Am 13. September 2022 zwischen 18:00 und 18:30 verliess Jina Mahsa Amini die U-Bahn mit ihren drei Begleiter*innen, als sie von der iranischen Sittenpolizei wegen angeblich «unislamischer Kleidung» angehalten wurde. Unter Protest wurde sie gewaltsam festgenommen ihrem ebenfalls protestierenden Bruder, der sie begleitete, wurde mitgeteilt, dass Mahsa eine „Erziehungs- und Orientierungs-Lektion“ erhalten und nach einer Stunde freigelassen würde. Dazu sollte es aber nie kommen.
Ihre drei Begleiter*innen folgten dem Polizeiwagen zur Vozava Polizeistation, wo sie 2 Stunden auf Mahsa wartete. Nach ihren Angaben hörten sie und andere beim Warten Schreie aus der Wache. Viele Frauen, die das Gebäude verliessen, erklärten: „Die haben da drin jemanden umgebracht.“ Nach anderen Angaben sagten sie: „Sie haben sie [Jina Mahsa Amini] getötet.“
Später freigegebene Überwachungsvideos zeigen, wie Jina mit anderen Frauen aus einem Polizeibus stieg und die Stufen zur Polizeiwache hinaufgeführt wurde. Dort saß sie eine Weile in einem Warteraum, stand dann auf, sprach eine Polizistin an und zeigte ihr ihren langen Umhang. Um 7:56 Uhr legte sie ihre Hände auf ihren Kopf, streckte sich kurz und brach dann zusammen.
Nach ihrem Kollaps kam ein Krankenwagen und brachte sie in das Kasra-Krankenhaus in Teheran. Laut ihrem Cousin brauchte der Krankenwagen 30 Minuten bis zur Polizeiwache und nochmals anderthalb Stunden bis zum Krankenhaus. Nach einem Krankenhausbericht erlitt Jina Amini ein Schädel-Hirn-Trauma und war schon bei der Ankunft medizinisch tot. Sie lag noch zweieinhalb Tage lang im Koma, bis sie am 16. September 2022 offiziell für tot erklärt wurde.
Am 21. September 2022 wäre sie 23 Jahre alt geworden
Jina ist Mahsas kurdischer Name, der im Iran verboten ist, dennoch kannten sie alle nur unter dem Namen Jina, weshalb auch wir sie im weiteren Verlauf Jina nennen, werden.
Jina wollte ein unabhängiges Leben nach eigenen Entscheidungen. Verwandte beschrieben sie als scheu, freundlich, hilfsbereit gegenüber Gästen, immer lächelnd und voller Begeisterung und Energie. Genau wie viele andere iranische Frauen lehnte sie die stattliche Hidschab Pflicht ab. Neben Mode liebte sie Musik, Tanz, Reisen, Kunst und Literatur.
Jinas Tod löste im Iran die heftigsten Proteste seit dem Machtantritt des Regimes 1979 und eine unfassbare Welle der Repression aus. Bis zum 8. Dezember 2022 registrierte die Menschenrechtsorganisation HRANA 481 namentlich bekannte sowie etwa 130 unbekannte Todesopfer der Proteste im Iran ab September 2022.
Während die Proteste im Iran für mehr Frauenrechte und gegen das Regime anhalten, ist die internationale Aufmerksamkeit schon lange abgerückt. Im Iran sind Todesstrafen nach unfairen Prozessen so wie Folter und sexuelle Gewalt an der Tagesordnung. Das Regime klammert sich mit allen Mitteln an die Macht und hat es dabei vor allem auf ethnische Minderheiten abgesehen.
Wir fordern die internationale Zivilgesellschaft dazu auf, ihr unbedingte Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Lasst uns dafür und in Solidarität mit der protestierenden Bevölkerung im Iran, ein Jahr nach Jinas offiziellem Tod in Luzern auf die Strasse gehen
Wir stellen uns gemeinsam gegen Rassismus, Kolonialismus und die Klimakatastrophen. Eine unvollständige Übersicht: Der Globale Norden und Konzerne profitieren von der Ausbeutung von Menschen und Ökosystemen und befeuern die Klimakrise. Folge davon sind zunehmende Umweltkatastrophen und Konflikte, welche Millionen von Menschen zur Flucht zwingen. Unzählige Menschen sterben auf der Flucht. Überlebende Migrant*innen erwarten meist menschenfeindliche Asylprozesse und strukturelle Isolation. Das Camp steht für Klimagerechtigkeit und Bewegungsfreiheit für alle. Komm vorbei! www.climatejustice.ch. https://t.me/resitantsummercampbasel
Im Dezember 2017 wurde der Anarchist und Antifaschist Rodrigo Lanza in einer Bar in Saragossa von einem stadtbekannten Neonazi angegriffen. Unter Todesangst wehrte er sich und schlug den Neonazi zu Boden. Wenige Tage nach der Auseinandersetzung erlag dieser seinen Verletzungen. Fünf Jahre später wird Rodrigo zu drakonischen 18,5 Jahren Haft verurteilt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die staatliche Repression und rechte Medienhetze gegen Antifaschist:innen in Spanien. Aber die Geschichte von Rodrigo und seinen Leidensgenoss:innen beginnt lange vor jener fatalen nächtlichen Begegnung in Saragossa: Sie reicht bis ins Jahr 2006 zurück. Ein Resümee in elf Akten.
Im Altstadtviertel Ribera in Barcelona spielte sich ab den 1990er Jahren ein Konflikt ab, der typisch für den modernen kapitalistischen Urbanismus ist. Im Rahmen von Gentrifizierungsprozessen werden innerstädtische Viertel mit Altbaubestand aufgewertet. Meistens sind es Immobilienunternehmen, doch in diesem Fall ist es der Staat, der sich Land und Wohnobjekte sichern möchte und die proletarischen Viertelbewohner:innen verdrängt. Trotz vehementer Kritik der Einwohner:innen hat er im Jahr 1997 die ersten Wohnungen im Zentrum des Ribera-Viertels aufgekauft und abgerissen. Es entstand eine Leerfläche von etwa sechstausend Quadratmetern. Der beim Abriss entstandene Bauschutt wurde von den Behörden über Wochen liegengelassen, was der Leerfläche den Namen «Forat de la Vergonya» («Schandfleck») einbrachte.
Erst im Jahr 2000 war definitiv klar, was auf der Leerfläche entstehen soll: eine Tiefgarage und ein Sportzentrum. In der Nachbarschaft formierte sich alsbald Widerstand: Das Nachbarschaftskollektiv «Colectivo del Forat» verband sich mit Leuten aus der Hausbesetzer:innenbewegung, die Anfang der 2000er Jahre angefangen hatte, Häuser im Viertel zu besetzen. Gemeinsam besetzten sie die Leerfläche und erschufen einen kollektiven Garten und Begegnungsort. Was folgte, war ein jahrelanger Konflikt zwischen den Behörden auf der einen und den Quartierbewohner:innen und Hausbesetzer:innen auf der anderen Seite. Im Jahr 2002 zerstörte ein grosses Polizeiaufgebot den Garten und umzäunte ihn. Wenige Tage später wurde der Zaun während einer Demonstration wieder abgerissen und der «Schandfleck» erneut kollektiviert. Daraufhin liessen die Behörden über mehrere Jahre von ihren Plänen ab und die Einwohner:innen konnten die Fläche entsprechend ihren Vorstellungen gestalten.
Der «Schandfleck» im Stadtteil «La Ribera» in Barcelona
II. Die Stimmung kippt
Im Jahr 2006 hatten die Behörden ihre Pläne für den Bau einer Tiefgarage und eines Sportzentrums bereits aufgegeben. Dennoch sollte der «Schandfleck» im Rahmen eines Stadterneuerungsprogramms für verarmte Gegenden umgebaut werden. Die von den Behörden propagierte Bürger:innenbeteiligung für das Erneuerungsprojekt versprach den Quartierbewohner:innen, den Umbau mitzugestalten. Das führte zu einer Spaltung in der Nachbarschaft, denn nicht alle waren mit dem Vorhaben der Behörden einverstanden, einen Park zu errichten, der den kollektiv verwaltete Bewegungsort und Garten ersetzen sollte. Zudem misstrauten einige Gruppen ‒ unter anderem auch das «Colectivo del Forat», das massgeblich an der kollektiven Aneignung des «Schandflecks» beteiligt war – der Bürger:innenbeteiligung. Es war daher kaum verwunderlich, dass eine Demonstration im Viertel organisiert wurde, sobald die ersten Bagger eintrafen. Die über Jahre angestaute Wut war nicht mehr zu bändigen. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und die lokalen Medien hatten die Verantwortlichen dafür schnell gefunden: die Hausbesetzer:innen. Die im Viertel bereits angespannte Stimmung heizte sich weiter an, als ein Squat in der Nähe des «Schandflecks» geräumt werden sollte. Dessen Räumung sollte langwierige und unerwartete Konsequenzen mit sich bringen.
III. Die verheerende Räumung
Am 4. Februar 2006, am Abend der Räumung der mehrstöckigen Besetzung «Anarko Peña Cultural», organisierten deren Bewohner:innen ein grosse Party mit etwa tausend Leuten. Als die Polizei anrückte, kam es zu Ausschreitungen. Im Zuge dessen wurden Pflanzentöpfe aus den oberen Stöcken des Gebäudes geworfen. Ein Polizist, der ohne Helm aufgerückt war, wurde dabei schwer verletzt. Er ist seither querschnittgelähmt.
Rodrigo, Alex und Juan, alle drei Südamerikaner mit europäischen Pässen in ihren Zwanzigern, waren gegen 6 Uhr morgens auf dem Nachhauseweg, als sie in eine Menschenmenge vor der Besetzung gerieten, die von der Polizei attackiert wurde. Sie wurden im ganzen Durcheinander verhaftet und so brutal mit Schlägen traktiert, dass sie von der Polizei noch am selben Morgen in ein Spital gebracht werden mussten. Einem der drei jungen Männer wurde die Hand dermassen zertrümmert, dass er später eine Operation benötigte. Vier weitere Leute wurden ebenfalls am selben Ort verhaftet.
IV. Eine queere Poetin auf dem Fahrrad
Patricia «Patri» Heras, eine queere Aktivist:in und Poetin mit einer Faszination für Comics arbeitete als Bartender und war an jenem Abend in Trinklaune. Etwa zur selben Zeit, als es vor dem besetzten Haus zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, befanden sich Patri und ihr Freund Alfredo an einem anderen Ort der Stadt und entschieden sich dafür, ihren Trinkabend zu beenden. Betrunken stiegen sie aufs Fahrrad und wenig später befanden sie sich aufgrund eines Sturzes in einer Ambulanz auf dem Weg ins Spital. Dort begegneten sie Rodrigo, Alex und Juan, die nach der Prügelattacke der Polizei ebenfalls behandelt werden mussten.
Da Patris Aussehen einem subkulturellen, alternativen Kleidungsstil entsprach, entschlossen sich die anwesenden Polizist:innen, sie und ihren Freund Alfredo ebenfalls zu verhaften. Sie durchsuchten Patris Handy und stiessen auf angeblich suspekte Nachrichten, die beweisen sollten, dass sie an den Auseinandersetzungen im Zuge der Räumung beteiligt war. Patri und Alfredo wurden statt aus dem Spital entlassen, zusammen mit Rodrigo, Alex und Juan in ein Polizeiauto gebracht. Wenig später erfuhren sie, dass sie verdächtigt wurden, für die schweren Verletzungen des querschnittgelähmten Polizisten verantwortlich zu sein.
V. Folter und Falschbeschuldigungen
Auch Rodrigo, Alex und Juan wussten zunächst nicht, was ihnen vorgeworfen wurde. Rodrigo erfuhr es erst, als vermummte Polizisten ihn verhörten und folterten. Auf der Polizeistation wurde er zunächst verprügelt, bevor er an Armen und Beinen gepackt und gestreckt wurde während ein Polizist ihn würgte. Die anderen zwei Verhafteten mussten Morddrohungen und rassistische Beleidigungen über sich ergehen lassen. Nach dem «Verhör» wurden sie zur Ermittlungsrichterin Carmen García Martínez gebracht, die nicht daran interessiert war, was den jungen Männern widerfahren war. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie des versuchten Mords bezichtigt wurden, was mit bis zu 25 Jahren geahndet werden kann. Die drei jungen Südamerikaner mussten zwei Jahre in Untersuchungshaft. Die anderen sechs Angeklagten, fünf Spanier:innen und eine Deutsche, konnten in Freiheit auf den Prozess warten. Als Grund gab die Ermittlungsrichterin García Martínez an, dass bei Rodrigo, Alex und Juan Fluchtgefahr bestand.
Interview mit Rodrigo (2009)
Während des Prozesses wurde behauptet, dass der querschnittgelähmte Polizist von einem Stein getroffen worden sei, den einer der drei Südamerikaner von der Strasse aus geworfen habe, obwohl es Videos gibt, auf denen zu sehen ist, wie aus dem Gebäude heraus Pflanzentöpfe auf die Polizisten geworfen wurden. Von der Verteidigung beauftragte Gerichtsmediziner:innen haben bestätigt: Die Schädelfraktur des Polizisten kann nur von einem Wurf aus der Höhe passiert sein. Selbst der damalige Bürgermeister hatte kurz nach dem Vorfall davon gesprochen, dass er einen Bericht erhalten habe, in dem davon die Rede gewesen sei, dass ein Pflanzentopf aus einem Balkon auf den verletzten Polizisten geworfen worden sei. Er zog jedoch wenig später seine Aussage zurück und durfte vor Gericht nicht befragt werden. Indes wurden weder DNA-Spuren noch Fingerabdrücke der drei Angeklagten auf einem der Steine – die angeblichen Tatwaffen – gefunden. Lediglich die Aussagen der Polizisten Bakari Samyang und Víctor Bayona, die massgeblich an der Folter, den Schikanen und den Misshandlungen während den Verhaftungen beteiligt waren, wurden als Beweismittel herangezogen. Beide wurden wenige Jahre später in einem anderen Fall wegen schwerer Folter und dem Vortäuschen einer Straftat verurteilt.
Nach einem langen juristischen Prozess wurden schliesslich alle Angeklagten im sogenannten Fall «4F» (4. Februar) zu Freiheitsstrafen verurteilt. Nach einem Revisionsverfahren 2009 wurden die Strafen sogar erhöht. Die Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen zwischen 2,5 und fünf Jahren. Rodrigo erhielt die höchste Strafe.
Rodrigo Lanza nach dem Absitzen seiner ersten Gefängnisstrafe. Quelle: revistacontrahistoria.blogspot.com
VI. Patris Tod
Patri wurde zu 3,5 Jahren Haft verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, während der Auseinandersetzungen vor dem besetzten Haus einen Zaun auf die Polizei geworfen zu haben. Nach einigen Monaten im Gefängnis wurde ihre Strafe in Halbgefangenschaft umgewandelt. Doch der ganze Prozess und die falschen Beschuldigungen – sie war während der Auseinandersetzungen im Jahr 2006 gar nicht vor Ort und wurde, wie die anderen Verurteilten, lediglich aufgrund äusserlicher Merkmale verhaftet – hatten ihre Spuren hinterlassen. In einem Blog publizierte sie regelmässig ihre Poesie und beschrieb in einem langen Post auch detailliert, was an jenem Abend geschehen war und wie ungerecht und absurd die ganze Situation ist. Es gelang ihr jedoch nicht, ihre Ohnmacht und Trauer zu verarbeiten. Am 26. April 2011 beging sie Selbstmord, indem sie sich aus dem 7. Stock ihres Wohnhauses stürzte. Ihre engsten Freund:innen hatten kurz zuvor Abschiedsnachrichten erhalten, in dem sie unter anderem die Falschbeschuldigungen beklagte.
Patricia «Patri» Heras (rechts) ✝ 26. April 2011
Demo nach dem Suizid von Patricia Heras. Quelle: Diagonal el Periodico
VII. Eine tote Stadt
Der Tod von Patri entzündete die Wut vieler Menschen und es kam zu einem langwierigen Kampf, um den Fall sichtbar zu machen und Patri zu gedenken. Freund:innen und Soligruppen organisierten unzählige Infoveranstaltungen und Demonstrationen, während Rodri, Alex und Juan, die immer noch im Gefängnis waren, zusammen mit Rodris Mutter in einen Hungerstreik traten. Dennoch interessierten sich die grossen Medienhäuser und die Politiker:innen kaum für den Fall. Die Guardia Urbana, die Stadtpolizei von Barcelona, hat indes nichts zu befürchten, obwohl sie seit langem dafür bekannt ist, Sexarbeiter:innen, Migrant:innen und Leute aus der «alternativen Szene» zu schikanieren, zu misshandeln und zu foltern. Erst als im Jahr 2013 der Dokumentarfilm «Ciutat Morta» (Tote Stadt) über die «4F» ausgestrahlt wurde, bekam der Fall Bekanntheit – in ganz Spanien, insbesondere jedoch in Katalonien. Zur Premiere des Films besetzten am 8. Juni 2013 achthundert Menschen das elf Jahre zuvor geschlossene Kino «Palacio del Cine de Vía Layetana» und tauften es in «Cinema Patricia Heras» um.
Solidemo in Barcelona (Jahr unbekannt). «Freiheit für die Gefangenen. Solidarität mit Juan, Mariana, Rodri und Alex im Hungerstreik»
VIII. Von Bar zu Bar
Im Dezember 2017 war der als «4F» bekannte Fall in der Öffentlichkeit praktisch in Vergessenheit geraten. Der Name Rodrigo Lanza sollte jedoch bald in aller Munde sein und seine Verurteilung im Fall «4F» war gefundenes Fressen für konservative und rechte Journalist:innen und Meinungsmacher:innen. Was war geschehen? Rodrigo war im Dezember 2017 in Saragossa bis tief in die Nacht mit drei Freund:innen in verschiedenen Bars unterwegs. Wie er später erzählte, hatte er an jenem Abend zu viel getrunken. In einer der Bars trafen die vier Freund:innen auf den Neonazi Víctor Laínez. Was dann genau geschah, ist unklar, es gibt verschiedene Versionen. Laut Rodrigo und seinen Freund:innen kam es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung, weil Rodrigo von Laínez aufgrund seiner südamerikanischer Herkunft rassistisch beleidigt wurde. Aus Angst, Laínez könnte seine Nazi-Kameraden mobilisieren, versuchten die vier Freund:innen daraufhin die Bar möglichst schnell wieder zu verlassen. Dabei wurde Rodrigo vom Faschisten mit einem Messer angegriffen. Panisch versuchte er sich mit Schlägen und Tritten zu wehren. Einer seiner Schläge brachte den 120 Kilogramm schweren Laínez zu Boden. Er schlug mit dem Kopf auf und vier Tage später erlag er seinen Verletzungen.
Der Faschist Victor Laínez (links) mit zwei Kumpanen
IX. Das Monster und das Unschuldslamm
Die Medien stürzten sich nach dem Tod von Laínez auf den Fall und Rodrigo wurde aufgrund der Geschehnisse im Fall «4F» und seiner mehr als fragwürdigen Verurteilung als skrupelloser, ideologisch verblendeter und gewalttätiger Wiederholungstäter dargestellt, während Laínez als sympathischer Nachbar und Familienvater von nebenan porträtiert wurde. Dass er ein gefährlicher und stadtbekannter Neonazi war, der seit den 1980er Jahren Mitglied der «Falange Española de las JONS» war, einer 1934 gegründeten faschistischen Partei, schien niemanden zu interessieren. Der Fall wurde als «Verbrechen der Hosenträger» bekannt, da angeblich die Hosenträger in den Farben der spanischen Nationalflagge der Grund für den Angriff von Rodrigo auf Laínez gewesen sein sollen. Zudem zitierten rechtsgerichtete Medien Aussagen von Rodrigo im Dokumentarfilm «Ciutat Morta», um zu zeigen, dass er angeblich ziellos und aus purem Hass eine unschuldige Person umgebracht hätte. Angesprochen auf seine Verhaftung und die Falschbeschuldigung, sagte Rodrigo in Bezug auf das Rechtssystem unter anderem: «Ich suche nach Rache, das sage ich ganz klar. […] Ich glaube heute mehr denn je an die rechtmässige Selbstverteidigung, an den Antifaschismus, an meine Brüder und Schwestern auf den Strassen, an meine Familie, an meine Prinzipien».
X. Fünf, achtzehn, zwanzig Jahre?
Rodrigo wurde einige Tage nach dem Vorfall verhaftet und 2019 in einem ersten Prozess der schweren Körperverletzung mit Todesfolge bezichtigt und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach einer Berufung kam es im Jahr 2020 jedoch zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens. Während die Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von zwanzig Jahren und eine Entschädigung von 150.000 Euro forderte, war das für die Nebenklage nicht genug. Unterstützt von der rechtspopulistischen Partei VOX forderte die Familie von Víctor Laínez 23 Jahre Haft und 500.000 Euro Entschädigung. Die VOX-Partei nutzte den Vorfall, um gegen die angebliche Gefahr von Links Stimmung zu machen und organisierte zudem regelmässig Gedenkveranstaltungen für Laínez.
Politiker der rechtsextremen Partei VOX bei einer Gedenkveranstaltung für den Faschisten Laínez. Quelle: Periodico Heraldo
Im September 2020 wurde Rodrigo zu zwanzig Jahren Haft und zu einer Entschädigungszahlung von 200.000 Euro verurteilt. Ausschlaggebend dürfte gewesen sein, dass Rodrigo einerseits bereits durch den «4F»-Fall bekannt war und andererseits, dass das Messer, mit dem Víctor Laínez Rodrigo angriff, nie gefunden wurde. Aus diesem Grund würdigte das Gericht diesen Umstand nicht. Aus dem Unterstützer:innenumfeld von Rodrigo wird gemunkelt, dass der Besitzer der Bar, ein Freund von Laínez, möglicherweise dafür verantwortlich sein könnte, dass nicht nur das Messer, sondern auch das Mobiltelefon des Neonazis vor dem Eintreffen der Polizei verschwanden.
Die Unterstützer:innen von Rodrigo weisen zudem darauf hin, dass es zynisch ist, dass er im zweiten Prozess des Mordes und des ideologisch motivierten Verbrechens schuldig gesprochen wurde, denn letzteres gilt als erschwerender Umstand und wurde eigentlich dazu erschaffen, um Minderheiten vor faschistischem, rassistischem und diskriminierendem Gedankengut zu schützen. Mittlerweile wird aber der Gesetzesartikel in Spanien dazu verwendet, Menschen zu verurteilen, die gegen die Monarchie oder die herrschende Ordnung kämpfen.
Im Jahr 2022 kam der Fall schliesslich vor den Obersten Gerichtshof, der das Urteil auf 18,5 Jahre reduzierte. Dabei wird es vorläufig auch bleiben, denn die letzte juristische Instanz in Spanien, das Verfassungsgericht, hat die Berufung abgelehnt. Rodrigo sitzt mittlerweile erneut seit mehr als fünf Jahren im Gefängnis. Die ersten zwei Jahre verbrachte er in Einzelhaft ohne jeglichen Kontakt zu anderen Häftlingen.
XI. Endstation Strassburg
Rodrigos Anwalt arbeitet derzeit an der Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Für die Familie, Freund:innen und Unterstützer:innen von Rodrigo, wie auch für ihn selbst, ist das Verfahren eine emotionale Achterbahn, die auch jede Menge finanzielle Kosten mit sich bringt. Bis jetzt entstanden Kosten von etwa 30.000 Euro und es werden noch mehr hinzukommen. Die Familie und die Unterstützer:innengruppe von Rodrigo rufen zur Solidarität und zur finanziellen Unterstützung auf. Sie schreiben: «Wir möchten alle solidarischen Menschen dazu aufrufen, Rodrigo finanziell zu unterstützen. Wir, als Unterstützungsgruppe, versuchen gerade den Fall international bekannter zu machen. Hier in Spanien gibt es, wie in anderen Ländern auch, eine lange Liste von Menschen, die von Neonazis ermordet wurden. Rodrigo hätte ein weiterer Name auf dieser Liste sein können, doch er hat sein Leben verteidigt. Wir werden unseren Genossen nicht alleine lassen! Selbstverteidigung ist kein Verbrechen!»
Die Soligruppe von Rodrigo kann hier erreicht werden: suport2017@riseup.net
Frankreich: Kein Ende des Aufruhrs nach Erschießung eines Jugendlichen. Macron sagt Deutschland-Besuch ab
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat seinen Staatsbesuch in Deutschland wegen einer der größten Krisen seiner Amtszeit am Wochenende abgesagt. Auseinandersetzungen zwischen der einer anhaltenden Polizeigewalt überdrüssigen Bevölkerung und mittlerweile 45.000 entsandten Polizisten prägen seit Dienstag das Geschehen, nachdem in Nanterre der 17jährige Nahel Merzouk bei einer Fahrzeugkontrolle von dem Motorradpolizisten und Exsoldaten Florian M. aus nächster Nähe erschossen worden war. Die Gründe der sich in diesen Sommernächten Bahn brechenden Wut liegen allerdings deutlich tiefer als im Fehlverhalten eines Polizisten.
Hunderte Gebäude – Polizeiwachen, Finanzämter, Rathäuser, Schulen etc. – und Tausende Fahrzeuge brannten. Die Riots weiteten sich am Wochenende aufs ganze Land und bis ins belgische Brüssel aus. Unglaubwürdig wirkt der Diskurs von einer »nicht entschuldbaren Tat«, den die Staatsspitze bemüht, denn die vergangenen Monate waren von Exzessen der Einsatzkräfte geprägt. Der mittlerweile verhaftete Todesschütze M. plädierte bis zur Entlarvung seiner Lüge auf Notwehr. Polizeigewalt bleibt neben der sozialen und rassistischen Segregation besonders in den Randbezirken der Großstädte ein nie ernsthaft angegangenes Problem. Arbeitslosigkeit und sozialer Kahlschlag führen in den »Banlieues« zu einem Überdruss, der nun in Gewalt umschlägt.
Schon nach vier Nächten vermeldeten die Behörden mehr als 2.000 Festnahmen – so viele wie während der gesamten fünfwöchigen Aufstände von 2005. Damals waren die Riots vom polizeilich verursachten Tod zweier Jugendlicher in Clichy-sous-Bois ausgelöst worden. Mittlerweile dienen das »Antiseparatismusgesetz« von 2021 und ein normalisierter Ausnahmezustand als Grundlage der Polizeistaatspolitik. Seit der Lockerung der Gesetzgebung zum Schusswaffengebrauch unter dem Sozialdemokraten François Hollande 2017 sind Todesfälle vor allem bei Fahrzeugkontrollen in die Höhe geschossen. Michel Tubiana von der Menschenrechtsliga LDH bezeichnete die Gesetzesnovelle damals als »Lizenz zum Töten«.
Die UNO hat die autoritäre Ordnungsdoktrin Frankreichs seit Mai bereits dreimal verurteilt. Der tödliche Schuss von Nanterre war offiziellen Angaben zufolge bereits der dritte tödliche Schusswaffeneinsatz der Einsatzkräfte seit Jahresbeginn. Doch die Dunkelziffer liegt höher. Am 14. Juni erschossen Streifenbeamte den 19jährigen Guineer Alhoussein Camara in Angoulême bei einer Fahrzeugkontrolle. Und auch die jüngsten Ausschreitungen fordern Todesopfer: Ein 54jähriger erlag am Donnerstag bei Cayenne in Französisch-Guyana einem »Querschläger«. Nahe Rouen stürzte am selben Abend ein Jugendlicher vom Dach eines Supermarktes in den Tod. Wegen Schusswaffengebrauchs der Spezialeinheit RAID in Mont-Saint-Martin schwebt ein junger Mann seit Freitag in Lebensgefahr.
Wie in den bisherigen Krisen der Macronie von den »Gelbwesten« über die »Rentenreform«-Proteste bis zur mittlerweile verbotenen Umweltkampagne »Aufstände der Erde« wurde staatliche Gewalt dem Dialog bevorzugt. Typisch sind dafür Macrons Ausflüge im Land. Für seinen Besuch im gewaltgeplagten Marseiller Vorort Busserine am Montag vergangener Woche hatten Sondereinheiten den Bezirk abgesperrt und Einwohnern das Verlassen der Wohnblocks untersagt. Macron duldet nur noch Jubelvolk. In Frankreich schützt die Polizei den Staat, nicht die Bevölkerung.
Für die Gleichstellung sollen am 14. Juni 2023 Menschen in der ganzen Schweiz auf die Strasse gehen. Seit dem letzten grossen Streik 2019 gab es Rückschritte statt Fortschritte.
Gemeinsame Forderungen aller Schweizer Kollektive: * Rauf mit Löhnen und Renten, runter mit den Prämien!
* Gegen Gewalt, Diskriminierungen und Rassismus – weltweit
* Radikaler Umbau für Klima und Umwelt
Ziel ist, dass die feministischen Kollektive 2023 gemeinsam mit Frauenorganisationen, Organisationen für queere Menschen und mit den Gewerkschaften einmal mehr viele Menschen mobilisieren.
Denn es braucht für feministische Politik in der Schweiz den Druck der Strasse!
Die feministische Bewegung lebt von uns allen – komm vorbei am 14. Juni!
Anlässlich des 75. Jahrestag der Nakba wollen wir uns mit der Geschichte internationalistischer Kämpfe in Palästina auseinandersetzen, Kontinuität herstellen und auf eine neue internationalistische Praxis hinarbeiten. Dazu organisieren wir Veranstaltungen, Filmvorführungen und Aktionen in Basel, Genf, Zürich und Winterthur.
75 Jahre Unterdrückung… Die Nakba ist die gewaltvolle Vertreibung von über 750’000 Palästinenser:innen im Jahr 1948, die der Staatsgründung Israels vorausging. Bis heute wird sie in ihrem Ausmass und Ablauf vom israelischen Staat geleugnet.
Schon vor der Nakba verfolgten koloniale und imperialistische Mächte im Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan ihre Interessen und stiessen dabei auf den Widerstand der dort ansässigen Bevölkerung. Es ist ein andauernder Kampf, der sich derzeit wieder zuspitzt: in Israel wurde über die Jahre ein ausgeklügeltes Apartheidsystem mit einem entsprechend rassistischen Klima entwickelt und seit einigen Monaten ist nun eine Regierung an der Macht, die offen faschistische Kräfte einschliesst, Landraub und Siedlerkolonialismus unter entfesselter Gewalt vorantreibt und jeglichem Widerstand mit brutaler Repression begegnet.
…75 Jahre Widerstand Die Unterdrückungsgeschichte der palästinensischen Bevölkerung ist jedoch zugleich auch eine Geschichte des Widerstandes. In den 7Oer Jahren wurde die revolutionäre Linke Palästinas zu einer führenden Kraft im antikolonialen Widerstand und verband den Kampf für ein befreites Palästina mit einer internationalistischen revolutionären Perspektive. Palästina wurde zu einem wichtigen Bezugspunkt für die revolutionäre Linke weltweit. lnternationalist:innen aus aller Welt schlossen sich dem Kampf für ein befreites Palästina an und trugen diesen mit militanten Aktionen auch zurück in die westlichen Metropolen. Es ist diese Verbindung, die den palästinensischen Befreiungskampf so bedeutend macht.
Programm
Veranstaltung zur Vergangenheit und Gegenwart internationalistischer Kämpfe für ein befreites Palästina Mohammed Khatib spricht über die Geschichte der palästinensischen Linken und die Wichtigkeit des Internationalismus. Wir wollen auf die Kämpfe der 70er und 80er zurückschauen, versuchen eine Kontinuität zu schaffen und setzen uns mit den aktuellen Strategien der revolutionären palästinensischen Linken auseinander. Zusätzlich wollen wir auch über unsere Rolle als Revolutionär:innen im globalen Norden diskutieren. Im Rahmen der Veranstaltung gibt es eine Ausstellung mit Plakaten von Marc Rudin.
Veranstaltung zum Rechtsruck in Israel Israel erlebt zurzeit einen massiven Rechtsruck und die Gewalt an der palästinensischen Bevölkerung eskaliert weiter. Gleichzeitig wird auch in Europa, insbesondere im deutschsprachigen Raum, pro- palästinensischer Aktivismus immer mehr kriminalisiert und antizionistische jüdische Stimmen marginalisiert. Moshe Zuckermann, Dror Dayan, Tarek und ein Genosse von Samidoun sprechen über diese Entwicklungen.
Veranstaltung: Die andauernde Nakba: Warum der palästinensische Kampf für alle ist Mit: Budour Hassan, einer feministischen Aktivistin aus Jerusalem / Palästina. organisiert vom Palästina Komitee Zürich Zürich: Samstag, 13.05.2023, 20 Uhr Zentralwäscherei, Neue Hard 12
Demonstration: 75 Jahre Nakba Bewilligung eingereicht vom Palästina Komitee Zürich Zürich: Samstag 20.05. 14:30 Uhr, Ni-Una-Menos Platz/ Helvetiaplatz
Ausstellung: Marc Rudins Plakate Plakatausstellung vom internationalistischen und revolutionären Künstler Marc Rudin Genf: 25. – 27.05.2023, Zeit und Ort folgen Mehr Infos: Insta: @secoursrougegeneve
Filmvorführung: “Fedayin” Ein Dokumentarfilm über die palästinensische Bewegung und den seit über 30 Jahren in Frankreich inhaftierten Revolutionär Georges Abdallah. Winterthur: Zeit und Ort folgen. Mehr Infos Insta: @ rjbw_org
Filmvorführung: “Farha” Der Film erzählt die Geschichte eines palästinensischen Mädchens, welches im Zuge der Nakba die Zerstörung ihres Dorfes und Massaker durch zionistische Truppen miterlebt. Basel: Dienstag, 16.05.2023, 20 Uhr , Cafe Hammer, Hammerstrasse 133
Filmvorführung: “Tantura” Dokumentarfilm über das Massaker an hunderten palästinensischen Zivilist:innen im Dorf Tantura während der Nakba 1948. Basel: Donnerstag, 18.05.2023, 20 Uhr, Cafe Hammer Hammerstrasse 133 Zürich: (Pal. Komitee ZH) Dienstag, 16.05. 19 Uhr Hohlstrasse 67
Auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) vernetzen sich Rechtsextreme und Konservative gegen »woke Eliten«. Vergangene Woche fand das Treffen zum zweiten Mal in Budapest statt. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, sich als Anführer einer internationalen Rechten zu inszenieren.
Wer hier die Treppen hinuntersteigt, betritt die »No Woke Zone«. So verspricht es ein Schriftzug über dem Eingang zur Conservative Political Action Conference (CPAC) Hungary, wie Fotos zeigen. Am 4. und 5. Mai fand das rechte Vernetzungstreffen, das eigentlich US-amerikanischen Ursprungs ist, in der ungarischen Hauptstadt Budapest statt. Zu den Rednern gehörten Trump-treue Republikaner, der Vorsitzende der rechtsextremen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Herbert Kickl, der neue Vorsitzende des französischen Rassemblement national, Jordan Bardella, Eduardo Bolsonaro, einer der Söhne des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, und viele mehr. Grußbotschaften per Video kamen vom kürzlich gefeuerten Fox-News-Moderator Tucker Carlson, dem rechtsextremen Medienstrategen Steve Bannon und von Donald Trump höchstselbst, der seine Getreuen auf den »Kampf gegen die Barbaren« einschwor.
Seit 1974 wird die Konferenz des rechten Flügels der Republikaner jährlich von der American Conservative Union (ACU) veranstaltet. In jüngster Zeit dominieren Trump-Anhängern die CPAC. Dessen wichtigster Rivale bei den Republikanern, der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, blieb ihr beim letzten Mal im März in Maryland sogar fern.
»Komm zurück, Mr. President! Mach Amerika wieder großartig und bring uns Frieden!« Viktor Orbán auf der CPAC-Konferenz in Budapest
Seit einigen Jahren findet die Konferenz auch außerhalb der USA statt – in Brasilien, Japan und nun schon zum zweiten Mal in Ungarn. Rechte und Konservative, die sich von »woken Eliten« gegängelt und angegriffen fühlen, empfinden Viktor Orbáns »illiberale Demokratie« als eine Art safe space. »Für mich ist eine Reise nach Ungarn eine Reise in die Normalität«, sagte Hans-Georg Maaßen (CDU) im vergangenen November der Budapester Zeitung. Für den ehemaligen Präsidenten des deutschen Verfassungsschutzes ist Ungarn ein Ort, »wo ich als weißer deutscher Mann nicht diskriminiert und diffamiert werde«. Auch für US-Rechte ist Ungarn ein Sehnsuchtsort. Tucker Carlson sendete 2021 für Fox News eine Woche lang aus Budapest und teilte seinen Landleuten von dort aus mit, man müsse nach Ungarn schauen, »wenn einem westliche Zivilisation und Demokratie und Familie wichtig« seien (»Autoritäre Sehnsüchte«, Jungle World 50/2021). Auf der diesjährigen CPAC in Budapest wurde das Land als »no country for woke men« gefeiert.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán inszeniert sich gerne als Vorreiter einer globalen Rechten. »Ungarn ist zu einem Inkubator für konservative Politik geworden. Wir haben die Migration an unseren Grenzen gestoppt, der Gender-Propaganda in den Schulen ein Ende gesetzt und setzen uns unermüdlich für Frieden ein. Das ist das Heilmittel gegen das progressiv-liberale Virus«, schrieb er auf Twitter. Auf der Budapester CPAC hielt er die Eröffnungsrede und forderte: »No migration, no gender, no war.« Dabei grüßte er auch Donald Trump: »Ich bin mir sicher, wenn Trump noch Präsident wäre, gäbe es keinen Krieg in der Ukraine und Europa. Komm zurück, Mr. President! Mach Amerika wieder großartig und bring uns Frieden!«
Der Politikwissenschaftler Markus Linden schrieb auf Zeit Online: »Die Wahlniederlage Trumps hat die Position Orbáns im Feld gestärkt.« Er weist darauf hin, dass Orbán auch auf der CPAC, die im August 2022 in Texas stattfand, die Eröffnungsrede hielt. Dort brachte er die Orientierung der rechten Internationale wie folgt auf den Punkt: »Wir brauchen mehr Chuck Norris und weniger Drag Queens.«
Orbán betreibe rechte Metapolitik, so Linden, »also die Verschiebung der Diskurslandschaft hin zur anvisierten Hegemonie reaktionärer Ideologie«. Hierfür nutze Orbán unter anderem reaktionäre Think Tanks, wie beispielsweise des Mathias Corvinus Collegium (MCC), das inzwischen als »eigene Kaderschmiede und Anlaufstelle für Gäste aus Publizistik und rechtem Hochschulmilieu« der ungarischen Regierung diene.
Maaßen war der einzige Sprecher aus Deutschland. Die AfD war nicht offiziell auf der CPAC vertreten. »Ihr fehlender Zugang zu Regierungsbeteiligungen macht sie für Vertreter anderer Parteien (…) weniger interessant«, urteilte die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit, deren Chefredakteur Dieter Stein vor Ort war.
In ihren Angst- und Feindbildern (»woke Eliten«, Migranten, Trans-Aktivisten) waren sich die CPAC-Teilnehmenden weitestgehend einig. Doch herrschte nicht nur traute Einigkeit in der »No Woke Zone«. Dies wurde beispielsweise an einer Panel-Diskussion mit Hans-Georg Maaßen deutlich. »Warum lassen wir die illegale Einwanderung zu?« fragte dieser und gab selbst die Antwort: »Weil die Linken Deutschland und die Europäische Union destabilisieren wollen.« Für diese Paraphrasierung der Verschwörungserzählung vom »Großen Austausch« war ihm der Applaus noch sicher. Etwas verhaltener fiel der Beifall aus, als Maaßen sich gegen eine Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU aussprach – eine Maßnahme, die sich auch rechtsextreme Politiker aus Italien wünschen, die die ungarische Regierung aber vehement ablehnt.
Am 1. Mai haben die Bullen in Zürich einem jungen Genossen mit Gummischrot ein Auge weggeschossen. Ein weiterer junger Genosse erlitt eine schwere Verletzung an der Hand.
Diese Verletzungen sind kein Versehen. Dass der bürgerliche Staat die Interessen des Kapitals verteidigt und durchsetzt, ist nichts Neues. Er tut dies mit allen möglichen Mitteln, auch mit brachialen. Dass dabei massive Verletzungen zugefügt werden, wird bewusst in Kauf genommen. Doch mit ihrer Gewalt lösen sie die gesellschaftlichen Widersprüche nicht. Solange die Gesellschaft in Klassen geteilt ist, solange es die Klassenwidersprüche gibt, wird es auch Klassenkämpfe geben.
Die Repression hat die bürgerliche Politik zu verantworten und wird auch von der SP und den Grünen mitgetragen. Gerade jetzt in Zeiten der Krise, wo sich die gesellschaftlichen Widersprüche zuspitzen und sich revolutionäre Bewegungen im Aufschwung befinden, sind die Angriffe der Herrschenden keine Überraschung. Sie wollen verhindern, dass wir, wie an der revolutionären 1. Mai-Demo, die verschiedenen Kämpfe verbinden und unsere Wut gemeinsam auf die Strasse tragen. So auch in Basel, wo am 1. Mai der antikapitalistische Block eingekesselt wurde. Ein weiterer Angriff, wie schon auf die Demonstration zum 8. März.
Auch andernorts sehen wir, wie die herrschende Klasse mit Gewalt antwortet. So zum Beispiel in Frankreich, wo die Staatsgewalt in den letzten Jahren immer wieder für schwere Verletzungen verantwortlich war. Denken wir an die Proteste der Gilets Jaunes, wo es zu vielen schweren Augenverletzungen kam, herbeigeführt mit Waffen aus Schweizer Produktion. Oder an die Kämpfe gegen das Megabecken von Sainte-Soline, wo ein Genosse von den Bullen so schwer verletzt wurde, dass er einen Monat im Koma lag.
Der zentrale Widerspruch besteht zwischen den revolutionären Bewegungen und dem bürgerlichen Staat, dessen Job es ist, die Interessen der Konzerne, Banken und Bonzen zu schützen. Diese gilt es zu denunzieren und anzugreifen.
Zufall ist es, wen von uns ihre Angriffe treffen. Gemeint sind wir alle, die gegen die barbarischen kapitalistischen Zustände kämpfen. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern und werden den Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Umweltzerstörung weiterhin auf die Strasse tragen. Stehen wir zusammen, handeln wir kollektiv und organisieren wir uns. Suchen wir vereint nach Wegen in die Offensive.
Wir werden gemeinsame Antworten auf ihre Angriffe finden.
Getroffen hat es Einzelne – gemeint sind wir alle!
Solidarität mit den Verletzten und Gefangenen vom 1. Mai – hier und überall!
LAGOTA kommt vom Spanischen und heisst „der Tropfen“.
LAGOTA ist eine politische Gruppierung, die sich als Teil der ausserparlamentarischen Linken versteht. Sie bietet eine Plattform, auf der sich interessierte Personen mit politischen Themen auseinandersetzen können.
LAGOTA setzt sich zum Ziel, das politische Bewusstsein der Gesellschaft zu fördern. Ihr Antrieb ist die Überzeugung, dass das kapitalistische System überwunden werden muss, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen.