Die Räumung des CSOA Molino und der Abriss eines Teils der Gebäude des ehemaligen Schlachthofs haben im Tessin, in der Schweiz und in anderen Teilen der Welt eine Welle der Solidarität ausgelöst. Eine Solidarität, die unsere Herzen erwärmt und uns zeigt, dass das kleine Stück Land, das wir bewohnen, immer noch zu großen Dingen fähig ist. In diesen Tagen haben sich Tausende von verschiedenen Menschen, die den Raum im Laufe der Jahrzehnte besucht haben, sei es für einen Abend oder für einen längeren oder kürzeren Zeitraum ihres Lebens, auf der Straße (wieder)getroffen.
Das Molino war ein Ort, an dem künstlerische, kulturelle, politische, Breitensport-, Selbstproduktions- und Gemeinschaftsprojekte miteinander verflochten waren und zusammenlebten. Darunter immer wieder auch Momente von Schwierigkeiten, Diverenzen und Konfrontationen.
Aber man kann nicht alles auf “die Empörung über die Bagger” reduzieren, denn das Molino war seit seiner Geburt immer ein Ort des Widerstands und des Kampfes von unten, antifaschistisch, antisexistisch, antirassistisch, antiklassistisch und antikapitalistisch: in Opposition zu einer Welt, die vor allem durch das Gesetz des Profits regiert wird. Von den Mobilisierungen gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) und den G8 in Genua bis hin zur internationalistischen Solidarität mit den Kämpfen der ZapatistInnen, der kurdischen, Mapuche- und palästinensischen Bevölkerung. Von den Kämpfen gegen Grenzen, staatlichen Rassismus und Internierungslager für MigrantInnen bis hin zur Solidarität mit revolutionären Gefangenen, die in der Schweiz und in Staaten auf der ganzen Welt inhaftiert sind. Ohne dabei andere Themen wie Ökologie, Widerstand gegen Großbauten, Umweltverschmutzung und extraktive Industrien sowie queer- feministische Kämpfe zu vergessen.
Ein Ort der Schaffung und Verbreitung von Ideen und Praktiken des Widerstands in einer Stadt, die im Laufe der Jahre immer mehr von Bauspekulationen verschluckt wurde. In der jeder Aggregationsraum, der nicht funktional für das Projekt einer intelligenten, hypertechnologischen und hyperüberwachten Stadt ist, wegbetoniert oder weggebaggert wird.
Unter diesen Bedingungen und in Kontinuität mit den grundlegenden Idealen, die von denen geteilt werden, die aktiv an den Projekten der CSOA teilgenommen haben, haben wir die Demonstration “Unsere Ideen können nicht geräumt werden” am 5. Juni gegen die Räumung und für die Selbstverwaltung organisiert. Im Bewusstsein der Heterogenität der Zusammensetzung haben wir auch einen Text mit “Nützlichen Ratschlägen” verfasst, eine Einladung zu einem freien und vielgestaltigen Ausdruck der Ideen und Praktiken aller Menschen, die teilnehmen würden. Dies nicht, um alle Unterschiede zu nivellieren oder die Leute glauben zu machen, dass wir alle gleich denken, sondern in der Hoffnung, alle Facetten der Realitäten, auf die Straße zu bringen. Was eine der Stärken vom AZ ist.
Und so sah Lugano am 5. Juni aus: eine der teilnehmerstärksten selbstorganisierten Demonstrationen der letzten Jahrzehnte im Kanton. Mindestens 2.500 Menschen, die sich erfolgreich die Strassen genommen haben.
Während der Demo wurden auch Praktiken angewendet, die in vielen Straßensituationen und sozialer Konflikte immer präsent waren und die das Erbe revolutionärer Bewegungen auf der ganzen Welt sind. Praktiken des Widerstands und der Selbstverteidigung – Sabotage und direkte Aktion -, die sich mit allen Mitteln der systemischen Gewalt einer kapitalistischen Gesellschaft widersetzen. Praktiken, die den freien und individuellen Ausdruck der Wut gegen dieses System und gegen die Arroganz der Repräsentanten des Staates und ihres bewaffneten Flügels – Armee und Polizei- verkörpern. Die einzigen Träger von Gewalt, die in der gelobten Schweizer Demokratie legitimiert und bereit sind, zu schlagen, wenn es für nötig gehalten wird. An Wände geschriebene Slogans, ein zerstörtes Bankfenster: direkte Aktion, selbstbestimmter Ausdruck, nicht einholbar durch die Behörden. In seiner Geschichte hat sich Molino nie von diesen Praktiken distanziert und wird dies auch nie tun.
Und anstatt sich auf die nutzlose Diskussion über Gewalt und keine Gewalt einzulassen, würden wir es vorziehen, dass jeder Mensch – jeder mit seinen eigenen Mitteln, seiner eigenen Zeit, seinem eigenen Willen und seiner eigenen Vision – Praktiken einführt, die als Momente des Konflikts mit dem kapitalistischen System gesehen werden können, die auf die Konstruktion anderer Welten abzielen. In einer Stadt wie Lugano sind es gerade die Momente des Bruchs des sozialen Friedens, die die Fäulnis offenbaren, die sich hinter dem Reichtum an glitzernden Schaufenstern, anonymen Büros und Luxusautos verbirgt, der auf Kolonialismus, Ausplünderung von Ressourcen und Kriegen aufgebaut ist.
Die angeblichen “Infiltrator*innen”, die irgendwelche Unordnung geschaffen hätten, wurden innerhalb der Demo angeprangert. Wir danken aber all den solidarischen Menschen – vermummt, um sich vor der Repression des Staates zu schützen -, die bereit waren, die Demo zu verteidigen, falls Polizei oder fascho-Leghistische Gruppen sie angegriffen hätten.
Nicht besonders willkommen waren eigentlich diejenigen, die sich nicht an die mehrfach deutlich schriftlich und mündlich geäußerte Bitte hielten, keine Demonstrierenden zu filmen oder zu fotografieren. Offensichtlich ist in dieser Überwachungsgesellschaft der Gedanke, dass Menschen nicht ständig gefilmt werden möchten, für viele unvorstellbar. Filmen, verpfeifen und mit dem Finger auf diejenigen zeigen, die bei Demonstrationen nicht dem vorherrschenden “pazifistischen” Denken entsprechen, tragen nicht nur dazu bei, Böse von Guten weiter zu trennen, sondern auch Gefährt*innen zu gefährden, die ihre Freiheit für ihre Ideale riskieren.
Traurig war es auch, rassistische, sexistische und homophobe Beleidigungen von einigen “pazifistischen” Teilnehmenden gegen vermummte Menschen zu hören. Diese weniger offensichtliche aber schädliche Gewalt wird von uns nicht akzeptiert, mit solchen Menschen wollen wir nichts zu tun haben.
Wie so oft in Zeiten großer medialer Aufmerksamkeit und Mobilisierung gibt es auch in diesen Tagen diejenigen, die sich als Sprechende vom Molino improvisieren und dabei Verwirrung unter den Menschen stiften und uns Worte und Positionen in den Mund legen, die nie gesagt oder vom AZ Plenum entschieden wurden. Alle Ausdrücke und Initiativen der Solidarität sind willkommen, aber bitte nicht im Namen der Molino-Versammlung. Was die Crowdfunding-Initiative angeht, die Menschen zur Rückzahlung des PKB-Schaufensters gestartet haben, so scheint es fast banal zu sagen, dass sie uns weder repräsentiert noch interessiert.
In diesem Zusammenhang möchten wir noch einmal betonen, dass der Molino nicht den Anspruch erhebt, der einzige Ausdruck der Selbstverwaltung in diesem Kanton zu sein. Neue Formen der Selbstverwaltung gab es, gibt es und wird es geben, es wäre absurd, das Vorrecht auf diese Praxis zu beanspruchen. Wir begrüßen alle andere Realitäten, solange sie selbstorganisiert von unten, ohne Delegation und außerhalb der Logik des kapitalistischen Marktes sind. Wir hoffen daher auf die Gründung von 10, 100, 1000 Erfahrungen der Selbstverwaltung von unten, die neue Lebenssituationen außerhalb der aufgezwungenen Logik erzeugen können.
Auch außerhalb der Mauern des ehemaligen Schlachthofs, ohne einen physischen Raum, in dem man sich treffen und organisieren kann, existiert das Molino in seiner Besonderheit und mit seinen Widersprüchen weiter, aber immer mit antiautoritären, antisexistischen, antirassistischen und antikapitalistischen Positionen.
Außerhalb des Schlachthofs besetzen wir Lugano und die Initiativen auf der Straße werden weitergehen. Der heiße Sommer in Lugano hat gerade erst begonnen…
Freiheit wird nicht erbettelt, sie wird erobert.
Gegen das Matrix Projekt und seine Welt!
Wir sehen uns auf der Straße,
Versammlung von SOA Molino
inventati.org/molino