Quelle: Luzerner Zeitung
Erneut steht ein Luzerner Polizist in der Kritik. Er soll eine Frau während eines Einsatzes ins Gesicht geschlagen und als «Hure» beschimpft haben. Doch das angebliche Opfer muss sich auch selbst vor Gericht verantworten.
Die Frau ist klein und hat eine leise Stimme. Sie wirkt schüchtern, wie sie da vor dem Richterpult des Luzerner Bezirksgerichtes sitzt. Sie musste sich Ende März wegen versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden verantworten – ein Vorwurf, den ihre Verteidigerin als «lächerlich» bezeichnet.
Ein Blick zurück: Es ist der Abend des 18. Novembers 2015. Die Pflegehelferin hat eingekauft und will ihrer Nachbarin Gemüse vorbeibringen. Im Treppenhaus stellt sie fest, dass die Wohnungstür nur angelehnt ist. Sie klopft vorsichtig an. Der Sohn der Nachbarin nimmt die Tasche entgegen. Die 39-Jährige will sich schon auf dem Heimweg machen, da ruft ihr ein Mann zu. «Nein, nein, nein. Reinkommen!» Sie tut wie geheissen. Es sind mehrere Männer in der Wohnung, die sie noch nie gesehen hat. Die Pflegehelferin merkt, dass die Nachbarin in einem Zimmer eingesperrt wurde. Sie hört ihre Stimme hinter der Tür und erschrickt. «Es war klar, dass wir keine Sängerknaben sind», wird einer der Männer später zu Protokoll geben. «Ich habe nicht gewusst, dass das Polizisten sind», sagt die Frau.
Keiner weiss, worüber gesprochen wurde
Doch die Männer sind tatsächlich von der Polizei – und sie sind gerade dabei, die Wohnung zu durchsuchen. Weswegen, das erfährt man in der Gerichtsverhandlung nicht. Jedenfalls tragen sie weder Uniform noch Armbinden. Einer der Männer fordert die Frau auf, sich auszuweisen. Als er sich als Polizist zu erkennen gibt, kommt sie der Aufforderung sofort nach und gibt auch ihre Adresse preis. Damit hätte die Sache eigentlich gegessen sein können. Denn gegen die Frau lag nichts vor. Der Polizist will nun aber auch noch den Namen und die Adresse des Arbeitgebers der Frau wissen. «Diese Informationen wollte ich ihm nicht geben, weil mein Chef mit dieser Sache gar nichts zu tun hatte. Ich habe deshalb gesagt, er könne direkt mit mir Kontakt aufnehmen, wenn etwas anstehe.»
In dem Moment schaltet sich ein weiterer Polizist ein. Auf Spanisch redet er auf die Dominikanerin ein. Der Inhalt des Gesprächs entzieht sich den umliegenden Polizisten – und das ist ein Problem. Denn gemäss der Beschuldigten hat er zu ihr gesagt: «Du verdammte Hure, entweder du beantwortest die Frage, oder es wird dir schlecht gehen.» Sie habe daraufhin gefragt, was er eigentlich denke, wer er sei. Er habe geantwortet: «Ich bin Polizist, und ich bin auch in deinem Land Polizist.» Daraufhin habe er ihr ins Gesicht und gegen den Kopf geschlagen. Sie habe versucht, die Schläge mit dem Arm abzuwehren.
Der Rapport-Schreiber war gar nicht vor Ort
Die Staatsanwaltschaft sieht die Sache aber gerade umgekehrt. Die 39-jährige Frau soll den Polizisten als Teufel beschimpft und versucht haben, ihn zu kratzen und zu schlagen. «Sie ist eine kleine rabiate und giftige Frau», sagte der Betroffene gegenüber der Staatsanwaltschaft aus. Die Vorwürfe gegen ihn seien erfunden. «Hätte ich sie mit der Faust geschlagen, hätte sie anders ausgesehen», gab er zu Protokoll. Die Staatsanwaltschaft will die Dominikanerin wegen versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilen.
Die Verteidigerin wiederum findet das völlig daneben. «Es ist unglaubwürdig, dass meine 1,60 Meter grosse Mandantin diesen 1,90 Meter grossen Bären von einem Mann aus dem Nichts heraus angegriffen haben soll.» Ein Arzt habe vier Tage später einen blauen Fleck im Gesicht und einen Tinnitus bei ihr festgestellt. «Es ist schwer zu glauben, dass sich so etwas in der Schweiz abgespielt hat. Aber die Schilderung meiner Mandantin ist authentisch. Sie äussert sich präzis und übertreibt nicht.» Es sei davon auszugehen, dass der Polizist die Frau bewusst auf Spanisch ansprach, damit die anderen ihn nicht verstehen konnten. Es sei sonst kein Grund ersichtlich, da die Frau gut Deutsch spreche. Auf die Arbeit der Polizei werfe der Vorfall gar kein gutes Licht. Die Aussagen der Polizisten würden sich widersprechen, und der Rapport wurde von einem geschrieben, der gar nicht vor Ort war. «Es liegt nahe, dass er faktisch von dem betroffenen Polizisten selbst erstellt wurde, was dieser auch einräumt», so die Verteidigerin. «Das ist nicht transparent.»
Das Bezirksgericht spricht die Beschuldigte frei. Was die Frau versucht habe, reiche nicht aus, dass man von versuchter Gewalt gegen Behörden sprechen könne. Die Staatsanwaltschaft ist damit nicht einverstanden und hat Berufung eingereicht. Der Fall kommt vor das Kantonsgericht. Das Verfahren gegen den Polizisten wegen Amtsmissbrauch, Drohung, Körperverletzung, Beschimpfung und Nötigung hatte die Staatsanwaltschaft schon eingestellt. Die Frau legte dagegen Beschwerde ein, daher ist der Fall noch hängig.