Wo sich Patrioten treffen, sind Nazis nicht weit. Das gilt auch für die Schweiz. Dort nehmen Rechtsextreme nationale Gedenktage zum Anlass für Aufmärsche. Ob sie auch in diesem Jahr in Sempach auftauchen werden, ist allerdings noch ungewiss.
Bald ist wieder »Schlachtjahrzeit«. Dann wird in der Schweiz der in der Schlacht gegen die Habsburger gefallenen Eidgenossen gedacht. An einen Mann wird ganz besonders erinnert: Der Legende nach soll Arnold von Winkelried am 9. Juli 1386 bei der Schlacht im luzernischen Sempach in patriotischer Selbstaufopferung den Eidgenossen eine Bresche geschlagen und ihnen so den Sieg über die Habsburger ermöglicht haben. Sein Tod gilt daher als Schlüsselereignis auf dem Weg in die Schweizer Unabhängigkeit. Auch wenn zeitgenössische Quellen das Geschehen nicht belegen, findet in Sempach alljährlich Ende Juni eine Gedenkfeier für den Märtyrer in nationaler Sache statt, mit einem Marsch zur »Schlachtkapelle« und zum Winkelried-Denkmal. In diesem Jahr findet der Festakt am Sonntag, dem 1. Juli, statt.
Seit 2003 beteiligen sich auch eindeutig erkennbare Rechtsextreme am Gedenken in Sempach. So riefen etwa einschlägige Organisationen wie die Partei national orientierter Schweizer (PNOS) zur Teilnahme auf, legten Nazis nach dem offiziellen Umzug ihren eigenen Kranz nieder, sangen die alte Nationalhymne, hielten eine Rede und verteilten Flugblätter. Der Kanton Luzern, welcher die Gedenkfeier ausrichtet, duldete dies mit der Begründung, solange die Rechtsextremen nicht störten, würden sie nicht als Problem angesehen. Dies galt auch im Jahr 2008, als Nazis etwa ein Viertel der rund 1 000 Besucherinnen und Besucher ausmachten.
Im Jahr 2009 meldeten die Jungsozialisten eine Kundgebung an, die auch genehmigt wurde. Etwa 100 Menschen protestierten unter dem Motto »Bunt statt braun« gegen die Teilnahme Rechtsextremer an den Feierlichkeiten. Wie die Jusos jedoch betonten, war es »nicht Ziel unserer Kundgebung, die Schlachtfeier an sich zu kritisieren«, an dem patriotischen Treiben im Gedenken an den eidgenössischen Märtyrer hatten sie also nichts auszusetzen. Ein großes Polizeiaufgebot verhinderte ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppen. Etwa 250 Rechtsextreme marschierten aber dennoch ohne behördliche Genehmigung zum »Schlachtfeld«. Die Gegendemonstranten wurden von der Kantonspolizei unter dem Vorwand eingekesselt, einige hätten gegen das Vermummungsverbot verstoßen.
Das Gedenken wurde zum Politikum. Es folgte eine parlamentarische Auseinandersetzung im Kanton Luzern, auf Podiumsdiskussionen wurde über ein neues Konzept für die Gedenkfeier diskutiert. Anfang 2010 teilte der Kanton Luzern mit, er werde das Konzept der »Schlachtfeier« überdenken, vor allem weil das 625-Jahr-Jubiläum bevorstehe. Im Juni 2010 lud der Kanton dann lediglich zu einem schlichten Gottesdienst. Die Rechtsextremen marschierten trotzdem auf.
2011 blieben sie den offiziellen Feierlichkeiten zwar fern, bei denen es keinen Marsch, dafür aber ein Mittelalterfest gab. Die PNOS meldete aber eine Demonstration für Anfang Juli an, 120 Personen fanden sich zu einem Marsch zum historischen Schlachtfeld ein. Trotz der Ankündigung von Antifaschisten, den Naziaufmarsch verhindern zu wollen, kam es zu keinen Zusammenstößen.
Nach Aussage des Journalisten Hans Stutz, einem Beobachter der rechtsextremen Szene in der Schweiz, gibt es jedoch bislang keine Hinweise auf einen Naziaufmarsch in diesem Jahr. Auf Anfrage teilte das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kanton Luzern Mitte Juni schriftlich mit: »Von einem Gesuch seitens der PNOS ist uns nichts bekannt.« Somit würden die Rechtsextremen erstmals seit 2003 den Feierlichkeiten in Sempach fernbleiben. Stutz hat dafür auch eine Erklärung: »In der Deutschschweiz dümpelt die rechtsextreme Szene eklatant dahin. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Jahr nichts stattfindet.«
Völlig untätig war sie jedoch nicht. Die Stiftung gegen Rassismus und Ausgrenzung führt in ihrer bisherigen Chronologie für 2012 drei rechtsextreme Treffen und Aufmärsche in der Schweiz auf: ein Konzert der Band »Indiziert« mit 250 Besuchern im Januar, die Generalversammlung der PNOS mit 25 Teilnehmern im März und einen Aufmarsch in der Gemeinde Hombrechtikon im Kanton Zürich am 13. Februar.
Dort zogen etwa 60 Rechtsextreme bei einer nicht genehmigten Demonstration mit Fackeln durch den Ort mit seinen 8 000 Einwohnern. Sie trugen ein Transparent mit der Aufschrift »Kein Vergeben. Kein Vergessen. 13. Februar 1945« und erinnerten damit an den alliierten Bombenangriff auf die Stadt Dresden, der Nazis als Kriegsverbrechen gilt. Schon 2011 bekundeten Schweizer Nazis mit einem vielbeachteten Aufmarsch ihre Anteilnahme an der deutschen Sache. In Genf liefen ein Dutzend Mitglieder der Gruppe »Genève Non Conforme« durch die Altstadt und ließen über einen Lautsprecher eine Flugabwehrsirene ertönen. Für Stutz sind diese Solidaritätsbekundungen relativ neue Erscheinungen. Es sei schwer abzuschätzen, wie es mit ihnen weitergeht.
Um geschichtsträchtige Anlässe für öffentliche Auftritte zu finden, müssen Schweizer Nazis ohnehin nicht nach Deutschland blicken. Seit 1996 pilgern auch sie – lediglich mit zwei Unterbrechungen 1998 und 2001 – immer am Nationalfeiertag, dem 1. August, auf das Rütli, eine Bergwiese in der Gemeinde Seelisberg, wo die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft die Bundesfeier veranstaltet. Seit 2003 nehmen sie an den Feierlichkeiten in Sempach teil. In den vergangenen zwei Jahren beteiligten sie sich an den Feiern für die Schlacht am Morgarten und die Näfelser Fahrt, zwei weiteren patriotischen Gedenkveranstaltungen. Dass solche Anlässe Nazis anziehen, ist nicht verwunderlich. Dort versuchen diese, Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Ideologie zu verbreiten.
2005 gingen sie dabei auf dem Rütli zu weit. Sie störten die Rede des Bundesrats Samuel Schmid von der Schweizerischen Volkspartei und versuchten sogar, ihn niederzuschreien. Im folgenden Jahr wurde ein Ticketsystem mit Ausweiskontrolle eingeführt, deshalb beteiligten sich die Rechtsextremen seither immer zahlreicher an den offiziellen Feierlichkeiten in Sempach. Ihre Aufmärsche in Näfels und Morgarten finden hingegen abseits der offiziellen Veranstaltungen statt. Dementsprechend erhalten sie weniger Beachtung. Auf dem Rütli veranstalten die Rechtsextremen seit 2007 ihre eigene Nationalfeier. Bis zu 300 Teilnehmer pilgern dann auf die Bergwiese.