen, die meist kein Griechisch sprächen, blieben hilflos zurück.

Eine Anfrage bei den zuständigen Behörden, wie man auf diese Problematik zu reagieren gedenke, blieb bis heute unbeantwortet. Ebenso die Frage, ob man den Schutz der Internierten des Abschiebelagers in Paranesti im Nordosten des Landes garantieren könne. In dem Dorf wurde praktisch über Nacht eine verlassene Militärkaserne zum Internierungslager erklärt und wurden am letzten Septemberwochenende die ersten Migranten und Flüchtlinge dorthin gebracht. Am 1. Oktober kam es zu wüsten Ausschreitungen von Einwohnern und Rechtsextremen der Umgebung. Die wütenden Demonstranten versuchten, das Kasernengelände zu stürmen. Die aus Thessaloniki beorderte Sonderpolizei setzte Tränengas ein.

Im Nordosten Griechenlands lebt zudem auch die autochthone muslimische Bevölkerung. In Dörfern mit gemischter christlicher und muslimischer Bevölkerung sei es zu Einschüchterungen durch Rechtsextreme gekommen, sagt die Redaktorin Eleni Diafonidou der Lokalzeitung «Embros in Xanthi». Kürzlich wurde ein muslimischer Lehrer, der Mitglied der antirassistischen Bewegung «Schafft den Rassismus ab» in Xanthi ist, von Rechtsextremisten zusammengeschlagen.

Hoffnungsschimmer

Doch es gibt auch ein wenig Hoffnung. Ende September fand in Athen ein antirassistisches Fest statt, das unter anderem von der Bewegung «Schafft den Rassismus ab» organisiert wurde. Dort schilderten die Lehrerin Anna Zogaki und ein Schüler von der «Initiative gegen Faschismus und rassistische Gewalt Kallithea», wie sich die Mitglieder gegen braunes Gedankengut zur Wehr setzten. Im Athener Stadtteil Kallithea war es seit dem Frühjahr 2011 vermehrt zu rassistischen Übergriffen gekommen, Gebetsräume von Muslimen wurden angezündet, die Übergriffe hatten sich im Winter verschärft, vor allem Ägypter wurden angegriffen. Durch Aufklärungsarbeit und Präsenz gelang es den Mitgliedern der Initiative, die Rechtsextremen aus Kallithea zu verdrängen. Solchen Mut und Einsatz wünscht man sich auch von den Politikern des Landes.

Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/international/griechenlands-schande-1.17699383

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