Erklärung des Revolutionären Block zur NoWEF-Demonstration

Rund eineinhalb tausend Menschen beteiligten sich heute in Zürich bei der NoWEF-Demonstration am revolutionären Block, zu dem im Vorfeld zahlreiche Kräfte gemeinsam aufgerufen hatten. Mit Aktionen, Reden, und Flugblättern wurde der Protest gegen das World Economic Forum in eine antikapitalistische Perspektive eingebettet. Er brachte zum Ausdruck, dass die jahrzehntelange Geschichte des revolutionären Widerstands gegen das WEF heute ununterbrochen fortgeführt wird. Ein spezieller Fokus lag auf der internationalen Solidarität mit Rojava angesichts des Angriffs durch die Türkei: Bijî berxwedana Efrînê!

nowefzuerich
Der Block war laut, kämpferisch und vielfältig. Aus dem Block kam es zu militanten Aktionen entlang der Demonstrationsroute. Bei der Sihlstrasse wurden sowohl die US-Handelskammer wie auch die UBS entglast. Hinter dem St. Annahof wurden die Fenster des Hiltl zugesprayt – Gentrifizierung rächt sich. Während der ganzen Demonstration wurden Parolen gegen das WEF und in Solidarität mit Afrin gesprüht und es wurden hunderte «KillErdogan» Sticker verklebt. Beim Abschluss der Demonstration formierte sich der revolutionäre Block zu einer Nachdemonstration, bei welcher man sich beim Gefängnis im Bezirksgebäude mit einer aus der Türkei geflohenen Journalistin solidarisierte, die seit dem 15. Januar in Zürich Kloten in Ausschaffungshaft sitzt.

Beim World Economic Forum in Davos treffen sich diejenigen, welche das herrschende kapitalistische Gesellschaftssystem vertreten und im Interesse desselben agieren. Es ist eine Zusammenkunft zwischen Politik und Kapital, deren Bedeutung in erster Linie in den Treffen abseits der öffentlichen Bühne zu suchen ist. Das WEF und die Schweiz versuchen dabei, den Mächtigen dieser Welt ein ruhiges Hinterland zu bieten, in welchem sie sich ungestört austauschen können. Uns ist es wichtig, ihre Ruhe zu durchbrechen!

Wenn etwa Trump mit seiner hundertköpfigen Delegation in die Schweiz reist, um die Interessen des US-Imperialismus zu vertreten und Deals zugunsten seiner Clique abzuschliessen, dann solidarisieren wir uns durch unsere Aktionen mit all jenen, die in den Vereinigten Staaten und sonst wo gegen diese Politik protestieren. Wenn der türkische Staat Minister schickt, um Freihandelsverträge mit der Schweiz zu unterschreiben während sie gleichzeitig Afrin angreifen, dann solidarisieren wir uns mit der Bevölkerung von Rojava und allen, die den reaktionären türkischen Staat angreifen. Wenn Berset, Schneider-Ammann und Sommaruga in den Bergen lächelnd und händeschüttelnd eine Diplomatie pflegen, die nur dem hiesigen Kapital (wie beispielsweise der Rüstungsindustrie) dient, dann kämpfen wir umso entschlossener für eine Gesellschaft, in welcher nicht der Profit von wenigen im Zentrum steht.

In der allgemeinen gesellschaftlichen Polarisierung, deren Ursache in der Krise und Perspektivlosigkeit des Kapitalismus zu suchen ist, ist unser Ziel die Verbindung der Kämpfe von unten gegen dieses System und darin der Aufbau einer klaren revolutionären Position. Angesichts aller Übel und Kriege, für die letztlich diejenigen mitverantwortlich sind, die sich jetzt in Davos treffen, ist für uns klar: Die Zukunft in die eigenen Hände nehmen bedingt den Sturz des Kapitalismus!

Smash WEF!

Revolutionärer Aufbau Schweiz
Revolutionäre Jugend Gruppe Bern
Revolutionäres Bündnis Zürich
Revolutionäre Jugend Zürich
Reviravolta Bern
ask! – Aktion gegen Staat & Kapital
Devrimci Komünarlar Partisi / Birleşik Özgürlük Güçleri (DKP/BÖG)
Anarchistische Gruppe Bern
Yeni Demokratik Gençlik (YDG) – İsviçre/Schweiz/Suisse
Tierrechtsgruppe Zürich
Cigno Nero Solothurn

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Trump not welcome – Demo in Zürich am 23. Januar

Die sogenannten «global leaders», einflussreiche Politiker*innen und die Verantwortlichen von internationalen Institutionen wie dem IWF, WTO oder EZB nehmen vom 23. bis 26. Januar 2018 in Davos am World Economic Forum (WEF) teil. Einer dieser Reichen und Mächtigen ist der US-Präsident Donald Trump, wie am 9. Januar 2018 von den Veranstalter*innen des WEF stolz verkündet wurde.

trumpnotwelcome
Trump der Sexist, Rassist und Ausbeuter wird als Stargast am diesjährigen WEF gefeiert. Dass Trump eingeladen wird, entblösst allerdings den Charakter des WEF als Treffen derjenigen, die für soziale und geschlechtliche Ungleichheit, rassistische Unterdrückung, globale Ausbeutung und Kriegstreiberei verantwortlich sind.

Der schweizerische Bundesrat hat angekündigt mit Trump das Gespräch zu suchen und über die wichtigen Beziehungen zwischen den USA und der Schweiz zu diskutieren. Wir hingegen rufen zu einer Demonstration in Zürich auf. Zum Auftakt des WEF am Dienstag, 23. Januar 2018 wollen wir um 18:30 Uhr lautstark gegen Trump protestieren und ihm klarmachen, dass er – wie alle anderen machthungrigen, frauenfeindlichen Rassisten – hier nicht willkommen ist.

Setzen wir gemeinsam ein starkes Zeichen gegen Rassismus, Sexismus und Ausbeutung!
Trump not welcome!
Smash WEF!

Wann: Dienstag, 23. Januar 2018, 18:30 Uhr
Wo: Helvetiaplatz Zürich (Bewilligung erteilt)

Unterstützende Organisationen:

1. Mai-Komitee Zürich | aktivistin.ch | Bewegung für den Sozialismus (BFS/MPS) | Der Funke | Direkte Solidarität mit Chiapas | Föderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in der Schweiz (ITIF) | fossil-free.ch | Industrial Workers of the World – JuraAlpenMittelland (IWW JAM) | JUSO Schweiz | Partei der Arbeit (PdA) | Sozialistische Zeitung Vorwärts | Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Zürich

Quelle: https://sozialismus.ch/event/demo-in-zuerich-trump-not-welcome/

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Gemeinsamer Aufruf zur NoWEF-Kampagne

Ob Clinton, Blair oder Schröder, ob Trump, Macron oder Modi: Das alljährliche World Economic Forum in Davos ist eine Ansammlung derjenigen, welche das herrschende kapitalistische Gesellschaftssystem vertreten und im Interesse desselben agieren. Es ist eine Zusammenkunft zwischen Politik und Kapital, deren Bedeutung in erster Linie in den Treffen abseits der öffentlichen Bühne zu suchen ist.

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Beispielhaft dafür ist die unverhohlene Freude des Schweizer Kapitals über den angekündigten Besuch von Trump und der hochkarätigen Truppe, die ihn begleiten wird. Niemand erhofft sich von seiner Präsenz ernsthaft eine bessere internationale politische Kooperation, zu gross sind die Widersprüche zwischen den verschiedenen Fraktionen der Herrschenden, es geht einzig um die ökonomischen Interessen der in Davos Anwesenden.

Das WEF und die Schweiz versuchen also, den Mächtigen dieser Welt ein ruhiges Hinterland zu bieten, in welchem sie sich ungestört austauschen können. Darum war, ist und bleibt klar, dass der antikapitalistische Protest gegen jedes WEF legitim und notwendig ist. Es ist ein Widerstand, der mittlerweile auf eine jahrzehntelange Geschichte in sich stets verändernden politischen Situationen zurückblicken kann.

Der Protest ist legitim, weil sich diejenigen in Davos treffen, welche Krise, Krieg und Zerrüttung zu verantworten haben, von der sie medienwirksam in ihrer Eigenwerbung immer reden. Er ist notwendig, weil mit der Störung der Ruhe in ihrem Hinterland tatsächlich etwas gegen das Funktionieren des kapitalistischen Systems getan werden kann.

In der allgemeinen gesellschaftlichen Polarisierung, deren Ursache in der Krise und Perspektivlosigkeit des Kapitalismus zu suchen ist, ist unser Ziel die Verbindung der Kämpfe von unten gegen dieses System und darin der Aufbau einer klaren revolutionären Position: Die Zukunft in die eigenen Hände nehmen bedingt den Sturz des Kapitalismus.

Nach der starken NoWEF-Demo am 13. Januar in Bern rufen wir für das nächste Wochenende zum NoWEF-Winterquartier in Zürich auf, zu einem gemeinsamen revolutionären Block an der NoWEF-Demo am 23. Januar in Zürich sowie zu Aktionen gegen das Forum während des WEF.

Smash WEF!

Revolutionärer Aufbau Schweiz
Revolutionäre Jugendgruppe Bern
Revolutionäres Bündnis Zürich
Revolutionäre Jugend Zürich
Reviravolta Bern
ask! – Aktion gegen Staat & Kapital
Devrimci Komünarlar Partisi / Birleşik Özgürlük Güçleri (DKP/BÖG)
Anarchistische Gruppe Bern

 

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NO FUTURE FOR CAPITALISM – NOWEF DEMO 13.01.2018

„Gemeinsame Zukunft entwickeln in einer brüchigen Welt“ etwa so lässt sich das diesjährige Motto des Weltwirtschaftsforum in Davos übersetzen. Einmal mehr inszenieren sich einige wirtschaftliche und politische Führer*innen als Retter*innen der Welt.
Flüchtlingsbewegungen, Krise der Demokratie, Unterdrückung der Frau und die Gefahr wachsenden Nationalismus werden vom WEF als Probleme erkannt. Die Lösung soll die Stärkung der globalen Weltpolitik sein. Kritisch wird erkannt, dass es den selbsternannten Eliten seit der letzten grossen Finanzkrise 2008 noch nicht gelungen ist, wieder Vertrauen in die Demokratie und den Kapitalismus herzustellen.

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Vielmehr haben sich die Probleme verschärft und es lässt sich kaum mehr von ihnen ablenken. Flüchtlingsströme nehmen unter anderem deswegen zu, weil die Ausbeutung von Ländern im Globalen Süden kontinuierlich zunimmt. Viele der am WEF anwesenden Konzerne und Staaten sind dafür mitverantwortlich.
Verschiedene Partnerorganisationen des WEFs beteiligen sich am Erwerb von Ackerflächen, welche den lokalen Bäuer*innen weggenommen werden. Diese werden durch das sogenannte Landgrabbing vom erwirtschafteten Reichtum ausgeschlossen und verlieren ihre Lebensgrundlage.
Am WEF präsente Konzerne, welche diese Profite einstreichen, sind beispielsweise die Deutsche Bank, die Credit Suisse oder auch BlackRock. Mit Nestlé ist auch jener Konzern vertreten, welcher mit der Privatisierung von Wasserquellen für das Elend vieler Menschen verantwortlich ist, die sich das Wasser anschliessend nicht mehr leisten können. Allen voran investiert China, dessen Präsident letztes Jahr am Wef als Sprecher auftrat, durch verschiedene Staatskonzerne in neo-koloniale Projekte in Afrika und treibt die Verarmung der Betroffenen weiter voran.
Bei diesem Elend nimmt jedoch gerade auch die Schweiz eine zentrale Rolle ein. Rohstoffkonzerne wie Glencore, der oben genannte Nahrungsmittelkonzern Nestlé aber auch Energiekonzerne wie Addax haben ihre Hauptsitze hier. Hinzu kommen eine Vielzahl an Banken und Anlagefonds, die aus der Schweiz heraus in Landgrabbing investieren.
Auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF) fliessen grosse Summen an Firmen, welche im Globalen Süden ihre Geschäfte auf Kosten der lokalen Bevölkerung machen. Der IWF ist mit Christine Lagarde gar im Co-Vorsitz des Treffens in Davos vertreten.

Gleichzeitig werden die Reichtümer in den wohlhabenden Ländern massiv abgeschottet. So werden die Aussengrenzen der EU, von Australien, den USA usw. militärisch abgeriegelt, wodurch tausende Menschen sterben. Kriege werden mit grossem Einsatz und neuer technischer Perversionen vorangetrieben. Imperialistische Kriege werden im Nahen Osten ausgetragen. So finden sich beispielsweise die USA, Türkei und Russland auf Syrischem Boden in gegnerischen Lagern wieder. Am WEF können sich Vertreter*innen von kriegstreibenden Staaten auch mit solchen von Unternehmen austauschen, welche durch die Aufrüstung mitverdienen.
Einige Beispiele von Partnern, die durch den Krieg profitieren, sind ABB (Instrumente zur Zielerfassung und Aufklärung), Volkswagen (Panzergetriebe durch Beteiligung an Renk), DHL (Logistik für die Bundeswehr) oder Technologiekonzerne wie Microsoft, IBM (Software zur militärischen Anwendung). Chinesische Konzerne haben eine grosse Menge der Waffen hergestellt, die der Islamische Staat nutzte und Saudi Arabien führt einen blutigen Krieg im Jemen.
Dabei wird ersichtlich, dass niemand am WEF ein wirkliches Interesse daran hat, Krieg zu bekämpfen. Vielmehr sind sie Mitverantwortlich für Elend, Vertreibung und Mord.
Ebenso zynisch ist die Kritik des WEF am Nationalismus. Dieser keimt auf, da sich die jeweiligen Staaten im globalen Konkurrenzkampf unter Druck sehen. Es wird auf die nationale Einheit geschworen und die Grenzen dicht gemacht. Alles in der Hoffnung, der eigene Staat könne wirtschaftliche Krisen abwenden. Brexit, Erdogan, die AFD und die AltRight Bewegung sind nur einige Beispiele dafür. Viele rechtspopulistische Bewegungen und Parteien wissen grosse Teile des Kapitals hinter sich und auch nationalistische Politiker*innen werden am WEF wie auch schon in den letzten Jahren anwesend sein.

Diese Probleme können nicht von ihren Verursachern behoben werden. Kapitalismus und seine Politik stehen dem Abgrund nahe und die Staaten sind bereit, Veränderungen mit viel Gewalt zu verhindern. Progressive Bewegungen, welche die Probleme an ihren Wurzeln packen wollen, werden weltweit verboten und bekämpft.
Lasst uns also sinnlose Konkurrenzkämpfe untereinander beenden und gemeinsam Ausbeutung und Unterdrückung bekämpfen.

Es liegt an uns, Alternativen zu dieser gewaltsamen, unsolidarischen und egoistischen Gesellschaft zu schaffen!

Es liegt an uns, revolutionäre Perspektiven zu schaffen und für radikale Veränderungen einzutreten!

NO FUTURE FOR CAPITALISM
UNITE GLOBAL STRUGGLES

Quelle: http://revolutionär.ch/wordpress/

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Renitente Nr. 2

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renitente ist ein offenes Zeitungsprojekt, das vielfältige kritische Stimmen zu Migrationsregimen veröffentlicht. renitente vertritt keine Einheitsmeinung, sondern verschiedene Positionen im Kampf gegen Rassismus, das Camp-System und Fremdbestimmung. Willst Du mitschreiben oder hast eine Kritik an den Texten, dann schreib uns auf: renitente@immerda.ch

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Besetzen vor besitzen

Stadt Luzern, 04.01.2017: Am Dienstagabend ist eine Menschengruppe in das teilweise leerstehende, rosarote Haus an der Güterstrasse 7 eingezogen. Sie möchten die leerstehenden Räume für den Betrieb der «Autonomen Schule Luzern» nutzen. Wer solche Vorhaben kriminalisiert, macht sich schweren Verbrechen an der Menschlichkeit, die nach 2017 vielleicht noch in einigen von uns steckt, strafbar.

Ein hübsches Wortspiel ziert die Fassade des Hauses an der Güterstrasse: «Schule Braucht Blatz.» Doch die Schweizerischen Bundesbahnen, wie der Verein richtig heisst, versteht keinen Spass. In einem ersten Kennenlernmail von «Rosa Lavache», der Besetzergruppe,  an die SBB hiess es: « … haben wir uns für diese unbürokratische Einzugsart entschieden, um lange Wartezeiten und Leerstand zu umgehen … sind an einer Regularisierung der Situation im Sinne einer solidarischen Nutzung interessiert … würden uns sehr freuen, wenn ein solcher Vertrag zwischen der SBB Immobilien AG und unserem Verein zu Stande kommen könnte.» Fern von piratischer Bsetzerli-Attitüde versuchte man in einen konstruktiven Dialog zu treten.

Die SBB jedoch leitet, wie man bei einem beliebigen der einander abschreibenden Luzerner Medien nachlesen kann, die «notwendigen rechtlichen Schritte» ein. Das heisst, sie erstattet Strafanzeige und wartet auf die Luzerner Kavallerie, die momentan von Sparmassnahmen und mit Wind überfordert ist. «Kriminell», «rechtlich», «Eigentum». In der Furzprovinz wird im selben Gähnjargon gesprochen wie bei der jüngsten Besetzung an der Obergrundstrasse.

Natürlich ist es kriminell, fremdes Eigentum zu besetzen. Natürlich ist das unrechtens. But that’s not the point. Man kann es nur unendlich wiederholen, bis es auch in die winzigen Köpfe der 20-Minuten-Kommentarspaltenschreiberlinge passt: Recht und Gesetz sind keine gottgegebenen Strukturen, nach denen wir zu leben haben. Es sind mensch- (wohlbemerkt meist mann-)gemachte Vorgaben, die ein sinnvolles Zusammenleben ermöglichen. Körperverletzungen sollte man nach wie vor ahnden, weil sie weh tun. Es gibt aber auch Dinge, die niemandem weh tun und schon gar nicht der SBB, deren Chef mehr verdient als der Bundesrat (und deren Züge trotzdem regelmässig Verspätung haben). Bevor also die Achse der Bürgerlichkeit mit der Rechtskeule um sich schlägt, sollte sie sich überlegen, ob eine Schule für Asylsuchende in einem leerstehenden Gebäude oder ein leerstehendes Gebäude der Gesellschaft mehr bringt. Und dann sollte sie sich fragen, ob ein pragmatischer Umgang mit Besetzungen ein gangbarer Weg wäre.

Man hört sie schon, die Stimme der Gemässigten, die ja eigentlich derartige Nutzungen gutheissen, aber auf die mangelhafte Sicherheit des Gebäudes hinweisen – die SBB hatte allen Mietparteien auf September 2017 gekündigt, nachdem ein SBB-Bauingenieur das Gebäude begutachtete und auf «Risse in tragenden Wänden» hinwies. Erstens: Erinnern Sie sich noch daran, wann das letzte Mal in der Schweiz ein Gebäude einfach so zusammengekracht ist? Eben. Zweitens: Drei Mietparteien haben vor dem Schlichtungsgericht Recht erhalten und befinden sich immer noch im Gebäude. Gefährlicher als das Gericht erlaubt wird es nicht sein.

Was für eine Chance für die SBB! Ihre Rösslimattüberbauungspläne stossen bei einem grossen Teil der Stadtbevölkerung sauer auf. Hier könnte sie einen gutmütigen Kompromiss eingehen, es wäre ja nur vorübergehend. Was für eine Chance für die städtische Baudirektion! In einer 3fach-Podiumsdiskussion gab Manuela Jost auf die Frage, wie sie die Situation bezüglich kreativem Freiraum in Luzern einschätze, zu: «Simmer dranne, aber hemmer velecht nonig gnüegend.» In diesem Fall könnte sie ihren Worten Taten folgen lassen und sich zwischen die SBB und die Besetzergruppe schalten.

Und was können Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, tun? Ich dürfte Ihnen natürlich niemals ans Herz legen, die neuen Bewohnerinnen und Bewohner an der Güterstrasse 7 zu besuchen, weil das ein Aufruf zu einer Straftat wäre. Und ich würde Ihnen auf keinen Fall ans Herz legen, Ihren Besuch dort zu geniessen, zum Beispiel am Freitag, 5. Januar, ab 18 Uhr bei Apéro, Konzert und Auflegerei oder am Sonntag, 7. Januar, ab 18 Uhr bei Znacht und Film.

Quelle: https://www.null41.ch/blog/besetzen-vor-besitzen

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Hausbesetzung an der Luzerner Güterstrasse

Quelle: https://www.zentralplus.ch/de/news/aktuell/5557112/Hausbesetzung-an-der-Luzerner-G%C3%BCterstrasse.htm

In der Nacht auf Mittwoch wurde eine leere Wohnung an der Güterstrasse 7 besetzt, wie die Gruppe «Rosa Lavache» am frühen Morgen mitteilt. Am Wochenende sollen erstmals öffentliche Aperos und Konzerte stattfinden. Das Ziel: Der momentan ungenutzte Raum soll der Autonomen Schule Luzern zur Verfügung gestellt werden.

Im Sommer 2017 hatte die SBB allen Mietern der Güterstrasse 7 gekündigt, weil dereinst eine Grossüberbauung geplant ist. Im September mussten alle Mieter ihre Wohnungen verlassen (zentralplus berichtete), diese stehen seitdem leer. Nun sei eine der leeren Wohnungen an der Güterstrasse 7 in Luzern von Rosa Lavache wiederbelebt worden, schreiben die Aktivisten: «Für das Gebäude sind seitens der Eigentümerin SBB keine Nutzungs- oder Baupläne vorgesehen.»

Bemühung um Gespräche

gueterstrasse
Auf verschiedenen Wegen habe Rosa Lavache sich um den Dialog bezüglich einer sinnvollen Nutzung mit der SBB Immobilien AG bemüht – offenbar aber ohne Erfolg. «Hinsichtlich der ausbleibenden Bereitschaft der Eigentümerin mit ihr zu verhandeln, will Rosa Lavache nun durch eine offene Kommunikation auch anderen Interessierten den Zugang ermöglichen und sie in die Diskussion miteinbeziehen», steht in der Medienmitteilung weiter.

«Mehr Freiraum für die Stadt»

Ein leerstehendes Gebäude sei die denkbar schlechteste Form der Raumnutzung. «Daher sollte es selbstverständlich sein, diesen Umstand gemeinsam zu hinterfragen und dagegen vorzugehen. Die Stadt Luzern brauche Freiraum, nicht Leerraum!», wird die Aktion weiter erklärt. Eröffnen wollen die Aktivisten an der Güterstrasse 7 deshalb einen «freien Kultur- und Begegnungsort, der den Gebrauch und die Mitgestaltung allen Interessierten ermöglicht.» Man suche mit der Aktion eine Alternative zur «gemeinschaftsfeindlichen» Stadtentwicklung.

Schule soll leere Räume erhalten

Im Schreiben wird auch die Forderung klar, was dereinst mit den Wohnungen geschehen soll: «Rosa Lavache will, dass die leeren Räume an der Güterstrasse 7 der Autonomen Schule Luzern (ASL) zur Verfügung gestellt werden.» Diese setzte sich für die Ideologie dieses Projektes ein. «Die ASL ist ein selbstverwaltetes Bildungsprojekt, welches allen Menschen – unabhängig von Aufenthaltstiteln, sozialem Hintergrund, Geschlecht, Alter und Einkommen – Raum für Wissensaustausch und Gemeinschaft zugänglich macht.»

Öffentliche Veranstaltungen am Wochenende

Ab sofort werde die Wohnung genutzt, wird weiter bekanntgegeben. Am Freitag, 5. Januar gebe es einen öffentlichen Apéro und Konzerte, am Sonntag, 7. Januar Znacht und Kinoabend. «Konstanteres Schulprogramm findet statt, sobald eine stabile juristische Lösung gefunden wurde. Dies, um Personen mit prekären Aufenthaltstiteln nicht zu gefährden», schliesst die Mitteilung.

 

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Licht ins Dunkel des Schwarzen Blocks

Die polizeilichen Ermittlungen nach dem G20-Gipfel in Hamburg dienen offenbar vor allem der Ausforschung der linken Szene und der Erprobung neuer elektronischer Überwachungsmittel. Das Demonstrationsrecht wird zudem immer restriktiver gehandhabt.

Staatsfeind Nummer eins ist in diesem Winter der »Schwarze Block« – für die Polizei eine reale Bedrohung der inneren Sicherheit, für andere eher ein schon reichlich in die Jahre gekommener Mythos, der darauf basiert, dass uniformierte Polizisten aus Kleidungskonventionen Organisationszusammenhänge ableiten. Zwar hat die Hamburger Polizei mittlerweile ihr Hinweisportal ­geschlossen, in dem der geneigte Hilfsermittler mit dem Handy aufgenommene Fotos und Videos hochladen konnte, um dazu beizutragen, dass die Aufklärungsquote für von Zivilisten im Verlauf der G20-Proteste begangene Straftaten über der Beteiligungsquote an der Bundestagswahl liegt. Die 165 Beamte umfassende Sonderkommission (Soko) »Schwarzer Block« arbeitet aber weiterhin unermüdlich und mit Servicezeiten von Montag bis Freitag, von ­denen sich nicht nur die Telekom eine Scheibe abschneiden könnte.

3 000 Verfahren sollen es derzeit sein, die in diesem Zusammenhang betrieben werden, sage und schreibe 25 000 Videos sollen von Polizeibeamten aufgenommen und ausgewertet worden sein, 100 Festplatten mit bewegten Bildern von Überwachungs­kameras aus öffentlichen Verkehrsmitteln sollen die Beamten eingezogen ­haben. Hinzu kommen 7 000 Bilderstrecken, die zivile Augenzeugen an die Soko übermittelt haben sollen.

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Videos, Bilder und Geodaten werden ausgewertet

Offensichtlich reicht jedoch all das für die angestrebte Massenstrafverfolgung nicht, so dass die Polizei sich an die Medien wandte und diese um die Übermittlung der von ihnen gedrehten Videos bat – auch und gerade nicht gesendetes Material war den Polizisten willkommen. Immerhin konnte so nach ­Angaben der Hamburger Behörden Material in ­»Größe einer dreistelligen Zahl von Gigabyte« akquiriert werden. Nach Berechnungen des NDR-Medienmagazins »Zapp« handelt es sich um mindestens 15 Stunden Bildmaterial, die von RTL und einer freien Produktionsfirma übermittelt wurden. Die öffentlich-rechtlichen Sender dagegen weigerten sich, den Behörden Material zur Verfügung zu stellen. Sie beharren auf der Trennung der Aufgaben von Medien und ­Polizei. Journalisten als Fahndungshelfer engagieren zu wollen, erfordert ohnehin eine gewisse Chuzpe, hatten Polizei und Geheimdienste doch während des Gipfeltreffens dafür gesorgt, dass 32 Journalisten ihre Akkreditierung entzogen wurde.

In Hamburg werden aber nicht nur enorme Mengen Bildmaterial aus allen möglichen Quellen gesammelt und ausgewertet, die Polizei sucht auch nach Wegen, die Auswertung durch den Einsatz neuer Software zu beschleunigen. Geodaten des Bildmaterials maschinell zu erfassen, fällt mittlerweile offenbar recht leicht. Software zur Gesichtserkennung dagegen muss noch deutlich verbessert werden, bevor sie sich effizient einsetzen lässt.

Derzeit stellt sich die polizeiliche Nachbearbeitung der Proteste gegen den G20-Gipfel als ein bemerkenswertes Konglomerat dar: Zum einen geht es darum, die Aufmerksamkeit von der polizeilichen Arbeit selbst abzulenken, die von Beobachtern als brutal, unverhältnismäßig und zugleich wenig effi­zient kritisiert worden war. Zum anderen hoffen die Ermittler, eine Fund­grube für die Erkundung von Organisationsstrukturen, Verbindungen und Protestmethoden aller Art aufgetan zu haben. Schließlich war der G20-Gipfel auch für die Linke ein Prestigeprojekt, das erheblichen Einsatz verlangte.

 

Razzien gegen Linke bundesweit

Dass die Polizei im rot-grün regierten Hamburg dafür Unterstützung von den Polizeibehörden der anderen Bundesländer erhält, ist deswegen nicht sonderlich überraschend. Das Ermittlungsvorhaben ist grundsätzlich an­gelegt. »Wir wollen den Linksextremismus bis zum Kern bekämpfen«, sagte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) nach der Innenministerkonferenz vergangene Woche in Leipzig. Ziel sei es, die linksextremen Strukturen in Deutschland zu erhellen, so Stahlknecht.

Tatsächlich wurden im Zuge der Razzien, die am Montag vergangener ­Woche bundesweit in 24 Objekten am frühen Morgen stattfanden, auch Handys und Datenspeicher zur Auswertung mitgengenommen, die die Polizei schon einmal kurz nach den Gipfel­protesten beschlagnahmt und ausgelesen hatte. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer plauderte ganz offen aus, dass es bei der Razzia nicht darum gegangen sei, Beweise zu sammeln. Vielmehr habe man das Ziel verfolgt, »Hintergründe, Verbindungen und Strukturen der linken Szene« offenzulegen. Dass die Polizei im Zuge der ­eingeleiteten Strafverfahren umfassende Erkenntnisse über die linksradikale militante Szene oder deren mutmaßliche Sympathisanten sammeln will, führt sie rechtlich auf dünnes Eis: Zwar ist Gefahrenabwehr auch eine polizei­liche Aufgabe, sie folgt aber anderen, im Grundsatz strengeren Regeln als die Strafverfolgung. Die Sammlung von Informationen allein um der polizeilichen Ausforschung linker Strukturen willen ist nicht erlaubt. Sie wäre allenfalls Aufgabe der Inlandsgeheimdienste – deren Arbeit allerdings immer ­weniger streng von der polizeilichen Arbeit und Vorgehensweise getrennt abläuft.

 

Die Hamburger Justiz zeigt Härte

Während die polizeilichen Ermittlungen noch laufen, will auch die Hamburger Justiz Härte zeigen. Sie hat teilweise drakonische Strafen verhängt – drei Jahre Haft für einen 28jährigen Hamburger wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, versuchter gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf acht Polizisten sind derzeit das Höchstmaß. Der Angeklagte war nicht vermummt, in erster Reihe zu sehen und hat sich so auch an der Plünderung von zwei Supermärkten beteiligt. Für die Staatsanwaltschaft ein Fall unprofessioneller Kleidung, aber professioneller Vorgehensweise.
Deutlich über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß von ­einem Jahr und neun Monaten hinaus – das noch eine Aussetzung zur Bewährung ermöglicht hätte – erging ein Urteil des Amtsgerichts gegen einen 21jährigen Niederländer wegen schweren Landfriedensbruchs. Der Angeklagte hatte zwei Flaschen auf Polizisten geworfen und erhielt dafür 31 Monate Haft.

Der 18jährige Fabio V. wurde bislang nicht verurteilt, saß aber schon viereinhalb Monate in Untersuchungshaft, ehe er gegen eine Kaution von 10 000 Euro auf freien Fuß gesetzt wurde. Dem jungen Italiener legte die Staatsanwaltschaft noch nicht einmal eine konkrete Beteiligung an einem Gewalt­delikt zur Last. Lediglich seine Anwesenheit in der Straße Rondenbarg wird ihm vorgeworfen. Am 7. Juli flogen dort Steine und Pyrotechnik auf Polizisten, 73 Menschen wurden festgenommen, 14 Demonstranten erlitten zum Teil ­erhebliche Verletzungen durch das brutale Vorgehen der Polizei. Dem Gericht reichte als Beleg für die Annahme, Fabio V. habe »sich bewaffneten Ausschreitungen« anschließen wollen, dass er im Sommer einen Schal mit­geführt und sich geweigert habe, ihm vorgelegte Dokumente zu unterschreiben.

Quelle: https://www.jungle.world/artikel/2017/50/licht-ins-dunkel-des-schwarzen-blocks

 

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Anarchismus, Russische Revolution und die Schweizer Arbeiter*innenbewegung

In den aktuellen Debatten um die Russische Revolution wird der Anarchismus kaum berücksichtigt. Dabei hatten die libertären Stimmen vor 100 Jahren durchaus Gewicht − auch in der Schweiz. Hier reagierten Anarchist*innen und Linksradikale in vielfältiger und manchmal gegensätzlicher Weise auf den Triumph der Bolschewiki.

anarchismus

Landauf, landab wird der russischen Oktoberrevolution gedacht. Alles was sich links versteht, scheint sich zurzeit mit der Problematik einer misslungenen linken Revolution auseinanderzusetzen. In der Schweiz allen voran der «sozialkritische Thinktank» Denknetz, der am 11. November eine Tagung zum Thema 100 Jahre Russische Revolution durchgeführt hat. Die zur Veranstaltung herausgegebene Nummer der Zeitung Das Denknetz verkündet auf der ersten Seite schon mal falsch, dass sich die Revolution am 24. Oktober zum hundertsten Mal jähre, nur irgendwo im Innern wird das Datum korrekt auf den 7. November unserer Zeitrechnung fixiert. Eine in der Zeitung aufgeführte Bücherliste zur Russischen Revolution zeigt, welch Geistes Kind die Veranstalter mehrheitlich sind: So gilt ihnen Leo Trotzkis verstaubte Geschichte der Russischen Revolution noch immer «als ein Meisterwerk marxistischer Geschichtsschreibung». Auch andere Klassiker über die Russische Revolution werden angeführt. Was fehlt, sind alle Klassiker der anarchistischen Kritik an der Russischen Revolution wie Emma Goldmans My Disillusionment in Russia (1923) und Grigori Maximoffs The Guillotine at Work (1940). Als einziger vermeintlich anarchistischer Zeitzeuge wird Victor Serge mit seinem Buch Erinnerungen eines Revolutionärs (1951) aufgelistet. Zu der Zeit, als er das Buch schrieb, war er aber längst kein Anarchist mehr, sondern stand den Trotzkisten nahe. Nur eine einzige neuere Arbeit aus Anarchismus naher Ecke, nämlich die des Historikers Ewgeniy Kasakow, wird zitiert. Kasakow wendet sich, anhand der neusten Forschung, verdienstvoll gegen bis heute herumschwirrende anarchistische Mythen über die Russische Revolution, streitet aber das Vorhandensein einer starken linken parteiunabhängigen Basisbewegung nicht ab. Doch die Alt-Trotzkisten und ehemaligen und jetzigen Gewerkschaftsfunktionäre, die an der Literaturliste beteiligt waren, interpretieren Kasakows Aufsatz Bewegung versus Avantgarde? dahingehend um, dass es keine starken linken Basisbewegungen gegeben hätte. Kasakow schreibt dies aber nirgendwo, sondern stellt nur fest, dass unter den wirtschaftlichen Sachzwängen und den menschlichen Schwächen der Beteiligten es sehr unwahrscheinlich gewesen wäre, dass die Basisbewegungen eine wirkliche Alternative zu den Bolschewiki geworden wären. Die Interpretation des Aufsatzes durch die Denknetzwerker dient natürlich der Bestätigung, dass die bolschewistischen Führer wie Trotzki alternativlos waren, weshalb eine rätekommunistische oder anarchistische Sicht auf die Russische Revolution für eine solche Veranstaltung, die sich scheinbar ideologisch offen gibt (so zum russischen Nationalbolschewismus eines Boris Kagarlitzky), für die Veranstalter*innen nicht relevant erscheint.

Unerhörte Emma Goldman: «There Is No Communism in Russia»

Diesen verengten Blick ehemaliger Marxisten-Leninisten, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft gut etabliert haben, würden natürlich Aussagen des marxistischen Philosophen Karl Korsch nur stören. Dieser schreibt, dass der Wiederaufbau einer revolutionären Theorie und Praxis nur durch den Bruch mit dem monopolistischen Anspruch des Marxismus auf die theoretische und praktische Führung erfolgen kann. Dazu kommt wohl auch, dass die Veranstalter*innen ihren Anspruch, aus der Geschichte revolutionäre Schlüsse zu ziehen, längst aufgegeben haben. Genauso wie es sie in ihrer Weltsicht stören würde, zu verstehen, dass die Wirkung der Russischen Revolution auf die Schweizer Arbeiter*innenbewegung und das Schweizer Bürgertum, ohne Berücksichtigung des Anarchismus in- und ausserhalb der Schweizer Sozialdemokratie, nicht verstanden werden kann und unvollständig ist.

Anarchist*innen in Partei und Gewerkschaft

Vor und während des Ersten Weltkrieges galten die Anarchist*innen als vernachlässigbare Minderheit in der Schweizer Arbeiter*innenbewegung. Auf den ersten Blick scheint dies auch richtig, gab es doch nur in ein paar grösseren Schweizer Städten organisierte Gruppen. Zu den grössten gehörten bis zum Ersten Weltkrieg der anarchistische Sozialistische Bund (SB), die Gruppen um die Zeitung Le Réveil und die überall verbreiteten italienischsprachigen Gruppen, die sich um die Il Risveglio gruppierten. Die Anarchist*innen des SB waren mehrheitlich Mitglieder in der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SPS). Es ist sowohl für Sozialdemokrat*innen und Anarchist*innen bis heute schwer verständlich, dass sich bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in der Deutschschweiz der revolutionäre Flügel der SPS und der Gewerkschaften nicht nur aus Marxist*innen, sondern auch aus Anarchist*innen zusammensetzte. Die berühmtesten Beispiele sozialdemokratischer Anarchist*innen sind natürlich Fritz Brupbacher und die Mitgründerin des SB, Margarete Faas Hardegger. Ebenso standen in dieser Zeit grosse Teile der Sozialistischen Jugendorganisation (SJO) einem Anarchismus kropotkinscher Prägung nahe. Die französisch- und italienischsprachigen Gruppen standen jedoch ausserhalb der Sozialdemokratie und wurden von einem Kreis um Luigi Bertoni gefördert.

Brupbacher, Hardegger, Bertoni.

Lenin: «Nur mit der Jugend lohnt es sich zu arbeiten»

Während des Ersten Weltkriegs waren es denn auch die Anarchist*innen, mit und ohne sozialdemokratischem Mantel, nebst einigen revolutionären Marxist*innen, die den steigenden Unmut der städtischen Arbeiter*innenschaft, der sich in Teuerungs- und Hungerdemonstrationen manifestierte, aktiv unterstützten. Sie erhofften sich eine Neue Gesellschaft durch Erschaffung einer revolutionären Stimmung in der Bevölkerung. Der damals in Zürich arbeitende Anarchist Enrico Arrigoni erinnert sich später: «Wir italienischen Anarchisten hatten die Idee eine Revolution zu machen.» Dass es dabei teilweise zu blutigen Zusammenstössen von unbewaffneten Demonstrant*innen mit säbelschwingenden Polizisten (Kosaken, so deren Übername in der Arbeiterschaft) kam, hatten nicht zuletzt auch Sozialdemokraten wie der Stadtzürcher Polizeivorstand Jakob Vogelsanger mit zu verantworten.

Der Zürcher Paradeplatz wird während dem Generalstreik 1918 von «Kosaken» besetzt.

Die Anarchist*innen und die SJO waren vehemente Gegner*innen der Militärmaschinerie und ihres zerstörerischen Produktes, dem Krieg. So führte eine Gruppe um Luigi Bertoni in der Deutsch- und der Westschweiz antimilitaristische Kampagnen durch und half internierten Deserteuren, sich den für sie errichteten Arbeitslagern zu entziehen. Überall wo während des Ersten Weltkriegs Widerstand gegen die mit unbeschränkten Vollmachten ausgestattete bürgerliche Regierung vorhanden war, da waren Anarchist*innen anzutreffen. Dies erkannte auch Lenin, der seit dem Herbst 1914 in der Schweiz wohnte. «Nur mit der Jugend lohnt es sich zu arbeiten», verkündete er über die SJO anfangs 1917, erkennend, dass sie das revolutionäre Element war mit dem er seine Revolution führen musste. Als überzeugter orthodoxer Marxist störte er sich zwar am starken Einfluss des Anarchismus auf die SJO, doch er hoffte, sie einfacher als die erwachsenen Anarchist*innen, vom Anarchismus weg, hin zu seinem Marxismus bringen zu können. Dabei half ihm, dass wichtige Symbolfiguren des Anarchismus wie Kropotkin sich öffentlich für eine Kriegspartei, die Entente, ausgesprochen und damit dem Ansehen des Anarchismus massiv geschadet hatten. Nicht zuletzt mit diesem anarchistischen Zielpublikum im Auge verfasste er später seine Revolutionsschrift Staat und Revolution.

Jetzt ein Promi! Die Schweizer Illustrierte portraitiert «Ulianoff» im Dezember 1917.

Bolschewismus als Synthese von Marx und Bakunin?

Staat und Revolution verfehlte seine Wirkung nicht und viele Anarchist*innen wie Brupbacher glaubten nach der Lektüre der Schrift, dass der Bolschewismus jetzt seine schon lange propagierte weltweite Synthese von Bakunin mit Marx sei, die da und dort schon im Oktober 1917, durch neu gebildete Gruppen wie die der Zeitungsgruppe Forderung in Zürich, entstanden waren. Die revolutionäre Zeitung Die Forderung wurde von den ehemaligen SB-Mitgliedern Cilla Itschner Stamm und Hans Itschner herausgegeben und vom schon stark von Lenins Ideen beeinflussten anarchistischen Flügel der SJO mitgetragen. Auch einige religiöse Sozialist*innen um den Theologen Leonhard Ragaz, die sich zu dieser Zeit zu einem tolstoianischen Anarchismus bekannten, halfen mit, die Zeitung herauszugegeben. Als im November 1917 in der Schweiz die russische Oktoberrevolution Schlagzeilen machte und grosse Teile der städtischen Bevölkerung sich ebenfalls eine Oktoberrevolution in der Schweiz erhofften und auf die Strasse gingen − «In diesem Glauben befand man sich − mit Schwankungen − bis etwa Mitte 1919», erinnert sich Brupbacher − da waren die Forderungs-Leute wichtige Protagonist*innen des Geschehens.

«Der Sozialismus bricht an!» Flugschrift der Gruppe Forderung.

Auch das Bürgertum, so der spätere Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Willy Bretscher, sah im entstehenden Bolschewismus nichts anderes als die Vollstreckung der Ideen Bakunins. Wie wichtig in diesen Kreisen der Anarchismus geblieben war, zeigt sich auch darin, dass der Altanarchist, Jungburschenpapa und enge Freund Brupbachers Edy Meyer Ende 1918 mit Brupbachers Hilfe Kropotkins Der Wohlstand für Alle wieder herausgab. Diese zeitweilige Einheit ist auch in einem Polizeibericht über eine Veranstaltung anfangs 1919 dokumentiert, an der Erich Marks «als Angehöriger der alten, anarchistisch gerichteten Internationale» für eine Einigung zwischen Anarchisten, Kommunisten und wirklichen Sozialisten, d.h. Sozialrevolutionären geworben habe und an der am Schluss verkündet worden sei: «So mögen uns Bakunin und Krapotkin Führer sein, wenn wir in die kommende Revolution hineinschreiten.»

Bombenprozess und Masseninhaftierung 1918

Die Schweizer Regierung erkannte in den Anarchist*innen schon länger eine Gefahr für die herrschenden Verhältnisse. Als im Frühling 1918 ein Bombenlager in Zürich gefunden wurde, nahm die Schweizer Regierung dies zum Anlass, flächendeckend über hundert Anarchist*innen bis Ende 1918 zu verhaften.

Hetze in der Schweizer Satirezeitschrift Nebelspalter, 1895.

Ein Grossteil der Verhafteten waren Mitglieder italienischsprachiger Gruppen in Zürich und anderen Städten. Die Mehrheit der Inhaftierten wurde unter fragwürdigen Anklagen ausgeschafft und Dutzenden der Prozess gemacht. Zwei Personen starben in der Haft. Die grössten Anarchistengruppen in der Schweiz wurden durch diese Aktionen geschwächt und ihrer wichtigsten Personen beraubt oder sogar zerschlagen. So blieb der im Mai 1918 verhaftete Bertoni bis zu seinem Freispruch im Sommer 1919 in Haft. Die Anarchist*innen propagierten schon lange den revolutionären Generalstreik, der zur Revolution in der Schweiz führen sollte, doch als im November 1918 in der ganzen Schweiz ein Generalstreik ausgerufen wird, sind sie an ihm kaum beteiligt.

Revolutionäre «Altkommunisten» für eine Rätedemokratie

Der enttäuschende Verlauf des Generalstreiks liess darauf einen Teil der Forderungs-Leute, wie Leoni Kascher und Jakob Herzog, sich vermehrt auf den Aufbau einer ersten revolutionären kommunistischen Partei in der Schweiz konzentrieren. Mit der Ausweisung Kaschers Ende 1919 und der mehrmaligen Inhaftierung vieler Aktivst*innen wie Herzog, die immer wieder versuchten, durch direkte Aktion ein revolutionäres Feuer zu entfachen, erlahmte aber der Aktionismus zusehends und ging immer mehr in klassische Parteiarbeit über.

Leonie Kascher und Joggi Herzog.

Obwohl die Kommunistische Partei (KP oder Altkommunisten, wie sie später genannt wurden) ein anarchistisch-rätekommunistisches Programm vertrat, führte die zunehmende Strukturierung als Partei dazu, dass sich die reinen Anarchist*innen wieder in eigenen Gruppen zusammenschlossen. Die Gruppen der Altkommunist*innen und der Anarchist*innen blieben aber freundschaftlich verbunden, waren doch die Ziele der Altkommunisten denen der Anarchist*innen nahe. Eine von den Altkommunisten herausgegebene Schrift über den kommenden Kommunismus fordert denn auch als ersten Punkt: «Neubildung der Regierung auf der Grundlage des Systems der Arbeiter- und Bauernräte und Übergabe der ganzen Regierungsgewalt an diese.» Von den Anarchist*innen in der SPS blieben nur ein paar Theologen übrig, die 1919 die anarchische Zeitung Freie sozialistische Blätter herausgaben, die als eine der ersten linken Zeitungen die Bolschewiki und ihre Diktatur des Proletariats kritisierten: «Die Anarchisten aber stehen und lachen auch über Lenin und Trotzky.»

Libertäre distanzieren sich von der KPS

Als sich 1921 ein Teil der SPS abspaltete und sich mit den Altkommunisten zur Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS) zusammenschloss, wendeten sich die ersten ehemaligen Anarchist*innen von der KPS ab und wieder dem Anarchismus zu, gab die KPS doch alle rätedemokratischen Grundsätze auf. Nebst den bekannten umtriebigen Westschweizer Anarchist*innen Bertoni und Lucien Tronchet tauchten in der Deutschschweiz nun Namen aktiver Anarchist*innen wie Bourquin, Riethmann und Vogt auf. Im Juli 1925 fand in Zürich sogar ein Anarchistenkongress statt, der von den Risveglio-Gruppen organisiert wurde. Auch als 1926 die Komintern die KPS zu stalinisieren begann, traten weitere ehemalige Anarchist*innen aus der Partei aus und gründeten in der ganzen Schweiz anarchistische Gruppen und Grüppchen. In der Westschweiz, wo der Anarchismus in Genf wegen der Gruppe um Bertoni stets gut verankert war, nahmen innerhalb der Gewerkschaften
anarchosyndikalistische Ideen zu. Kein Wunder also, dass die KPS, auch wenn sie stets behauptete, dass der Anarchismus keine Rolle mehr spiele, ihn bei jedem Anlass angriff. Ihre Angriffe bestätigten nur, dass die anarchistische Kritik sie nicht gleichgültig liess, waren sie doch die einzigen Kritiker*innen von ganz links, denen sie nicht ernsthaft den Vorwurf machen konnten, bürgerlich zu sein, wie sie es den Sozialdemokraten vorwarfen, auch wenn sie den Anarchismus stets als kleinbürgerlich beschimpften.

Diese Verflechtungen und Einflüsse innerhalb der radikalen Arbeiter*innenbewegung sind aber kein Thema in den aktuellen Debatten über die Vorgänge in der Schweiz vor und nach der Oktoberrevolution, und dies zeigt nur, wie sehr die Arbeiter*innengeschichtsschreibung in der Schweiz noch immer, von einigen löblichen Ausnahmen abgesehen, auf einer zurechtgebogenen sozialdemokratischen, bürgerlichen oder orthodoxmarxistischen, auf einer ideologisierten Geschichtsschreibung basiert.

Für eine Vertiefung des Themas empfiehlt sich das 2017 von Philippe Kellermann im Berliner Dietz Verlag herausgegebene Buch
Anarchismus und Russische Revolution. Darin enthalten ein Beitrag von Werner Portmann über die Wirkung der Oktoberrevolution auf den Anarchismus in der Schweiz.

Quelle: https://ajour-mag.ch/anarchismus_russische_revolution_und_die_schweizer_arbeiterbewegung/

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Aufruhr gegen Trump

Weltweit Demonstrationen gegen Entscheidung des US-Präsidenten, Jerusalem als Israels Hauptstadt anzuerkennen

Die Proteste gegen die US-amerikanische Unterstützung für Israels Annexionspolitik hielten auch am Wochenende an. Brennpunkte waren am Sonntag neben dem besetzten Westjordanland und Ostjerusalem auch Beirut und Jakarta. In der indonesischen Hauptstadt demonstrierten 10.000 Menschen vor der US-Botschaft. In Beirut versuchten mehrere tausend Demonstranten, darunter viele Palästinenser, zur diplomatischen Vertretung der Vereinigten Staaten vorzudringen, die von der Polizei im Umkreis von drei Kilometern durch Barrikaden und Stacheldraht abgesperrt worden war. Die Beamten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein, um die protestierende Menge aufzulösen.

US-Präsident Donald Trump hatte am Mittwoch seine Entscheidung mitgeteilt, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft dorthin zu verlegen. Sie befindet sich gegenwärtig, wie die aller anderen Staaten, die mit Israel diplomatische Beziehungen haben, in Tel Aviv. Rechtliche Grundlage dafür ist die nie widerrufene Teilungsresolution der UNO vom 29. November 1947. Sie sah neben der Bildung eines jüdischen und eines arabischen Staates eine internationale Verwaltung für die gesamte Stadt Jerusalem einschließlich des nahe gelegenen Bethlehem vor. Nach internationalem Recht gilt Jerusalem immer noch als »Corpus separatum«, als Gebiet mit besonderem Status.

jerusalem
Besondere Unruhe hat in der israelischen Regierung die Tatsache ausgelöst, dass sich auch arabische Staatsbürger des Landes an den Solidaritätsdemonstrationen beteiligen. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, der Vorsitzende der nationalistischen Partei Israel Beitenu, rief am Sonntag zu einem Wirtschaftsboykott gegen die nordisraelische Stadt Umm Al-Fahm, eine Hochburg der Proteste, auf. Die jüdische Bevölkerung Israels solle den dort und in der umgebenden Region Wadi Ara lebenden Arabern »zeigen, dass sie hier unerwünscht sind«. Sie sollten sich lieber dem besetzten Westjordanland anschließen. Ein Abgeordneter der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu, Oren Hazan, widersprach: Israel dürfe kein Land abtreten, sondern solle den arabischen Demonstranten die Staatsbürgerschaft entziehen und sie wie palästinensische »Terroristen« behandeln

Die Arabische Liga (AL) trat am Sonnabend zu einer Sondersitzung in Kairo zusammen, um Trumps jüngste Schritte zu verurteilen. AL-Generalsekretär Ahmed Abul Gheit bezeichnete die Entscheidung Trumps als »gefährlich und unannehmbar«. Sie widerspreche dem internationalen Recht und stelle einen »eindeutigen Angriff« auf die Bemühungen um eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts dar.

Bei den Protesten wurden bisher mehr als 400 Menschen verletzt und zwei getötet. Die israelischen Sicherheitskräfte setzten neben Hartgummigeschossen, Tränengas und Wasserwerfern zum Versprühen stinkender Flüssigkeiten auch scharfe Munition ein. Zwei weitere Menschen wurden getötet und 25 verletzt, als die israelischen Streitkräfte am Sonnabend zwei angebliche Hamas-Stützpunkte im Gazastreifen aus der Luft angriffen und mit Panzergranaten beschossen. Zuvor hatten Palästinenser nach israelischer Darstellung drei Raketen abgeschossen, von denen eine in der Stadt Sderot explodierte, ohne dass Menschen zu Schaden kamen.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/323306.aufruhr-gegen-trump.html

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