Der Tod einer Journalistin bei einem Autounfall in der Südosttürkei nahe der Grenze zu Syrien wirft Fragen auf. Die 30jährige US-amerikanische Journalistin libanesischer Herkunft Serena Shim berichtete für den staatlichen iranischen Auslandsfernsehsender Press TV unter anderem aus dem Irak, dem Libanon, der Ukraine und der Türkei. Sie hielt sich im türkisch-syrischen Grenzgebiet auf, um über die Kämpfe zwischen der Miliz »Islamischer Staat« (IS) und kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG um die Stadt Ain Al-Arab (Kobani) im Norden Syriens zu berichten. Auf der Rückfahrt von der Grenze zum Hotel stieß ihr Wagen bei der Kreisstadt Suruc am vergangenen Sonntag mit einem Betonfahrmischer zusammen. Die Journalistin wurde dabei getötet, ihre Kamerafrau Judy Irish verletzt.
Schuld an dem Unfall sei allein Irish als Fahrerin des Wagens gewesen, heißt es im offiziellen Bericht, den die für ländliche Regionen zuständige Militärpolizei Jandarma am Freitag vorlegte. Irish sei zu schnell in eine Kurve gefahren und in den Gegenverkehr geraten. Den Fahrer des Lastwagens, der vorübergehend festgenommen und verhört worden war, treffe keine Mitverantwortung.
Als »äußerst suspekt« hatte dagegen der Leiter der Nachrichtenabteilung von Press TV, Hamid Reza Emadi, noch vor Bekanntgabe des Jandarma-Reports die Todesumstände der Journalistin bezeichnet. »Es handelt sich möglicherweise um eine Folge ihrer kritischen Enthüllungsreports über die wechselseitige Einflussnahme von türkischen und saudischen Politikern auf syrische Flüchtlinge.« So hatte Shim über die Unterstützung der Türkei für die dschihadistischen Kämpfer recherchiert und berichtet, wie diese unter der Tarnung humanitärer Hilfskonvoys wie der »World Food Organization« oder auch türkischer NGOs die Grenze nach Syrien überquerten. Entsprechende Beweisfotos lägen ihr vor, gab Shim an.
Zwei Tage vor ihrem Tod hatte Shim in einer Liveschaltung gegenüber Press TV beklagt, der türkische Geheimdienst MIT würde sie gegenüber Einheimischen als Spionin diffamieren. »Ich mache mir etwas Sorgen, was der MIT gegen mich unternehmen könnte«, erklärte Shim und äußerte die Befürchtung, verhaftet zu werden. Derartige Befürchtungen sind in der Türkei, wo in den letzten Jahren Dutzende Mitarbeiter regierungskritischer Medien unter Terrorismusvorwürfen festgenommen wurden, nicht unberechtigt. Erst vor zwei Wochen hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan generell ausländische Journalisten und Menschenrechtsaktivisten der Agententätigkeit bezichtigt. Drei deutsche Fotojournalisten, die über Proteste gegen die IS-Unterstützung durch die türkische Regierung berichteten, waren in Diyarbakir vorübergehend unter Spionagevorwurf festgenommen worden. Vergangene Woche wurde zudem ein langjähriger Mitarbeiter der kurdischsprachigen Tageszeitung Azadiya Welat in Adana beim Verteilen von Zeitungen von zwei Männern auf einem Motorrad offenbar gezielt erschossen.Der Gouverneur der Provinz Sanliurfa, Izzetin Kücük, wies die Anschuldigungen von Press TV, staatliche Kräfte könnten in den Tod von Shim verwickelt sein, als »gänzlich haltlos« zurück. »Für einen Anschlag können wir derzeit keine Beweise erbringen«, erklärte auch ein Vorstandsmitglied der linken prokurdischen Partei der Demokratischen Regionen (DBP) aus Sanliurfa gegenüber junge Welt. Einen staatlichen Mord an der Journalistin hält der Politiker aufgrund bisheriger Erfahrungen dennoch für denkbar. »Der türkische Staat arbeitet in solchen Fällen sehr professionell.«
Shim wurde am Mittwoch in Beirut beerdigt. Sie hinterlässt zwei Kinder.
Quelle: https://www.jungewelt.de/schwerpunkt/unfall-oder-anschlag