Widerstand von unten bauen heisst, sich im Kampf gegen Faschismus nicht auf den Staat zu verlassen. Das bedeutet unter anderem, dass Wahlen an der momentanen Situation nicht wirklich etwas verbessern werden. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Der wohl offensichtlichste Grund ist die durch demokratische Wahlen vermeintliche Legitimation von Parteien, welche offen reaktionäre Ideologien propagieren und versuchen, ihre faschistoiden Ideen in der Gesellschaft zu verbreiten.
Darunter fallen alle jene, die gegen Minderheiten hetzen, sich gegen solidarische Gesellschaftsentwürfe stellen oder Profit über Mensch und Umwelt stellen. Solche Positionen finden sich nicht nur bei der SVP, sondern ziehen sich bis weit in die politische Mitte und finden in Ansätzen auch im bürgerlichen Flügel der SP durchaus Anklang.
Problematisch dabei ist, dass das Attribut «demokratisch gewählt» suggeriert, dass die Vertretenen Haltungen im weitesten Sinne legitim sind und deshalb nicht allzu verwerflich sein können. Nicht nur der rechten Rand, sondern auch vermeintlich gemässigte «Mitteparteien» propagieren so staatlich legitimiert zutiefst menschenverachtende Inhalte.
Doch auch Parteien, die sich progressiv geben, können nicht wirklich etwas gegen die Zustände tun. Denn manche Dinge stehen gar nicht erst zur Wahl. So darf zwar gewählt werden, wer beherrscht, die Herrschaft an sich wird durch Wahlen jedoch nie infrage gestellt. Auch das kapitalistische Wirtschaftssystem als Grundpfeiler unserer Gesellschaft steht nicht zur Wahl. Die grundlegenden Bedingungen des Zusammenlebens werden durch Wahlen nicht verändert.
Eine Demokratie zeichne sich, so die Annahme, dadurch aus, dass durch die Teilnahme an Wahlen «alle» mithelfen können, das System in ihrem Interesse mitzugestalten. Wie fadenscheinig dieses Versprechen ist, lässt sich am Begriff «alle» schön aufzeigen: Nur rund 5,5 der 8,7 Millionen Menschen in der Schweiz sind überhaupt stimmberechtigt, davon beteiligt sich weniger als die Hälfte tatsächlich an Wahlen/Abstimmungen1. Personengruppen wie Migrant:innen ohne Schweizer Pass werden von Wahlen und Abstimmungen grundsätzlich ausgeschlossen, obwohl sie rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Dass diese Menschen strukturell benachteiligt werden und besonders oft von prekären Lebensbedingungen betroffen sind, macht die fehlende Möglichkeit zur Mitbestimmung umso zynischer. Auch dieses Beispiel zeigt, dass Wahlen als Mittel zur tatsächlichen Umverteilung von Kapital und Macht nur einen minimalen Beitrag leisten können und vielmehr dazu dienen, bestehende Machtstrukturen aufrecht zu erhalten.
Trotz dieser Mängel werden Wahlen häufig als Lösung für die Unzufriedenheit mit der momentanen Situation inszeniert. Dass dies aus oben genannten Gründen nicht funktionieren kann, wollen insbesondere jene nicht zugeben, die von diesem System profitieren. Auf perfide Weise wird schlussendlich die Schuld an jeglichen Miseren all jenen zugeschoben, die sich nicht am System der Wahl beteiligen wollen. Denn hätte mensch gewählt, so das Argument, wären jetzt vielleicht andere an der Macht und die Verhältnisse wären besser. Hat mensch aber gewählt, so wurde dem System ja grundsätzlich zugestimmt und mensch muss sich nun halt mit der Niederlage abfinden. So oder so bleibt das Ergebnis der Wahl das gleiche.
Zudem darf nicht vergessen werden, dass Wahlen Türöffner für faschistische Regimes und Machtansprüche sein können. So gibt es mehrere historische Beispiele für faschistische Herrschaft, welche mitunter durch demokratische Wahlen ermöglicht wurde.
Selbst Parteien, die sich als antifaschistisch verstehen sind keine guten Verbündeten im Kampf gegen Faschismus, denn auch wenn sie ihre Bemühungen durchaus ernst meinen, sind sie doch den Sachzwängen unterworfen und haben akzeptiert, dass Herrschaft und Kapitalismus Grundpfeiler der Gesellschaft sind. Werden Faschist:innen gewählt, sind auch antifaschistische Parteien im Rahmen des Parlaments gezwungen, diese als «gleichwertige Entscheidungsträger:innen» zu tolerieren.
Schlussendlich scheint auf der Hand zu liegen, dass eine Teilnahme an Wahlen mit dem Motiv grundlegende Veränderungen herbeizuführen bestenfalls naiv sein kann. Trotzdem kann durch Teilnahme an Wahlen auch Schadensbegrenzung betrieben werden, zumal eine Verschlimmerung der Gesamtsituation aufgrund von Wahlergebnissen durchaus möglich ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich auch unsere politischen Gegner:innen aktiv an Wahlen beteiligen und so immer wieder an Macht und Einfluss gewinnen. Natürlich ist jede Wahl im weiteren Sinne auch eine Zustimmung zum momentanen System, ob ein radikaler Boykott der Wahl zum jetzigen Zeitpunkt als revolutionäres Mittel zielführend ist, bleibt aus unserer Sicht aber offen.
Was bleibt ist eine Organisierung ausserhalb der Parlamente. Die Antwort auf die Normalisierung und Verbreitung von faschistischen Ideen muss eine grossflächige, nachhaltige und ausserparlamentarische antifaschistische Organisierung sein. In einem politischen System, welches Faschismus begünstigt braucht es selbstorganisierten Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Anstatt darauf zu hoffen von Politiker:innen gerettet zu werden, müssen wir uns verbünden und unseren Widerstand laut auf die Strassen tragen. Darum: Widerstand von unten bauen, Antifa heisst zueinander schauen.
Heraus zum antifaschistischen Abendspaziergang
28.10.2023 18:30 Bern Bahnhofplatz