Im Herbst 2023 hat der Berner Stadtrat in seinem Budget 70.000 Fr. an die zivile Seenotrettungsorganisation Sea Eye gesprochen. Der grösste Betrag der jemals von einer Stadt an eine Seenotrettungs-NGO gespendet wurde.
Durch eine Fotoausstellung machen wir weiter auf die tödlichste Grenze Europas und die Situation auf dem Mittelmeer aufmerksam. Ziel dabei ist es auch, auf das anhaltende und staatlich gewollte Sterbenlassen von Menschen auf der Flucht im Mittelmeer aufmerksam zu machen.
Dass es die Arbeit von Sea Eye, Sea-Watch und co. überhaupt gibt liegt einzig daran, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten bewusst auf Abschreckung setzen. Auch die Schweiz macht mit. Doch was ist das für eine Politik, die Menschenleben riskiert, einzig weil der Wunsch besteht Ressourcen gerechter zu verteilen?
Nach langem Schweigen trotz zunehmender gewalttätiger Konflikte und Militarisierung in Chiapas, Südmexiko, meldete sich die EZLN im vergangenem Herbst zu Wort und verkündete eine Neuorientierung und die Umstrukturierung der autonomen Gesellschaftsstrukturen der Zapatistas.
An der Veranstaltung zeichnen wir die Geschichte und die Organisationsprinzipien der zapatistischen Bewegung nach und gehen auf die aktuelle Lage in Chiapas ein. Anhand der strukturellen Veränderungen der Zapatistas diskutieren wir über die Bedeutung des Widerstands in Südmexiko für die revolutionäre Linke im Herzen der Bestie.
In Ecuador eskaliert der Drogenkrieg. Militär und Kartelle liefern sich blutige Auseinandersetzungen. Dagegen setzen indigene Gemeinschaften auf Selbstorganisation und kollektiven Widerstand.
In der ersten Januarwoche 2024 entkam José Adolfo Macías Villamar, alias «Fito», der Kopf des mächtigsten ecuadorianischen Kartells «Los Choneros», dem Gefängnis. Zudem kam es in mehreren von Narcos kontrollierten Haftanstalten zu Ausschreitungen. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Präsident Daniel Noboa rief den Ausnahmezustand aus. Wie ist es dazu gekommen?
In den letzten Jahren ist Ecuador zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Kokainhandel geworden. Der kleine Andenstaat, der zwischen den zwei grössten Kokainproduzenten Kolumbien und Peru liegt, stand dadurch jüngst vermehrt in den internationalen Schlagzeilen. Im August 2023 wurde der Präsidentschaftskandidat und Gegner der Drogenkartelle, Fernando Villavicencio, in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito am helllichten Tag und vor laufenden Kameras erschossen. Seit August 2022 wurden acht Politiker ermordet. Ecuador wies im 2023 die höchste jährliche Mordrate Südamerikas auf: 46,5 auf 100.000 Einwohner:innen, in einigen Vierteln der Hafenstadt Guayaquil betrug sie sogar 110 Tote auf 100.000 Einwohner:innen. Insgesamt wurden im Jahr 2023 in Ecuador fast achttausend Menschen ermordet.
Bewaffnete Narcos stürmten am 9. Januar 2024 vor laufenden Kameras ein Fernsehstudio in Guayaquil und nahmen Geiseln. Bild: perfil.com
Zum Jahresbeginn nun mit dem Ausbruch von Adolfo Macías eine weitere Eskalation. Seither gilt ein sechzigtägiger Ausnahmezustand, der mit einer nächtlichen Ausgangssperre einhergeht. Präsident Daniel Noboa, Sohn des reichsten Mannes Ecuadors und erst seit kurzem im Amt, mobilisierte über dreitausend Sicherheitskräfte. Die Massnahmen erschweren das Drogengeschäft erheblich, weshalb die «Choneros» auf Eskalation und Destabilisierung setzen. Seit der Ankündigung des Ausnahmezustands stürmten bewaffnete Kartellmitglieder eine Fernsehstation, ein Club wurde in Brand gesetzt, es kam zu Plünderungen, zu Schiessereien vor Schulen und zu Geiselnahmen von 180 Justizvollzugsbeamt:innen, die aber mittlerweile alle wieder frei sind. In vielen Gefängnissen kam es zu Revolten, weil die Kartelle in diesen grossen Einfluss haben. Die Narcos treffen oftmals Abkommen mit den Wärter:innen: Im Gegenzug zu gewissen Freiheiten und gelockerten Kontrollen für die Gefangenen sorgen die Kartelle für Ruhe innerhalb der Gefängnismauern.
Die Verlagerung des Kokain-Business nach Ecuador
Bis jetzt haben die «Choneros» ihr Ziel erreicht: Die Unsicherheit im Land ist riesig. Doch was führte dazu, dass sich die Drogenkartelle vermehrt nach Ecuador verlagerten und weshalb ist Ecuador so wichtig für den Kokainschmuggel? Das ecuadorianische Justizwesen ist schwach, die Korruption greift in allen staatlichen Strukturen weit um sich. Seit Jahren wurden die Ausgaben für Polizei und Militär gekürzt. Der damalige linke Präsident, Rafael Correa, hat beispielsweise im Jahr 2009 eine Militärbasis in der Küstenregion Manta geschlossen, wo zuvor viele Flugzeuge der Drogenbekämpfung starteten. Hinzu kommt, dass Correa die Zusammenarbeit mit der die US-Antidrogenbehörde DEA beendete, was die staatliche Kontrolle in den kolumbianischen Grenzgebieten schwächte. Auch seine Nachfolger Lenin Moreno und Guillermo Lasso dürften die Gefahr unterschätzt haben, die 2016 ihren Anfang nahm. In diesem Jahr schloss die FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) ein Friedensabkommen mit der kolumbianischen Regierung. Das kolumbianische Drogenmonopol der FARC brach dadurch zusammen und es entstanden verschiedene neue Drogenbanden, die nach neuen Routen und Allianzen suchten – insbesondere mit mexikanischen Drogenkartellen, aber auch mit mafiösen Strukturen aus Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro und Serbien, die ebenfalls in Lateinamerika aktiv sind. Einige dieser neuen Narco-Strukturen und auch ehemalige FARC-Mitglieder, die mit dem Friedensabkommen nicht einverstanden waren, verlagerten ihre Tätigkeiten nach Ecuador, weil dort die staatliche Überwachung und Kontrolle geringer war. Ecuador bot den Kartellen also eine gute Ausgangslage. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass ein stärkerer, repressiverer Staat ein Garant für die Eindämmung der Macht von Drogenkartellen wäre. Eine schwache Justiz verhilft den Drogenkartellen zwar zu gewissen Vorteilen, aber ohne institutionellen Rückhalt im Staat hätten die Narcos nie die Macht und Grösse erreicht, die sie vielerorts haben: Richter:innen, Politiker:innen, Polizist:innen und Militärs sind das Rückgrat der Profitmaschinerie der Kartelle.
Am 9. August 2023 wurde der Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio von Narcos ermordet. Bild: elpais.com
Strategische Häfen und Narco-Allianzen
Da der grösste Teil des in der Region produzierten Kokains dort verschifft wird, sind die Häfen der ecuadorianischen Pazifikküste in den Provinzen Guayas und Manabí für die Drogenkartelle von zentraler Bedeutung. Schätzungen zufolge gelangen etwa 75 Prozent der über 1200 Tonnen Kokain, die jährlich in Kolumbien produziert werden, über ecuadorianische und kolumbianische Häfen nach Europa, Asien und Nordamerika. Die mexikanischen Kartelle «Cartel de Sinaloa» und «Cartel Jalisco Nueva Generación» haben hierbei einen grossen Einfluss und kooperieren mit lokalen Drogenbanden, die sich gegenseitig bekämpfen und quasi Subunternehmen der mexikanischen Kartelle sind. Der «Cartel de Sinaloa (CS)» hat seit über zwanzig Jahren Allianzen mit ecuadorianischen Narcos geschmiedet, insbesondere mit den «Choneros». Letztere konnten über Jahre ungestört für den CS arbeiten und hatten praktisch keine Konkurrenz. Im Nachgang des FARC-Friedensabkommens wurden die neuen Drogenbanden auch in ecuadorianischem Gebiet aktiv und es verbreiteten sich auch Coca-Plantagen – insbesondere in den Provinzen Esmeraldas, Carchi und Sucumbíos. Im Zuge dessen wurde auch das mexikanische Kartell «Cartel Jalisco Nueva Generación (CJNG)» aktiv und verbündete sich mit den Gruppen «Los Lobos», «Los Lagartos» und «Los Tiguerones», die stellvertretend für den CJNG in Ecuador ihr Drogengeschäft leiten. Die Folge der vermehrten Präsenz des CJNG war ein Krieg zwischen Drogenbanden. Seit 2016 stieg die Anzahl der Morde um 470 Prozent.
Militarisierung der Gesellschaft
Die Regierung Noboa versucht die angespannte Lage in Ecuador durch Militarisierung in den Griff zu bekommen. Doch ein Blick nach Mexiko zeigt, dass die Drogenkartelle auf diese Weise kaum zu stoppen sein werden, vielmehr droht eine Gewaltspirale, weil auch die Kartelle aufrüsten und um Einflussgebiete ringen.
Die weitreichende Verankerung der Drogenkartelle erwächst aus der der sozialen Ungleichheit und der Armut eines immensen Teils der Bevölkerung in der Region. In Lateinamerika arbeiten viele Menschen im informellen Sektor und es gibt kaum Auffangstrukturen für so viel soziales Elend – Drogenkartelle fungieren hier als willkommene Arbeitgeber. Sie sind hierarchische, bewaffnete und transnationale Unternehmen mit klarer Arbeitsteilung und Befehlsketten. Auf einer der untersten Stufen dieser Befehlsketten befindet sich vor allem das junge Surplus-Proletariat, das angesichts mangelnder Alternativen leichte Beute für die Kartelle ist. Die rücksichtslose und gewalttätige Akkumulationsmaschinerie der Drogenkartelle ist als Kontinuität der kapitalistischen Logik und nicht als Bruch mit dieser zu verstehen. Ihre Aktivitäten sind mit «legalen» und «illegalen» Formen der Kapitalakkumulation verbunden, die mit verschiedenen staatlichen und ökonomischen Akteuren verschränkt sind.
José Adolfo Macías Villamar a.k.a. «Fito». Am 7. Januar 2024 brach er aus dem Gefängnis aus. Bild: eltiempo.com
Die Profite der Drogenkartelle sind so gross, dass sie nicht kleinmütig nachgeben werden. Unter einem bewaffneten Konflikt zwischen Staat und Drogenkartellen leidet vor allem die Bevölkerung. Als wäre die Gewalt der Kartelle nicht schon genug, führen die staatliche Aufrüstung und der Ausnahmezustand zu weitgehenden Kompetenzen für Militär und Polizei, die willkürlich und ohne Konsequenzen zu befürchten gegen die Bevölkerung vorgehen. Polizeiliche und militärische Menschenrechtsverletzungen und rassifizierte Gewalt richten sich dabei insbesondere gegen Menschen aus ärmeren Gegenden. Die Drangsalierung von Strassenhändler:innen, Handlangern und Armutsbetroffenen wird das Problem der Drogenkartelle aber nicht lösen.
Verschiedene Geschäftszweige der Kartelle
Die Drogenkartelle beschränken sich nicht aufs Drogengeschäft, sondern diversifizieren ihre Einkommensquellen, um Schwankungen der Profitrate vorzubeugen. Auch wenn die Nachfrage nach Kokain ständig zunimmt, können Gesetzesänderungen oder ein härteres staatliches Vorgehen gegen den Drogenhandel kurz- oder mittelfristig das Geschäft verschlechtern. Die ökonomischen Betätigungsfelder der Drogenkartelle beinhalten darum beispielsweise auch Immobilien-Spekulation oder andere Formen der Geldwäsche, Menschenhandel, Holzeinschlag oder der illegale Abbau von Rohstoffen, allen voran Gold. Insbesondere im Extraktivismus mischen die Drogenkartelle mit und ermorden vor allem in Mexiko und Kolumbien systematisch Umweltaktivist:innen. Die Diversifizierung der Geschäftszweige seitens der Drogenkartelle bedeutet auch, dass beispielsweise eine Legalisierung von Drogen – die zwar im Hinblick auf die Eindämmung der Macht der Kartelle einen wichtigen Einfluss hätte – dazu führen könnte, dass andere Geschäftspraktiken verstärkt in den Vordergrund geraten. Eine Legalisierung allein würde also die Macht der Kartelle kaum brechen.
Indigene Selbstorganisation gegen Staat und Kartelle
Wo sich Drogenkartelle breit machen, hat die soziale Selbstzerfleischung Hochkonjunktur. Die Narcos dringen nicht nur gewalttätig in das Alltagsleben der Menschen ein und zerstören den Zusammenhalt der sozialen Gefüge, sondern sie betreiben mit ihrem Extraktivismus auch eine Form der ursprünglichen Akkumulation. Ihnen die Kontrolle über Leben und Ressourcen zu entreissen, ist ein antikapitalistischer und antistaatlicher Kampf zugleich. Dieser Widerstand ist der Gewalt der Kartelle zwar nicht immer gewachsen – dennoch ist es fatal, auf Justiz, Polizei und Militär zu hoffen. Der Staat ist Komplize und Gegner der Kartelle zugleich und seine Methoden der Drogenbekämpfung führen zu einer Normalisierung des Militarismus. Gesetzesanpassungen im Namen der Drogenbekämpfung tendieren immer dazu, die Repression gegen soziale Bewegungen zu verstärken. In Ecuador wurde beispielsweise auch in den Jahren 2019 und 2021 ein Ausnahmezustand ausgerufen, dazumal gegen die massiven soziale Proteste. An wen kann man sich also wenden, wenn Staat, Kapital und Kartelle den Menschen das Leben zur Hölle machen? Effektiver Selbstschutz entsteht vor allem durch selbstorganisierte, kämpferische und solidarische Communitys. Hierbei lohnt sich beispielsweise ein Blick auf Formen der indigenen Selbstorganisation. Für viele indigene Communitys, nicht nur innerhalb Kolumbiens, sondern auch in vielen anderen Ländern Lateinamerikas, ist beispielsweise das jahrhundertealte Konzept der «Minka» von grosser Bedeutung. Der Begriff der «Minka» stammt aus dem Quechua, eine der meistgesprochenen indigenen Sprachen Lateinamerikas, und bezeichnet eine Form der kollektiven Zusammenarbeit zum Wohlergehen der Community. Alle Mitglieder beteiligen sich freiwillig daran, indigene Communitys sehen in dieser kollektiven Form der Solidarität eine Praxis, die ein gutes Zusammenleben ermöglicht und in der das Zugehörigkeitsgefühl zur Community und zum Territorium gestärkt wird. Eine «Minka» stärkt in diesem Sinne die Gemeinschaftsbeziehungen und fördert die Selbstorganisation. Sie kann aus verschiedenen Gründen ausgerufen werden, beispielsweise um Infrastruktur aufzubauen oder zu reparieren, Konflikte zu lösen, Mobilisierungen und Proteste zu organisieren oder eben, um sich gegen Drogenkartelle zu wehren.
Indigener Selbstschutz im Cauca (Kolumbien). Bild: kolko.net
Community und territoriale Kontrolle – die «Guardias Indígenas»
Nebst den Zapatist:innen in Südmexiko oder den «Rondas Campesinas» in Cajamarca (Peru) ist die «Guardia Indígena» in Pioyá im Nordosten der Provinz Cauca (Kolumbien) ein interessantes Beispiel einer funktionierenden Selbstorganisation gegen die Gewalt der Drogenkartelle. Die dortige indigene Community hat, wie viele andere indigene Communitys, ein ungebrochenes Gemeinschaftsgefühl der kollektiven Verantwortung – etwas das im Kontext der neoliberalen Subjektivierung in den Städten eher selten anzutreffen ist. Seit dem Jahr 2001 organisiert die indigene Nasa-Community in Pioyá indigene Selbstschutzeinheiten. Sie versuchen dadurch die Cannabis- und Koka-Plantagen, die Kokainlabore und generell die Drogenkartelle aus ihren Gebieten zu drängen. Ihre Waffen? Walkie-Talkies und etwa achtzig Zentimeter lange Holzstöcke – für die Nasa-Community ein Symbol der Autonomie, des Widerstands und der Verbundenheit zu ihren Ländereien. Die «Guardias Indígenas» haben ein Netz aus Kontrollpunkten erstellt, um nach Drogenkartellen Ausschau zu halten. Werden Drogenkartellmitglieder gesichtet, wird per Walkie-Talkie sofort die ganze Community in der Umgebung informiert. Ein Mitglied der «Guardia Indígena» schilderte in einem Interview einen Vorfall vom Jahr 2018 wie folgt: «Gegen Mitternacht sichteten wir Narcos, zu jenem Zeitpunkt waren wir zu zehnt. Als wir uns ihnen näherten, fingen sie an, auf uns zu schiessen. Dennoch eilten immer mehr Mitglieder der «Guardia Indígena» herbei, um uns zu unterstützen. Aus zehn von uns wurden schlussendlich mehr als fünftausend. Im Verlauf des Morgens nahmen wir die Narcos gefangen. Sie hatten viele Gewehre, vier Granaten und 375 Schuss Munition. Sie wollten viele Menschen massakrieren. Wir verurteilten sie gemäss unserer eigenen Rechtssprechung und zerstörten ihre Waffen […]».
Mitglieder der «Guardia Indigena» vom Cauca nahmen 2021 an Protesten gegen soziale Ungleichheit und staatliche Gewalt in Kolumbien teil. Bild: gatopardo.com
Die Selbstorganisation der Nasa-Communtiy richtet sich aber nicht nur gegen die Narcos, sondern auch gegen ihre Plantagen und Kokainlabors. Sobald solche gesichtet werden, werden sie zerstört, was effektiv verhindert, dass sich Plantagen und Labors unkontrolliert verbreiten. Der kollektive und selbstorganisierte Kampf gegen die Drogenkartelle ist natürlich alles andere als einfach und viele Mitglieder der Nasa-Community wurden von den Kartellen ermordet. Dennoch lässt sich die Nasa-Community in Pioyá nicht einschüchtern, denn sie sehen sich als kollektiver Körper der nicht durch die Gewalt der Waffen ausradiert werden kann. Ein weiteres Mitglied der Community beteuert: «Die Narcos waren bewaffnet, aber sie konnten uns nicht töten. Wir waren zu viele. Und wenn eine Community zusammenhält, kennt sie keine Angst. Wir haben ihre Koka-Plantagen und ihre Labore verbrannt. Wir fanden alles Mögliche. Es sah aus wie ein Chemielabor. Das hat uns damals viele Drohungen gebracht, weil wir einem Geschäft schadeten, das viel Geld einbrachte.»
Der selbstorganisierte und kollektive Widerstand gegen die Gewalt der Narcos sollte nicht romantisiert werden, aber er kann Perspektiven aufzeigen. Leider gibt es diesen Widerstand nicht ohne Tote und es gibt auch viele Beispiele in Lateinamerika, in der die brutale Gewalt der Kartelle ganze Communitys eingeschüchtert hat. An vielen Orten konnten sich Drogenkartelle dadurch ganzer Territorien bemächtigen und den Staat verdrängen. Doch trotz der Widersprüche und Schwierigkeiten, die mit Selbstorganisationsversuchen gegen das Drogengeschäft einhergehen, zeigt gerade die aktuelle Situation in Ecuador auf, dass Selbstorganisation unumgänglich ist, denn es ist aussichtslos, auf den Staat zu vertrauen: Nicht nur hat er den Drogenkartellen überhaupt erst zu ihrer Macht verholfen, er garantiert auch das reibungslose Funktionieren des Kapitalverhältnisses, dass sich durch den Drang und die Notwendigkeit nach Profit charakterisiert und eine soziale Misere hervorbringt, die den Nährboden für die Verbreitung der Kartelle bietet. Auch eine erweitere staatliche Kooperation zur Bekämpfung des «organisierten Verbrechens», wie sie vor wenigen Tagen von Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru unterzeichnet haben, wird daran nichts ändern.
Di,23.01.2024 | Tür 19:30 | Film 20:00 @Dachraum Bibliothek Zug, St.-Oswalds-Gasse 21
«Sex, Drugs and Rock’n’Roll»: Der Hell’s Angels-Boss Martin «Tino» Schippert hat in 1970er-Jahren zweifellos nach diesem Motiv gelebt, und war schon damals eine Legende. Sein immer wieder beschworenes Charisma führte ihn in Gesprächsrunden mit Friedrich Dürrenmatt und Sergius Golowin. Bei den Globus-Krawallen spannten die linken Aktivisten mit den kampferprobten Rockern zusammen. Tino flüchtete vor zunehmender staatlicher Repression nach Südamerika, wo er zwischen Flucht, Gefängnis und Dschungel starb.
Blind nach Gummischrot
Di, 06.02.2024 | Tür 19:30 | Film 20:00 @Dachraum Bibliothek Zug, St.-Oswalds-Gasse 21
Wir schauen die Dokumentation von SRF “Blind nach Gummischrot – Warum setzt die Polizei Streumunition ein?” und diskutieren darüber.
Die Schweizer Polizei setzt Gummischrot bei unbewilligten Demonstrationen oder rund um Sportveranstaltungen ein. Damit steht sie im Vergleich zu ihren Nachbarländern einsam da. Das Problem: Zielen mit der Streumunition ist schwierig. Es können Personen und Körperstellen getroffen werden, die nicht direkt anvisiert wurden. Wieso setzt die Schweizer Polizei trotzdem auf Gummischrot?
Streik und Arbeitskampf bei Amazon
Lese- und Diskussionsrunde
Mo, 19.02.2024 | Tür 19:30 | Beginn 20:00 @Dachraum Bibliothek Zug, St.-Oswalds-Gasse 21
Wir lesen ein Interview zu Amazon aus der Zeitschrift Wildcat. Die deutsche Gewerkschaft ver.di kämpft seit zehn Jahren für einen Tarifvertrag bei Amazon, das sich weigert, darüber auch nur zu verhandeln. In mehreren Amazonlagern laufen ständig Streiks. Diese sind bisher zu schwach, um einen Durchbruch zu erzwingen, aber die Löhne sind deutlich gestiegen und an einzelnen Standorten werden immer wieder Verbesserungen erreicht.
Die Texte nehmen wir wie immer mit und lesen dann gemeinsam, ihr braucht also nichts vorher machen oder mitbringen.
Bisweilen tut auch Faschistenmund Wahrheit kund, wenn auch auf seine eigene widerliche Art und Weise. So sagte Franz Schönhuber 1991 begeistert von Zulauf und Anklang, den die Partei Die Republikaner, der er vorsaß, in der ehemaligen DDR fand: Diese sei »das bessere Deutschland gewesen, ausländerfrei und mit ordentlichem Stechschritt«. Bisweilen tut auch Faschistenmund Wahrheit kund, wenn auch auf seine eigene widerliche Art und Weise. So sagte Franz Schönhuber 1991 begeistert von Zulauf und Anklang, den die Partei Die Republikaner, der er vorsaß, in der ehemaligen DDR fand: Diese sei »das bessere Deutschland gewesen, ausländerfrei und mit ordentlichem Stechschritt«.
Ehemalige Absolventen der Leningrader Militärakademie gaben zum Besten, dass die Republikaner in ihren Augen den Kampf der SED gegen den »Kolonisatoren aus dem Westen« und den »Liberalismus amerikanischer Prägung« fortführten.
Was Schönhuber erfreut witterte, befremdete wiederum Linksliberale. So bemerkte der Spiegel im selben Jahr, dass es vor allem Offiziere der ehemaligen Nationalen Volksarmee (NVA), aber auch Funktionäre der SED waren, die die neuen Ortsverbände der Republikaner, aber auch die der Deutschen Volksunion (DVU) in den östlichen Bundesländern prägten. Da gaben etwa ehemalige Absolventen der Leningrader Militärakademie zum Besten, dass die Republikaner in ihren Augen den Kampf der SED gegen den »Kolonisatoren aus dem Westen« und den »Liberalismus amerikanischer Prägung« fortführten und dass sie wenigstens die Leistungen der DDR in Sachen »preußische Tugenden wie Ordnung, Disziplin und Pünktlichkeit« zu schätzen wüssten.
Die Republikaner, deren Parteiprogramm sich nicht wesentlich von dem der AfD heute unterschied, profitierten davon, dass hier nun wirklich einmal zusammenwuchs, was offenbar zusammengehörte. In Reaktion auf die gesellschaftlichen Liberalisierungstendenzen in der Bundesrepublik hatte sich bei dortigen Deutschnationalen schon in den Jahrzehnten vor 1989 der Blick auf die DDR gewandelt. Der Staat wurde in diesem Milieu durchaus wertschätzend als »rotes Preußen« bezeichnet; politische Ablehnung mischte sich mit kultureller Attraktion.
Die Rhetoriker des Faschismus also kamen nach 1989 durchaus aus dem Westen, das von keinerlei Schamgefühl gekennzeichnete volkstümliche Willkommen allerdings bereitete der Osten. Dass es ein solches Schamgefühl, ein Mindestwissen über den Holocaust und die verhängnisvollen Kontinuitäten deutscher Geschichte und Ideologie nicht gab, verweist wiederum zurück auf gesellschaftliche Leitbilder und Alltagspraxis in der sich als antifaschistisch verstehenden DDR.
Denn das Erbe der in erster Linie antiwestlichen deutschen Ideologie, deren Antiamerikanismus Marx in seiner gleichnamigen Schrift mehr als ein Jahrhundert zuvor bereits aufgespießt hatte, kultivierte die DDR bruchlos: den Hass auf Plutokraten und Zionisten, der nichts mit Klassenanalyse zu tun hat, die Neigung zur Autokratie – in Form der Einheitspartei des Volkes – als Gegenentwurf zur bürgerlichen Gewaltenteilung, die Russophilie als Komplement zum Antiamerikanismus, die tief in die Geschichte der Gegenaufklärung zurückreicht und beispielsweise im Dostojewskij-Fan Goebbels in der NSDAP ihren Fürsprecher hatte. Denn wie man heute sieht, spielt es für diesen Hang keine Rolle, ob über dem Kreml die rote Fahne oder die mit dem zaristischen Doppeladler weht.
Dass die Republikaner, die DVU, die NPD und nun die AfD in der ehemaligen DDR so fruchtbaren Boden fanden und finden, deutet darauf hin, dass etwas Entscheidendes fehlte in der sowjetischen Besatzungszone: re-education.
Der Kalte Krieg verlieh all diesen allzu deutschen Kontinuitäten lediglich eine Scheinrationalität, die antiwestliche Haltung mutierte zur Vorbedingung sozialistischen Fortschritts – aber nur solange die DDR bestand, danach war diese Umdeutung nicht mehr nötig. Dass also die Republikaner, die DVU, die NPD und nun die AfD in der ehemaligen DDR so fruchtbaren Boden fanden und finden, deutet darauf hin, dass etwas Entscheidendes fehlte in der sowjetischen Besatzungszone: re-education.
Von Nazis fälschlich als Umerziehung verunglimpft, bedeutete re-education, eine demokratische Denk- und Lebensweise (wieder) einzuüben und zu akzeptieren, nicht mehr als Kollektivsubjekt angesprochen zu werden, sondern als mündiger Staatsbürger. Etwas, das die West-Alliierten in der Bundesrepublik mühsam, aber auf die Dauer nicht ganz erfolglos vorantrieben.
In unguter Kontinuität hatte auch die SED wie die NSDAP zuvor das völkische Kollektiv umhätschelt, exterritorialisierte den Nationalsozialismus gemäß der Dimitroff-Doktrin auf die »aggressivsten Teile des Finanzkapitals« und wies dem Volk, etwa in den Ritualen, mit denen der Bombardierung Dresdens gedacht wurde, die Rolle als Opfer des Faschismus zu. Auch in der Alltagspraxis regierten Mobilisierung und Kollektiv über 1945 hinaus – und dann kam die sogenannte Wende: Der Beitritt zur Bundesrepublik verwies die zuvor stramm Organisierten aufs Private zurück, ohne dass es ökonomisch – wie im »Wirtschaftswunder« – gratifiziert worden wäre.
Die in den ostdeutschen Bundesländern vorhandene signifikant stärkere Neigung zur AfD lässt sich mit Verweis auf ökonomische Benachteiligung nicht wegdiskutieren. Eine solche Argumentation gleicht letztlich der, dass die Arbeitslosigkeit einst zu Hitler geführt habe; aber Arbeitslosigkeit war ein weltweites Phänomen, Hitler eben ein rein deutsches.
Das scheint auch die Urkränkung zu sein, auf die die Propagandisten einer Ost-Identität mit mittlerweile riesigem Erfolg spekulieren. Denn nur so ist zu erklären, dass man sich in Dresden mehr zurückgesetzt fühlt als im Ruhrgebiet, obwohl Letzteres im Vergleich zu Erstgenanntem schon fast slumartige Züge trägt, die tatsächlichen Lebensbedingungen im äußersten Westen also schlechter sind als im äußersten Osten. Auch eine Stadt wie das pfälzische Pirmasens wählt im Gegensatz zum sächsischen Pirna bisher eben keinen AfD-Oberbürgermeister, obwohl der ökonomische Absturz der einst prosperierenden Stadt den Pirnas weit in den Schatten stellt.
Überhaupt führt es in die Irre, West- und Ostdeutschland ökonomisch jeweils in toto zu vergleichen. Deindustrialisierung gab es hüben wie drüben. Die sozialen Folgen ähneln sich, was aber eben deutlich weniger für die mentalen Muster gilt, mit denen der jeweilige Absturz verarbeitet wird. Die in den ostdeutschen Bundesländern vorhandene signifikant stärkere Neigung zur AfD lässt sich mit Verweis auf ökonomische Benachteiligung nicht wegdiskutieren. Eine solche Argumentation gleicht letztlich der, dass die Arbeitslosigkeit einst zu Hitler geführt habe; aber Arbeitslosigkeit war ein weltweites Phänomen, Hitler eben ein rein deutsches.
Auch wenn dieser Vergleich heftig wirken mag: Die AfD steigt nicht unbedingt dort zur gesellschaftlich alles dominierenden Partei auf, wo die Lebensverhältnisse am schlechtesten sind, sondern da, wo es keine re-education gab.
Die vergangenen Jahre zeigen in einer kaum zu ertragenden Brutalität, welche Krisen der Kapitalismus mit sich bringt. Das WEF in Davos steht für ein System, das für die allermeisten Menschen nur Armut, Ausbeutung und Tod bereithält. Greifen wir es an!
Die globalen Krisen des Kapitalismus sind aktuell besonders tief schürfend. Dies ist wohl auch den Organisator*innen des WEF bewusst. An diesem Treffen mächtiger Politiker*innen und Wirtschaftsführer*innen in Davos werden wichtige gesellschaftliche Herausforderungen besprochen und teilweise auch Lösungen präsentiert. Aber die verfolgten Strategien und Lösungsvorschläge verharren innerhalb der kapitalistischen Logik, für welche das WEF sinnbildlich steht. Damit richten sie sich immer gegen die Interessen der arbeitenden Klasse. Aus diesem Grund wehrt sich seit vielen Jahren eine breite Bewegung gegen das Gipfeltreffen in den Bündner Bergen. Es ist eine Bewegung, die die Gestaltung von Menschheit und Natur nicht weiter den Herrschenden überlassen will und sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung zur Wehr setzt. Dieser globale Widerstand ist heute nötiger denn je!
Das WEF heizt der Welt ein
Auf der Website des WEF finden sich Bilder von imposanten Solaranlagen in Indonesien, welche zeigen sollen, wie sich die Partnerkonzerne des WEF für eine dekarbonisierte Zukunft einsetzen. Doch speziell in der Thematik der Klimakatastrophe könnte der Zynismus dieses Treffens der Herrschenden in Davos kaum grösser sein. Schaut man sich die Namen der Partner des WEF an, so liest sich dies wie eine Rangliste jener Unternehmen, welche die grösste Verantwortung für den bevorstehenden Klimakollaps tragen: BP, Chevron, Shell, Socar, Saudi Aramco und Petrobas. Alle Ölgiganten sind mit an Bord. Die Klimakatastrophe rund um den Globus macht aber klar, dass die Strategien des WEF nur zu noch stärkerer Umweltzerstörung führen. Die notwendige Abkehr von einer CO2 basierten Wirtschaft kann aber nicht mit, sondern nur gegen diese Multis durchgesetzt werden.
Inflation – die Verursacher und Profiteure sind WEF Partner
Ein Blick auf die selbe Liste der Partnerfirmen führt vor Augen, dass sich auch die Verantwortlichen und Profiteur*innen der aktuellen Inflation in Davos treffen: Gunvor und Mercuria, Trafigura, Vitol und Bunge sowie Glencore. Diese Rohstoffgiganten – praktisch alle haben ihren Firmensitz in der Schweiz – sind massgeblich verantwortlich für den weltweiten Preisanstieg von ca. 6.8% im Jahr 2023. Sie haben beispielsweise den durch den Krieg in der Ukraine entstandenen Mangel an Getreide auf dem Weltmarkt weiter befeuert, indem sie mit ihrem Rohstoffhandel zusätzliche Engpässe bewusst hergestellt haben. Somit schlagen sie direkten Profit aus dem Krieg und sind Verursacher von Armut, Hunger und Tod unzähliger Proletarier*innen auf der ganzen Welt.
Kriegstreiber in Davos
Nebst diesen Formen des ökonomischen Imperialismus für welche das WEF steht, hat das Bonzentreffen auch eine lange Tradition darin, den grössten imperialistischen Kriegstreibern eine Plattform zu bieten. So wurde zum Beispiel der kürzlich verstorbene ehemalige amerikanische Aussenminister Henry Kissinger 2023 eingeladen. An seinen Händen klebt das Blut von unzähligen Menschen in Vietnam, Chile und Kambodscha. Er steht sinnbildlich für westliche Imperialismusstrategien der Nachkriegszeit. Strategien, welche auch in den Kriegen in Afghanistan und Irak verfolgt wurden. Auch George W. Bush, Tony Blair und Gerhard Schröder – sie haben diese Kriege losgetreten – sind schon am WEF erschienen. Ebenso Recep Tayyip Erdoğan, der für die faschistischen Angriffe der Türkei auf das revolutionäre Projekt Rojava in Nordostsyrien verantwortlich ist. Und natürlich wurde auch Benjamin Netanyahu, dessen reaktionäre Regierung aktuell den Gazastreifen in Schutt und Asche legt, schon ans WEF eingeladen.
Gipfeltreffen angreifen – den Kapitalismus überwinden
Das WEF und die Schweiz versuchen den Mächtigen dieser Welt – Kriegstreiber*innen und Kapitalist*innen – ein ruhiges Hinterland zu bieten. In diesem sollen sie sich ungestört austauschen und präsentieren können. Unser Widerstand richtet sich gegen diejenigen, die sich an Wirtschaftsgipfeln treffen, die globalen Krisen zu verantworten haben und von ihnen profitieren. Wir wollen die Ruhe in ihrem Hinterland stören und Sand ins Getriebe des kapitalistischen Systems streuen. Für eine solidarische Gesellschaft fern ab von Ausbeutung, Kriegen, Klimazerstörung und Unterdrückung müssen wir dieses System revolutionär überwinden und heute schon zeigen, dass wir die Machenschaften der Herrschenden nicht mehr dulden. Nutzen wir das Zusammenkommen der Mächtigen, um zu zeigen, dass wir ihre Macht und Ausbeutung nicht länger hinnehmen. Tragen wir den Widerstand gegen das WEF gemeinsam, laut und kämpferisch auf die Strassen!
Gegen das Treffen der Kriegstreiber und Krisenprofiteure! Für die soziale Revolution!
Argentinien: Ultrarechter Javier Milei als Präsident vereidigt. Opfer der Militärdiktatur befürchten Revisionismus und Repression
Die lebensgroße Holzfigur steht einsam in der braunen Brandung des Río de la Plata. Wolken ziehen an diesem verregneten Tag schnell und tief vorüber, obwohl sich der Sommer in Buenos Aires Ende November schon mit sonnig-heißem Wetter angekündigt hat. »Sie erinnert an die Menschen, die sie aus Flugzeugen lebendig ins Wasser geworfen haben«, erklärt Adriana Kitroser und schaudert, als eine startende Maschine den »Parque de la Memoria«, Park der Erinnerung, vom nahegelegenen Stadtflughafen Jorge Newbery dröhnend in Richtung Uruguay überquert. »Trasladados«, Umgezogene, nannten die Militärs während ihrer Regierungszeit 1976 bis 1983 jene, die sie aus ihren Geheimgefängnissen und Folterknästen auf grausame Weise verschwinden ließen.
Nun habe ein rechter Flügel die Wahl gewonnen. »Die Vizepräsidentin Victoria Villarruel ist Teil der zivil-militärischen Diktatur der 70er Jahre!« ärgert sich Kitroser. Am Sonntag hat der Ultrarechte Javier Milei seine Präsidentschaft angetreten. Kitrosers Blick schweift über lange Mauern, die den Grundriss des Parks blitzförmig durchziehen. Namen von Verschwundenen sind hier aufgelistet: Vergangene Woche seien 137 weitere Namen ergänzt worden, erklärt sie. Nach dem Militärputsch hätten viele, die in den Untergrund geflohen waren, das Haus ihrer Familie aufgesucht, erinnert sich die Theaterproduzentin. »Manche kamen für einige Tage, andere nur für ein Bad oder eine Mahlzeit.«
Eine Verwandte habe ein 20 Tage altes Neugeborenes zu ihrer Familie gebracht, nachdem ihr Partner mehr als 10 Stunden verschollen geblieben war, erklärt Kitroser. »Sie fürchtete, er könne sie verraten.« Der Säugling blieb eine Weile bei der Familie: Die Großeltern, Anhänger der Diktatur, wollten das Kind zuerst nicht aufnehmen, schämten sie sich für die politische Aktivität der Tochter. Die junge Frau kam im April 1979 frei und ging ins Exil, »geschickt von ihren Entführern«. Kitrosers Familie floh nach Madrid, als sie zwölf Jahre als war. Ihr älterer Bruder gehörte den militant-linksperonistischen »Montoneros« an.
Carlos García spricht unaufgeregt, während er auf die freigelegten Grundmauern des »Mansión Seré« deutet: »Wir waren im ersten Stock gefangen, über dieser Ecke. Und über dieser war der Raum, in dem sie gefoltert haben.« In den geheimen Folterknast in Morón, in der Provinz Buenos Aires, kam er nach seiner Verhaftung im Oktober 1977. Die Militärs folterten ihn direkt nach seiner Ankunft mit »Picana« genannten Elektroschockern, fragten nach Namen von Genossen aus der Peronistischen Jugend und der Vereinigung der Sekundarschüler (Unión de Estudiantes Secundarias, UES), wo er organisiert war. Rund ein halbes Jahr war er in der »Mansión« gefangen, bis er am 24. März 1978 – dem zweiten Jahrestag des Militärputsches – mit drei weiteren Gefangenen fliehen konnte.
Ein eckiger Glaspavillon schützt die Reste des von der Junta zerstörten Gebäudes vor Witterung. An den Innenwänden Bilder von Verschwundenen: »Die unteren wurden hierhin verschleppt, die oberen sind alle, die man hier in der Region zählen konnte«, erklärt García. Er deutet auf Porträts zweier junger Männer. »Alejandro Marcos Astiz und Jorge Rosario Infantino waren hier mit mir gefangen.« Alejandro, wie er in der UES organisiert, sei 18 Jahre alt; Jorge, ein »Montenero«, Anfang 20 gewesen. »Sie brachten beide irgendwann weg – sie wurden nie wieder gesehen.«
Knapp zwei Kilometer Luftlinie vom »Parque de la Memoria« entfernt liegt Ex-ESMA, benannt nach dem Kürzel der einst dort beheimateten Marineschule. Hier lag einer der landesweit knapp 800 geheimen Folterknäste, heute »Raum der Erinnerung und Menschenrechte«. Noch im September wurde das Gelände in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Im neueröffneten Museum der »Mütter der Plaza de Mayo« ist eine Schulklasse zu Besuch, Jugendliche laufen durch die Ausstellungsräume und bestaunen große Schwarzweißfotos an den Wänden. »Schaut euch die Frauen an.« Die Museumsführerin zeigt auf ein Bild an der Wand, auf dem die »Madres« – alle um die 40, in der Mode der Zeit und mit einem weißen Stofftaschentuch als Kopftuch bekleidet – für ihre verschwundenen Kinder demonstrieren. »Mein Opa sagt, es gab gar nicht so viele Verschwundene«, meldet sich ein Mädchen, »es waren viel weniger, sagt er«.
Die Siebtklässler tragen den in Schulen üblichen weißen Kittel, einige wirken kindlich, andere schwer pubertierend. Sie kenne die Zweifel an der Zahl der Verschwundenen, antwortet die Museumsführerin. Auch Milei spräche von »nur« 8.500 Verschwundenen. Doch mit einer Vielzahl von Quellen könne die Anzahl von 30.000 belegt werden. »Es handelt sich um eine offene Zahl, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass wir gar nicht von allen Verschwundenen wissen.« Die einzigen, die um die tatsächliche Anzahl der Opfer wüssten, seien die ehemaligen Angehörigen der Junta, ergänzt ihr Kollege. »Doch sie haben einen Pakt des Schweigens und der Dunkelheit über diesen Teil unserer Geschichte gelegt.«
Estela Gareis’ Blick ist auf ein buntes Mosaik am »Casa de la Memoria« in Morón geheftet. Ihr Vater Carlos gehörte zu einer Gruppe von 24 Ford-Gewerkschaftsdelegiertern, die am 12. April 1976 direkt aus dem Fabrikgebäude entführt wurden. In der Familie habe er nicht über die Gefangennahme gesprochen, sagt Estela Gareis mit fester Stimme. Die Militärs verschleppten ihn von seiner Arbeitsstelle im Stanzwerk, er blieb bis März 1977 verschwunden. Als unter der Regierung von Expräsident Néstor Kirchner die Amnestiegesetze der 80er Jahre abgeschafft wurden, verurteilte ein Gericht zwei Exdirektoren des US-Autobauers und einen General rund 42 Jahre nach den Verhaftungen im Ford-Werk für »Verbrechen gegen die Menschheit«.
Am Donnerstag, nach dem Wahlsieg von »La Libertad Avanza«, tragen die »Madres« mit einigen hundert Unterstützern auf der Plaza de Mayo ein Transparent mit dem historischen Slogan aus dem Spanischen Krieg gegen die Faschisten: »No pasarán!« – sie werden nicht durchkommen. Nachdem die Madres, weit über 80 Jahre alt, einige im Rollstuhl, den Platz einige Male umrundet haben, erklärt ein Redner, nun werde »jede Versammlung, jeder Protest und jede Demonstration der Erinnerung zu einem Akt des Widerstands gegen die neue Regierung«.
Für Carlos García und Estela Gareis ist der »Irre mit der Kettensäge« weniger bedrohlich als jene, die hinter ihm stehen, etwa Expräsident Mauricio Macri und Vizepräsidentin Victoria Villarruel. Die Beziehungen in Militär- und Justizapparat wecken tiefe Befürchtungen. »Die Kinder und Enkel der Militärs sind nun wieder an der Regierung.«
Vor zwei Jahren erschoss ein Polizist den Zürcher Nzoy. Seither fordern Angehörige und Aktivist:innen, dass er zur Rechenschaft gezogen wird. Doch der Kampf um Gerechtigkeit für Nzoy geht über den Einzelfall hinaus.
Es ist der 21. August 2021. Auf dem Perron des Bahnhofs Morges (VD) stehen vier Polizisten einem Mann gegenüber. Der Mann geht auf sie zu, ein Polizist zückt seine Waffe und drückt zweimal ab. Der Mann geht zu Boden, richtet sich wieder auf, der Polizist schiesst erneut. Der Mann bleibt liegen.
Ein Polizist legt dem Mann Handschellen an. Rund vier Minuten stehen die Beamten anschliessend tatenlos um ihn herum. Der Mann stirbt noch am Tatort. Roger «Nzoy» Wilhelm aus Zürich wurde 37 Jahre alt.
Nach und nach tauchen Handyvideos und Augenzeugenberichte auf, die die Version der Polizei in Zweifel ziehen. Nzoy hatte kein Messer in der Hand. Eine Tatsache, die der Polizist, der die tödlichen Schüsse abgab, gegenüber der Staatsanwalt bekräftigte: Er habe kein Messer gesehen. In ihrer ersten Medienmitteilung behauptete die Polizei zudem, dass die Beamten sofort Erste Hilfe leisteten – auf Videos sieht man sie untätig rumstehen. Als sie den Krankenwagen riefen, beschrieb einer von ihnen Nzoy als «homme de couleur», gab aber keine Informationen über seinen Gesundheitszustand durch.
Staatsanwalt Laurent Maye leitete gegen den Schützen ein Verfahren wegen vorsätzlicher Tötung ein. Sein Ermittlungseifer hält sich jedoch in Grenzen. Auch über zwei Jahre nach der Tat ist unklar, ob er überhaupt Anklage erheben wird. Der Mörder von Nzoy ist bis heute im Dienst und trägt eine Waffe.
Innerhalb von viereinhalb Jahren hat die Waadtländer Polizei vier Menschen getötet. Transpikation am 26. August 2023 in Bern.
Diese Farce fand ihren Höhepunkt im Plädoyer von Staatsanwalt Maye: Er forderte einen Freispruch. Das Gericht folgte ihm.
Immerhin: Als zwei Wochen später der Mord an Nahel durch die Pariser Polizei in ganz Frankreich Riots auslöste, versammelten sich auch in Lausanne über hundert Jugendliche zu einem Krawall.
«Nzoy war ein bekanntes Gesicht im Kreis 4. Sein Tod bewegt noch heute.» – Wandbild auf dem Zürcher Kanzleiareal
Angehörige kämpfen für Gerechtigkeit
Die Fälle von Mike und Nzoy haben viel gemeinsam. Nur wegen des unermüdlichen Engagements der Angehörigen bekamen die Fälle überhaupt eine gewisse Öffentlichkeit. Sie müssen selber Untersuchungen anstellen. Sie sammeln Beweise, bezahlen Anwälte und Gutachten. Der Staat bleibt nicht nur untätig, sondern legt ihnen Steine in den Weg, wo er nur kann. So mussten die Geschwister von Nzoy zuerst nachweisen, dass sie ein enges Verhältnis hatten, um überhaupt als Nebenkläger:innen zugelassen zu werden. Als sie schliesslich dem Verhör der Polizisten beiwohnen konnten, weigerte sich der Staatsanwalt, einen Dolmetscher zuzulassen.
Alles muss man selber machen – mittels Plakat am Bahnhof Morges werden Zeug:innen gesucht
Die Angehörigen stehen einem Staatsapparat gegenüber, der sie mit Schikanen und Demütigungen zu zermürben versucht. Doch sie geben nicht auf, sondern organisieren sich: «Wir vernetzen uns mit den Angehörigen anderer Opfer und mit Aktivist:innen. Das ist wichtig, weil es das Einzelfall-Narrativ durchbricht und die Systematik des staatlichen Vertuschens aufzeigt», erzählt Janet vom Bündnis «Justice4Nzoy». Im Bündnis organisieren sich Freund:innen von Nzoy und antirassistische Aktivist:innen, um die Angehörigen zu unterstützen und öffentliche Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken. Mehrmals organisierte das Bündnis Demonstrationen und Kundgebungen in Zürich, Morges und Lausanne. Öffentliche Aufmerksamkeit sei unerlässlich für Fälle von Polizeigewalt, erklärt Janet: «Staatsanwalt und Polizei wollen, dass man Nzoy vergisst, damit sie einfach weitermachen können. Doch das werden wir nicht zulassen!»
Im Zentrum steht die Kritik an Racial Profiling, also die polizeiliche Praxis, People of Color übermässig oft und verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Dass die vier Polizist:innen in Morges einen Mann, der sich offensichtlich in einem psychisch aufgewühlten Zustand befand, für eine Gefahr hielten, lag an seiner Hautfarbe. Ebenso, dass sie ihm zuerst Handschellen anlegten, nachdem sie ihn niedergeschossen hatten und dass sie tatenlos rumstanden bis nach mehreren Minuten ein zufällig vorbeikommender Krankenpfleger darauf bestand, Erste Hilfe zu leisten. Sie interessierten sich nicht dafür, ihrem Opfer das Leben zu retten, sondern nur, dass es sich um einen «homme de couleur» handelte.
Wie bei Mike und Nahel war es auch bei Nzoy der Rassismus, der dafür verantwortlich war, dass ein Mensch wegen einer Bagatelle getötet wurde.
«Die Vernetzung mit anderen Angehörigen und Aktivist:innen gibt Kraft und durchbricht das Einzelfall-Narrativ, weil es die Systematik des staatlichen Vertuschens aufzeigt». Justice4Nzoy an der internationalen Demonstration zum Tag gegen Polizeigewalt in Paris, März 2023
Spitze des Eisbergs
Doch die Kritik an Racial Profiling geht weiter. Der Fall Nzoy kann nicht auf eine fatale Schussabgabe an jenem Augustabend in Morges reduziert werden. «Nzoy hatte Angst vor der Polizei», erzählt Janet, die seit vielen Jahren mit Nzoy befreundet war, «Er wurde in seinem Leben so oft kontrolliert und schikaniert. Kein Wunder reagierte er panisch, als die Polizisten auf ihn zukamen.»
Nzoy war oft im Zürcher Kreis 4 unterwegs. Hier kennt man sein Gesicht und seine Geschichte. «Beim Plakatieren werden wir oft angesprochen. Leute fragen nach Plakaten und erzählen Geschichten von ihm. Sein Tod bewegt die Menschen im Quartier noch heute,» berichtet Diego, der ebenfalls in der Justice4Nzoy-Kampagne aktiv ist.
Im Kreis 4 kann man als Person of Color kaum durch die Strassen spazieren, ohne von der Polizei kontrolliert oder zumindest kritisch gemustert zu werden. Die Beamt:innen des lokalen Polizeireviers sind berüchtigt dafür, dass sie Verhaftete schikanieren, rassistisch beleidigen und gewalttätig vorgehen. «Hier brauchen wir niemandem zu erklären, was Racial Profiling ist. Und es fragt auch niemand, welchen Grund die Polizisten hatten, Nzoy zu erschiessen», sagt Diego.
Über den Einzelfall hinaus
Die Justice4Nzoy-Kampagne wurde zu einem wichtigen Bezugspunkt für die antirassistische Bewegung in Zürich. Beinahe an jeder Ecke hängen Konterfeis von Nzoy, sie zieren Pullis, T-Shirts und Taschen. Die Schriftart der Plakate wurde von einem PoC-Kollektiv entworfen. Am antifaschistischen Unite!-Festival traten mehrere Freund:innen von Nzoy auf, wie Janet erzählt: «Die Kampagne bringt uns, die Freund:innen, Familie und antirassistische Aktivist:innen immer wieder zusammen. Die Vernetzung die dabei entsteht, wirkt über die verschiedenen Anlässe hinaus. Das ist unglaublich wichtig.» Wichtig nicht nur für Angehörige und Betroffene von Polizeigewalt, wie Diego ergänzt, sondern auch für die antirassistische und antifaschistische Bewegung: «Der Tod von Nzoy zeigt uns, dass Rassismus kein abstrakter Begriff, sondern eine konkrete Realität ist. Darum muss Antirassismus mehr als ein Bekenntnis sein, es geht um praktische Solidarität. Diese Solidarität wollen wir ausweiten. Wir wissen, dass die Cops gewalttätig sind und Menschen töten. Doch sie sollen damit in Zukunft nicht mehr so einfach davonkommen.»
Am 22. November kommt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nach Zürich. Er wurde vom rechten SVP-Politiker und »Weltwoche«-Chef Roger Köppel zu einer Rede im Bonzen-Hotel Dolder eingeladen. Diesen Hetzanlass kann von linker Seite nicht unbeantwortet bleiben.
Wir rufen dazu auf, Aktionen zu organisieren und klar zu machen, dass Orbán und seine Politik weder in Zürich noch sonst anderswo etwas zu suchen haben!
Die SVP und Orbán sind Teile eines internationalen Rechtsrucks und beide vertreten sie dabei auf besonders rohe Art und Weise Positionen, die immer mehr ihren Weg vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft finden. Sie hetzen gegen Migrant:innen, setzen sich für konservative Geschlechterrollen ein und machen Politik gegen Arme.
Ein Rassist als Ministerpräsident
„Wir wollen nicht gemischtrassig sein.» Was klingt wie aus einem internen Chat von Neonazis, stammt von keinem geringeren als dem dienstältesten Regierungschef der EU: dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Die Worte wählte er in einer Rede, die er während der Sommerakademie seiner Partei in Rumänien vor einem Jahr hielt. Der Diktator holte darin weit aus, stellte Geschichte und Zukunft als eine Art Kampf ums Dasein der Völker und «Rassen» dar, wie man dies von Vertreter*innen der extremen Rechten kennt. Westeuropa sei «gemischtrassig», habe sich von den Werten des «Westens» verabschiedet. Ungarn sei dazu das Gegenmodell, das die Rolle der Verkörperung der westlichen Werte übernommen habe und nicht «gemischtrassig» werden wolle. Es werde die Zeit kommen, so prophezeite Orbán, in der man auch die Grenze zum Westen verteidigen müsse, nicht mehr nur die nach Süden, womit er auf den bestehenden Grenzzaun zu Serbien anspielte. Dass weder die Werte des Westens noch diejenigen von Ungarn eine Zukunft skizzieren, für die es sich zu kämpfen lohnt, wird schnell klar. Doch gerade in diesen rassistischen Hetztiraden sieht Köppel ein Vorbild für sich, seine Partei und seine Zeitung!
Victor Orbáns Regierung zeigt, wohin rechte Politik führt!
Lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI*) sowie Rom*nja werden in Ungarn diskriminiert. In Bezug auf die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen gab es 2022 gemäss Amnesty gravierende Rückschritte. Lehrkräften wurde das Streikrecht für bessere Arbeitsbedingungen verwehrt. Flüchtlinge und Migrant*innen werden Opfer von Pushbacks, die selbst gegen EU-Recht verstiessen. Kein Wunder fühlt sich in Ungarn die extreme Rechte pudelwohl. Letztes Jahr kamen etwa 2000 Neonazis auf Einladung des ungarischen »Blood and Honour«-Ablegers und der neofaschistischen Légió Hungária nach Budapest. Dort fanden Nazi-Konzerte, Aufmärsche und eine Wanderung in historischen Nazi-Uniformen durch die Budapester Berge statt. Die Politik von Orbàn ist jedoch keine Randerscheinung. Sie nimmt das vorweg, was sich auch in anderen Ländern abspielt: In Zeiten sich intensivierender kapitalistischer Krisen, erstarken auch rechtsextreme Kräfte und mit ihr eine menschenfeindliche Politik.
Unser Widerstand gegen ihre Hetze!
Wo rechte Politik erstarkt, gibt es auch Widerstand. Auch Orbàns Politik bleibt nicht unkommentiert. Gerade im Februar dieses Jahres regte sich antifaschistischer Widerstand gegen das Neonazitreffen „Tag der Ehre“. Dabei wurden verschiedene Neonazis angegriffen. Mehrere internationale Antifaschist*innen sitzen nach wie vor noch in Untersuchungshaft, gegen andere fahndet zur Zeit die deutsche Springer Presse. Auch andere stellen sich gegen die nationalistische und fundamentalistische Politik von Orbán. Zehntausende haben in Budapest dieses Jahr gegen die Schul- und Austeritätspolitik der Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orbán demonstriert. Sie verlangten unter anderem eine bessere Bezahlung der Lehrpersonen, ideologiefreie Lehrpläne sowie ein Streikrecht für Lehrpersonen. Ausserdem gingen an der Pride in Budapest dieses Jahr ebenfalls Zehntausende für die Unterstützung von LGBTI-Menschen und gegen ein Gesetz auf die Strasse, das Homosexuelle und trans Personen diskriminiert.
Diese Kämpfe sind Ausdruck dafür, dass es unterschiedliche Antworten auf die sich verschärfende kapitalistische Krise gibt. Preise explodieren bei gleichbleibenden Löhnen, die Repression gegen Geflüchtete nimmt zu, die Klimakrise spitzt sich zu und überall auf der Welt kommt es zu neuen Kriegen. Faschistische und rechte Kräfte möchten von der Krise profitieren. Sie hetzen und wettern, während sie mit ihrer Politik unsere Lebensbedingen verschlechtern. Sie treten nach unten, während sie nach oben buckeln. Unsere Antwort auf die kapitalistische Krise lautet anders: Solidarität und Klassenkampf statt rechter Hetze. In diesem Widerstand stehen wir nicht alleine. Schliessen wir uns jenen Kräften in Ungarn und weltweit an, die Hetze und Repression trotzen und sich widersetzen. Getrauen wir uns zu kämpfen: Für eine Welt ohne Krieg und Ausgrenzung, für eine Welt der Freiheit und Solidarität!
Wir rufen dazu auf, Aktionen zu organisieren und klar zu machen, dass Orbán und seine Politik weder in Zürich noch sonst anderswo etwas zu suchen haben! Orbán not welcome! Züri gäge rechts!
Aus Kritik am Leerstand und mit vielen Ideen zur sofortigen Nutzung besetzte eine Gruppe von Aktivist*innen im Sommer 2022 ein Haus an zentraler Lage der Luzerner Neustadt. Trotz zuvorkommender Kommunikation, positivem Feedback aus der Politik und guten Beziehungen in der Nachbar*innenschaft wurde die Belebung des Hauses von den Eigentümer*innen verhindert und polizeilich geräumt. Drei Aktivist*innen wurde ein energieraubendes und teures Strafverfahren aufgehalst. Eure Soli-Gelder fliessen in diese horrenden Geldstrafen, welche den Aktivist*innen aufgedrückt wurden.
Zweienhalb Jahre stand das Haus an der Bruchstrasse 64 leer, bevor es im Juni 2022 von den Aktivist*innen für mehrere Wochen wiederbelebt wurde. Zuvor wurde den Menschen, die darin wohnten, gekündigt, weil es totalsaniert werden sollte. Saniert wurde es nie, dafür zweimal weiterverkauft. Zuletzt an die Firma Corgi Real Estate, deren Präsident Fritz Burkhard zu einer der 60 reichsten Familien in der Schweiz gehört. Der seit Jahren andauernde Leerstand an der Bruchstrasse 64 vermehrt den Reichtum deren, die bereits mehr als genug haben, während Mieter*innen durch hohe Mieten und Wohungsknappheit aus der Stadt verdrängt werden.
Umbruch im Bruchquartier
Eine Gruppe von Aktivist*innen hat sich gewehrt – gegen die Spekulation mit Häusern und Räumen. Sie haben das Haus an der Bruchstrasse 64 für mehrere Wochen wiederbelebt und aufgezeigt: Es braucht Wohnraum für Alle, eine Stadt für Alle.
Am 21. Juni 2022 kommt neues Leben in das Haus an der Bruchstrasse: Transpis hängen aus dem Fenster. «Umbruch im Bruchquartier» steht darauf und «Die Häuser denen, die sie beleben». Das Kollektiv veranstaltet einen Apéro am Fenstersims, lädt ein zu KüfA und Nachbar:innentreffen. Es finden Gespräche aus dem Fenster statt und Filmabende.
Die Bruch-Besetzung polarisiert: Die Besetzer*innen aus der Bruchstrasse tragen wichtige Fragen zum Diskurs über städtische Wohnraumpolitik bei. Mit ihrer direkten Aktion vermögen sie aufzuzeigen, dass es dringend ein Umdenken braucht, wie mit dem städtischen Raum umgegangen wird und wer darüber verfügen kann. Anhand des konkreten Beispiels aus der Bruchstrasse, diskutierten die Jungparteien und der Mieter*innenverband über bezahlbaren Wohnraum und Recht auf Stadt.
11 Monate später: Das Haus steht leer und wurde bis ins dritte Geschoss zugegittert. Es häufen sich die eingeschriebenen Briefe, es stapeln sich die Rechnungen. Repression trifft oft einzelne, wie auch in diesem Fall. Doch gemeint sind wir alle. Alle, die sich über die Belebung und Vernetzung in der Bruchstrasse gefreut haben, alle die mitdiskutierten und Content auf Instagram teilten, alle die sich eine lebendige Stadt wünschen, die zugänglich ist für jede*n, unabhängig von Einkommen oder Herkunft. Wir alle wurden mitgebüsst, unsere Ideen für verboten erklärt und unsere Motivation gestraft.
Stop Gentrification. Es geht weiter!
Die Stadt soll nicht von den Reichen geformt werden. Luzern gehört denen, die darin wohnen, arbeiten, leben. Luzern gehört denen, die es beleben. Das sind auch die Unkaufkräftigen, die Einflussarmen, die politisch Ungehörten und Unvertretenen und die Ausgegrenzten!
Wir finden es absurd, dass gewisse Personen die Macht haben, Gebäude ohne mit der Wimper zu zucken jahrelang leer stehen lassen können, während andere drei Jobs gleichzeitig haben und trotzdem ihr zuhause aufgeben müssen, weil sie sich die steigenden Strompreise und Mieten nicht mehr leisten können.
Das Recht auf Zentralität bedeutet, sich durch den gesamten städtischen Raum bewegen zu können, ihn zu nutzen, in ihm zu spielen, sich zu begegnen, sich auszutauschen. Es geht um mehr als einen Schlafplatz, eine Arbeitsstelle, einen Eventbesuch oder eine Shoppingtour durch die Einkaufszone. Es geht um den Zugang zur ganzen Palette städtischer Möglichkeiten und Ressourcen wie Wohnen, Bildung, Einkommen, Gesundheitsversorgung.
Luzern braucht Freiräume und unkommerzielle Austauschorte. Räume, die mensch selber gestlaten kann, für Kreativität, Begegnung und Vernetzung. Selbstorganisierte Räume verschwinden einer nach dem andern aus der Stadt. LUZERN BRAUCHT WIEDER MEHR LEBEN UND LIEBE! Und deine finanzielle Unterstützung!
Repressionskosten gemeinsam zu tragen ist notwendig, damit die politische Arbeit gegen Gegentrifizierung, für eine Stadt für Alle weitergehen kann:
Wir brauchen Geld. Wir brauchen deine Unterstützung.
LAGOTA kommt vom Spanischen und heisst „der Tropfen“.
LAGOTA ist eine politische Gruppierung, die sich als Teil der ausserparlamentarischen Linken versteht. Sie bietet eine Plattform, auf der sich interessierte Personen mit politischen Themen auseinandersetzen können.
LAGOTA setzt sich zum Ziel, das politische Bewusstsein der Gesellschaft zu fördern. Ihr Antrieb ist die Überzeugung, dass das kapitalistische System überwunden werden muss, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen.