SRF bi de Rächts­extreme

https://www.republik.ch/2025/04/01/srf-bi-de-raechtsextreme

Das Reportageformat «rec.» des Schweizer Fernsehens geht mit Rechts­extremen wandern und gibt ihnen Raum für ihre Selbst­inszenierung. Für die Junge Tat ist das ein Coup. Für die Schweizer Medien­landschaft ein Dammbruch.

«Hä? Das ist doch ein 1A Werbespot. Wtf», schreibt ein deutscher Rechts­extremist auf X.

«👌🏻 Richtig gut. Abgesehen von den üblichen Diffamierungen», antwortet Manuel Corchia, der Chef der rechts­extremen Gruppierung Junge Tat – und meint mit dem Emoji nicht etwa «okay», sondern «white power».

«Endlich wird mit meinen Zwangs­gebühren Sinnvolles produziert, 1A-Werbung. ✊🏻», schreibt auch der Corona-Massnahmen­gegner Nicolas Rimoldi, der mit den Rechts­extremen zusammen­arbeitet und regelmässig an ihren Veranstaltungen teilnimmt.

Die «Werbung», über die sich die Rechts­extremisten so freuen, sollte eigentlich keine Werbung sein, sondern eine Reportage von SRF. Doch heraus­gekommen ist nicht weniger als einer der grössten Coups, die die Junge Tat in ihrer viereinhalb­jährigen Geschichte bisher landen konnte: ihre Inhalte, ihre Forderungen, ihre Bild­sprache – verbreitet vom grössten Verstärker, den es in der Schweiz für audio­visuelle Inhalte gibt.

72’000 Views verzeichnete der «Werbespot» keine 30 Stunden nach seiner Veröffentlichung auf Youtube. Noch nie in ihrer Geschichte bekam die Junge Tat derart viel Platz in einem Schweizer Medium, um ihre Inhalte direkt beim Publikum zu platzieren.

Die Junge Tat ist eine rechts­extreme Organisation, die aus der organisierten Schweizer Neonazi­szene entstanden ist. Heute ist sie der neuen Rechts­extremen nach dem Vorbild der Identitären Bewegung zuzurechnen. Die Mitglieder der Jungen Tat gehen sehr strategisch vor, pflegen gute Beziehungen zu inter­nationalen Rechts­extremen und hängen immer noch mit Hitler-Fans rum.

Entstanden ist die Reportage über diese Rechts­extremisten für das SRF-Format «rec.». «‹rec.› steht für ‹record›», schrieb die Medien­stelle des SRF, als die Sendung vor vier Jahren eingeführt wurde. «Das rund 20-minütige Reportage­format ‹rec.› taucht jede Woche in Szenen, Mikrokosmen und Lebens­welten ein, die das Publikum und die Reportage­begeisterten bewegen.»

In dieser Woche bestand die «Szene», der «Mikro­kosmos», die «Lebenswelt» aus Nazisymbolen, rechts­extremen Tarn­begriffen und verharmlosender Selbst­inszenierung.

Und «SRF rec.» tauchte bis zum Hals ein.

«Embedded Journalism» an der Wanderfront

Die Reportage beginnt – nach einem kurzen Intro – in üblicher «rec.»-Manier. Das heisst: mit dem Reporter Samuel Konrad, der sich selbst filmt, wie er zu einem Treffen mit den Rechts­extremisten fährt. Die haben ihn nämlich zu einer ihrer Wanderungen eingeladen, mit denen sie mehrmals jährlich neue Leute rekrutieren.

Während der Wanderung merkt man schnell, wie sehr sich das Fernsehen von den Rechts­extremen die Bedingungen vorgeben lässt. Der Reporter wird ständig überwacht: Die Chefs der Jungen Tat schauen, wo er ist und mit wem er worüber spricht. Als er ein einziges Mal mit einem verpixelten und pseudonymisierten Teilnehmer sprechen darf und diesen fragt, ob ein Verbot der Jungen Tat für ihn eine rote Linie wäre, antwortet statt des Interviewten die Aufpasserin: «Nein nein nein, lieber Severin. Dann erst recht!»

Was die Antwort des Neumitglieds «Severin» wäre, erfährt man in der Reportage nicht. Und auch nicht, was andere Teilnehmerinnen zu sagen hätten. Denn – so beschreibt es der Reporter zu Beginn der Wanderung – «SRF rec.» hat mit der Jungen Tat «abgemacht», mit wem man «überhaupt reden darf».

Darum kommen immer wieder nur die offiziellen – und ziemlich sicher vorbereiteten – Exponenten der Jungen Tat zu Wort und können ihre Inhalte an das Fernseh­publikum verbreiten. Das Leben als Mitglied der Jungen Tat sei «saugeil», sagen diese, man könne gratis an Box­trainings teilnehmen und man sei ja gar nicht gegen queere Menschen, sondern wolle nur verhindern, dass Kindern «das» aufgezwungen werde.

In einem Fall zeigt das SRF in seiner Reportage sogar eine Sequenz, in der ein Junge-Tat-Anführer ein Buch von Martin Sellner in die Kamera hält. Sellner ist der Kopf der österreichischen Identitären Bewegung und aktuell der wohl einfluss­reichste Rechts­extremist im deutsch­sprachigen Raum.

Auf die Frage, warum SRF diese weitreichenden Einschränkungen seiner Arbeit akzeptiert hat, antwortet die Sendungs­verantwortliche Anita Richner sehr allgemein. «SRF rec.» zeige «unterschiedliche Lebens­welten und Wert­haltungen» auf und wolle «kontroverse Themen» besprechen. Die Bedingungen, unter denen der Reporter arbeiten «musste», habe man transparent gemacht. Und man habe den Anspruch, «echte und authentische Einblicke zu gewähren».

Wie «echt und authentisch» diese Einblicke noch sind, wenn die Junge Tat derart starke Vorgaben macht, geht aus der Stellung­nahme nicht hervor. Auch dass man derartige Bedingungen als Journalist selbst­verständlich einfach ablehnen kann, spielt offenbar keine Rolle.

Die Strategie der neuen Rechts­extremen

Zwar versucht die Reportage mehrmals, die Junge Tat kritisch einzuordnen. So befragt der Journalist die zwei Anführer zu ihrem Logo – einer Rune, die von der NSDAP verwendet wurde – oder konfrontiert sie mit, wie er es nennt, «dem Rassismus-Vorwurf». Die Rechts­extremisten reagieren mit eingeübten Antworten: Man lasse sich das Symbol in ihrem Logo nicht wegnehmen, «bloss weil es in einer Zeitspanne von 12 Jahren mal falsch verwendet wurde». Und man werte «andere Völker» nicht ab, sondern bejahe «unser Volk und unsere Kultur».

Viel wert sind solche Antworten nicht. Es gehört zur Strategie neuer Rechts­extremer wie der Jungen Tat, dass sie sich nicht offen zum National­sozialismus bekennen und ihre Positionen so formulieren, dass man ihnen keinen Strick daraus drehen kann. Sie wollen provokant genug sein, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, aber auch anschluss­fähig genug, um die Normalisierung ihrer Begriffe und Forderungen zu erreichen. So hat es Martin Sellner, der Kopf des österreichischen Rechts­extremismus, einmal formuliert.

Ein Geheimnis ist diese Strategie nicht: Man kann sie in den Büchern nachlesen, die die Junge Tat in ihrem Onlineshop verkaufen will. Die Journalisten von «SRF rec.» durchschauen dieses Vorgehen der neuen Rechts­extremen offensichtlich nicht. Stattdessen laufen sie geradewegs in deren Falle.

Dabei geben die publizistischen Leit­linien von SRF eigentlich etwas anderes vor: «Um Aufmerksamkeit zu schaffen, lancieren Akteurinnen und Akteure sowie Interessen- und Lobby­gruppen ihre Themen zunehmend nach Marketing­kriterien und aufgrund von Überlegungen des Ereignis­managements. Auf die Aufbereitung beziehungs­weise die Inszenierung eines Themas legen sie dabei ebenso viel Wert wie auf den Inhalt. Wir müssen diese Methoden kennen und dürfen uns nicht instrumentalisieren lassen.»

Eine ernsthafte Einordnung dessen, was die Junge Tat jenseits ihrer Selbst­vermarktung ist, bieten nur ein paar Zwischen­sequenzen in der Reportage. Etwa wenn der SRF-Extremismus­redaktor Daniel Glaus die Geschichte der Gruppierung und ihre Begriffe einordnet. Oder wenn der Journalist Samuel Konrad nach den Aussagen der Junge-Tat-Anführer jeweils seine Meinung zum Gesagten äussert. Oder – ein bisschen – wenn Strafrechts­professor Martino Mona darauf hinweist, dass die Junge Tat abweichende Lebens­formen ausmerzen will. Aber eben nur ein bisschen, denn Mona fügt hinzu, dass sich das «abstrakt» zwar nicht mit einer freiheitlichen Gesellschaft vertrage, gerade eine freiheitliche Gesellschaft müsse solche Tendenzen in der Bevölkerung aber «respektieren» und «zulassen».

Mit diesen Einschüben rechtfertigt «SRF rec.» seine Reportage auch in den Kommentaren zum Youtube-Video und in seiner Stellung­nahme gegenüber der Republik. Doch wenn die Einordnung von Rechts­extremen sich abwechselt mit der Propaganda der Rechts­extremen, dann verkommt der ganze Beitrag zu einer Both-sides-Übung: hier die Rechts­extremen, die behaupten, gar nicht rechts­extrem zu sein. Dort die Fach­personen, die betonen, dass die Rechts­extremen rechts­extrem sind.

Und die Wahrheit – so der Eindruck, den die Reportage hinterlässt – muss wohl irgendwo dazwischenliegen.

Fast die Kurve gekriegt – aber nur fast

Dabei hinterfragt der SRF-Reporter seine Rolle durchaus. Zwischen all der rechts­extremen Selbst­inszenierung und den kritischen Beurteilungen sticht eine Sequenz heraus, in der Konrad selber auf den Punkt bringt, was eigentlich das Problem ist an dieser Reportage, die er da gerade produziert.

Der Journalist sitzt in seinem Auto und denkt laut in die Kamera. Zuvor hat er eine PR-Aktion der Jungen Tat mit Martin Sellner gefilmt. Dort hat ihn eine Gegen­demonstrantin angesprochen und ihm gesagt, er stehe auf der falschen Seite.

Er frage sich das schon, ob er auf der falschen Seite stehe, sagt der Reporter. «Solche Aktionen wie heute haben einen Zweck, nämlich Aufmerksamkeit zu generieren. Für Gruppen wie die Junge Tat, Personen wie Martin Sellner und so indirekt für die Inhalte, die sie vertreten. Damit ihre Positionen Anschluss finden in der Mitte der Gesellschaft. Damit verschoben werden kann, was man sagen darf und was nicht.»

Auch die Reportage, die er gerade am Produzieren sei, generiere solche Aufmerksamkeit. Und darum habe die Gegen­demonstrantin vielleicht nicht unrecht, vielleicht stehe er auf der falschen Seite.

An diesem Punkt – so denkt man – hätte «SRF rec.» die Übung eigentlich abbrechen müssen. Offenbar war dem Reporter bewusst, wie er den Rechts­extremisten gerade zudient. Doch dann greift er auf das Standard­argument zurück, mit dem Journalistinnen fast jede Geschichte recht­fertigen können, die sie gerne machen möchten – oder in die sie schon so viel investiert haben, dass sie sie nicht mehr abbrechen wollen.

«Ich glaube, dass es genauso wichtig ist, zu erzählen, was die Strategie dieser Gruppen ist.» Wie sie vorgingen, wie sie versuchten, Anschluss zu finden und ihre Ideologien salon­fähig zu machen. «Stehe ich auf der falschen Seite? Ich hoffe schluss­endlich, auf keiner Seite zu stehen, sondern einfach zu zeigen, was ist.»

Zeigen, was ist. Ausser eben das, was die Junge Tat nicht gezeigt haben möchte.

Dammbruch

Selbstverständlich hat der SRF-Journalist recht, wenn er sagt, dass man die Strategien der neuen Rechts­extremen aufzeigen und erklären muss. Das tun seit vielen Jahren auch viele Journalistinnen in der Schweiz. Doch dabei die Rechts­extremen in aller Ausführlichkeit zu Wort kommen zu lassen, ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu verharmlosen und zu inszenieren – das braucht es dafür nicht.

Dieser Meinung sind auch rund 200 Medien- und Kultur­schaffende, die kurz nach Ausstrahlung des Beitrags einen Brief unterzeichnet haben. Darin kritisieren sie unter anderem, dass der Jungen Tat eine breite Plattform geboten und das Thema als unter­haltsame Provokation verkauft worden sei. Der Brief wurde vergangene Woche der Redaktion von «SRF rec.», der Ombuds­stelle der SRG und dem Publikums­service des SRF zugestellt.

Es scheint, als habe «SRF rec.» nicht erkannt, dass die neue Rechts­extreme ein fundamental anderes Verhältnis zu Medien hat als ihre klassisch neo­nazistischen Kameraden. Die Glatzen­nazis von früher scheuten die Öffentlichkeit. Sie trafen sich im Geheimen zu Rechtsrock­konzerten, um dort unter sich und ungestört abhitlern zu können. Wenn Medien sie an die Öffentlichkeit zerrten, waren sie weder erfreut noch vorbereitet.

Die neuen Rechts­extremen aber sehen die Medien als Instrument. Sie sind PR-Agenturen, die sehr gut wissen, wie man sich einem breiten Publikum gegenüber darzustellen hat. Sie geben sich brav und nahbar. Sie verpacken ihre Menschen­verachtung in beschönigende Worte. Und sie distanzieren sich von «Jugendsünden».

Egal, wie viel Einordnung drumherum passiert – Medien, die diese Inszenierungen zulassen, fallen auf eine Strategie herein.

Denn die braven Rechts­extremen trainieren den Strassenkampf. Ihre schönen Worte bedeuten Segregation und Vertreibung. Für ihre «Jugend­sünden» – wie es die Junge Tat selber nennt – wurden sie verurteilt, als Junge-Tat-Chef Manuel Corchia schon zwanzig Jahre alt war. Und diese «Sünden» bestanden darin, an Adolf Hitlers Geburtstag in einem Zoom-Call «Heil Hitler» zu schreien und Aufkleber mit Begriffen wie «Rassen­mischen» oder «Misch­kinder» zu drucken.

Bisher bestand in der Schweizer Medien­landschaft – bis auf wenige Ausnahmen – das stillschweigende Einverständnis, dass man die Junge Tat nicht wie eine gewöhnliche Organisation behandelt. Dass man sie nur zu Wort kommen lässt, wenn es zwingend notwendig ist – etwa wenn man sie mit schwer­wiegenden Vorwürfen konfrontieren muss. Und dass man anhand ihrer Inhalte zwar aufzeigt, wie sie funktionieren – ihnen aber nicht den Raum gibt, extra für die Medien vorbereitete Statements abzugeben.

«SRF rec.» hat dieses Einverständnis nun gebrochen. Ohne Not geben die Journalistinnen der Jungen Tat grosszügige Redezeit. Und tragen so zur Normalisierung einer rechts­extremen Gruppierung bei, deren explizites Ziel die eigene Normalisierung ist.

Um zu begreifen, in wessen Interesse die Reportage am Ende war, genügt es eigentlich, den Rechts­extremisten selbst zuzuhören.

«Dieses Mal haben wir die Doku als klar vorteilhaft eingestuft – da m.A.n das SRF-Jugend­format unglaublich Reichweite für uns schafft.»

Das sagte letzte Woche der Anführer der Jungen Tat.

Und postete einen Link auf die Sendung.

This entry was posted in Antifa, Antira, Schweiz and tagged , , , . Bookmark the permalink.