In der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 2016 fand in Unterwasser (Gemeinde Wildhaus/Alt St. Johann, SG) ein Neonazikonzert in einem für die Schweiz bisher unbekanntem Ausmass statt: Über 5000 Neonazis aus dem In- und Ausland versammelten sich in der Tennis- und Eventhalle, um zu hasserfüllten Rechtsrockklängen «ungestört abzuhitlern». Bereits Monate im Voraus riefen die Veranstalter_innen aus dem Umfeld des internationalen Neonazinetzwerkes Blood & Honour (B&H) über die sozialen Medien zum Konzertabend auf.
Mit Exzess (DE), MaKss Damage (DE), Amok (CH), Confident of Victory (DE), Frontalkraft (DE) und Stahlgewitter (DE) setzte sich das Lineup aus einschlägig bekannten Szenegrössen zusammen (weitere Informationen im Hintergrund-Dossier zu den Bands). Auf dem Flyer war der Anlass ursprünglich im Raum Süddeutschland angekündigt worden, in der Woche vor dem Anlass verdichteten sich jedoch die Hinweise, dass dieser in der Schweiz stattfinden wird. Die gewählte Region ist für Rechtsextreme kein «Neuland». Bereits 2013 hatte die Zürcher B&H-Sektion im nahegelegenen Ebnat-Kappel (SG) ein Konzert in Gedenken an den B&H-Gründer Ian Stuart Donaldson mit mehreren hundert Teilnehmenden organisiert.
Das ewig gleiche Lied
Das Vorgehen rechtsradikaler Konzertorganisator_innen ist eigentlich immer dasselbe: Anmieten eines Veranstaltungsortes, meist unter dem Vorwand eines Privatanlasses – etwa ein Geburtstagsfest oder ein Spieleabend –, Geheimhaltung der Location und letztlich die Bekanntgabe von Schleusepunkten, Infonummern oder dergleichen. So auch rund um das «Rocktoberfest» vom 15. Oktober 2016. Der in Rüti (ZH) wohnhafte, deutsche Neonazi Matthias (Matze) Melchner hatte die Tennis- und Eventhalle in Unterwasser für ein angebliches Konzert Schweizer Nachwuchsbands angemietet. Lediglich einige hundert Personen aus dem Umfeld der Bands sollten kommen. Auch der harmlose Titel der Veranstaltung sollte zunächst nichts Schlimmes vermuten lassen. Auf dem Konzertticket war als erster Schleusepunkt der Raum Ulm angegeben worden, wo die Teilnehmenden auf eine Infonummer anrufen mussten, um den nächsten Anfahrtspunkt zu erhalten. Auf diesem Weg wurden die Reisenden schliesslich nach Unterwasser gelotst.
Untypisch war jedoch die mehrtägige Eventvorbereitung. Die Veranstaltungsorte werden hauptsächlich wegen der Befürchtung, der Mietvertrag könnte durch frühzeitiges Aufdecken oder Einschreiten der Behörden aufgehoben werden, bis zum letzten Moment geheim gehalten. Aus dem gleichen Grund werden oft mehrere Lokale parallel angemietet und Technik sowie Barmaterial erst am Veranstaltungstag selber eingerichtet, um bei Bedarf schnell auf Backuplösungen zurückgreifen zu können. Zwar waren auch für das «Rocktoberfest» mehrere Hallen reserviert worden, die Organisator_innen brüsteten sich aber damit, bereits einige Tage im Voraus mit dem Aufstellen der Infrastruktur begonnen zu haben. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass sich die Veranstaler_innen ihrer Sache in dem Sinne «sicher» waren, als dass sie nicht befürchteten, die Halle noch kurzfristig zu verlieren.
Konzertparadies Schweiz
Der Betreiber der Tennishalle, der verantwortliche Gemeindepräsident sowie die zuständige Kantonspolizei beteuerten nach dem Anlass, von dem Konzert überrumpelt worden zu sein. Während es für den Betreiber und die Gemeinde stimmen mag, dass sie zu spät merkten, wen sie sich da ins Haus geholt hatten, gilt dies sicher nicht für die Polizei. Medien berichteten, der Nachrichtendienst des Bundes habe die Kantonspolizei St. Gallen über das bevorstehende Konzert informiert. Damit hatten die Behörden im Vorfeld Kenntnis von dem Anlass, trotzdem konnten die Konzerte ohne Weiteres über die Bühne gehen. Im Nachgang hütete sich die Polizei sogar hartnäckig davor, öffentlich von einem Neonazi-Konzert zu sprechen. Zuerst gab die Polizei am Sonntag an, die Eventhalle nicht betreten zu haben. Am Dienstag wurde gegenüber den Medien kommuniziert, für einen kurzen Augenschein das Konzert besucht, die Liedtexte jedoch nicht verstanden zu haben. So oder so seien keine Straftaten – namentlich Verstösse gegen die Rassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) – festgestellt worden. Demgegenüber bestätigte der Gemeindepräsident, welcher sich vor Ort ein persönliches Bild von den Besucher_innen und der Musik gemacht hatte, von Anfang an, es sei ohne Schwierigkeiten festzustellen gewesen, dass es sich bei den Teilnehmer_innen um Zugehörige der rechtsradikalen Szene gehandelt hatte. Auch die Musikfetzen, die er trotz Lautstärke und Gegröle verstanden habe, seien zweifelsfrei zuzuordnen gewesen.
Da solche Anlässe auch wegen fehlender Rechtsgrundlagen selten in irgendeiner Form geahndet werden, gilt die Schweiz in der Szene als Konzertparadies. Entsprechend wenig erstaunlich ist die Aussage der – als Organisatorin fungierenden – «Reichsmusikkammer» gegenüber 10vor10, wonach die Schweiz als Durchführungsort ausgewählt wurde, weil hier «die Meinungsfreiheit gelte und geschützt werde». Gemeint dürfte hiermit die Praxis der Schweizer Sicherheitsbehörden sein, rechtsradikale Konzerte als Privatveranstaltungen abzutun – wie auch jetzt wieder beim «Rocktoberfest». Relevant ist dies, weil die schweizerische Rassismus-Strafnorm lediglich Diskriminierung unter Strafe stellt, die in der Öffentlichkeit stattfindet. Somit ist zum Beispiel das Zeigen des Hitler-Grusses nicht verboten, solange es im «privaten Rahmen» stattfindet. Bei einem Konzert dieser Grössenordnung von einem privaten Anlass zu sprechen, entbehrt jedoch nicht nur jeglicher Vernunft und Logik, sondern widerspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 130 IV 111, Entscheid aus dem Jahr 2003). Weiter ist das Tragen von Hakenkreuzemblemen in der Schweiz grundsätzlich nicht strafbar und die Indizierung einzelner Lieder oder Alben im Ausland stellt für das Bundesamt für Polizei keine genügende Grundlage dar, um eine Einreisesperre zu verfügen. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang aber trotzdem, dass eine derart grosse Anzahl Rechtsradikaler – teils in ganzen Reisecars unterwegs – mehr oder weniger ungehindert in die Schweiz einreisen konnte. Zwar hatten einige Reisende Probleme bei der Grenzkontrolle und ein Bus musste die Rückreise antreten, nichts desto Trotz haben es aber mehr als 5000 Personen bis nach Unterwasser geschafft.
#calmdown?
Während die meisten Medien, wahrscheinlich schockiert über die Grösse des Konzerts, aufmerksam dem Twitter der Antifa Bern folgend, prominent über den Neonazi-Anlass berichteten, fühlte sich der selbsternannte «Extremismusexperte» Adrian Oertli dazu berufen, einen Konterpunkt zu setzen und twitterte Folgendes: «5000 Menschen. Ein Konzert. Keine Zwischenfälle. Wegen dem ist die Welt nicht schlechter. #calmdown». Mit dieser Aussage offenbart Oertli die Berechtigung des Prädikats «selbsternannt», indem er die Bedeutung solcher Veranstaltungen vollständig verkennt. Insbesondere Konzerte dienen der extremen Rechten als wichtige Vernetzungsplattform, der Bindung von Nachwuchs und zur Finanzierung ihrer Strukturen. Wobei auch der Eventfaktor nicht unterschätzt werden darf; Konzerte stärken das Zugehörigkeitsgefühl, bieten Gelegenheit, Beziehungen zu (gewaltbereiten) Neonazis aus ganz Europa zu knüpfen, dienen dem informellen Austausch und bieten, dank der Ungewissheit über das Ziel der Reise, zusätzlich einen gewissen Nervenkitzel.
Finanzierung für die Szene
Beim «Rocktoberfest» handelte es sich um einen der grössten Neonazi-Events, welcher in der Schweiz je stattgefunden hat. Auch für die Besucher_innen aus dem Ausland stellte das Konzert einen Event der Superlative dar; sie waren dafür auch aus ganz Europa angereist. So waren beispielsweise Szeneangehörige aus der Schweiz, Deutschland, Österreich, der Niederlande, England, Polen, Tschechien und Russland vertreten.
Insbesondere die finanzielle Bedeutung der Veranstaltung darf nicht unterschätzt werden. Mit Eintritt, Bareinahmen, dem Verkauf von Merchandiseartikeln und dem Absatz – teilweise indizierter – Tonträger dürfte sehr viel Geld generiert worden sein. In Unterwasser haben die Konzertgänger_innen pro Ticket 30 Euro, pro Bier 3.50 Euro und pro Wurst mit Semmel 5 Euro bezahlt. Bei einem Anlass dieser Grösse kann somit, auch nach Abzug der verschiedenen Ausgaben (Technik, Bands, Saalmiete, etc.) gut und gerne von über 100’000 Franken Gewinn ausgegangen werden. Geld, welches wiederum in die Neonazistrukturen fliesst. So werden weitere Tonträger oder Untergrundmagazine, aber auch die Beschaffung von Waffen oder – wie in diesem Fall – Prozesskosten und Immobilien finanziert.
Auch wenn solche Konzertabende in der Regel «ohne Zwischenfälle» verlaufen – wie u.a. die Polizei jeweils gerne betont –, steckt hinter derartigen Anlässen immer weit mehr. Vor diesem Hintergrund erscheinen die nachträglichen Aussagen von Anwohner_innen, die Rechtsextremen seien alle höflich gewesen und hätten sogar ihren Müll gewissenhaft entsorgt, sowie Beschwichtigungsversuche à la Oertli nicht nur zynisch, sondern als Ausdruck brandgefährlicher Akzeptanz gegenüber rechtsradikalem Gedankengut.