Der Verein Pro Life steht für fundamentalistische Welt- und FLNTIQ*-verachtende Menschenbilder. Der Verein gehört zur Träger*innenschaft des “Marsch fürs Läbe”, eine fundamentalistische-christliche Initiative von Abtreibungsgegner*innen. In der Nacht auf den 17. September haben wir Pro Life in Emmenbrücke einen Besuch abgestattet.
Mit “fürs Läbe” hat der Aufmarsch der christlichen Fundamentalist*innen nichts zu tun. Sie inszenieren sich als Lebensschützer*innen, doch propagieren sie in Wahrheit ein rechts-konservatives, rückständiges, FLNTIQ*-verachtendes Menschenbild. Das “Läbe”, welches sie sich wünschen, ist ein zutiefst sexistisches und konservatives Leben, in welchem Personen mit einer Gebärmutter jeglicher Selbstbestimmung über den eigenen Körper beraubt werden. In ihrer fundamentalistischen Weltordnung ist klar geregelt, wer Kinder bekommen muss und darf. Geschlechtsidentität ausserhalb des binären Systems, in welchem ein Cis Mann und eine Cis Frau heiraten, eine Familie gründen und Kinder bekommen müssen, dürfen nicht existieren und sich schon gar nicht fortpflanzen.
Als Unterstützer des “Marsch fürs Läbe” teilt der Verein Pro Life dieses reaktionäre Weltbild. Der Verein betreibt eine Krankenversicherung mit christlich-konservativer Grundhaltung. Wer Mitglied werden will, muss sich mit einer “freiwilligen Verzichtserklärung” verpflichten, keine Abtreibungen vorzunehmen. Wer es trotzdem tut, wird aus dem Verein ausgeschlossen.
My Body, my Choice! Kein Fussbreit christlichen Fundamentalist*innen! In der Nacht auf den 17. September haben wir Pro Life in Emmenbrücke einen Besuch abgestattet: “Pro Life is a lie! You don’t care if people with a uterus die!” Mit Flyer und Plakaten haben wir die Nachbar*innenschaft auf das reaktionäre Weltbild von Pro Life aufmerksam gemacht.
FLNTIQ*: Frauen*, Lesben, Non-Binär, Trans, Intern, Queere Personen
Nachdem der Marsch für’s Läbe, die jährliche Manifestation vorsteinzeitlichen Gedankenguts organisierter Abtreibungsgegner:innen, Antifeminist:innen und Queer-Hasser:innen seinen Anlass 2020 wegen «Sicherheitsbedenken» gänzlich absagen musste, erstritt sich der Verein Marsch fürs Läbe in diesem Jahr vor dem Zürcher Stadthalteramt die Bewilligung für eine Demonstration im Zürcher Kreis 11.
Gegen 14:30 versammelten sich auf dem Marktplatz Oerlikon X Christfundamentalist:innen zum gemeinsamen Gebet und hörten sich die verschwurbelten, lügendurchzogenen Reden einiger prominenter Abtreibungsgegner:innen an. Auch Coronaschwurbler:innen waren anwesend, genauso wie das ganze gruselige Dispositiv christfundamentalistischer Propaganda: Ein überdimensionierter Kinderwagen, zahlreiche Plakate mit Föten und Schuldzuweisungen. Gegen 15:00 versammelten sich mehrere hundert feministische und antifaschistische Gegendemonstrant:innen an der Tramhaltestelle Salersteig um von dort aus den Christenfundis entgegen zu treten. Doch noch bevor sich die Demonstration formieren konnte, rasten Kastenwägen auf die Kreuzung und zersprengten die Demonstration. Es kam zu einem Kessel mit rund 100 Personen, zu Personenkontrollen und Wegweisungen. Gemäss mehrere anwesenden Personen kam es auch zum Einsatz von Gummischrot, auch wenn die Bullen diesen per Twitter zuerst dementierten, ihren Tweet dann aber löschten und zurückkrebsten. Im Verlauf des Nachmittags kam es auch immer wieder zum Einsatz von Reizgas. Wieder einmal zeigten die Bullen, auf wessen Seite sie stehen. Trotz dieses massiven Auffahrens der Bullen konnten sich Personen in Kleingruppen im Quartier sammeln und die Situation so weit verschärfen, dass die Fundis auf dem Marktplatz festsassen. Eine kleine Demonstration von rund 100 Personen machte sich zudem unmittelbar nach dem Bulleneinsatz am Treffpunkt auf den Weg Richtung Marktplatz und löste sich trotz Gummischroteinsatz der Bullen erst beim Sternen Oerlikon selbstbestimmt auf. Fast eine Stunde mussten die Fundis auf dem hermetisch abgeriegelten Platz ohne jegliche Aussenwirkung ausharren, bis sie sich schliesslich, flankiert von massivem Bullenschutz losbewegen konnten. Dennoch wurde es kein ruhiger, familienfreundlicher Umzug, wie die Fundis ihre hasserfüllte Manifestation gerne nennen: Zahlreiche Menschen, darunter auch solche aus dem Quartier, flankierten die deprimierend verkürzte Route der Fundis und machten ihnen lautstark klar, dass sie weder in Oerlikon, in Zürich noch sonst wo willkommen sind und sich zurück in ihre Löcher verpissen sollen. Auch wenn die Repression an diesem Tag erwartbar brutal war, Zivis und Fotobullen den Gegendemonstrant:innen das Leben schwer macht: Der Widerstand auf der Strasse lässt sich nicht unterkriegen. Wenn die Fundis nächstes Jahr wieder in Zürich auflaufen werden, werden auch wir wieder da sein. Denn wir ganz alleine bestimmen über unsere Körper: My Body my choice! Für die Freiheit für das Leben, Fundis von der Strasse fegen!
Am 18. September 2021 versuchen fundamentalistische Christ_innen in Zürich gegen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu demonstrieren. Sie nennen es ‚für das Leben’, doch das ist eine Lüge: Halten wir sie ein weiteres Mal davon ab, ihre ‚Meinung’ ohne Gegenrede auf die Strasse zu bringen. Weitere Infos folgen.
Heute Morgen haben Aktivist*innen aus dem Umfeld der ausserparlamentarischen, linken Gruppierung RESolut ein Banner mit der Aufschrift: «Hier wären 5 ½ Jahre Zwischennutzung möglich gewesen» an den Zaun des verlassenen Gebäudes an der Obergrundstrasse 99 gehängt.
Damit protestieren wir gegen den anhaltenden Leerstand und Verfall der beiden Villen an der Obergrundstrasse 99 und 101.
Vor 5 ½ Jahren wurde das Haus an der Obergrundstrasse 99 besetzt und der Allgemeinheit zurückgegeben, die Besetzung erfreute sich grosser Beliebtheit in ganz Luzern und darüber hinaus. Hunderte Personen beteiligten sich über die wenigen Wochen an der Besetzung. Die Stadt um Manuela Jost, welche in der Sache «Bodumvillen» schon zuvor versagt hatte, hat einen geradezu historischen Fehler gemacht: Sie hat sich nicht für die Besetzer*innen eingesetzt und stattdessen den damaligen Besitzer Jorgen Bodum hofiert und das Gebäude räumen lassen.
In der Folge hat Jorgen Bodum das Dach abdecken lassen und jeglichen Unterhalt unterlassen. Über Jahre regnete es in die Villa an der Obergrundstrasse 99 hinein. Sie ist mittlerweile komplett unbewohnbar.
Wieder verhandelte die Stadt mit dem Tee-Laden-Inhaber Jorgen Bodum und wieder kamen sie zu keinem Ergebnis. Als rund ein Jahr später die Nachbarvilla an der Obergrundstrasse 101 besetzt wurde, wiederholte die Stadt ihren Fehler und liess auch dieses Gebäude räumen, dieses Mal war es eine an Brutalität kaum zu übertreffende Räumung durch die Sondereinheit Luchs. Es wirkte so, als wollte die Stadt mit der Räumung den Besetzer*innen einen Denkzettel verpassen.
Abermals kündete Frau Jost an, dass nun Fahrt in die Sache komme, abermals passierte nichts. Bis RESolut im Januar 2020 einen Bevölkerungsantrag mit 248 Unterschriften aus der Luzerner Bevölkerung eingereicht hat, der die Enteignung der Bodumvillen forderte. Etwas später verkaufte Jorgen Bodum die beiden Villen an die Architekturfirma Romano & Christen.
Bei der Beantwortung des Bevölkerungsantrages bezog sich die Stadt darauf. Sie behauptete, dass durch den Verkauf eine neue Situation entstanden sei und nun endlich Fahrt in die Sache komme. Doch bis heute warten wir vergeblich darauf, dass an der Obergrundstrasse etwas Zählbares passiert. Das Interesse an den beiden Villen in bester Lage ist nach wie vor gross. Es wird Zeit, dass diese Gebäude der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit dort dringend notwendiger Freiraum entstehen kann.
Die Taliban haben, wie ein Sprecher der EU richtig feststellt, gesiegt. Aber was heißt das in Realität für Afghanistan?
Für den Sprecher der EU, Josep Borrell, scheint die Situation klar: Die Taliban hätten den Krieg gewonnen, also müsse man mit ihnen verhandeln. Man musste kein großer Experte sein, um schon vor Monaten zu wissen, dass USA und EU in Afghanistan sich wie Verlierer aufführten und die entsprechenden Signale an alle Seiten sendeten. Entsprechend konnten die Taliban mit ihrem Blitzkrieg siegen und kontrollieren nun ganz Afghanistan.
Nur: Tun sie das wirklich? Sicher sie fahren mit Pickups voller bärtiger Bewaffneter durch die Straßen aber das ist noch kein Sieg, sondern nur Zeichen der Niederlage des Gegners. Die große Frage ist aber: Werden sie wirklich in der Lage sein etwa eine Großstadt wie Kabul mit einer Bevölkerung, die größtenteils so jung ist, dass sie keine Erinnerungen mehr an die letzte Regierung der Taliban hat, versorgen und kontrollieren können mit ihren 60.000 Kämpfern, die meist aus irgendwelchen entlegenen Provinzen stammen? Oder Herat, Kunduz und andere Provinzhauptstädte, in denen Menschen leben, die keine großen Sympathien für Paschtunen und Gotteskrieger haben? Im Norden, so hört man, regruppieren sich schon Milizen und planen sich gegen die Taliban zur Wehr zu setzen.
Wie das alles zahlen?
Und dann ist da die Frage: Wie das alles zahlen? Mit Opium, Wegezoll und Unterstützung aus Pakistan ließ sich eine Armee unterhalten, nun muss ein Staat finanziert werden, der größtenteils von internationaler Hilfe abhängig war. Die Reserven der Zentralbank befinden sich in amerikanischen Händen, viele Hilfsgelder wird es nicht geben und die wenigen werden an gewisse Bedingungen geknüpft sein: Etwa nicht mehr öffentlich Hände abzuhacken und Menschen zu steinigen.
Das dürfte die neue Regierung wissen, wenn sie für ihre Verhältnisse ganz moderat klingt und beteuert, man wolle eigentlich niemandem etwas Böses. Ob sie das auch meint? Vermutlich nicht, aber sie müssen gerade so reden, denn schnell kann die Stimmung in Kabul und anderswo kippen, wenn die Infrastruktur zusammenbricht und Geschäfte leer bleiben. Erste Demonstrationen in kleineren Städten soll es bereits gegeben haben.
Schneller Sieg heißt in dieser Region wenig
Ein schneller militärischer Sieg nämlich, das hat die Geschichte der Region immer wieder gezeigt, bedeutet keineswegs, dass man langfristig auch gesiegt hat. Und was haben die Taliban der jungen Generation in afghanischen Städten, die mit Rockmusik und Shisha-Bars aufgewachsen ist, eigentlich zu bieten? Die Frauen, die in den letzten zwanzig Jahren groß geworden sind, werden wohl kaum begeistert die Burkha überziehen oder zu Hause bleiben zu müssen.
So wird es sehr schnell vermutlich zu bewaffnetem Widerstand im Norden und den von Hazara bewohnten Gebieten kommen, während in den Städten Menschen sich einfach den neuen Bestimmungen nicht fügen werden, da sie ihnen völlig unbekannt sind. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit und 2021 ist nicht 1996, als die Taliban in ein zerstörtes, von Warlords regiertes Kabul einmarschierten.
Macht das Fußvolk mit?
Also müssen sie sich moderat geben, nur, da wären ihre Anhänger und die befreundeten Jihadisten, die mit ihnen kämpfen, die nun vor allem Beute machen und ihren Perversionen nachgehen wollen, im Klartext: mit minderjährigen Bräuten und Raubgut belohnt werden. Wo es geht, morden, plündern und vergewaltigen sie schon. Es sind aber gerade diese Bilder, die die Taliban Führung gerade so gar nicht braucht, sie will sich staatsmännisch geben und wird ja schon überschwemmt mit Angeboten, „doch zu reden“.
Das Kalkül ist klar: Schaffen sie es ein paar Monate als irgendwie geläuterte Gotteskrieger zu erscheinen, werden die Europäer begeistert mit ihnen ins Geschäft kommen, alleine schon, damit ja keine weiteren Flüchtlinge kommen. Und auch die USA werden dann schnell entdecken, dass diese angeblich neuen Taliban ja gar nicht so schlimm seien und man ja auch schon 2001 nicht gegen sie Krieg führen wollte, sondern lediglich die Auslieferung von Al-Qaida Kämpfern forderte.
Aber macht das bärtige Fußvolk da so lange mit? Oder wendet es sich bald enttäuscht anderen, radikaleren Organisationen zu, die mehr Beute und striktere Sharia versprechen?
Wer jetzt glaubt, der Sieg der Taliban über USA und Europa von der Borrell spricht, und eigentlich nur die eigene Kapitulation meint, würde auch zu einer Befriedung Afghanistans, sprich einer neuen Friedhofsruhe, die nur von den Schreien der Exekutierten, Ausgepeitschten und Gefolterten gestört wird, dürfte einer großen Illusion aufsitzen.
Angesichts der Katastrophe eröffnen sich deshalb minimale Chancen für alle, die dem Desaster nicht einfach tatenlos zuschauen können, jene in Afghanistan ein wenig zu unterstützen, die Widerstand leisten wollen und werden. Diese Chancen gälte es zu nutzen.
Der kurdische Dachverband CDK-S und die Frauenbewegung YJK-S rufen zu einer zentralen Demonstration in der Schweiz gegen die türkische Invasion in Südkurdistan auf.
Unter der internationalen Initiative „Defend Kurdistan“ finden überall Aktionen und Proteste gegen die türkische Invasion in Südkurdistan statt. Für den 14. August rufen der kurdische Dachverband CDK-S und die kurdische Frauenbewegung YJK-S in der Schweiz zu einer zentralen Demonstration auf. Im Aufruf des Ko-Vorstands des CDK-S heißt es: „Der AKP/MHP-Faschismus setzt seine Politik der Massaker in Kurdistan fort, um seine eigene Krise zu verbergen. Die türkische Invasionsarmee scheitert aber bei ihren Angriffen immer wieder und greift daher zu kriegsverbrecherischen Methoden wie dem Einsatz von chemischen Kampfstoffen. Die Zivilbevölkerung wird zum Ziel von Angriffen, die aus türkischen Basen in Südkurdistan erfolgen. Wir appellieren an die patriotische kurdische Bevölkerung und ihre Freund:innen sowie an alle, die für Menschenrechte und Demokratie eintreten, kommt zur Demonstration und gebt dieser Aktion die Kraft, ein deutliches Stopp-Signal gegenüber der Besatzung von Kurdistan auszusenden.“
Die Demonstration und die Kundgebung beginnen am Samstag, den 14. August, um 14:00 Uhr in Zürich auf dem Helvetiaplatz.
Am Samstag, 31. Juli versammelten sich mehrere Tausend Personen aus der verschwörungsmysthischen, reaktionären Szene in Luzern, um gegen eine vermeintliche Diktatur des Bundesrats zu protestieren.Darunter befanden sich erneut mehrere bekannte und gewaltbereite Neonazis und rechtsextreme Schläger.Gegen diese rechte Hetze gab es verschiedene Formen des Widerstands. Beim Pavillon kamen mehrere hundert Menschen zur “Luzern ist Bunt”-Kundgebung zusammen, um dort mit Reden und Musik ein Zeichen gegen die Präsenz rechter Kräfte in der Luzerner Innenstadt zu setzen. Direkt bei der Mobilisierung der Corona-Schwurbler*innen hinter dem Bahnhof stellte sich eine kleine Gruppe Antifaschistinnen deren Aufmarsch – und den mitmarschierenden Faschist*innen – direkt entgegen. Sie hielten den Beschimpfungen und Tätlichkeiten stand und liessen sich nicht vertreiben – kein Fussbreit den Nazis in den Reihen der Corona-Leugner*innen! Vom Inseli aus kamen zeitgleich einige dutzend weitere Antifas zusammen, um die Mobilisierung der Rechten auf der Strasse zu stören. Die gemeinsamen und vielfältigen Aktionen haben ein tatkräftiges Zeichen der Solidarität gesetzt: Gegen den Aufmarsch faschistischer Kräfte. Wir danken allen, die sich an diesen Aktionen beteiligten – Antifa bleibt Handarbeit!
Mitte Juli jähren sich die Ereignisse rund um den G8-Gipfel in Genua zum zwanzigsten Mal. Lia Kläber, die im Juli 2001 durch die Strassen von Genau zog, blickt zurück und damit auch nach vorne. Vieles was damals im chaotischen Handgemenge noch nicht zu erkennen war, was halb verstanden als «Globalisierung» kritisiert und bekämpft wurde, ist mittlerweile mit all seinen Konsequenzen zu begreifen. Die Einordnung eines stürmischen Moments.
Ende der 1990er Jahre wähnte man sich am postulierten «Ende der Geschichte», Kapitalismus und Mittelstand für alle und immer, begrifflich verpackt als «soziale Marktwirtschaft» und «Demokratie». Die Menschen sollten sich im einzigen und besten aller vorstellbaren Gesellschaftssysteme glauben, begleitet von einem postmodernen Soundtrack, der soziale Fragen – von Klassen ganz zu schweigen – als überholt deklarierte und das Ende aller politischen Subjektivität als radikale Theorie feierte. Immerhin, Karriere machen wollte kaum jemand – oder wer es wollte, wurde bemitleidet, so viel Inspiration war von 1968 und 1980 geblieben. Wer sich politisierte, tat es damals vor allem mit Blick auf andere Länder, wo sich Verwerfungen und Krisen schärfer zeigten.
Und doch befanden wir uns mitten in einem Prozess, der spätestens in den 2000er Jahren auch die Verhältnisse in der Schweiz umkrempelte. In der Maschinen- und Pharmaindustrie wurden unsere Verwandten und Nachbar:innen «wegrationalisiert» – Arbeitsplätze und soziale Sicherheiten wichen einer vermeintlich höheren, unantastbaren Vernunft der Synergien und Standortlogiken. Die ältere Generation traf das unterschiedlich: In den pharmazeutischen Labors und Forschungseinrichtungen protestierten nur wenige, viele freuten sich bereits mit 55 oder 60 Jahren auf die Pension. Und doch, im Zuge der Fusion von Sandoz und Ciba-Geigy zu Novartis wurde in Basel demonstriert. In der Maschinen- und Metallindustrie sowie im Eisenbahnbau verliefen die «Restrukturierungen» jedoch nicht überall gleich still und leise; bei Adtranz Pratteln, bei Swissmetal im jurassischen Réconvilier, bei Bombardier, ABB und der SBB kämpften Menschen um ihre Existenzen, besetzten und bestreikten ganze Fabriken. Linke Gewerkschafter wie der verstorbene Nicolas Vuillemin, Sprecher der Swissmetal-Belegschaft in Réconvilier, oder Gianni Frizzo aus der SBB-Werkstatt in Bellinzona widersprachen den politischen und ökonomischen Entscheidungsträgern; Frizzo stellte sich an einer legendären Pressekonferenz gegen den ebenfalls anwesenden Bundesrat Moritz Leuenberger und liess den sozialdemokratischen Verkehrsminister als den technokratischen Karrieristen dastehen, der er war. Demonstration für die Streikenden der SBB-Werkstätte in Bellinzona um 2008.
Von diesen Kämpfen liess sich lernen, warum Globalisierungskritik nicht allein der Kampf gegen Windmühlen war, als der er häufig dargestellt wurde. Der Arbeitskampf in Bellinzona endete erfolgreich mit dem Erhalt der SBB-Werkstatt, und in jener Zeit wurden in der Schweiz breite Bündnisse gebildet, die von der antikapitalistischen Linken bis zur Gewerkschaftsbewegung reichten. Vielleicht gelang damals ein kleines bisschen, was linke Kräfte seither herausfordert: Überzeugend mit jenen zu kämpfen, deren neuerdings «systemrelevante» körperliche, materielle Arbeit ökonomisch und gesellschaftlich entwertet ist. Ein Rückblick auf den globalisierungsbedingten Strukturwandel in der Schweiz könnte insofern auch Anlass sein, sich vermehrt mit der Marginalisierung und den Organisierungsansätzen des Dienstleistungsproletariats zu beschäftigen.
Von der zeitgenössischen Presse wurden die Kämpfe in der «alten» Industrie selten zur Kenntnis genommen, wie seit je kam in ihr die Welt der Arbeit so gut wie nicht vor. Lieber kaprizierte man sich auf die Stigmatisierung und Abwertung eines Teils der globalisierungskritischen Demonstrant:innen, des so genannten Black Block.
Globale Erhebungen gegen Eigentumsrechte, Finanzkapital und freie Märkte
In die solcherart unterschiedlich ausgeprägten Formen und Gesichter der Globalisierung hinein kamen Ereignisse, die in anderen Ländern passierten und unsere Aufmerksamkeit bannten. Unberechenbare, in die Wirklichkeit hereinbrechende Ereignisse, deren Widersprüchlichkeiten und Dynamiken niemand abschätzen konnte. Auch brachte sie kaum jemand auf Anhieb in Verbindung mit den Kämpfen bei ABB oder in der Metallverarbeitung. Heute verstehen wir genauer, was die damaligen Bewegungen in Analyse und Praxis zu erfassen versuchten. Wir befanden uns mitten in der forciert betriebenen Neoliberalisierung des Kapitalismus; es fand eine ideologische Offensive statt, gemäss der Wohlstand am besten zu erreichen sei, indem Institutionen geschaffen werden, die weltweit Eigentumsrechte, freien Handel und freie Märkte durchsetzen – grosse Firmen verlegten ihre Produktion zunehmend an die profitabelsten Standorte und der globale Süden versank in Schuldenbergen und Strukturanpassungsprogrammen, statt vom behaupteten Trickle-Down-Effekt zu profitieren. Auch Staaten sind in dieser Logik allein dem Ziel verpflichtet, den ungehinderten Fluss von Finanzkapital und unbeschränkte Marktaktivitäten zu garantieren. Via Montevideo in Genua am 20. Juli 2001. Foto: Ares Ferrari unter CC 2.5
In diese von vielen noch nicht wirklich begriffenen, sondern eher diffus abgelehnten Globalisierungsprozesse hinein platzten die oben erwähnten Ereignisse, z. B. die «Battle of Seattle», die durch militante Demonstrationen und politische Widersprüche verhinderte Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 1999. Indymedia, die unabhängige linke Internetplattform, trat erstmals international in Erscheinung. Fortan konnte man sich auf den meist im nationalen oder regionalen Rahmen gegründeten Ablegern über Aktionen informieren und erhielt Tipps zu Anreise und Übernachtung sowie zum Umgang mit staatlicher Repression. (Indymedia wurde leider zu einem frühen Beispiel der Janusköpfigkeit von digitalem Aktivismus; es starb in kleinteiligen identitären Diskussionen, die an heutige Twitter-Unkulturen erinnern.)
Heterogenität als Stärke der Bewegung
Im Juli 2001 stellte dann zweifellos Genua ein herausragendes Ereignis dar. Je nach Angaben demonstrierten vom 20. bis 22. Juli bis zu 300’000 Menschen gegen das Treffen der Regierungschefs der G8 – der reichsten Industrieländer und Russlands. Es gab mehrere Demonstrationen, Konzerte von 99 Posse und Manu Chao, einen «global action day» sowie einen Gegengipfel. Organisatorischer Fluchtpunkt war das Genueser Sozialforum (GSF), getragen wurden die Gipfelproteste von unzähligen linken Organisationen, Parteien und Zusammenhängen, in deren Protestzentrum unterschiedliche Themen standen. Etablierte Nichtregierungs- und christliche Organisationen demonstrierten gegen einzelne negative Aspekte der Globalisierung, zum Beispiel gegen die Verschuldung der Entwicklungsländer, die Verhandlungsrunden der WTO oder die zunehmende Ungleichheit der Reichtumsverteilung. Andere Organisationen und Gruppen aus dem antikapitalistischen, kommunistischen und anarchistischen Spektrum fokussierten eher auf die Kritik an der Totalität der gesellschaftlichen (Re-)Produktion im Kapitalismus.
Neben der Ablehnung der undemokratischen «Globalisierung von oben» hatte die Bewegung indessen kein einigendes Band. Differenzen galt es auszuhalten, in der bewegungsinternen und -externen Argumentation wurde offensiv damit umgegangen und die Heterogenität der Bewegung zu ihrer Stärke erklärt. (Dem soll nicht widersprochen werden; zum damaligen Zeitpunkt war es eine sehr gute, realistische Lösung für breite Bündnisse mit einem pragmatischen gemeinsamen Ziel, der Gipfelblockade. Mit Blick auf aktuelle soziale Auseinandersetzungen und gesellschaftspolitisch alternative Perspektiven sei aber doch die Frage nach auf Dauer angelegten organisatorischen Zentren angesprochen.) Während draussen das Tränengas und die Knüppel flogen, schüttelte drinnen das gute Gewissen der Welt in Gestalt von Bono viele Hände. Hier: Tony Blair und Wladimir Putin. Foto: Kremlin unter CC3.0
Die Heterogenität vermochte auch der Frage der Militanz standzuhalten. Sicherlich, den maximal voneinander entfernten Positionen fiel der Umgang miteinander nicht unbedingt leicht. Hunderte, zum Zeichen der Friedlichkeit in die Höhe gestreckte, weiss bemalte Hände waren für manche angesichts der in Genua herrschenden, potenzierten gewaltförmigen staatlichen Repression schwer zu ertragen. Schon im Vorfeld fand eine beispiellose (auch nachfolgende Proteste behindernde) grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit und Vernetzung statt. Während des Gipfels wurden Demonstrant:innen am Strassenrand und in der Polizeikaserne Bolzaneto misshandelt bis hin zu systematischer Demütigung und Folter; in der Nacht vom 21. Juli 2001 zwischen 22 Uhr und Mutternacht stürmte die Polizei die Diaz-Schule, einen Übernachtungsort der Medien kollektive und Demonstrant:innen, und prügelte unzählige Aktivist:innen ins Krankenhaus.
Respectability Politics – der aus der US-Bürgerrechtsbewegung bekannte Ansatz «wir bleiben friedlich und exponieren damit eure Gewalt» – vermochte angesichts der Gewalt vor Ort und der internationalen Marktgewalt, gegen die demonstriert wurde, nicht zu überzeugen. Nicht unproblematisch war aber auch das Auftreten und Verhalten einiger schwarz Vermummter, die kaum von zivilen Mitgliedern der Polizei zu unterscheiden waren. (Womit nicht gesagt ist, dass sie den Strohmann «Black Block» zu verantworten hätten.) Die weissen Hände störten sich daran, aber auch Feminist:innen mit Kritik an gewaltförmigem und oft stereotyp maskulinem Auftreten sowie andere Aktivist:innen mit einem Interesse an einer zwar militanten, aber doch für breite Teile offenen Bewegung.
Ziel: Sturm der Roten Zone
Dennoch waren die Differenzen untergeordnet. Wie auch immer man sich die Blockade des Gipfels im einzelnen vorstellte, erklärtes Ziel war das Eindringen in die Rote Zone. Also in jenen polizeilich komplett abgeriegelten Bereich der Innenstadt, in dem die Gipfelmitglieder tagten. Stimmen, die sich von militanten Demonstrant:innen abgrenzen wollten, gab es zwar. Ihnen wurde jedoch am Nachmittag des 20. Juli 2001 die Legitimität entzogen: Carlo Giuliani, ein junger Demonstrant aus einer kommunistischen Familie, wurde auf der Piazza Gaetano Alimonda von einem im Polizeifahrzeug sitzenden Polizisten erschossen. Dies, nachdem Demonstrant:innen den Jeep attackierten. Vor Ort stand die Zeit für einen Moment still. Polizist:innen und Demonstrant:innen standen im Kreis um den unter einem weissen Tuch liegenden Toten und schwiegen unter Schock.
Es dominierten fortan von Tausenden getragene Sprechchöre: «Vergogna» (Schande) und «Assassini» (Mörder). In Genua herrschten Zustände, die dem Selbstbild jeder parlamentarisch-bürgerlichen Demokratie spotteten. Nur zögerlich und teils gar nicht wurde die lange Liste der Taten aufgearbeitet, durch die die Staatsapparate ihre eigenen Regeln gebrochen hatten. Prozesse gegen Verantwortliche seitens des Staates wurden verschleppt oder fanden wegen Verjährung gar nie statt. Schon Wochen im Voraus war klar: Es gibt eine unbetretbare rote und eine schwer kontrollierte gelbe Zone. Viele Bewohner*innen Genuas hatten im Juli 2001 die Stadt verlassen, viele der Gebliebenen zeigten sich solidarisch mit dem Protest. Grafik: Genoa Legal Forum unter CC 3.0
Die Demonstrant:innen verhielten sich während des Ereignisses weitgehend nach eigenen Vorstellungen. Insofern war Genua ein riesiges Labor, um politische Erfahrung zu sammeln. So zentral die Auseinandersetzung mit Theorie und Analyse ist, die Gipfelerfahrung vermittelte eine Vorstellung von der Macht kollektiver Handlungen und zeigte, dass der Gegner nicht unangreifbar war. Die Herrschenden in der Roten Zone hatten berechtigte Angst, und allein das war ein Erfolg. Zudem gab es Momente von Klassensolidarität, die schon damals (zumindest für eine Demonstrantin aus der Schweiz) selten waren: Demonstrant:innen wurden in proletarischen Quartieren mit Wasser und Zuspruch versorgt. Hand- und Kopfarbeiter:innen waren gleichermassen Teil der Bewegung, es gab kaum Show und Working Horses. Ein internationalistischer Spirit wehte durch Genua, man wusste von Kämpfen in Lateinamerika und den Demonstrant:innen aus Griechenland, die an der Anreise nach Genua gehindert wurden und schliesslich doch eintrafen.
Wer Mut brauchte, erhielt ihn. Die Schreibende auf der Suche nach ihren verloren gegangenen Genoss:innen, als Helikopter über Genuas Strandquai flogen und sich zum Abwurf von Tränengas vorbereiteten. Unerwartet in eine Menschenkette von Basisgewerkschafter:innen (COBAS) aufgenommen, zwischen zwei älteren Frauen, wusste ich, dass auch ich trotz mehr Angst als Mut in physischen Konfrontationen den Sturm auf die Rote Zone überstehen würde. Doch der Sturm blieb letztlich leider aus.
Zwei Monate später, am 11. September wurde das World Trade Center von zwei Flugzeugen getroffen, dann folgten die Angriffskriege gegen Afghanistan und den Irak und es bestätigte sich, dass auch das Argument des Welthandels, der den Weltfrieden fördern soll, der Realität nicht standhält.
LAGOTA kommt vom Spanischen und heisst „der Tropfen“.
LAGOTA ist eine politische Gruppierung, die sich als Teil der ausserparlamentarischen Linken versteht. Sie bietet eine Plattform, auf der sich interessierte Personen mit politischen Themen auseinandersetzen können.
LAGOTA setzt sich zum Ziel, das politische Bewusstsein der Gesellschaft zu fördern. Ihr Antrieb ist die Überzeugung, dass das kapitalistische System überwunden werden muss, um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen.