Alle Zeichen stehen auf Verschlechterung und nationalistische Restrukturierung. Doch die Lage ist nicht aussichtslos. Es gibt Alternativen zu Nationalismus, Rassismus, Spaltung und Konkurrenz – und es gib effektive Mittel gegen die Verschlechterungen unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wenn wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen, uns selbstorganisert und kollektiv wehren, bringt uns das zusammen statt auseinander.
Wir erleben aktuell im globalen Massstab eine Welle von Angriffen des Kapitals auf das Proletariat: Sozialabbau, Demontage von Arbeiter*innenrechten, neue und aggressive Formen betrieblicher Ausbeutung. Die Arbeits- und Lebenssituationen vieler Menschen verschlechtern sich und sind von Arbeitshetze geprägt. Dies geschieht vielerorts in einem politischen Klima des Nationalchauvinismus, der Vereinzelung, der gesteigerten allgegenwärtigen Konkurrenz und gesellschaftlicher Entsolidarisierung. Die passende Ideologie zur gesellschaftlichen Zersplitterung ist das Gebot der Eigenverantwortung und der Selbstvermarktung. Wenn der Kapitalismus so etwas wie Kollektivität im Angebot hat, dann nur in der Zombievariante der nationalen Volksgemeinschaft, die gegen Geflüchtete die Zähne fletscht und ohne zu zögern Polizeistaat und Militarisierung befürwortet. Neoliberale Verbände wie die Avenir Suisse denken laut über Arbeitszeitverlängerung und Deregulierung nach, um den Boden für kommende Angriffe zu bereiten. Doch bei den aktuellen Verschärfungen sind die neoliberalen Stichwortgeber nicht die wichtigsten Akteure. Von links bis rechts haben sich die Parteien – in unterschiedlichen Tonlagen – fast durchwegs auf eine Politik des Sozialabbaus festgelegt. Nationalchauvinistische Verbände wie hier die SVP oder in Deutschland die AfD beschwören bei jeder Gelegenheit die nationale Volksgemeinschaft, und im Windschatten ihrer ideologischen Offensiven treiben sie Kürzung um Kürzung voran. Die parlamentarische Linke positioniert sich gegen die nationalchauvinistischen Parteien, gibt sich progressiv, um dann mit vielen Ausreden und Mitleidsbekundungen eine ebenso antisoziale Politik durchzudrücken. Nicht selten gelingt den sozialdemokratischen Schönredner*innen der Sozialabbau noch besser als den polternden Rechten. Die aktuellen Angriffe auf öffentliche Dienste und soziale Sicherungssysteme sind also von den meisten Akteuren im parlamentarischen Betrieb gedeckt und werden durch die Propaganda der Kapitalverbände laufend legitimiert. Wer glaubt, dass die Teilnahme am parlamentarischen Zirkus die laufenden Verschlechterungen aufhalten kann, gibt sich einer Illusion hin. Um dem sich ständig verschärfenden Arbeitsregime etwas entgegenhalten zu können, braucht es kollektive, selbstorganiserte und antagonistische Kampfformen. Nur der Aufbau einer breiten proletarischen Gegenmacht ermöglicht positive Veränderungen hin zu einer solidarischen Gesellschaft.
Neue Profitstrategien, verschärfte Arbeitsbedingungen
Sozialabbau und neue Formen der Ausbeutung sind eng miteinander verzahnt. Die Institutionen des Sozialstaats werden zu Zwangsmitteln in neuartigen Arbeitsregimes umgebaut. Mit dem Rückbau der sozialen Sicherungssysteme werden die Menschen massenweise in prekäre und repressive Beschäftigungsverhältnisse gedrängt. Gleichzeitig blasen die Kapitalverbände zum Angriff auf die Arbeiter*innenrechte. Kündigungsschutz, Arbeitszeitbeschränkungen und per Gesamtarbeitsverträge abgesicherte Mindestlöhne werden publikumswirksam in Frage gestellt, weil sie das ökonomische Wachstum hemmen und den Profit der Kapitalist*innen schmälern. Ob Sozialabbau, Deregulierung oder Privatisierung, es geht immer um dasselbe: Die herrschende Klasse will uneingeschränkten Zugriff auf die Arbeitskraft, die Quelle ihrer Gewinne. Das Kapital will profitabel investieren und versucht darum seine Macht auszuweiten. Dafür sabotieren die Funktionär*innen des Kapitals gewerkschaftliche Organisierung und schaffen neue Beschäftigungsverhältnisse, die auf Individualisierung setzen und kollektiven Widerstand zu unterbinden versuchen. Eine Variante dieser hochprekären Beschäftigungstaktik hat unlängst Schlagzeilen gemacht: das de-Facto-Akkordsystem des Taxiunternehmens Uber. Die Beschäftigten bei Uber sind komplett vereinzelte Ich-AGs und haben kaum Spielraum für den Aufbau betrieblicher Macht. Das System Uber dürfte in anderen Branchen Schule machen. Bereits heute lagern viele Firmen einzelne Tätigkeiten auf digitale Crowdworking-Plattformen aus. Dort wird die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in kleinste Arbeitsschritte aufgeteilt. Arbeiter*innen werden durch die Ausführung solcher Minijobs zu selbstständigen Auftragnehmer*innen ohne vertragliche und soziale Absicherung, ihre Arbeit wird durch Algorithmen überwacht, ausgewertet und rationalisiert.
Digitaler Taylorismus in modernen Fabriken
Um seine Macht auszuweiten und die Gewinnmargen zu erhöhen, greift das Kapital nicht nur erkämpfte Rechte an, sondern rüstet auch auf der technologischen Ebene auf. Mithilfe von digitaler Technologie werden Betriebsabläufe neu organisiert. Mittels dieser neuen Arbeitsorganisation erfasst das Kapital Arbeitsschritte, speichert sie und wertet sie aus. Die digitale Maschinerie trägt dazu bei, das Kommando über die Arbeit und die Arbeiter*innen zu festigen. Eine Vorreiterrolle in der Anwendung der digitalen Maschinerie nimmt Amazon ein. Das Arbeitsregime in den Verteilzentren des global tätigen Onlinehändlers zeigt die Bedingungen auf, unter denen immer mehr proletarische Menschen arbeiten werden. Die Logistikzentren von Amazon sind modernste Fabriken, mithilfe digitaler Technologie sind sie auf höchste Effizienz getrimmt. Die Arbeitsabläufe werden in kleinste Einheiten zergliedert und bis auf den letzten Handgriff optimiert. Für die Arbeiter*innen bedeutet die Arbeit bei Amazon ständige Arbeitshetze, monotone Abläufe und permanente Überwachung.
Neue Formen der Streikmacht
All diese Verschärfungen, Angriffe und Reorganisierungen bedeuten zunächst einen Machtgewinn für das Kapital. Die Ausbeutung wird optimiert, der potenzielle Widerstand der Arbeiter*innen erschwert. Doch die Lage ist nicht ausweglos. Mit jeder technischen Neuorganisation von Betrieben ergeben sich auch neue Möglichkeiten des Widerstands. In Lohnkämpfen und Streiks wird die Vereinzelung durchbrochen, die kämpfenden Arbeiter*innen finden neue Formen der Organisierung. Die Amazon-Arbeiter*innen kennen die Schwachpunkte der durchtechnisierten Logistikzentren und wissen sie zu nutzen. In den vergangenen Jahren konnten Amazon-Arbeiter*innen an mehreren Standorten in Deutschland, Polen und den USA durch Streiks, kleinere Sabotageaktionen, politischen Druck und ausserbetriebliche Solidarität Gegenmacht aufbauen. Sie setzten Lohnforderungen und Umstrukturierungen durch, probierten Kampfformen aus und schufen internationale Verbindungen. Gerade die Kampfzyklen bei Amazon zeigten, was Revolutionär*innen schon immer klar war: «Arbeiter*innen haben kein Vaterland» und «der Kampf um Befreiung ist international». Als in Deutschland Angestellte des Logistikriesen in den Streik traten, lagerten die Konzernbosse die Bestellungen auf polnische Verteilzentren aus. Arbeiter*innen des polnischen Logistikzentrums solidarisierten sich daraufhin mit ihren Kolleg*innen in Deutschland und unterstützten sie mit Bummelstreiks. So konnten sich die Arbeiter*innen der Streikbrecher-Strategie der Leitung widersetzen und Teilerfolge erzielen. Die hochrationalisierte Just-in-time-Produktion moderner Betriebsanlagen eröffnet ein Potential proletarischer Streikmacht im Bereich der Logistik. Die Verwertungsketten des globalen Kapitalismus sind sehr empfindlich. Die Kämpfe der Weltarbeiter*innenklasse führen uns vor Augen, in welchem Ausmass die Profitstrategien des Kapitals gestört werden können. Im Mai 2017 streikten die Lastwagenfahrer*innen in Karachi, einer Hafenstadt in Pakistan. Dies führte zu Verzögerungen und grossen Verlusten für verschiedene multinationale Unternehmen. Bis im August 2017 war die Wirkung dieses dreiwöchigen Streiks in den Güterhäfen Hamburgs und Rotterdams zu spüren. Aber auch in Europa zeigt sich die Streikmacht im Bereich der Logistik. In den letzten Jahren bestreiken basisgewerkschaftlich organisierte, zumeist migrantische Lagerarbeiter*innen und Packer*innen in Italien multinationale Distributionskonzerne. Dadurch wird der Gütertransport auf der Strasse immer wieder unterbrochen und es gibt Rückstau in den Zulieferungsketten. Der seit April dieses Jahres andauernde Bahnstreik in Frankreich führt zu Zugsausfällen über die französischen Grenzen hinaus. Aufgrund fehlender Transportmittel kommt es in den nächsten Monaten zu millionenfachen Arbeitsausfällen und damit zu einschneidenden Gewinneinbussen für das Kapital.
Lernen wir von den weltweiten Kämpfen und organisieren wir uns!
Es gibt Alternativen zum Buckeln und Austeilen in der kapitalistischen Konkurrenz. Wir leben in einer Zeit, in der die Proletarier*innen an vielen Orten für bessere Lebensbedingungen kämpfen. Die Mittel, die sie wählen, sind vielfältig. Es beginnen sich auch diejenigen Arbeiter*innen zu organisieren, die durch die traditionelle Gewerkschaftspolitik vernachlässigt werden. Die Streiks in der Logistik, in der Pflege oder in Dienstleistungsbetrieben zeigen uns moderne Kampfformen auf. Es ist wichtig, dass Kämpfe aus ihrer lokalen Isolation heraustreten und international zusammengeführt werden. So können wir voneinander lernen und uns gegenseitig unterstützen – Klassenkampf kennt keine Grenzen.
Auch wenn sich Streiks und Kämpfe am Arbeitsplatz oftmals auf die Durchsetzung spezifischer Tagesforderungen beziehen, tragen sie dazu bei, den Blick über das Bestehende hinaus zu schärfen. Gemeinsame Kampferfahrungen machen Solidarität erfahrbar, lassen die Möglichkeit von Gegenwehr lebendig werden und führen zu erhöhtem Klassenbewusstsein. In Arbeitskämpfen gewinnt die Klasse ein Stück weit die Kontrolle über die Produktion zurück und findet Formen der Organisierung, die für eine bessere Form des Zusammenlebens wichtig sein werden. In den vielfältigen Kämpfen gegen die Zumutungen des Kapitalismus wie auch gegen die rassistischen und patriarchalen Strukturen dieser Gesellschaft gibt es immer verbindende Elemente. Diese müssen wir herausstreichen und uns füreinander stark machen. Wo immer es gelingt, Kämpfe in den Betrieben, in den Quartieren, Schulen, Universitäten, auf den Ämtern, im Familienalltag und auf der Strasse zusammenzuführen, bilden sich wirksame Fronten proletarischer Gegenmacht. Diese Gegenmacht eröffnet uns Handlungsmöglichkeiten gegen den Nationalchauvinismus und bereitet den Weg für den Kampf um die befreite Gesellschaft.
Solidarität statt Vereinzelung – organisieren wir uns gegen Arbeitshetze und Sozialabbau!
Für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung!
Her mit dem schönen Leben für alle!
Gruppe für eine antikapitalistische Praxis, 2018
P.S.
Nationalchauvinismus
Für die vielen rechten Verbände und Parteien, die nicht unbedingt offen faschistisch auftreten, aber dennoch eine reaktionäre, nationalistische, antifeministische und rassistische Politik betreiben (SVP, Front National, Fidesz, Ukip und wie sie alle heissen) hört man oft die Bezeichnung «rechtspopulistisch». Wir halten dieses Wort für irreführend. Es verharmlost rechte Politik und legt nahe, dass die rechten Parteien ein reales Volksempfinden lediglich aufgreifen und artikulieren. Wir sehen Parteien wie die SVP ganz im Gegenteil als elitäre Propagandazirkel. Sie stehen dem Kapital nahe und arbeiten an einem reaktionären und repressiven politischen Klima, in dem Sozialabbau, Arbeitshetze, Überwachung und allgegenwärtige Konkurrenz zur Normalität werden. Der Unterschied zu faschistischen Organisationen liegt weniger in den politischen Inhalten als darin, dass SVP und Co. das bürgerliche Parlament viel professioneller als Bühne und Vollstreckungsorgan zu nutzen wissen. Für ihre Politik halten wir die Bezeichnung Nationalchauvinismus für treffend.
Digitaler Taylorismus
Digitale Technologie hat das Potential, uns von der lästigen Arbeit weitgehend zu befreien und allen Menschen ein Leben in Luxus und Musse zu ermöglichen. In einer befreiten Gesellschaft wird die Technologie in unseren Händen sein und darum andere Formen annehmen und andere Funktionen haben. Im Kapitalismus hingegen entwickelt sich die Technologie entlang den Anforderungen der Mächtigen. Sie dient der Rationalisierung von Arbeitsprozessen, der Vermarktung, Überwachung und Kriegsführung. Die digitale Technologie ist also nicht «neutral», sondern hat eine spezifische, kapitalistisch ausgeprägte Form. Digitaler Taylorismus bezeichnet die Arbeitsorganisation in modernen Fabriken unter flächendeckendem Einsatz digitaler Technologien. Diese wird nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen eingesetzt, sondern zur Überwachung der Arbeiter*innen sowie der effizienten Planung von Arbeitsabläufen. Ziel ist die Steigerung des Profits. Die digitale Maschinerie ist also ein Herrschaftsinstrument der Kapitalist*innen, ein Mittel, um die Arbeiter*innen zu entmündigen, zu kontrollieren und maximal auszubeuten.
Quelle: https://barrikade.info/Neue-Arbeitsverhaltnisse-neue-Formen-des-Widerstands-1084