Nach Anschlag auf »Elitesoldaten«: Büros der »Demokratischen Partei der Völker« (HDP) verwüstet. Regierungsanhänger rufen zu Mord auf
Bei einem Anschlag auf die türkische Armee wurden am Sonnabend in der mittelanatolischen Industriestadt Kayseri mindestens 14 Soldaten getötet. Sie gehörten einer »Eliteeinheit« an, die für Kriegsverbrechen berüchtigt ist. Das Attentat wurde mittels einer Autobombe verübt, die vor dem Mannschaftsbus gezündet wurde. Mehr als 50 weitere Armeeangehörige wurden zum Teil schwer verletzt.
Der Angriff galt Angehörigen der in Kayseri stationierten 1. Kommandobrigade, die im Frühjahr dieses Jahres in Städten wie Cizre, Nusaybin und Sur, dem Altstadtteil der Metropole Diyarbakir, im Einsatz war. Während monatelanger Ausgangssperren waren dort Hunderte Zivilisten massakriert und ganze Wohnviertel mit schweren Waffen dem Erdboden gleichgemacht worden. Als die türkischen Streitkräfte im August die Grenze zu Syrien überschritten, bildete die Kommandobrigade die Speerspitze des Einmarschs. Zusammen mit Söldnerverbänden aus dem Umfeld der Al-Qaida griff die türkische Armee im Norden Syriens Stellungen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG an.
Zu dem Anschlag vom Samstag bekannte sich bis Redaktionsschluss niemand. Während die Regierung Erdogan bereits kurz nach der Tat die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) der Täterschaft bezichtigte, verurteilte die linke und prokurdische »Demokratische Partei der Völker« (HDP) das Attentat scharf. Dennoch geriet letztere in das Visier der Neofaschisten: Hunderte Anhänger der »Grauen Wölfe« attackierten am Sonnabend das Büro der HDP in Kayseri. Wie HDP-Funktionäre gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur Firat News berichteten, habe die Polizei die Rechtsextremen in das Gebäude gelassen. Die Angreifer entfernten das HDP-Schild am Eingang, steckten das Büro in Brand und hissten die Fahne der neofaschistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP). Anschließend stürmte der Mob auch Räumlichkeiten der sozialistischen Partei EMEP, des Gewerkschaftsbundes DISK und der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP). In der Nacht zum Sonntag verwüsteten und brandschatzten islamistische und faschistische Rollkommandos nach Angaben der HDP insgesamt 20 ihrer Parteibüros, unter anderem in Istanbul, Ankara, Izmir und Eskisehir. Der HDP-Abgeordnete Ziya Pir warnte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) von einer »Pogromstimmung« gegen seine Partei.
Die Hetzte gegen prokurdische Kräfte hat in der vergangenen Woche, nach einem Anschlag der von der PKK abgespaltenen Gruppe »Freiheitsfalken Kurdistan« (TAK) auf Polizisten in Istanbul, ein neues Ausmaß erreicht. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Donnerstag eine »nationale Mobilmachung« verkündet und die Bevölkerung dazu aufgefordert, alle Verdächtigen und deren Unterstützer den Behörden melden. Bei einer Welle von Razzien zu Beginn der Woche waren schon rund 570 Menschen verhaftet worden, darunter mehrere Abgeordnete der HDP. Während Regierungsanhänger in sozialen Netzwerken mittlerweile unverhohlen zum Mord an HDP-Politikern aufrufen, meldete der Nachrichtenticker des Fernsehsenders CNN Türk am Sonntag, Angriffe auf HDP-Büros seien ein »Beitrag im Kampf gegen den Terrorismus«.