Quelle: https://www.antifa.ch/die-svp-und-die-remigration/
Alle reden über die Kontakte der Jungen SVP-Strategiechefin Sarah Regez zur Jungen Tat. Doch sie ist nicht die einzige Politikerin, die mit den Mitgliedern der rechtsextremen Gruppierung die Hände schüttelt. Wer das alles ist und warum das ein Problem darstellt, wird im Folgenden aufgezeigt.
Remigration – Kampfbegriff der Neuen Rechten
Der Begriff „Remigration“ kam in den Diskussionen der Neuen Rechten in den 1960er-Jahren auf, wurde aber erst Anfang der Nullerjahre mit dem Erstarken der Identitären Bewegung in Frankreich zum Kampfbegriff von Neonazis und Rechtspopulist*innen. Im Kern ist es die Forderung nach der Abschiebung aller „nicht europäischen“ Menschen aus Europa.
Mit „Remigration“ sind drei weitere wichtige Konzepte der Neuen Rechten verbunden.
Erstens ein neuer Kulturbegriff: Kultur wird zum entscheidenden Identifikationsmerkmal einer Gruppe. Sprach man im Nationalsozialismus von „Blut und Boden“, sprechen Rechtsextreme heute von „Kultur“. Genau wie Blut, kann ein Mensch seine Kultur laut deren Ideologie nicht verändern. Nichteuropäische Menschen können sich somit nie integrieren oder assimilieren, sie bleiben „artfremd“.
Zweitens wird Migration nicht als ein historisches Kontinuum begriffen, sondern als ein gesteuerter Prozess, der das Ziel hat, die europäische Bevölkerung „auszutauschen“. Somit sei Migration ein Angriff auf die europäische Kultur, den es zu parieren gilt. Da es keine Integration oder Assimilation gebe, müssten alle „artfremden“ Menschen aus Europa deportiert werden.
Drittens seien demokratische Strukturen das Einfallstor in unsere Gesellschaft. Durch die Integration von Migrant*innen erhalten diese politische Rechte. Laut Martin Sellner, Vordenker der Identitären, eine „demokratische Biowaffe“. Da Nicht-Europäer*innen grundsätzlich anders seien, würden sie die europäische Gesellschaft von innen zerstören.
Die neurechte Erzählung knüpft direkt an den Narrativen der Nazis an – nur mit anderen Begriffen. Sprachen die Nazis von „den Deutschen“, sind es heute „weisse Europäer“. Wollten die Nazis 1940 alle Juden nach Madagaskar umsiedeln, sollen heute „artfremde“ Menschen nach Zentralafrika ausgeschafft werden. Waren für die Nazis das „Weltjudentum“ die Hintermänner, sind es heute die „Globalisten“.
Junge Tat und rechte Identität
Gestartet als Eisenjugend Schweiz , bekannt geworden mit Videos vermummter Männern und berüchtigt durch vorgelesene Texte von Heinrich Himmler legte die Junge Tat einen bemerkenswerten Aufstieg hin. Aus einer losen Gruppe junger verschüpfter Männer bildete sich eine Kerngruppe rund um Manuel Corchia, die sich medial zu inszenieren weiss. Eloquent behaupten sie heute, nichts gegen jüdische Menschen zu haben und friedliche Aktivist*innen zu sein. Sie pflegen gute Kontakte zu etablierten politischen Akteur*innen. Vor knapp drei Jahren verbrannten die Führungspersonen noch Isrealfahnen, störten Vorträge mit „Heil Hitler“-Rufen und lamentierten gegen das „bolschewistische Weltjudentum“. Man ging mit italienischen Rechtsterrorist*innen wandern, teilte das Manifest des Christchurch Attentäters und hortete zu Hause Schusswaffen.
Heute finden die Aktionen der Jungen Tat im sogenannten „politischen Vorfeld“ statt. Mit Aktionen auf der Strasse und immer mehr Präsenz in Sozialen Medien werden gezielt die aktuellen Themen und Debatten der Rechtspopulist*innen aufgegriffen und befeuert.
Ihre Veranstaltungen, Boxtrainings und Wanderungen haben politisch keine Relevanz und sind nur mässig besucht. Es geht viel mehr um die eigene Identität als männliche, wehrhafte und unangepasste Kämpfer. Diese Identität ist anschlussfähig an die politische Kultur der Rechtspopulist*innen. Die gemeinsame Identität ist Grundlage für ein kameradschaftliches Miteinander und somit das Fundament für einen europäischen Kulturkampf.
Junge Tat und die Junge SVP – One Love?
Die medial inszenierten Diskurse der Jungen Tat finden Resonanz bei der Jungen SVP und der SVP – allen voran Gender, Wokeness und Remigration. Der Begriff der „Remigration“ hätte es wohl auch ohne die Junge Tat in den Sprachgebrauch der SVP geschafft. Zu vernetzt ist die europäische Rechte, zu stark der Einfluss neurechter Theorien auf die SVP. Doch die Junge Tat hat diesen Prozess beschleunigt und den Begriff in einen medialen Hype verwandelt.
In ihrem Podcast, sowie in Gesprächen mit anderen Rechten erklärt die Junge Tat die Strategie, mit der sie das Konzept der „Remigration“ in die Gesellschaft tragen will: Über Lokalpolitiker*innen, insbesondere der SVP. Diverse Politiker*innen seien bereits daran, den Begriff in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen und bald werde das Konzept breiter diskutiert werden, so ihr Plan.
Ein solcher Lokalpolitiker ist Jonas Streule, Präsident der SVP Eggersriet. Er ist befreundet mit Tobias Lingg, einem der Anführer der Jungen Tat, und besucht mit diesem Veranstaltungen. Beispielsweise eine Demonstration der Corona-Massnahmengegner*innen im Herbst 2023 in Sissach. [Foto1] Auf Fotos zeigt Streule stolz das „White Power“-Zeichen.
Oder Maria Weggelin. Auch sie ist aktiv bei den Massnahmengegner*innen und musste wegen ihrer engen Kontakten zur Jungen Tat schliesslich von ihrem Amt als Präsidentin der SVP Winterthur zurücktreten. Warum bei ihr der Rücktritt gefordert wurde, während Streule, der dieselben Verbindungen pflegt, sein Amt weiterhin ausführt und im März 2024 für die SVP kandidieren durfte, bleibt unklar.
Joel Kaufmann, damaliger Präsident der SVP Buchs und Vizepräsident der Jungen SVP St. Gallen, ist ein anderes Beispiel. Kaufmann war aktives Mitglied der Jungen Tat und an zahlreichen Aktionen mit dabei. Als Aktivist stand er für die Rechtsextremen auf der Strasse, gleichzeitig gründete er auf politischer Ebene zusammen mit dem SVP-Nationalrat Mike Egger den „Verein für sichere Grenzen“. So konnte auch hier das Narrativ der Jungen Tat platziert werden.
Carla Anaba Olinga-Holtz, SVP Dietikon, ist eine weitere SVP-Verbindung, die freundschaftlichen Kontakt zu Mitgliedern der Jungen Tat pflegt. Sie befindet erst am Anfang ihrer Politisierung und steht beispielhaft für den Einfluss der Jungen Tat auf Jugendliche.
Die Strategie mit den Lokalpolitiker*innen ging zumindest im Falle Sarah Regez (fast) auf: Sie dürfte die Aktivist*innen der Jungen Tat ebenfalls aus dem Massnahmengegner*innen-Kontext kennen – damals als noch unbedeutende SVP-Politikerin aus Sissach. Im Frühling 2023 nahm sie an einem Geheimtreffen mit der Jungen Tat teil. Eingeladen waren auch der Neonazi Martin Sellner und der Schweizer Rechtsextremist aus dem identitären Umfeld, Stefan Thöny. Nur ein halbes Jahr später verpasste Regez knapp die Wahl in den Nationalrat, wurde Strategiechefin der Jungen SVP und hat damit bis heute eine riesige Plattform, über die sie das Konzept der «Remigraton» in die Gesellschaft transportieren kann.
Doch auch mit David Trachsel, bisheriger Parteipräsident der Jungen SVP, hat die Junge Tat einen Politiker, welcher ihre Inhalte weiterverbreitet: Trachsel posierte schon 2021 auf einem Bild mit dem damaligen Junge Tat-Mitglied Maksym Barda. [Foto2] Und auch Trachsel nahm in den letzten Jahren das Narrativ der Jungen Tat auf und verbreitete es in der Politik.
Eine äquivalente Organisation zur Jungen Tat, welche den Sprung in die etabilerte Politik bereits geschafft hat, ist die rechtsextreme Gruppierung Némésis aus der Romandie. Diese pflegt zahlreiche Verbindungen mit rechtsextremen und neonazistischen Strukturen wie der Jungen Tat, Militants Suisses, Résistance Helvétique oder La Hallebarde. Die Pressespecherin und eine der führenden Köpfe von Némésis ist Léa Sauchay, welche im Sekretariat der SVP Neuenburg arbeitet.
Im September 2023 posierten der SVP-Nationalrat Jean-Luc Addor und der damalige SVP-Parteipräsident Marco Chiesa zusammen mit drei Mitgliedern von Némésis auf einem Foto. Jean-Luc Addor hat die Gruppe ins Bundeshaus eingeladen. Addor ist selbst kein unbeschriebenes Blatt: Er wurde wegen Rassendiskriminierung verurteilt. Nach einer Schiesserei in einer Moschee mit einem Todesopfer postete er: „Wir bitten um mehr!“. Trotz seiner Gesinnung, schaffte er es in der SVP bis ins Bundeshaus und lädt nun munter Rechtsextreme zu sich ins Parlament nach Bern ein.
Die Strategie der Jungen Tat, ihre Inhalte über Politiker*innen in den öffentlichen Diskurs einzubringen, scheint zumindest teilweise aufzugehen. Geholfen hat ihnen sicherlich die Corona-Pandemie: Zahlreiche Kontakte zwischen Politiker*innen und Rechtsextremist*innen entstanden an Events der Massnahmengegner*innen.
Die Junge Tat hat diese Strategie aber nicht erfunden. Die Identitäre Bewegung, welche insbesondere in Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland erfolgreich ist, versucht dies schon länger. An Schulungen, welche auch von Exponent*innen der Jungen Tat besucht werden, wird diese Vorgehensweise gelehrt und professionalisiert. Auch Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung, propagiert diese Strategie.
In der Schweiz pflegt insbesondere Olivier Chanson, Aktuar in der SVP Urdorf, mit langer SVP-Karriere und immer wieder auf Wahl-Listen der SVP, engen Kontakt zum identitären Umfeld. Ein Freund von Chanson ist Stefan Thöny, Aktivist bei der Identären Bewegung und eng vernetzt mit diversen rechtsextremen Strukturen in Deutschland, Österreich und der Schweiz – auch mit der Jungen Tat. Chanson benutzt denn auch das Wort «Remigration» schon länger. Er warnt eindringlich vor dem „Bevölkerungsaustausch“ und ist auch im Massnahmengegner*innen-Umfeld gut vernetzt.
Die SVP und die Junge Tat beeinflussen einander und profitieren aktuell voneinander – sie pushen sich geradzu. In der Konsequenz hat sich die Junge SVP bereits unter David Trachsel deutlich nach rechts bewegt. An deren Spitze steht seit März 2024 das Duo Niels Fiechter und Sarah Regez.
Fiechter ist ein verurteilter Rassist und beschreibt das Verhältnis zur Jungen Tat gegenüber SRF wie folgt: „Es wäre verfehlt, wenn wir uns als Partei einfach pauschal von irgendwelchen Positionen, Begrifflichkeiten oder Personen distanzieren würden. Wir sprechen Grundsätzlich mit allen Leuten. […] Wir haben keine Scheuklappen“1. Dabei will er wohl vor allem seine Strategiechefin Sarah Regez in Schutz nehmen, mit der er auch liiert ist. Doch auch viele andere SVP-Politiker*innen blasen ins selbe Horn. Allen voran Ramon Hug, Präsident der Jungen SVP Aargau,meint in internen Chats: „Wir müssen ehrlich sein und anerkennen, dass die Junge Tat inhaltlich die exakt gleichen Inhalte anspricht wie wir“2. Nach dem letzten (unterbundenen) Auftritt von Martin Sellner in der Schweiz überboten sich auf X und Instagram Exponent*innen der Jungen SVP mit Solidaritätsbekundungen. Allen voran wieder Ramon Hug.
Sind diese Positionen für eine Junge SVP neu? Was ist anders? Bereits in den späten Nuller-Jahren geisterte das Bild eines Indigenen mit dem Spruch „Sie konnten die Einwanderung nicht stoppen, heute leben sie in Reservaten“ durch die Schweizer rechtsaussen Szene. Das damals von der PNOS und den Schweizer Demokraten bemühte Bild bringt die Angst vor dem „Grossen Austausch“ auf den Punkt. Die Junge SVP fordert seit Jahren drakonische Massnahmen gegen sogenannte „kriminelle Ausländer“. Neu ist nur die Streichung des Wortes „kriminell“. Zusammenfassen lässt sich die Haltung als „Ausländer raus und zwar alle!“.