»Verteidiger Europas«

Ungarns rechtspopulistischer Ministerpräsident Viktor Orbán sieht Europa von dunklen Mächten bedroht: »Es ist kein Zufall, dass täglich Tausende Migranten nach Europa angeliefert werden«, äußerte er am 30. Oktober auf einer Konferenz im Italienischen Kulturinstitut in Budapest. »Man will eine bewusste Konstruktion verwirklichen, die man linksgerichtet nennen kann.« Seine Ursprünge habe das drohende Unheil in »wirren Träumen einiger großer Geldmänner« und »transnationaler Aktivisten«.

orbanUm die von ihm ausgemachten finsteren Pläne zu vereiteln, ließ Orbán damit beginnen, sein Land mit Stacheldraht einzuzäunen. Seitdem wird er von Gesinnungsgenossen im In- und Ausland als Pionier einer Lösung des »Flüchtlingsproblems« gefeiert. Der Zaun ist bis jetzt fast 500 Kilometer lang und sperrt damit knapp ein Viertel der Außengrenze des Landes ab.

Von großer Wichtigkeit sind für Orbán die Reaktionen aus dem westlichen Ausland. Aus Deutschland etwa kamen nicht nur Grußbotschaften von Pegida und Neonazis; auch durch Aussagen von Regierungspolitikern wie dem CSU-Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Uhl fühlt sich der Regierungschef bestärkt. Uhl erklärte in einem Spiegel-Interview: »Orbán hatte mit dem Grenzzaun von Anfang an recht.« Die Einladung durch Horst Seehofer zur Fraktionsklausur der CSU Ende September war für Orbán geradezu ein Befreiungsschlag, weil er endlich wieder einmal bei einem bedeutenderen West-Politiker zu Gast sein durfte. In den letzten Jahren war er praktisch ausschließlich in den Osten gereist, zum Beispiel in die ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan oder Kasachstan.

Sein Besuch in Bayern war zudem auch eine Art Racheakt. Insider aus seiner Partei Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) sagen, dass der Ministerpräsident sich ausschließlich vor einer Person fürchte – und dies sei Angela Merkel. Als die CSU ihre eigenen rechtspopulistischen Traditionen aufgriff und vor der offenen Konfrontation mit der Bundeskanzlerin nicht mehr zurückscheute, sah er seine Zeit gekommen und bot sich als Verbündeter gegen Merkel an. Umgekehrt kam es Seehofer nicht ungelegen, sich Orbán als eine Art nützlichen Narren an die Seite zu stellen – spricht dieser doch all das aus, was man in Deutschland nicht sagen kann, ohne damit einen Skandal zu provozieren.

Manche Eigenheiten der Flüchtlingspolitik Orbáns speisen sich auch aus rein innenpolitischen Motiven. So soll in der Bevölkerung gezielt Angst vor Fremden geschürt werden. Der Ministerpräsident fand in der vermeintlichen »Völkerwanderung« von »Illegalen« zudem ein dauerhaftes Hassobjekt. Er weiß, dass er mit dem traditionellen Nationalismus, dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit seiner Landsleute jederzeit rechnen kann. Außerdem bietet ihm die aktuelle Lage die Möglichkeit, sich vor aller Welt als Retter Europas zu verkaufen . Er tritt dabei in die ideologischen Fußstapfen der Helden aus der Zeit der »Türkenkriege« im 16. und 17. Jahrhundert. So bringt der Regierungschef die Ungarn als »Verteidiger Europas« in Stellung, die sie »in Kämpfen durch die Jahrhunderte« gewesen seien, wie es in der Präambel zur neuen Verfassung heißt. Parallel dazu wird alle Verantwortung für existierende Missstände Deutschland beziehungsweise Angela Merkel in die Schuhe geschoben.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/2015/11-09/066.php

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