Millionen Menschen beteiligten sich am Generalstreik in Spanien gegen neue Arbeitsmarktreformen der rechten Volkspartei.
Die zwei größten Gewerkschaftsverbände, die Union General de Trabajadores (UGT, Allgemeine Arbeiterunion), die mit der Sozialistischen Partei (PSOE) verbündet ist, und die Comisiones Obreras (CC.OO, Arbeiterkommissionen), die mit der Kommunistischen Partei (PCE) verbündet ist, schätzten, dass sich 77-80 Prozent aller Beschäftigten am Streik beteiligten. Viele andere – Arbeitslose, Schüler, Hausfrauen und Studenten – nutzten sie als Anlass, gegen Kürzungen und Sparmaßnahmen zu protestieren.
In der Industrie, im Verkehrswesen und dem Dienstleistungssektor kam es zu massiven Arbeitsniederlegungen. Straßenverkehr, Schienennetz und Luftfahrt waren von Streiks betroffen, es gab kaum Flüge im Inland und ins europäische Ausland.
Nissan, Seat, Ficosa o Valeo und das petrochemische Werk in Tarragona wurden lahmgelegt, ebenso Yamaha und Derbi o Panrico. Das Werk von PSA Peugeot Citroen nahm den Betrieb mit nur zehn Prozent der Belegschaft auf. In Navarra standen unter anderem die Werke von Volkswagen, FCC Logistica, Human Koxka, TRW und Kybse o Dana still. Auch im Raum Madrid standen Fabriken still, ebenso Industrie, Häfen und Werften in Galizien.
Obwohl sich die Gewerkschaften bereit erklärt hatten, 30 bis 35 Prozent des Verkehrs beizubehalten, bildeten sich in allen Städten riesige Schlangen. Laut den Gewerkschaften unterstützten 91 Prozent der Beschäftigten die Streiks im Bahnverkehr.
Etwa 30 Prozent der Bankangestellten streikten. Die großen Geschäfte, wie El Corte Ingles, öffneten unter schwerem Polizeischutz, aber es kamen nur wenige Kunden. Die Müllabfuhr stellte in der Nacht zuvor den Dienst ein, und obwohl man sich auf eine Minimalversorgung einigte, blieben die meisten Müllcontainer voll.
Krankenhäuser konnten eine Minimalversorgung aufrechterhalten, aber in vielen kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikenden und Streikbrechern. Öffentliche Gebäude standen unter schwerem Polizeischutz.
An Universitäten gab es große Ausstände. Büchereien blieben geschlossen. Studenten riefen zur Einigkeit mit den Arbeitern auf und trugen Transparente, auf denen stand: „Bildung, ruhe in Frieden.“ Massen von Arbeitern und Jugendlichen waren auf den Straßen, der Verkehr auf den Hauptstraßen kam zum Erliegen.
Insgesamt fanden im ganzen Land 111 Demonstrationen und Kundgebungen statt.
Die Polizeipräsenz war hoch. Durch Angriffe der Polizei auf Streikende kam es zu Dutzenden von Verhaftungen und Verletzten.
Sprecher der Gewerkschaften berichteten von „Einschüchterungsversuchen“, „Provokationen durch die Polizei“ und „ungerechtfertigten Aggressionen.“ Juan Jose Couso Ferreira, der 64-jährige UGT-Sekretär für Ausbildung und Arbeit, musste sich wegen Verletzungen an Augenbrauen, Nase und Arm behandeln lassen. Um sechs Uhr morgens wurde ein Kameramann verhaftet. Es existieren Aufnahmen von einem Angriff auf einen Mann in einem Elektrorollstuhl.
Die neuen Arbeitsmarktreformen gehen noch weiter und tiefer als die, die von der PSOE und den Gewerkschaften im September 2010 durchgesetzt wurden. Der Widerstand gegen diese Reformen zwang die Gewerkschaften auch dazu, zum Generalstreik aufzurufen. Viele der Reformen sind bereits in Kraft, da die Regierung sie im Februar per Erlass einseitig eingeführt hat.
Alle Arbeiter müssen früher oder später einen Vertrag unterschreiben, in dem die Abfindung bei ungerechtfertigter Entlassung auf 33 Tageslöhne pro Beschäftigungsjahr begrenzt wird, mit einem Limit von 24 Monaten. Bisher waren es 45 Tageslöhne mit einem Limit von 42 Monaten gewesen. Wenn die Entlassung aus „Einsparungsgründen“ erfolgt, müssen Unternehmen nur 20 Tageslöhne zahlen.
Den Unternehmen wird die Möglichkeit gegeben, die Arbeitszeiten zu senken, ohne dies dem Arbeitsamt melden zu müssen, Arbeitsplätze abzubauen oder sie in andere Städte zu verlegen. Registrierte Arbeitslose, die Leistungen erhalten, müssen „gemeinnützige Arbeiten“ im Einverständnis mit der öffentlichen Verwaltung erledigen.
Jugendliche werden in billige Praktikumsverträge gezwungen. Sie können bis zum 30. Lebensjahr von einem Maßnahme in die nächste gezwungen werden.
Das Gesetz untergräbt die nationalen Tarifvereinbarungen und erlaubt Firmentarifverträge. Das Parlament hat den Arbeitsmarktreformen bereits zugestimmt und der Senat stimmte gestern während des Generalstreiks zu.
Heute wird der Haushaltsplan vorgelegt, wobei mit weiteren und noch schwereren Sparmaßnahmen gerechnet wird.
Trotz der massiven Reaktion und Kampfbereitschaft der spanischen Arbeiter betonen die Gewerkschaften, sie wollten nur Veränderungen und Zugeständnisse von der Regierung und würden ihnen dabei helfen, die Maßnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse umzusetzen.
Der Chef der UGT, Candido Mendez, sagte: „Wir streiken, weil wir den Streik mit der Debatte im Parlament verbinden müssen, in der es jetzt um Zusätze geht. Der Generalstreik ist nicht das Ziel, sondern ein Mittel zur Korrektur.“
Der Chef der CC.OO, Ignacio Fernandez Toxo, verteidigte die Zusammenarbeit der Gewerkschaften bei den Angriffen auf die spanischen Arbeiter: „Das Land braucht mehr Kompromisse, aber ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass jemand der UGT und den CC.OO den Vorwurf machen kann, dass wir nicht unser bestes getan haben,“ sagte er.
Toxo erklärte zu den früheren Verrätereien: „Mitten in der tiefsten und längsten Krise der spanischen Gesellschaft seit Jahrzehnten haben wir drei Vereinbarungen unterzeichnet, die nicht ausreichend gewürdigt wurden. Wir haben im Januar das Tarifabkommen von 2010 verlängert und seinen Inhalt korrigiert, während es noch in Kraft war. Wir haben auch ein Abkommen zu den Renten geschlossen, wie es sonst nirgendwo in Europa existiert. Wir haben 2011 vor der Wahl z.B. Vorschläge für eine progressive Finanzreform gemacht…“
Mendez fügte hinzu: „Wenn wir nicht mehr Abkommen geschlossen haben, dann, weil sie keine mit uns schließen wollten. Wir haben während der Krise drei Abkommen geschlossen und zwei Treffer geführt; drei zu zwei.“
Gestern erklärte er auf einer Pressekonferenz: „Wir müssen einen Kompromiss mit der Regierung suchen, damit wir nicht in die entgegengesetzte Richtung marschieren.“
Toxo sagte weiter: „Sie haben uns zum Generalstreik gezwungen, ich hoffe, das wird ausreichen.“
Die PSOE-Fraktion veröffentlichte ein Statement, in dem sie den Streik unterstützte, aber vor allem die PP kritisierte, weil sie nicht mit den Gewerkschaften verhandeln wollte.
Arbeitsministerin Fatima Banez antwortete, die Regierung sei für Verbesserungsvorschläge zu den Gesetzen offen, aber an den Reformen werde nichts geändert, egal ob gestreikt werde oder nicht. Über die das brutale Vorgehen der Polizei sagte sie, die Regierung sei gewählt worden, um die Rechte derer zu schützen, die streiken wollen, und die derjenigen, die arbeiten wollen.
Die Madrider Abgeordnete Cristina Cifuentes erklärte, es gäbe „drei Gruppen mit etwa eintausend Menschen, die versuchen, im Stadtgebiet Randale zu machen. Sie werden von der Polizei kontrolliert.“
Die PP hat diese Woche bei zwei Regionalwahlen große Rückschläge erlitten. Premierminister Mariano Rajoy wurde von der Europäischen Union kritisiert, weil er die Kürzungen angeblich nicht entschlossen genug umsetze. Rajoy hatte gehofft, eine große Mehrheit in der größten Region, in Andalusien, würde ihm wieder die Möglichkeit geben, zu sagen, seine neuen Sparpläne würden von der Bevölkerung unterstützt. Aber trotz des Rückschlags hat er den Befehl, die Angriffe auf die Arbeiter zu verstärken. Die EU wird im April Vertreter schicken, um sicherzustellen, dass er nach dem Streik nicht zurückrudert.
Bei Streiks in Athen am gleichen Tag zogen tausende von Demonstranten, darunter Ärzte, Pflege- und Verwaltungspersonal zum griechischen Parlament.