Nach rechten Ausschreitungen: Zehntausende in Chemnitz bei »#wirsindmehr«-Konzert. Musiker solidarisieren sich mit Antifaschisten
Wenn Faschisten mit einer hohen Dezibelzahl zu vertreiben wären, dann müsste der Montag abend in Chemnitz als voller Erfolg gewertet werden. Die innerhalb weniger Tage geplante und aufgebaute Bühne unweit der Stadthalle und des Karl-Marx-Monuments beeindruckte an diesem Tag. Als Reaktion auf die Ereignisse der letzten Tage initiiert, sollte ein Zeichen gegen Rassismus und rechte Übergriffe gesetzt werden. Die in einen Hashtag verpackte Losung: »Wir sind mehr«.
Auf den ersten Blick ließ sich nicht erahnen, in welchem politischen Kontext dieses Musikspektakel stand. Die ersten Grüppchen, die sich bereits am frühen Nachmittag auf den Weg zur Bühne machten, fielen eher durch Bandshirts als durch Transparente mit politischen Botschaften auf. So richtig änderte sich das auch nicht im Verlaufe des Abends. Zweifelhafte »Höhepunkte« bildeten geschwenkte Deutschlandfahnen, auf die glitzernde Herzen gemalt worden waren. Oder Pappschilder, auf denen »Grundgesetz rischtisch geil« zu lesen war. Die unwirklich anmutende Situation zwischen lauter Musik, Blumen- und Kerzenmeer an einem vermeintlichen Tatort, partyhungrigen Teenagern und »Alerta alerta«-Rufen war an diesem Abend nicht aufzulösen.
Die Menge an Menschen beeindruckte dagegen durchaus. Am Nachmittag hatten die Veranstalter noch davon gesprochen, gut 20.000 Besucher zu erwarten. Am Dienstag teilte die Stadtverwaltung mit, es seien rund 65.000 gewesen. Auch die Zusammensetzung der Teilnehmer kann als gutes Zeichen gewertet werden. Buchstäblich jung und alt, Eltern mit Kindern, Punks und Prolls waren zu sehen. Auch eine Kuba-Fahne wurde geschwenkt. Auf seiten der Polizei hieß es, es seien »mehrere Hundertschaften« im Einsatz gewesen: aus sechs Bundesländern sowie von der Bundespolizei.
Solidarität
Noch vor dem Konzert hatten die Musiker in der Chemnitzer Stadthalle erklärt, warum ihre Bands an diesem Tag spielen. Sie seien hier, um denen den Rücken zu stärken, die sich solidarisch für ihre Mitmenschen engagieren und die gegen Neonazis auf die Straße gehen. Letztere hatten in den vergangenen acht Tagen die Schlagzeilen bestimmt: angefangen von Menschenjagdszenen am vorletzten Sonntag, gefolgt von rund 6.000 Rechten, die sich am darauffolgenden Montag am Karl-Marx-Monument versammelten, um ihre Stärke zu demonstrieren. Ihrer Rhetorik folgend, gehe es ihnen um Trauer um Daniel H., der während des Chemnitzer Stadtfestes starb. Weil seine mutmaßlichen Mörder nicht im Nachbarort geboren wurden, sondern ausländische Staatsbürger sind, wurden faschistische Bedrohungsszenarien über das »deutsche Volk« als Opfer vermeintliche Wirklichkeit. Menschen, deren nichtdeutsche Herkunft in den Augen der Rechten ihre Minderwertigkeit belegten, wurden zum Ziel gewalttätiger Angriffe. Dass diese um die Welt gegangenen Szenen nicht auf ewig das Bild der sächsischen Stadt prägen, darum seien sie heute hier.
Dabei spielte Herkunft für die Musiker durchaus eine Rolle. Felix Kummer von der Band »Kraftklub« betonte, er sei gebürtiger Karl-Marx-Städter. Ebenso wie »Trettmann«, der in Chemnitz als Stefan Richter geboren wurde. Der Rostocker Marten Laciny aka »Marteria« berichtete, wie er als Kind die Ausschreitungen in Lichtenhagen miterlebt hatte. Und Jan »Monchi« Gorkow von »Feine Sahne Fischfilet« sprach über die Provinz in Mecklenburg-Vorpommern. Sie alle hätten ihre eigenen Erfahrungen gemacht, was es heißt, mit Rassisten und Rechten vor der eigenen Haustür umgehen zu müssen. Naiv sei er nicht, sagte »Kraftklub«-Sänger Kummer. Ein Konzert allein werde strukturelle Probleme nicht lösen. Dennoch sei es wichtig, sich zu solidarisieren.
Solidarität betonten die Musiker auch untereinander. Das war für anwesende Medienvertreter insofern ein Grund zum »kritischen« Nachhaken, als im Vorfeld über den Auftritt von »Feine Sahne Fischfilet« diskutiert worden war. Hintergrund ist die Beobachtung der Band durch den Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern wegen »linksextremistischer Bestrebungen«. Sänger Monchi erwiderte auf erwartbare Nachfragen, es sei das Bundesamt für Verfassungsschutz gewesen, das mit seinen V-Leuten Neonazistrukturen um den NSU erst ermöglicht habe. »Wenn die uns scheiße finden, ist das ein Kompliment«, so das Fazit des Musikers – woraufhin etliche Medienvertreter applaudierten. Nicht auf dem Podium, dafür später auf der Bühne war die Berliner HipHop-Kombo »K.I.Z«. Rapper Maxim Drüner betonte zwischen zwei Songs, dass es nicht darum gehen dürfe, »bessere Deutsche« als die Neonazis zu sein. Rechte seien Bestandteil der deutschen Geschichte.
Schräge Zwischentöne
Als letzte Band spielten an diesem Abend »Die Toten Hosen«. Ihr Sänger Campino hatte am Nachmittag erklärt, es gehe nicht um ein »rechts gegen links«. An diesem Tag würden alle gemeinsam gegen »rechtsaußen« auf die Straße gehen. In seinen Worten ist die Kritik schon angelegt, derer er sich seit längerem Stellen muss: nämlich die »Regierungskapelle von Frau Merkel« zu sein, wie er es selbst formulierte. Zwei Dinge seien ihm für den weiteren Verlauf des Abends wichtig: eine »Riesenzahl« an Menschen und »Gewaltfreiheit«. Sein Ton fiel etwas ab von dem der anderen. Wenn die »Hosen« jedoch als Zuschauermagnet mit ins Boot genommen worden sein sollten, muss der Plan wohl als Erfolg gewertet werden.
Unweit der großen Bühne legten am »Nischel«, wie das Karl-Marx-Monument auch genannt wird, verschiedene DJs des Berliner Elektroclubs »About Blank« auf. Ein Mitglied der Gruppe berichtete, das ursprünglich vor der kleinen Bühne aufgehängte Transparent mit der Aufschrift »Antifa statt Deutschland« sei von der Polizei untersagt worden. Dieses sei »provozierend«, so die Beamten. Wenige Minuten vor neun Uhr abends, dem offiziellen Veranstaltungsende, entrollten einige das ursprüngliche Transparent, woraufhin die Menge jubelte. Auf jW-Nachfrage erklärte eine Polizeisprecherin am Dienstag, es sei ihren Kollegen lediglich um den Ort des Plakats (direkt am Karl-Marx-Monument) gegangen, nicht um den Inhalt der Aussage. Von solchen Kleinigkeiten abgesehen, blieb es an dem Abend ruhig. Dies galt auch für die Musik: Mit erschreckender Pünktlichkeit stoppte diese um Punkt neun Uhr.
Zwischen »Nischel« und Bühne lagen Blumen und Kerzen an dem Ort, an dem Daniel H. mutmaßlich ermordet wurde. Darum herum standen ein paar Dutzend Menschen. Während des Konzertes sperrten Polizisten den Bereich plötzlich ab. Auf Nachfrage hieß es, einige Personen – gemeint waren offenbar Linke – hätten sich zu vermummen versucht. Die Beamten hätten dies untersagt und in der Folge Platzverweise ausgesprochen. Um mögliche Eskalationen zu verhindern, habe man den Bereich abgeriegelt. In der Folge bildete sich um die Polizeikette eine Traube von Menschen. Auf Twitter teilte die sächsische Polizei am Abend mit: »Aktuell verhalten sich im Bereich des Gedenkortes Brückenstraße einige Personen nicht friedlich!«
Noch am Montag sagte eine Behördensprecherin gegenüber jW, sie sei für einen »demokratischen Meinungsaustausch«. Allerdings dürften sich gemeinsam Trauernde nicht gegenseitig provozieren, auch wenn es sich dabei sowohl um »Rechte« als auch um »Linke« handle. Aus der »Trauergemeinschaft« heraus stach ein Mann, der über Stunden ein Plakat in den Händen trug, auf dem »Wir sind Bürger, keine Nazis« stand. Ebenso war dort zu lesen: »Ihr habt Blut an den Händen« – in den Augen der Beamten wohl keine Provokation.
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/339211.soli-konzert-in-chemnitz-auf-die-pauke-gehauen.html