Chronologie einer Eskalation

Es begann mit einem Sicherheitsbericht und seiner medialen Verzerrung. Darauf folgten die heftigsten Zusammenstösse seit langem rund um das Kulturzentrum Reitschule. Schliesslich streicht die Stadt die Subventionen. Wie kam es so weit?

«Besetzt» steht seit diesem Montag auf dem Transparent über dem Eingang zur Reitschule. Der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur) liegt eine Kündigungs- und Betreibungsdrohung der Stadt Bern vor. Als Reaktion auf die jüngsten Ereignisse rund um das Kulturzentrum hat die Stadtregierung erstmals eine Sistierung der Subventionen nicht nur angedroht, sondern auch umgesetzt.

Ihren Anfang nahmen die jüngsten Zusammenstösse mit einer Pressekonferenz des Stadtberner Sicherheitsdirektors Reto Nause am 1. März. Er präsentiert die Resultate einer Sicherheitsbefragung der Firma Kilias Research & Consulting. Die Studie bietet ziemlich viele «good news»: Raubüberfälle, Einbrüche, Tätlichkeiten und Drohungen seien in der Stadt Bern in den vergangenen fünf Jahren markant zurückgegangen. Achtzig Prozent der befragten BernerInnen gaben ausserdem an, sich sicherer zu fühlen als bei der letzten Befragung.

«Präventionseinsatz» mit Folgen

Auf die Frage der JournalistInnen, wo sich die StadtbernerInnen noch immer unsicher fühlen würden, wird an der Pressekonferenz unter anderem die Schützenmatte genannt, der weitläufige Parkplatz vor der Reitschule. Daraus wird die Schlagzeile der «Berner Zeitung»: «Stadt Bern wurde sicherer – bis auf die Reitschule». Um die Reitschule zum Hauptthema zu machen, muss man die Sicherheitsbefragung schon sehr frei interpretieren. Explizit genannt wird sie nur im Anhang der Studie, in einer langen Liste all jener Orte, die die Befragten aus Angst vor einem Terroranschlag meiden würden. Auf das Reitschulareal und die Schützenmatte entfallen etwa vierzig der knapp tausend Nennungen.

Nimmt die Polizei die Schlagzeilen zum Anlass, bei der Reitschule Präsenz zu markieren? Fest steht, dass sie am Abend des 4. März einen «Präventionseinsatz» auf der Schützenmatte durchführt. Je nach Angabe erscheinen zwischen acht und rund dreissig PolizistInnen in Vollmontur – «ein Auftritt, wie man ihn zu diesem Zweck bis dahin nicht erlebt hat», sagt Tom Locher, ein ehemaliger, lange sehr engagierter Reitschüler und Polizeiexperte. Unter den PolizistInnen sind an diesem Freitagabend auch solche aus der Einheit «Krokus» – bekannt für ihr auffällig hartes Vorgehen gegenüber der Reitschule. ReitschülerInnen rufen daraufhin die Polizeizentrale an und warnen vor der provozierenden Wirkung des Einsatzes. Später am Abend wird eine Demo gegen die Polizeikontrolle mit Gummischrot aufgelöst.

In der Nacht auf Sonntag, den 6. März, brennt an der Schützenmattstrasse eine Strassenbarrikade. Polizei und Feuerwehr rücken aus und werden vom Dach der Reitschule aus mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Laut Polizei und Reitschule kommt es zu Verletzten auf beiden Seiten. Der Brand kann schliesslich gelöscht und die Strasse geräumt werden; die SteinewerferInnen fliehen in die Reitschule.

Noch am Sonntag tritt der empörte Polizeichef Manuel Willi vor die Medien. Die Stadt droht mit finanziellen Konsequenzen. Der Stadtpräsident und Reitschulbefürworter Alexander Tschäppät setzt die Verhandlungen über den neuen Leistungsvertrag aus. Wenige Tage später streicht die Stadtberner Exekutive der Reitschule den Betriebskostenbeitrag von 60 000 Franken pro Jahr und fordert rückwirkend die Miete von 80 000 Franken für das erste Quartal. Begründung: Das gemeinsam entworfene Sicherheitskonzept sei nicht eingehalten worden. Die Mediengruppe der Reitschule distanziert sich am 11. März von den gewaltsamen Zwischenfällen und verteidigt das Sicherheitskonzept: «Am gleichen Abend fand im Dachstock ein ausverkauftes Konzert statt, dessen Besucher zu keinem Zeitpunkt gefährdet waren.» Ausserdem sei die Präsenz des hauseigenen Sicherheitsteams auf dem Vorplatz der Reitschule ausgebaut worden.

Zu der festgefahrenen Situation hat die Fusion der Berner Stadt- und Kantonspolizei vor acht Jahren erheblich beigetragen. Die Quartierwachen und die städtische Ombudsstelle wurden damals aufgelöst. Dadurch schlossen sich für die Reitschule verschiedene Kanäle, um Unstimmigkeiten mit der Polizei auch mal unkompliziert klären zu können. Immer wieder kam es seither auf dem Reitschulareal zu fragwürdigen Einsätzen der Spezialeinheit «Krokus». So zogen die Polizisten mehr als einmal ihre Waffen und zielten damit auf Menschen – ein Mittel, das in anderen Schweizer Städten kaum je verwendet wird.

Streng genommen steht die Reitschule nun bei der Stadt in der Kreide. Das reicht dem Berner SVP-Nationalrat Erich Hess nicht: «Das Geld wird lediglich innerhalb der Stadtverwaltung verschoben, da die Reitschule ihre Kultursubventionen als erlassene Miete von der Stadt Bern erhält.» Wirklich gegen die Reitschule vorgehen könne man nur mit einer Schliessung.

Vowärts zu den Anfängen?

Genau das bezweckt Hess mit einer kantonalen Initiative, die wenige Tage später, am 11. März, eingereicht wurde. Davon betroffen sein sollen «Anlagen oder Einrichtungen, von denen notorisch konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen».

Noch ist fraglich, ob die Initiative formal zulässig ist. Doch wenn es einen gibt, der von den aktuellen Diskussionen profitiert, dann Hess: Seine politische Karriere beruht wesentlich auf einem Feldzug gegen die Reitschule.

Kulturhäuser aus der ganzen Schweiz haben sich inzwischen mit der Reitschule solidarisiert. In einem offenen Brief an die Stadt betonen sie die Bedeutung der Reitschule als Kulturinstitution und als Freiraum, der in den achtziger Jahren hart erkämpft wurde.

Aus der Reitschule sind derweil erstaunlich gelassene Töne zu hören. «Die Betriebskosten würden wir im Notfall mit einem Solidaritätsfranken auf jedes verkaufte Bier aufbringen», sagt Christoph Ris von der Mediengruppe. Und falls die Stadt tatsächlich auf einer Miete bestehe, würde die Reitschule eben wieder zu dem, was sie im Herzen der ReitschülerInnen wohl immer geblieben ist: eine bunte, besetzte Trutzburg im Herzen von Bern.

Quelle: http://www.woz.ch/1611/berner-reitschule/chronologie-einer-eskalation

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