Marine Le Pens “multipolare Welt”

Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2017/12/55952.html

Botschafter aus Kuba, Saudi-Arabien, Vietnam und anderen Staaten lauschten der französischen Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front National bei ihren Lobhudeleien für Putin und Trump.

Ein »schwarzes Szenario« der ersten 100 Tage einer vorläufig noch imaginären Regierung des Front National (FN) malte Mitte voriger Woche das Wochenmagazin L’Obs – früher Le Nouvel Observateur – in seiner Titelstory. So sieht das Drehbuch aus: Marine Le Pen wird im Mai mit einer »knappen« Mehrheit gewählt. Demonstrationen finden statt, werden jedoch nach einigen Tagen verboten und ein Treffen der neuen französischen Präsidentin mit Angela Merkel verläuft »eiskalt«. Bei den Parlamentswahlen im Juni erhält die extreme Rechte keine Mehrheit. Doch mittels einer Volksabstimmung Anfang Juli zum Thema »Inländerbevorzugung und Verbot von Parallelgesellschaften« gelingt der rechtsextremen Regierung ein »Referendumsputsch« am Parlament vorbei.

Dass es so oder ähnlich kommt, ist bislang unwahrscheinlich, allerdings nicht unmöglich. Zumal die extreme Rechte erheblich von der tiefen Krise der französischen Konservativen profitieren dürfte. Letzteren wird es nunmehr definitiv nicht gelingen, ihren von Korruptionsvorwürfen gebeutelten Präsidentschaftskandidaten François Fillon zu ersetzen. Der Anmeldeschluss für Bewerber zur Präsidentschaftswahl Ende April und Anfang Mai ist am Freitag vergangener Woche verstrichen. Auch in der französischen Führungsschicht macht man sich Gedanken, was denn los wäre, wenn …

In französischen Diplomatenkreisen verkünden manche, sie würden unter einer FN-geführten Regierung »Frankreich nicht länger dienen wollen«. Der französische Botschafter in Japan etwa machte vorvergangene Woche seine Entscheidung öffentlich, in seinem solchen Fall den Dienst zu quittieren. Umgekehrt machen die Diplomaten anderer Staaten Anstalten, sich schon mal – auch in offizieller Form – anzuhören, was der FN an der Regierung denn so zu bieten hätte.

Der kubanische Botschafter war da. Die Botschafter Saudi-Arabiens, Kambodschas, Vietnams und Taiwans auch, jener von Albanien soll ebenfalls anwesend gewesen sein. Aus den USA und China waren Diplomaten unterhalb des Botschafterrangs gekommen. Insgesamt sollen »Vertreter von 42 Ländern« dabei gewesen sein, unter ihnen Singapur und El Salvador, als die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen am 23. Februar bei einer Konferenz ihre »Vision der internationalen Beziehungen« vorstellte. In französischen Medien fand sich darüber vor allem eine längere AFP-Meldung. Der für seine offene Propaganda bekannte russische Sender RT (früher Russia Today) berichtete hingegen in französischer Sprache ausführlich über die Veranstaltung der französischen extremen Rechten.

Inhaltlich trat Marine Le Pen insbesondere für eine Aufwertung der Beziehungen zu solchen Staaten ein, die Migration nach Europa verhindern könnten oder sollten. Ägypten unter Präsident Abd al-Fattah al-Sisi bezeichnete die Vorsitzende des FN in dieser Hinsicht als »Wachturm, der uns gegen die Migranten verteidigen wird«. Die Tochter und politische Erbin des langjährigen Vorsitzenden der neofaschistischen Partei, Jean-Marie Le Pen – er stand von 1972 bis 2011 an der Spitze des von ihm mitgegründeten FN –, begrüßte ferner den Amtsantritt von US-Präsident ­Donald Trump als Hoffnungsschimmer und bezeichnete erwartungsgemäß Wladimir Putin als »Verbündeten«. Marine Le Pen schwang sich in ihrer Rede zur Vorreiterin einer »multipolaren Welt« auf.

Die französischen Rüstungsausgaben sollen sofort auf zwei, bis zum Ende der regulären Amtszeit des nächsten französischen Staatsoberhaupts (von Mai 2017 bis 2022) auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden; das soll zudem in der französischen Verfassung festgeschrieben werden. So will es der FN, dessen Kandidatin am Dienstag und Mittwoch die französische »Barkhane«-Streitmacht für die Sahelzone besuchte. Bezüglich der Europäischen Union proklamierte Marine Le Pen, es gelte, »ihr ein Ende zu setzen«. Auf diese Weise hat sie ihre Position erneut radikalisiert, nachdem der FN bei einem Strategieseminar im Februar 2016 das zuvor explizit formulierte Ziel eines Austritts aus der Euro-Währung relativiert zu haben schien. Es war innerparteilich in Frage gestellt worden, als sich herausstellte, dass die umworbenen potentiellen Wechselwähler, die zwischen Konservativen und FN stehen, aber auch um ihre Ersparnisse fürchtende Rentner und Kleinunternehmer in der eigenen Wählerschaft eher gegen diese Forderung sind.

Die Ablehnung des Euro ist auch der Grund dafür, dass Teile des französischen Kapitals nach wie vor Bedenken dagegen äußern, den FN in Regierungsverantwortung zu sehen. Der Präsident des stärksten Arbeitgeberverbands Medef, Pierre Gattaz, beendete allerdings eine Praxis seiner Vorgängerin aus den Jahren 2005 bis 2013, Laurence Parisot. Unter ihr war es nicht in Frage gekommen, dass die Unternehmerverbände mit dem FN reden. Gattaz hingegen entschied, neben anderen Präsidentschaftsanwärtern auch Marine Le Pen offiziell anzuhören.

In einem Beitrag auf dem Webportal Orange Finance vom Montag äußerten sich unterdessen mehrere Stimmen aus dem Unternehmerlager zu den Aussichten auf eine hypothetische Regierung mit FN-Beteiligung. Mehrere der Befragten machten sich Gedanken über die negativen Auswirkungen einer »wirtschaftlichen Blockade« im Falle einer solchen Konstellation. Hingegen sagte etwa eine Kleinunternehmerin: »Ich wüsste nicht, was schlimmer kommen sollte als heute, in Sachen Staatsbürokratie und Abgaben.« Generell zeigen sich die exportorientierten transnationalen Firmen kritischer gegenüber Marine Le Pen und ihrem Programm als sogenannte mittelständische Unternehmen.

Wie die linksliberale Zeitung Le Monde in ihrer Wirtschaftsbeilage vom Dienstag schrieb, führten vor allem angloamerikanische Banken und Investmentfonds in den vergangenen Monaten bereits Gespräche mit dem FN, um dessen Absichten zu sondieren. Die Fondsgesellschaft Blackrock und die britische Agentur Checkrisk bestätigten entsprechende Meldungen, während Barclays und die Schweizer Bank UBS Informationen der Wirtschaftsagentur Bloomberg darüber nicht kommentieren wollten.

Amtsinhaber François Hollande jedenfalls scheint beunruhigt. In privatem Kreise zeige er sich »überzeugt, dass Marine Le Pen in den Vorwahlumfragen unterschätzt wird«, berichtete Le Monde am 6. März; und ihr Herausforderer in der Stichwahl könnte, fügte Hollande demnach hinzu, »Mühe haben, unterschiedliche Kräfte zu bündeln«, um einen Wahlsieg Marine Le Pens zu verhindern. Zudem berichtete das Wochenmagazin L‘Obs auf seiner Website am 2. März, dass Hollande fünf bekannte Politologen und Politologinnen, die in Sachen Beobachtung des FN einen guten Namen haben – unter ihnen Nonna Meyer und Alexandre Dézé –, zu einem gemeinsamen Mittagessen eingeladen habe. Behandelt werden sollte die Frage: »Und was, wenn Marine Le Pen gewinnen würde…?«

Der für viele Beobachter überraschende Ausgang des Referendums über den Austritt aus der Europäischen Union in Großbritannien vom Juni 2016 und der Wahlsieg Donald Trumps in den Vereinigten Staaten sprechen in den Augen vieler Kommentatoren dafür, dass böse Überraschungen auch bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich nicht ausgeschlossen werden können.

Ein Hauch von Nazismus liegt noch immer in der Luft, wenn manche Pro­tagonisten des FN sich zu Wort melden, auch wenn die Parteiführung tunlichst bemüht ist, einen an die bürgerliche Demokratie angepassten Eindruck zu erwecken. Nachdem vorige Woche der Holocaust-Leugner Benoît Loeuillet, ein Regionalparlamentarier des FN und Buchhändler in Nizza, infolge einer Fernsehsendung aufgeflogen war – er wurde prompt von den Mitgliedsrechten suspendiert –, meldete sich zu allem Überfluss ein Kommunalparlamentarier der Partei aus dem Umland von Grenoble zu Wort. Franck Sinisi schlug vor, »den Aufenthalt von Roma zu finanzieren«, indem man ihnen »die Goldzähne zieht«. Ein Vorschlag, der viele Kommentatoren an Auschwitz erinnerte. Parteilinie ist es nicht, solche Vorstellungen zu verbreiten oder mit ihnen zu scherzen. Aber ist es auch kein Zufall, dass sich entsprechende Leute in dieser Partei tummeln.

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