Der »Women’s March on Washington« war ein globales Phänomen, das die Amtseinführung von Donald Trump in den Schatten stellte. Nicht nur nahmen mehr Menschen daran teil, auch die Stimmung war besser als vor dem Capitol.
Am vergangenen Wochenende, zum Beginn seiner Amtszeit, wurde der neue US-Präsident Donald Trump mit weltweiten Massendemonstrationen begrüßt. Bereits kurz nach der Wahl am 8. November 2016 kam es in vielen US-amerikanischen Großstädten zu Anti-Trump-Kundgebungen. Auch andere Präsidenten wie Richard Nixon und George W. Bush mussten bei ihren Amtseinführungen Demonstranten tolerieren. Aber beim »Women’s March on Washington« wurde ein historischer Rekord erreicht. Auf der ganzen Welt versammelten sich weit über eine Million Demonstrantinnen und Demonstranten, um für die Rechte von Frauen, Migranten und Minderheiten einzustehen, die sie durch die Regierung Trumps bedroht sehen. Allein in der US-Hauptstadt Washington, D.C., marschierten eine halbe Million Menschen auf das Weiße Haus zu. In Chicago legten 150 000 Demonstranten die Innenstadt lahm, in Boston waren es 125 000 und in Los Angeles rekordverdächtige 750 000 Menschen. Ähnliche Bilder sah man auch in Städten wie Tel Aviv, Barcelona, Paris, London, Oslo und Berlin.
Wegen der russischen Einmischung in den US-Wahlkampf zweifeln die Protestierenden die Legitimität Trumps an (Foto: Emanuel Bergmann)
Die Besucherzahlen bei der Amtseinführung Trumps waren überschaubar. Die Bilder von den teils leeren Zuschauertribünen im Regen haben nicht zur Steigerung der Laune des Präsidenten beigetragen. Trump reagierte erwartungsgemäß dünnhäutig und wollte den Affront nicht unkommentiert lassen. Der neue Pressesprecher des Weißen Hauses, Sean Spicer, berief am Tag der Demonstrationen eine spontane Pressekonferenz ein, die erste der Trump-Regierung, und beklagte sich darüber, dass die Presse vorsätzlich falsch über die beiden Events berichtet habe. Er sprach von der »größten Menschenmenge, die jemals einer Amtseinführung beigewohnt« habe.
Statt zur Versöhnung aufzurufen, sprach Trump bei seiner Rede zum Amtsantritt wie während des Wahlkampfs: »Ausländische Wirtschaftsmächte« hätten sich am »amerikanischen Fleiß« bereichert, dröhnte der Präsident, er beklagte sich über »das Verbrechen, die Gangs, die Drogen« und sprach von einem »amerikanischen Massaker«, das er hier und jetzt beenden werde. Die Würdenträger Washingtons, unter anderem auch Trumps unterlegene Kontrahentin Hillary Clinton, saßen mehr oder minder gefasst da und ließen es über sich ergehen. Trumps Rede war eine »Kriegserklärung«, wie die konservative Website The Federalist beifällig anmerkte.
Der »Women’s March on Washington« begann mit Teresa Shook, einer ehemaligen Anwältin und Großmutter aus Hawaii, die gleich nach der Wahl Trumps 40 Freundinnen und Freunde auf Facebook zu einer Protestaktion in Washington aufgerufen hat. Als der Aufruf die 3,7 Millionen Mitglieder der Pro-Hillary-Internetgruppe »Pantsuit Nation« erreichte, wurde binnen weniger Wochen aus einer bescheidenen Demo eine gut organisierte Protestbewegung, mit einer enormen Präsenz in sozialen Medien, einem professionellen Public-Relations-Apparat samt griffigem Logo und einem Online-Shop für T-Shirts. Zum Leitungskomitee gehörten die New Yorker Modedesignerin Bob Bland; Tamika Mallory, die Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung »National Action Network«; Carmen Perez, die Direktorin der 2005 von Harry Belafonte gegründeten Organisation »The Gathering for Justice«; sowie die Direktorin der »Arab American Association of New York«, Linda Sarsour. Auch diverse NGOs beteiligten sich am Marsch, so zum Beispiel »Define American« und »United We Dream«, die sich für die Rechte von Migranten einsetzen, sowie »Planned Parenthood«, die in den USA medizinische Dienstleistungen für Frauen anbietet, und »NARAL Pro-Choice America«, eine politische Vereinigung für die Rechte schwangerer Frauen und Mädchen. Die beiden Ehrenvorsitzenden der Kundgebung waren die feministische Autorin und Aktivistin Gloria Steinem und der Sänger und Bürgerrechtler Harry Belafonte. »Das ist Teil der Korrektur einer Schieflage. Frauen hatten jahrelang kein Mitspracherecht«, so Belafonte, der bereits mit Martin Luther King Jr. demonstriert hatte. Sie alle haben guten Grund, Trump zu fürchten, drohte dieser doch unter anderem mit Kürzungen bei »Planned Parenthood« und mit Massenabschiebungen illegaler Einwanderer.
Die Organisatorinnen haben eine Reihe von Prinzipien veröffentlicht. Sie fordern unter anderem mehr »Gerechtigkeit im Umgang mit Polizeigewalt«, das Ende der Benachteiligung von Frauen und Minderheiten im Rechtssystem, die Ratifizierung eines »Equal Rights Amendment«, das die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen gewährleisten soll, das Recht auf einen Mindestlohn, besseren Schutz für Arbeitnehmer, Migranten und Mitglieder der LGBT-Community und vieles mehr. Die zuvor eng gesteckte feministische Zielsetzung der Veranstaltung wurde erweitert, was zum enormen Erfolg beitrug. Beim »Women’s March on Washington« war so ziemlich jeder willkommen, von den »Lesben gegen Trump« bis zu den »Veganern gegen Trump«. Natürlich waren auch Prominente mit von der Partie, Popstars wie Katy Perry, Madonna und Cher, Schauspielerinnen wie Scarlett Johansson, Julianne Moore und Frances McDormand, die Komikerin Amy Schumer und viele andere. Es sprachen auch Gloria Steinem, Michael Moore sowie die Gewerkschafter George Gresham und Randi Weingarten, ein Who’s Who der US-amerikanischen Linken. Auch Angela Davis meldete sich zu Wort und ließ es sich auch nicht nehmen eine Verbindung zum Nahen Osten herzustellen: »Das Ringen um unseren Planeten, darum den Klimawandel zu beenden und den Zugang zu Wasser zu ermöglichen von Standing Rock Sioux bis Flint, Michigan, und in die West Bank und nach Gaza. Die Rettung unserer Flora und Fauna, unserer Luft, das ist der Ausgangspunkt für den Kampf um soziale Grechtigkeit.«
Auch Prinzessinnen protestieren (Foto: Emanuel Bergmann)
Die eigentliche Amtseinführung hingegen haben viele geschwänzt. 55 demokratische Kongressabgeordnete blieben fern. Zu ihnen zählt der Bürgerrechtler John Lewis, der vor mehr als 50 Jahren bereits an den »Selma-Montgomery-Märschen« mit Martin Luther King Jr. teilnahm und dabei schwer verletzt wurde. Er nannte den neu gewählten Präsidenten in einem Interview »nicht legitim« und wurde dafür von Trump auf Twitter heftig angegriffen.
Beim »Women’s March« in Los Angeles waren große Teile der politischen Führungsriege der Stadt vertreten, sowie diverse Mitglieder des kalifornischen Senats. Fast den ganzen Samstag über tummelte sich eine gut gelaunte Menschenmenge singend, skandierend, trommelnd und tanzend vor dem Rathaus in Los Angeles. Der Stadtkern der Metropole wurde zu einer riesigen Partyzone unter der Sonne Kaliforniens. Die Polizei schaute dem Massenandrang wohlwollend zu. Es gab Dixi-Klos und Hotdogverkäufer, Hunde und Babys. Nur eines wurde versäumt: Weder in Washington noch bei den vielen Schwestermärschen wurde ein ernsthafter Versuch unternommen, die zahlreichen Anwesenden miteinander zu vernetzen, um eine Protestbewegung aufzubauen. Dabei war genau dies das erklärte Ziel der Organisatorinnen, denn vereinzelte Demonstrationen, egal wie groß sie sind, haben an sich kaum Einfluss auf die Regierungspolitik. So ist der »Women’s March« bei allem Enthusiasmus bislang nur ein Symbol, wenn auch ein äußert kraftvolles. »Das gibt mir Hoffnung«, so Sasha Couch, eine behinderte, afroamerikanische Demonstrantin, der bei dem Gedanken an Trump die Knie schlackern. »Ich hatte das Gefühl, machtlos zu sein, aber hier wird mir bewusst, dass andere auch so denken wie ich. Ich bin angenehm überrascht, wie viele junge Menschen ich hier sehe. Wenn wir alle zusammenkommen, können wir etwas bewirken.« Die 76jährige Phyllis Farrell kann nicht fassen, dass man nach den harten Kämpfen der Bürgerrechts- und der Frauenbewegung immer noch für das auf die Straße gehen muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: »Trump will uns wieder in die Fünfziger katapultierten, aber das war für uns Frauen hier keine gute Zeit. Ich will in die Zukunft blicken.« Es bleibt abzuwarten, ob der linke Aktivismus in der Trump-Ära sich in erster Linie durch witzige Sprüche, lässige Tweets und coole Partys definiert oder ob es gelingt, einen wirkungsvollen Widerstand zu organisieren. Die Organisatorinnen des »Women’s March« legen zumindest einen gewissen Zweckoptimismus an den Tag. »Ich freue mich über den positiven Ton des Marschs«, sagte Bob Bland. »Es geht für uns um viel mehr als nur diesen Wahlzyklus. All die Menschen, die jetzt Opfer werden könnten, müssen zusammenkommen, um zu zeigen, dass wir stark sind und dass wir eine Stimme haben – und dass wir in die Zukunft marschieren.«
Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2017/04/55641.html