Belgien: Sicherheitslage dient als Begründung für Demonstrationsverbote
»Haben wir die Situation unter Kontrolle? Ich weiß es nicht«, gab der sozialdemokratische Bürgermeister von Brüssel, Yvan Mayeur, am Mittwoch abend nach einem Treffen mit den Amtskollegen der umliegenden Gemeinden zu. Thema war eine engere Zusammenarbeit bei Sicherheitsfragen. Grundtenor: Anschläge wie in Paris oder im letzten Mai auf ein jüdisches Museum in Brüssel lassen sich nicht immer verhindern. Alleine in Brüssel gäbe es mindestens 70 Personen, die Kontakt zu extrem radikalen Muslimen in Syrien hätten, sagte Mayeur.
Seitdem eine Antiterroreinheit vor einer Woche bei einer Hausdurchsuchung im wallonischen Verviers zwei mutmaßliche Dschihadisten erschossen hat, gibt sich Belgien wachsam. Die belgische Regierung hob umgehend die Sicherheitsstufe an. Nun müssen sich die Belgier an die 300 schwerbewaffneten Soldaten gewöhnen, die in Brüssel und Antwerpen vor wichtigen öffentlichen Gebäuden Wache schieben. Auch vor den jüdischen Schulen stehen sie in ihren Tarnanzügen, die Kinder müssen jeden Morgen an ihnen vorbei. Immerhin haben diese Schulen wieder geöffnet, am Tag nach dem Feuergefecht in Verviers blieben sie für 24 Stunden geschlossen. Der israelische Geheimdienst hatte angeblich über die Botschaft in Brüssel dazu geraten.
Die angespannte Lage im Land hat Auswirkungen bis in die Provinz. In der wallonischen Kleinstadt Louvain-la-Neuve hat ein örtliches Museum, das dem Comiczeichner Hergé (»Tim und Struppi«) gewidmet ist, eine Ausstellung abgesagt, in der Karikaturen des Satiremagazins Charlie Hebdo gezeigt werden sollten. Die Polizei und der Bürgermeister hatten der Einrichtung den Schritt nahegelegt, berichteten belgische Zeitungen. »Das Museum ist nicht dazu da, Öl ins Feuer zu gießen«, erklärte der Leiter. Außerdem trage er die Verantwortung für seine Mitarbeiter, das Risiko könne er nicht eingehen.
Das Demonstrationsrecht ist ebenfalls betroffen. In Antwerpen hat der Bürgermeister Bart De Wever eine für Montag geplante Kundgebung des Pegida-Ablegers in Flandern verboten. Die große linke Gegendemo darf ebenfalls nicht stattfinden, zu der das außerparlamentarische linke Aktionsbündnis »Hart boven Hard« (Herz über hart) aufgerufen hatte, das vor allem gegen die Sozialkürzungen der belgischen Regierung protestiert.
Auch in Antwerpen ist es die schwierige Sicherheitslage, die als Argument für das Verbot herhalten muss. Die Einsatzkräfte seien im Moment nicht in der Lage, die Demonstrationen zu schützen, so De Wever. Man kann getrost davon ausgehen, dass dem Bürgermeister die Entscheidung nicht furchtbar schwer gefallen ist. Schließlich ist er auch Vorsitzender der nationalistischen »Nieuwe-Vlaamse Alliantie« (Neue Flämische Allianz), die in Brüssel in der Regierung sitzt und maßgeblich am Sozialabbau beteiligt ist, gegen den »Hart boven Hard« normalerweise auf die Straße geht. Auf der anderen Seite will sich De Wever von den Pegida-Anhängern wohl nicht den Platz als Flanderns größter Patriot streitig machen lassen. Bei dem Ableger handelt es sich, so berichten belgische Zeitungen, nämlich vor allem um Anhänger des extrem nationalistischen »Vlaams Belang« (Flämisches Interesse).
Unterdessen haben die belgischen Behörden mehr Details über die beiden in Verviers getöteten Männer preisgegeben. Es handelte sich demzufolge um einen 26jährigen und einen 23jährigen aus dem Brüsseler Stadtteil Molenbeek, beides Belgier. Im letzten April sollen sie sich für drei Monate in Syrien aufgehalten haben. Im Juli seien sie nach Belgien zurückgekehrt und umgehend untergetaucht. Der Staatsschutz habe die beiden seit September beobachtet.
Bei Hausdurchsuchungen in Brüssel und Verviers waren insgesamt 13 Personen verhaftet worden. Gegen sechs von ihnen leitet der Staatsanwalt nun ein Verfahren ein, meldete die Nachrichtenagentur AFP. Drei bleiben vorerst in Untersuchungshaft. Einem dritten Mann, der den Zugriff in Verviers überlebte, wird vorgeworfen, einen bewaffneten Aufstand geplant zu haben. Er beteuert weiterhin, er sei nur zu Besuch gewesen und habe von den Plänen der beiden anderen nichts gewusst. In der Wohnung fanden die Beamten auch den Pass eines Niederländers. Der Betreffende soll aber bereits vor einiger Zeit nach Spanien oder Frankreich geflohen sein. Seine Eltern hatten ihn offenbar schon vor einem Jahr vermisst gemeldet.