Als Reaktion auf das grösste Neonazikonzert Europas will St. Gallen «extremistische Veranstaltungen» verbieten. Gegen Nazis wird das geplante Polizeigesetz aber nichts nützen. Viel mehr ist es ein Freipass für Behördenwillkür und die Unterdrückung linksradikaler Kritik.
Ein Polizeikordon verunmöglichte das Verlassen des Bahnhofsgeländes, während die Faschisten der PNOS polizeilichen Schutz genossen. Hierfür kreiste sogar ein Polizeihubschrauber in der Luft – ein Novum für antifaschistische Demonstrationen in der Schweiz. Der Helikopter begleitete schliesslich jene Antifaschist*innen, die aus Zürich angereist waren, bis an die Limmat zurück. Wieder gab es Kritik von der St. Galler Juso und einigen Medien. Und selbst die St. Galler Jungfreisinnigen empörten sich über die Unverhältnismässigkeit und liessen verlauten, der Einsatz gegen die Antifaschist*innen habe an einen Polizeistaat erinnert. Das öffentliche Ansehen St. Gallens war schwer ramponiert. Irgendetwas musste jetzt einfach geschehen. Warum also nicht einen neuen Paragrafen einführen?
Beim «Extremismus» sind sich die Parteien einig
Als im April 2017 die CVP/GLP-Fraktion ihre Motion «Verbot von Veranstaltungen mit extremistischem Hintergrund» vorbrachte, hatte sie sofort die Unterstützung sämtlicher Parteien. Bloss zwei Rechtsaussen-SVPler stimmten gegen die Motion. Mittlerweile hat Justizminister Fredy Fässler im Namen des Regierungsrats einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Dabei fällt auf: Der Exekutive ist offensichtlich bewusst, dass sie mit dem Gesetz in grundrechtlicher Hinsicht sehr dünnes Eis betritt. Deshalb beteuert sie, keine «staatliche Zensur» oder ein «Gesinnungsstrafrecht» schaffen zu wollen. Der «legitime politische Diskurs auch abseits des üblichen Mainstreams» solle möglich bleiben, schreibt die Regierung. Erklärtermassen aus diesem Grund verzichtete die Regierung auf die Verwendung des überaus schwammigen Extremismusbegriffs. Stattdessen soll eine Formulierung Abhilfe schaffen, die tatsächlich nicht weniger schwammig ist und mindestens so willkürlich ausgelegt werden kann. Künftig soll es im Polizeigesetz nämlich heissen: «Nur Veranstaltungen, welche die demokratische und rechtsstaatliche Grundordnung in Frage stellen und dadurch die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, sind rechtswidrig und somit verboten.»
Wer also etwa die Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie in einer Art «in Frage stellt», die einen nicht bestimmten Prozentsatz «der Bevölkerung» erschreckt, darf mit Verboten belegt werden. Dass sich ein solches Gesetz auch gegen anarchistische, kommunistische oder antifaschistische Veranstaltungen richten kann, ist offensichtlich und durchaus gewollt. Bei der gegenwärtigen politischen Grosswetterlage und entsprechend der Launen des St. Galler Polizeikommandos dürfte es künftig sogar insbesondere gegen Linksradikale zum Einsatz kommen. Bereits in der Vergangenheit haben die St. Galler Behörden zur Genüge bewiesen, dass für sie der Hauptfeind links steht und sie auf dem rechten Auge blind sind. Der behelfsmässig gebastelte Zusatz, dass bloss solche Veranstaltungen verboten seien, die «Angst und Schrecken» verbreiten, ist keineswegs eine Absicherung, sondern geradezu ein Freipass für Behördenwillkür. Oder wie sonst, wenn nicht durch die offensichtlich inkompetente Einschätzung eines Polizeikommandanten vom Format eines Bruno Zanga, soll entschieden werden, wann «die Bevölkerung» genügend verschreckt worden sei? Was soll ausserdem geschehen, wenn Hitlergrüsse die Bevölkerung nicht verschrecken, rote Fahnen aber schon? Letztlich wäre noch zu fragen, was dieses Gesetz nützen soll, wenn Nazis ihre Treffen wie gehabt klandestin organisieren und sich die Polizei nicht die Mühe machen will, nach Bekanntwerden des Veranstaltungsorts einzugreifen.
Nichtsdestotrotz ist – beim heutigen Stand der Dinge – mit einer Annahme dieses Knebel- und Willkürgesetzes zu rechnen. Denn Kritik ist bisher kaum laut geworden, ganz zu schweigen von eigentlichem Widerstand. Noch gibt es aber viele Möglichkeiten, sich gegen dieses Polizeigesetz zur Wehr zu setzen. Zusammenschlüsse – auch überregionale – wären hierfür durchaus angebracht. Das Gesetz ist nämlich keineswegs eine Sache, die bloss St. Galler*innen betrifft. So forderte das St. Galler Tagblatt bereits, dass andere Kantone baldmöglichst nachziehen müssten.
Quelle: https://ajour-mag.ch/fear_and_loathing_in_st_gallen/