Bombige Zusammenarbeit

1974 wurde während einer antifaschistischen Kundgebung in Brescia eine Bombe gezündet, die acht Menschen tötete und mehr als 100 verletzte. Kürzlich verurteilte ein italienisches Gericht einen Neofaschisten und einen Geheimdienstinformanten wegen ihrer Beteiligung an dem Massaker.

Drei verschiedene Gerichtsverfahren, mehr als ein halbes Dutzend Urteile, zumeist Freisprüche, und schließlich Ende Juli doch noch ein unerwarteter Richterspruch: Carlo Maria Maggi, einst Chef des venezianischen Ablegers der neofaschistischen Gruppierung Ordine Nuovo, und Maurizio Tramonte, seinerzeit Informant des Militärgeheimdienstes SID, wurden für ihre Beteiligung an dem Bombenattentat am 28. Mai 1974 auf der Piazza della Loggia in Brescia zu lebenslanger Haft und Entschädigungszahlungen in Millionenhöhe verurteilt. Der Sprengstoff war während einer antifaschistischen Kundgebung gezündet worden, acht Menschen wurden getötet, mehr als 100 zum Teil schwer verletzt. Nun sah es ein italienisches Gericht erstmals als erwiesen an, dass Mitglieder neofaschistischer und geheimdienstlicher Organisationen gemeinsam ein Massaker (italienisch strage) verübten, um in der italienischen Gesellschaft ein Klima der Angst und Einschüchterung zu erzeugen und den politischen Einfluss linker und gewerkschaftlicher Bewegungen zurückzudrängen. Somit hat es 41 Jahre gedauert, bis die in der Zeitgeschichte als »Strategie der Spannung« bezeichnete staatsterroristische Kooperation in einem Urteil von der italienischen Justiz anerkannt wurde.

Die breite Öffentlichkeit hatte von dem im Frühjahr eröffneten Verfahren kaum Notiz genommen, auch die Urteilsverkündung im Juli war nur eine kurze Tagesmeldung. Einige ältere Kommentatoren würdigten den Richterspruch zwar als historisch, merkten aber an, dass es wohl zugleich das letzte Urteil in einem Verfahren zu den staatlichen Massakern gewesen sein dürfte. Die Mehrheit der jüngeren Generation Italiens kennt die politische Geschichte der siebziger Jahre ohnehin nur noch aus der popkulturellen Aufarbeitung, wobei in den Kino- und Fernsehproduktionen die Rolle des Staatsapparats eher außen vor bleibt und die Rechten als sympathische Outlaws inszeniert werden. Manlio Milano, dessen Frau zu den acht Todesopfern des Anschlags zählte, beklagte denn auch die Schwäche eines Urteils, das um Jahrzehnte zu spät kommt.

Bereits in den ersten beiden Gerichtsverfahren der achtziger Jahre wegen des Attentats in Brescia waren Mitglieder aus dem auf einen Staatsstreich sinnenden neofaschistischen Lager zunächst verurteilt, aber von höheren Instanzen freigesprochen worden. Als in den neunziger Jahren aufgrund von Kronzeugenaussagen ein drittes Verfahren eingeleitet werden konnte, beklagte die Staatsanwaltschaft ein auffallendes Desinteresse seitens der Politik und der Medien. In den Verhandlungen ergab sich ein eindeutiges Bild: Die Geheimdienste waren von der Politik beauftragt worden, die Opposition zu unterdrücken, die Agenten überließen die Ausführung den rechten Terrorgruppen und manipulierten anschließend die Ermittlungsverfahren.

Doch aus Mangel an Beweisen endete auch dieser Prozess 2010 mit Freisprüchen für die fünf Hauptangeklagten. Die Bestätigung des Urteils in zweiter Instanz erachtete das Kassationsgericht im Frühjahr 2014 dann allerdings überraschend als »ungerechtfertigt«, es ordnete für zwei der Angeklagten die Wiederaufnahme des Verfahrens an. Mit Maggi wurde nun ein Verantwortlicher der ausführenden Neofaschisten, mit Tramonte ein Agent des Staatsapparats verurteilt.

Wegen seines Alters und seines angeblich schlechten Gesundheitszustands wird der 80jährige Maggi die Haftstrafe nicht mehr antreten müssen. Der 63jährige Tramonte hat dagegen keine Aussicht auf Haftverschonung; das könnte ihn zur Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden veranlassen. Denn weiterhin sind weder die Tatvorbereitung noch die Rolle der politischen Verantwortlichen aufgeklärt. Federico Sinicato, der Anwalt der Opferfamilien, versteht das Urteil deshalb auch als Ansporn, weiter auf die Aufarbeitung der Geschichte der staatlichen Massaker zwischen 1969 und 1980 zu drängen.

Die erste Bombe, die ihm Rahmen der Strategie der Spannung gezündet wurde, explodierte am 12. Dezember 1969 in der Landwirtschaftsbank an der Piazza Fontana in Mailand. Es folgten 1970 und 1974 Anschläge auf Züge, der Anschlag in Brescia und schließlich am 2. August 1980 das Massaker am Hauptbahnhof in Bologna, bei dem 85 Menschen getötet und über 200 verletzt wurden. Anlässlich des 35. Jahrestags wurden in diesem Sommer auf der Gedenkfeier von den staatlichen Repräsentanten die üblichen Reden gehalten, so als hätte es nicht eine Woche zuvor das Urteil zum Anschlag in Brescia gegeben. Staatspräsident Sergio Mattarella raunte von »dunklen Ecken« in der Geschichte, von Auftraggebern und eventuellen Komplizen, die nicht ermittelt worden seien. Er versprach aber keine Aufklärung, sondern nur ewiges Gedenken an die unschuldigen Opfer, die für immer Teil des nationalen Gedächtnisses seien. Pietro Grasso, der Präsident des Senats, forderte ein Gesetz, das die Manipulation von Ermittlungsverfahren unter Strafe stellt. Der Vorschlag selbst ist bereits wieder ein Ablenkungsmanöver, denn es fehlt nicht an Strafgesetzen, sondern an politischem Willen, die Terrorakte und die Geschichte ihrer Vertuschung aufzuklären.

Seit den neunziger Jahren belegen staatsanwaltschaftliche Untersuchungen und Zeugenaussagen von ehemaligen Rechtsterroristen, dass zahlreiche Geheimdienstler und Neofaschisten in den Nachkriegsjahren Mitglieder der Nato-Geheimorganisation Gladio waren und dass die Terrorakte gegen die Zivilbevölkerung unter der Beteiligung, zumindest aber mit Duldung von Gladio-Angehörigen stattfanden. Der erste Anschlag in Mailand kann als exemplarisch für die Strategie der Spannung gelten. Getötet wurden zufällige Bankkunden, verantwortlich gemacht wurden zwei Anarchisten, Giuseppe Pinelli und Pietro Valpreda. Pinelli starb noch in der Nacht seiner Vernehmung durch einen ungeklärten Fenstersturz aus einem oberen Stockwerk der Präfektur. Seine und Valpredas Unschuld sollte erst Jahre später anerkannt werden. Als sich Ermittlungen gegen den Ordine Nuovo nicht mehr vermeiden ließen, wurden Verurteilungen in erster Instanz durch höhere Instanzen wieder aufgehoben. Auch Maggi profitierte 2005 von der Annullierung einer vorausgegangenen Verurteilung. Für das Massaker an der Piazza Fontana wurde bis heute niemand juristisch zur Rechenschaft gezogen.

Das Attentat in Brescia 1974 weist eine Besonderheit gegenüber dem Anschlagsmuster der Strategie der Spannung auf: Die Bombe wurde nicht in einer zufälligen Menschenmenge gezündet, sondern während einer Kundgebung, die von kommunistischen und katholischen Gewerkschaften als Reaktion auf neofaschistische Umtriebe in der Provinzhauptstadt organisiert worden war. Auf der Piazza della Loggia wurde also gezielt der politische Gegner angegriffen. Giovanni De Luna, Historiker an der Universität von Turin, rät deshalb, die staatlichen Massaker nicht nur im weiten Kontext des Kalten Kriegs zu sehen, sondern die konkrete innenpolitische Situation in Italien und die Entwicklung der postfaschistischen Rechten zu beachten. Bis 1974 hatte die Strategie der Spannung ihr Ziel nicht erreicht. Im Gegenteil, die Democrazia Cristiana (DC), die als antikommunistische Volkspartei die italienische Regierungspolitik bestimmen sollte, war wiederholt zu Bündnissen mit den sozialistischen Parteien gezwungen. Im Frühjahr 1974 schien die konservativ-katholische Hegemonie in der Gesellschaft endgültig verloren, als sich per Volksentscheid eine Mehrheit für das Recht auf Ehescheidung aussprach.

In der Folge radikalisierten sich die reaktionären Kräfte und sammelten sich (auch) außerhalb der DC. Eine Reihe gerichtlicher Untersuchungen konnte den Nachweis erbringen, dass es Verbindungen von Licio Gellis Geheimloge P2 zur Strategie der Spannung gab. Der Logenmeister selbst wurde unter anderem wegen Falschaussagen im Ermittlungsverfahren zum Bombenattentat in Bologna verurteilt. Als Ausführende wurden drei junge Mitglieder der rechten Terrorzelle Nuclei Armati Rivoluzionari (NAR, Bewaffnete revolutionäre Zellen) verurteilt. Da Valerio Fioravanti, Francesca Mambro und der zur Tatzeit noch minderjährige Luigi Ciavardini die Tat stets bestritten und sich als rechte Revolutionäre jenseits der Tradition der Altfaschisten um den Ordine Nuovo verstanden haben, gibt es bis heute auch unter vielen Linken Zweifel, ob mit ihrer Verurteilung nicht von den wirklichen Verantwortlichen und ihren Auftraggebern abgelenkt werden sollte.

Tatsache ist, dass Gelli spätestens ab den achtziger Jahren seinen »Plan zur demokratischen Wiedergeburt« Italiens auch mit anderen Mitteln verfolgte. Er verhalf dem P2-Mitglied Silvio Berlusconi zum Aufbau eines Medienimperiums und schließlich zur Übernahme der Macht. In seinen Regierungsbündnissen fand eine bis heute einflussreiche Rechte aus nostalgischen Alt­faschisten, ehemaligen Rechtsterroristen, Separatisten und Rassisten aller Generationen zusammen. Deshalb ist zu erwarten, dass es auch auf der nächsten Gedenkveranstaltung im Dezember nicht um die Aufklärung der Geschichte der von Teilen des Staats unterstützten Massaker und ihrer Vertuschung geht, sondern die Regierung nur weiter Betroffenheit demonstrieren wird.

Quelle: http://jungle-world.com/artikel/2015/39/52753.html

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